Ein zeitgemäßes Wort über den Eintritt in Diakonissenanstalten

Textdaten
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Autor: Bn.
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Titel: Ein zeitgemäßes Wort über den Eintritt in Diakonissenanstalten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 874
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[874] Ein zeitgemäßes Wort über den Eintritt in Diakonissenanstalten hat auf der letzten Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins im Oktober d. J. Frau Mathilde Weber aus Tübingen, die verständige und gemäßigte Verfasserin des Buches „Aerztinnen“, gesprochen. Sie ging von dem bekannten Uebelstand aus, daß der Zugang zu den verschiedenen geistlichen und weltlichen Pflegeanstalten ein viel zu geringer ist gegenüber dem stets wachsenden Bedürfniß nach Pflegerinnen einerseits und der Thatsache anderseits, daß oft um eine Stelle zur Stütze der Hausfrau sich 60 bis 80 Mädchen melden. Den Grund einer so auffallenden Erscheinung findet die gerade auf diesem Gebiet vielerfahrene Rednerin nicht in einer Abneigung des weiblichen Geschlechts gegen aufopfernde Pflege und Hilfe überhaupt – tausend Beispiele des täglichen Lebens widerlegen eine solche Vermuthung – sondern in gewissen schwierigen Punkten, welche (auch unserer Erfahrung nach) oft genug mündlich besprochen werden, aber nirgends noch mit so viel Freimuth und so ganz ohne verletzende Spitze dargelegt wurden.

Indem wir mehrere dieser Punkte (die Bezugnahme auf zu strenge religiöse Uebungen z. B.) als vielleicht örtlicher Natur und nicht überall zutreffend übergehen, glauben wir zwei andere hervorheben zu sollen, welche der größeren Betheiligung am Diakonissenberuf in der That hinderlich sind, nämlich erstens die sehr großen Anforderungen an die Arbeitskraft der Schwestern, die oft genug von Tagesanbruch bis abends 9 Uhr in Anspruch genommen werden und häufig dann noch eine Nachtwache übernehmen müssen.

Frau Weber berichtet aus eigener Erfahrung, daß die übermüdeten Diakonissen oft nothgedrungen die einzige Stunde Mittagsruhe statt zu einem Spaziergang oder geistiger Erholung nur zum Schlafen benutzen. Auch sind Ruhetage selten, vielfach keine Erholungsstätten vorhanden, Urlaub aber wird meist nur alle zwei Jahre gewährt. Das sind Uebelstände, welche sich besonders in der Stadt bei hohem Krankenstand durch Epidemien etc. bemerklich machen, wo die gesteigerte Nachfrage die Kräfte der armen Schwestern auf harte Proben stellt.

Aber hierfür schlug die Rednerin ein Auskunftsmittel vor, welches sich in England vortrefflich bewährt und auch bei uns ganz leicht einzuführen wäre: die Einrichtung der „Reserve“- oder „Aushilfsschwestern“, wodurch gebildete Mädchen herbeigezogen werden, die nicht ihre ganze Zeit und Kraft der Sache widmen wollen oder können und doch in Tagen des großen Bedarfs wesentlich zur Erleichterung der überbürdeten Anstaltsschwestern beitragen würden. Sie machen, wie diese, eine ganze Lehrzeit in dem Mutter- oder Krankenhause durch, werden als Schwestern eingesegnet und erhalten ein Schwesterkleid. Dann kehren sie ins Elternhaus zu ihren Familienpflichten heim, und nur wenn vom Mutterhaus der Ruf ergeht: jetzt drohe Ueberbürdung, so haben sie sich an ihren Posteu zu begeben und die angewiesene Pflege nach der Vorschrift zu besorgen. Diese Veranstaltung ist wie geschaffen für die vielen älteren Mädchen, welche den dringenden Wunsch hegen, sich der Allgemeinheit nützlich zu machen und doch aus Rücksicht auf alte Eltern und ihre Pflichten gegen dieselben sich nicht dauernd von ihnen entfernen mögen.

Die zweite Schwierigkeit ist die Bestimmung der Regel, daß alle Pflegeschwestern sich auch den groben Arbeiten des Bodenscheuerns und Waschens zu unterziehen haben. Das ist eine harte Aufgabe für Mädchen, die in der ersten Jugend nicht an derartige Arbeiten gewöhnt wurden. Es werden sich also heute nur Ausnahmsnaturen einem so opfervollen Beruf zuwenden, der allerdings einen reichen Lohn in sich trägt.

Aber die Gesellschaft, die Krankenhäuser und ihr ärztliches Personal haben das dringende Bedürfniß nach geschickten wissenschaftlich gebildeten Pflegerinnen, welche in schweren Fällen zur unentbehrlichsten Hilfe des behandelnden Arztes werden. Da ist denn in der That nicht abzusehen, warum die Hand, welche schwierige Verbände anlegt, das Thermometer handhabt und für den Arzt Beobachtungen ausschreibt, auch wieder, zumal in der Winterkälte, mit Putzbürste und Scheuerlappen umgehen oder die Hauswäsche reinigen muß, während doch bezahlte Hilfe dafür leicht und billig zu haben ist. Von allen, welche die hier berührten Verhältnisse kennen, wird einstimmig dieser Grund als Hinderniß des Eintrittes für viele gebildete Mädchen angegeben. Und eine große Anzahl solcher, welche trotzdem durch religiöse Begeisterung dem Berufe zugeführt wurden, mußte ihn wieder lassen, weil sie über jenen ungewohnten groben Arbeiten erkrankten.

Der Gedanke einer solchen vollkommenen Dienstbarkeit um der Liebe des Nächsten willen ist gewiß ein idealer, ebenso die völlige Unentgeltlichkeit der geleisteten Dienste. Aber die letztere ist durch das selbstverständliche Lebensbedürfniß der Mutterhäuser doch bereits eingeschränkt: jede nur einigermaßen bemittelte Familie schickt nach dem Ende der Pflege mit größtem Dank eine Summe Geldes dahin. Ebenso könnte es mit dem ersteren Gebot gehen, und darauf hinzuwirken, wäre eine segensreiche Thätigkeit für menschenfreundliche Geistliche, Stadtvorsteher und Krankenhausdirektoren. Wir geben gerne die von einer vortrefflichen Frau ausgesprochene Anregung weiter, überzeugt, dadurch zur Förderung einer sehr wichtigen Sache beizutragen. Bn.