Textdaten
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Titel: Friedrich Mitterwurzer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 133, 163
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[133]

Friedrich Mitterwurzer als Dietrich v. Quitzow.
Nach einer Photographie von Alfred Naumann in Leipzig.

[163] Friedrich Mitterwurzer. (Zu dem Bilde S. 133.) Wohl der eigenartigste unter den jüngeren Darstellern, die sich eines weitreichenden Rufes erfreuen, lenkt Mitterwurzer seit seinem glänzenden Gastspiel am Berliner Hoftheater jetzt mehr als je die Augen auf sich, nachdem auch seine Erfolge jenseit des Oceans in der deutschen Presse ein lebhaftes Echo wachgerufen haben.

Mitterwurzer ist ein echtes Theaterkind; er wurde am 16. Oktober 1844 in Dresden geboren als Sohn des vielgenannten Baritonisten, Opern- und Kammersängers Anton Mitterwurzer; auch seine Mutter gehörte als Schauspielerin der Hofbühne an. Als ganz junger Mensch hatte er schon zur Fahne Thaliens geschworen und führte ein lustiges Wanderleben bei den kleinen Bühnen der Lausitz und Schlesiens. Namentlich bei der trefflichen Direktion Heller, welche ihre Vorstellungen in Liegnitz, Schweidnitz, Bunzlau gab, spielte er große und keine Rollen und wirkte auch im Chor und im Ballet mit – alles für zwölf Thaler Monatsgage. Nach einem kürzeren Aufenthalt im Vogtlande, bei der Direktion Leichsenring, wo er z. B. Laubes Essex spielte, kam er nach Hamburg ans Thaliatheater und wurde bald ein Liebling des vielgewandten Direktors Maurice und seines schneidigen Oberregisseurs Marr. Er spielte dort komische Rollen und hatte mit einer episodischen Genrefigur, dem Schulmeister in „Deborah“, einen durchschlagenden Erfolg.

In Bremen unter der Direktion Ritter und Behr spielte er dann jugendliche Liebhaber, und zwar mit solchem Feuer, daß er einmal einem Mitspieler fast das rechte Auge ausstach. In der Tragödie konnte er keine Fortschritte machen, da er noch keine Beschäftigung an Hoftheatern fand; so wandte er sich dem Berliner Wallnertheater zu, wo er theils in der Posse als Darsteller urwüchsiger Stiefelputzer glänzte, theils in französischen Stücken sein Glück als Liebhaber versuchte im Zusammenspiel mit Agnes Wallner; er wurde zwar bemerkt, doch öfters ausgelacht wegen seiner abenteuerlichen Masken und seines oft nicht minder abenteuerlichen Spiels. Noch schlimmer erging es ihm am Breslauer Stadttheater, wo er als erster Held in Rollen wie Essex und ähnlichen Fiasko machte und die ganze Kritik gnadenlos über ihn herfiel.

Das waren die Lehrjahre des Künstlers, die ihm keine Befriedigung gewähren konnten und in denen er gewiß oft an seinem Talent verzweifelte. Eine günstige Wendung für ihn trat erst ein, als er in Graz angestellt wurde; dort schlug sein Hamlet zündend ein; er spielte alle Liebhaberrollen und wurde bald ein Liebling des Publikums. Von dort berief ihn Laube an das Burgtheater; er gastirte mit einem allerdings nicht unbestrittenen Erfolge als Hamlet, Tellheim, Petrucchio; während seines Gastspiels ging Laube von der Direktion ab und sein Nachfolger Friedrich Halm wollte von einer dauernden Verwendung Mitterwurzers nichts wissen. Der Künstler spielte wieder in Graz, dann im Theater an der Wien, und als Laube 1869 die Direktion des Leipziger Stadttheaters übernahm, folgte er ihm dorthin und wurde wegen seiner glänzenden Vielseitigkeit eine Hauptstütze des Repertoires.

Ein anderer berühmter Theaterleiter, Franz Dingelstedt, gewann nach Laubes Abgang von Leipzig Mitterwurzer für das Burgtheater. Doch fühlte dieser sich in dieser gebundenen Stellung auf die Länge nicht behaglich; es fehlte ihm die freie Bewegung; eine große Zahl von Rollen, deren Darstellung seinem Ehrgeize als wünschenswerthes Ziel erschien, wurde ihm vorenthalten, weil ältere Darsteller bereits in ihrem Besitze waren. So ließ er sich von seinem alten Gönner Laube, der seit mehreren Jahren das Wiener Stadttheater leitete, bestimmen, seinen Vertrag mit dem Burgtheater zu lösen, indem er sich vom Kaiser selbst seine Entlassung erbat. Aber gerade als er frei geworden, trat Laube von der Direktion des Stadttheaters zurück. Mitterwurzer blieb demselben dennoch eine Zeit lang treu; eine kurze Episode seiner Künstlerlaufbahn war seine Thätigkeit beim Ringtheater, das bald nach seinem Eintritt in den Verband desselben in Flammen aufging. An diesen Theatern spielte er moderne, meist französische Rollen. Dann trieb es ihn hinaus in die Ferne; ein glänzender Gastrollencyklus in Nordamerika führte ihn bis San Francisko.

Nach seiner Rückkehr machte sein Gastspiel in Berlin viel Aufsehen: er spielte dort in dem erfolgreichsten Stücke Ernst von Wildenbruchs, „Die Quitzows“, den alten Raubritter Dietrich von Quitzow, den märkischen Götz von Berlichingen; unser Bild stellt ihn in dieser Rolle dar. Es war eine durchweg vortreffliche Leistung, welche zum Erfolge des Trauerspiels wesentlich beitrug: die Selbstherrlichkeit des Ritters, seinen herausfordernden Uebermuth, sein joviales und dann wieder schneidiges Wesen wußte er mit energischer Ursprünglichkeit darzustellen.

Friedrich Mitterwurzer besitzt ein eigenartiges Darstellungstalent von großer Frische und Schärfe. Den Eingebungen seines künstlerischen Genius folgend, übt er oft eine hinreißende Wirkung aus; aber er ist bisweilen abhängig von seinen Stimmungen und spielt dieselbe Rolle ungleich an verschiedenen Abenden. Es ist bei ihm nichts Eingelerntes, nichts Schablonenhaftes; von seiner glänzenden Vielseitigkeit legen die Rollen Zeugniß ab, die wir bei der Schilderung seiner bisherigen Laufbahn erwähnten; es finden sich darunter Helden- und Liebhaberrollen, Intrigantenrollen, aber auch Rollen aus dem Bereich der Posse. Wir selbst sahen Mitterwurzer während seines Wirkens in Leipzig an einem Tage einen Wiener Schusterjungen und am nächsten den Marquis Posa mit gleichem Erfolge spielen. Vortrefflich ist er auch als Bonvivant: als Bolz in den „Journalisten“ und als Fox in „Pitt und Fox“. †