Singen und Sagen
[163] Singen und Sagen. Unter diesem Titel hat Albert Möser neue Gedichte veröffentlicht [Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei Aktiengesellschaft (vorm. J. F. Richter)], welche alle Vorzüge seiner früheren wiederum bewähren. Möser gehört nicht zu den Dichtern, die es mit der Form leicht nehmen und denen es, was Rhythmus und Reim betrifft, gleichsam auf eine Handvoll Noten nicht ankommt. Er bevorzugt künstlerische Strophenformen, insbesondere das Sonett, und bewegt sich in ihnen zwanglos und geschmackvoll. Sein Vorbild ist offenbar Platen und von den Dichtern der Gegenwart erinnert er am meisten an den Grafen Schack. Wie dieser liebt er auch weltweite Fernblicke, was sich besonders in dem Abschnitt „Aus allen Zonen“ zeigt. Ebenso sucht er Entdeckungen der neueren Naturwissenschaft in dichterisches Gewand zu kleiden. Gleich im ersten Buche finden sich derartige Gedichte: „Der Komet“, „Gesang des Weltmeers“, „An Darwin“, „Das Erdbeben“, „Doppelsterne“. In den erzählenden Gedichten greift der Dichter bis in das Alterthum zurück; aber auch die neueste Zeit bietet ihm willkommene Stoffe. Sehr stimmungsvoll ist das Gedicht „Langensalza“ auf den 27. Juni 1866. Die Erinnerung an den blinden König Johann von Böhmen, der sich bei Crecy 1346 aufs Roß binden ließ und so in die Feinde stürmte, ist von schlagkräftigster Wirkung. Der blinde König von Hannooer glaubt nach dem Kampfe bei Langensalza des Sieges sicher zu sein. Da redet ihn der Dichter an:
„O König, fürchte des Schicksals Hohn!
Ein Wahn hat dich betrogen;
Wohl siegst du heute, doch morgen schon
Irrst du als Flüchtling ohne Thron,
Bist rings von Feinden umzogen.
Von König Johann, dem Kaisersproß,
Dem blinden, wohl hörtest du Kunde;
Er ließ sich binden aufs hohe Roß,
Stob muthig in rasender Feinde Troß
Und suchte die Todeswunde.
Die tausendjährige Herrlichkeit
Der Welfen, wie bricht sie in Scherben!
Verbanne die Hoffnung fern und weit,
Wirf gleich Johann dich in den Streit
Und stirb wie Helden sterben!
Sehr schwunghaft sind auch die drei ersten Strophen des Gedichts „Die Rosse von Mars la Tour“:
„Der Kampf ist geendet, es nahet die Nacht,
Es flammen die Dörfer im Kreise,
Da schmettert das Horn mit gellender Macht
Und ruft aus der wilden, der grausigen Schlacht
Die Streiter mit mahnender Weise.
Erst Stille ringsum, dann dumpf und schwer
Hört man den Boden erdröhnen,
Und wild über Leichen und blutige Wehr
Braust her von Rossen ein wieherndes Heer,
Gelockt von des Hornrufs Tönen.
Es lodert ihr Auge in feurigem Brand,
Noch sprühen die Nüstern vom Kampfe,
Sie stehen gereiht und stampfen den Sand,
Doch, die sie am Morgen noch lenkte, die Hand,
Starr ward sie im Todeskampfe.