Fleiß und Faulheit. Fünftes Blatt
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Ein thörichter Sohn ist seiner Mutter Grämen.
Auf dem dritten Blatte bekam unser Caracalla auf dem Kirchhofe einen derben Auferstehungs-Hieb, und hier, könnte Jemanden einfallen, wird er über den Acheron oder Styx gesetzt. Es ist auch wirklich fast so was, wenigstens bringt ihn dieses Boot in ein neues Leben hinüber. Die Geschichte hängt so zusammen.
Trotz aller Ermahnungen, die ihm sein Herr mit liebreichem Munde gegeben, und der Bettelvogt mit rechts aufwärts gezogenem gab, blieb Faulhans immer Faulhans vor wie nach. Der Porterkrug sperrte seinen Zettelbaum und der Porter ihn Selbst; das Kätzchen spielte mit [532] seinem Weberschiffchen, und er Selbst mit Würfeln und Karten auf Bier- und Weberbänken, Leichensteinen, und was er sonst dergleichen finden konnte. Also die Laufbahn, die er mit Gutkind zugleich angefangen hatte, zu wandeln, war nicht für ihn; sein ewiges Spielen, Schlafen und Schlummern, war nicht für dieses Leben. Er wurde also weislich in ein anderes versetzt, und schlummerte dießmal im eigentlichen Verstande zu einem bessern Leben hinüber, und dieses bessere Leben war – das See-Leben. Man hat nämlich in London, so wie in andern Seehandelsstädten, die bekannte Küchenmaxime, daß manche Dinge, die leicht faulen, sich besser halten, wenn man sie durch Salzwasser zieht, sogar bis auf den moralischen Menschen ausgedehnt; böse Buben würden zur See besser. Ich weiß nicht, ob diese Maxime sonderlich viel mehr werth ist, als eine andere, sehr bestrittene, von der ich in Wahrheit nicht zu sagen weiß, aus welcher Küche sie eigentlich in die andere gekommen ist; aus der mit dem Präceptorstuhl und Präceptor in die mit dem Feuerheerd und Koch, oder umgekehrt. Ich meine nämlich die: Was man bald gar haben wolle, müsse man vorher brav klopfen. Daß die Versuche, aus bösen Buben, wo nicht gute Buben, doch wenigstens gute Exbuben zu machen, so häufig fehlschlagen, rührt, wie so mancher Fehlgriff in Theorie und Praxis in der Welt, bloß daher, daß man noch keine rechte Definition von einem bösen Buben hat. – Man hat allerdings Beispiele, daß manche durch Seereisen besser geworden sind, wie bekanntlich der Madeira, oder durch Klopfen, wie die Hammels-Keulen. Aber, sonderbar, es muß auch da immer echter Madeira sein, was man einschifft, und derbes, gesundes Hammelfleisch, was man klopft, sonst wird in Ewigkeit nichts daraus. Hätte Capt. Cook unsere berühmten Saale- und Werra-Weinchen dreimal um die Welt und sechsmal unter der Linie weggeschleppt, so hätte er am Ende vermuthlich Essig, oder wohl gar etwas Erbärmlicheres mit zurückgebracht. Und was aus den Schinken der Urgroßmütter unserer Wollheerden, selbst unter der Stampfmühle werden würde, lieber Himmel, daran mag ich gar nicht denken; animalischer Flachs vielleicht! Dieses ist der Fall mit [533] den so genannten bösen Buben. – Hier aber haben wir mit einer besondern, sehr scharf charakterisirten Species zu thun, mit dem faulen, trägen Buben, dem Schläfer, dem frühen Säufer, und dem so genannten Tagdiebe. Dieses ändert die Umstände gar sehr. Denn um diese Gattung vor allem Fortfaulen zu sichern, hat man am Ende sogar oft Nichts Anderes dienlich befunden, als sie an der freien Luft zu trocknen. Die Art, wie man’s macht, ist hinlänglich bekannt, und auf gegenwärtigem Blatte im Hintergrunde auch wirklich abgebildet, wo der Leser die ganze Trocknungsanstalt auf einer Landzunge aufgeschlagen sehen wird.
In dem Boote befinden sich vier Männer. Alle haben auf gleiche Art ein Tuch um den Hals geknüpft. Welchem unter diesen wäre wohl, statt des Halstuchs, mit einem Strang oder einem Mühlsteinchen besser gerathen? O! dem Teufel da, ganz gewiß, der sich die Hörner zu seinem Gesicht mit den Fingern macht. Ich glaube nicht, daß wenn man dieses Blatt mit dieser Frage um die ganze Welt trüge, sie irgend Jemand außerhalb und innerhalb der Wendekreise anders beantworten würde, als so oder da hinaus; und dieses selbst noch, ehe man wüßte, gegen wen diese Bestie die Schnauze eigentlich spannt. Es ist aber gegen die Mutter; das arme, abgehärmte, weinende Weib da, ist die Mutter des Kerls, die ihn nach dem Schiffe hin begleitet, nach welchem man ihn bringen will. Sie ist, aus ihrem Anzuge zu schließen, noch nicht lange Wittwe; ihre Hauptstütze ist gefallen, und die andere, gerechter Himmel! auf die sie vielleicht dereinst für ihr Alter rechnete (die Mißgeburt da), ist mehr als gefallen, sie ist zu einer Centnerlast von Jammer und Gram für sie geworden, unter welcher sicherlich ihr Herz brechen wird.
Daß die unglückliche Mutter dem Gift und den Flammen, die dieser Drache speit, die friedliche Hand, die mehr streichelt als droht, und mehr fleht als gebietet, mütterlich entgegenstellt, ist sehr weiblich, und sehr gut von unserem Künstler gedacht. Es ist sicherlich kein verdorbenes Weib. – Mit der Linken, die er über seinem Kopfe hat, macht der Kerl offenbar das Hahnrei-Zeichen. Man glaubt, gegen seine Mutter. Ungeheuers genug wäre er dazu, aber ohne großen Zwang und Einschaltungen, [534] wozu die Geschichte keine Veranlassung gibt, kann der Gestus nicht füglich auf die Mutter gedeutet werden. Natürlicher wird die Sache so erklärt: die Landspitze, die man hier in der Ferne sieht, und auf welcher so eben jetzt getrocknet wird, ist bekannt genug, und heißt bei den Seeleuten cuckolds point (die Hahnrei-Spitze). Sie liegt gegen den Ausfluß der Themse hin. Unter den Erklärungen, die man von dem Ursprung dieser Benennung hat, ist vielleicht folgende die witzigste, obgleich der Einfall für einen aus der illüstren Familie der Matrone von Ephesus nicht gewandt genug ist. Man glaubt nämlich, daß die tiefgebeugten Strohwittwen der Seefahrer nicht allein mit der Thränentrocknung, sondern auch mit der Regulirung des nöthigen Vicariats gewöhnlich schon völlig zu Stande wären, wenn ihre Männer beim Auslaufen diese Spitze passiren.
Faulhans nämlich, der sich nun bereits in der Nähe des Schiffs und beim Eintritt in die Wiedergeburt erblickt, von welcher man seine Besserung erwartet, fängt, nach Art aller Taugenichtse in der Klemme, an zu toben, auf Freiheit zu trotzen und zu drohen: hier wolle er es nun noch viel ärger machen, sagt auch wohl, bloß um die schwache Mutter zu schrecken und zu kränken, Einiges, was er thun wolle. Diese Ungebühr in einem so verächtlichen Schurken, weckt daher auf einmal die Erziehertalente zweier Bootsleute. Der eine mit der Pelzmütze setzt sogleich seine Zeigefinger, den Weiser sowohl als den Beweiser, beide ohne Handschuh, in Bewegung. Mit dem rechten setzt er offenbar eine Lehre auseinander, und der linke, der sehr wohl zu wissen scheint, was der rechte thut, illustrirt sie mit einem sehr verständlichen Exempelchen, indem er auf den Galgen weist: „Verstehst du wohl, könnte der Lehrer sagen, was der Telegraph dort auf der Landspitze zu solchen Buben spricht, wie du, oder da du, infamer Tagdieb, noch von Freiheit reden willst, kennst du das Freiheitsbäumchen dort und das Früchtchen, das es trägt? Sieht er, junges Herrchen, das war gerade ein solches Kerlchen, wie er.“ Diese Warnung, mit der Linken gegeben, erwiedert nun der Schurke auch mit der Linken und Matrosenwitz, er macht das Hörnerzeichen - „weißt du wohl, wie die Landspitze dort heißt, infamer [535] Hahnrei?“ - Dieser Sprache hauptsächlich scheint die Mutter Einhalt thun zu wollen, und erhält nun, statt einer mündlichen Antwort, die so unaussprechliche, die hier gezeichnet ist[1]. – Während sich die Pelzmütze da von vorn an den Rest von Vernunft dieses Unholden wendet, und vom Künftigen spricht, adressirt sich ein Anderer von Hinten, sehr viel weislicher, an das Fell des Kerls, und redet mit ihm vom Gegenwärtigen, von Strafen, die nicht schleichen, sondern in diesem Boote, in dieser Minute, Blitz und Schlag Eins, eintreffen können. Das ist sehr brav. Das Schellengeläute nämlich, womit hier unserem moralisch-taub Gebornen von dem andern Bootsmanne geklingelt wird, ist die sogenannte Katze von neun Schwänzen (cat o’nine tails); himmelweit unterschieden von Whittingtons Katze, und womit der Kehrum (Turn again) auf dem bloßen Buckel solcher moralischen Ausreißer gespielt wird. O! ist es aber nicht herz- und geistlabend, eine solche Hyäne so zwischen Knute und Galgen von solchen Moralisten eingeklemmt zu sehen? Zur Linken steht ihm seine Kiste (his chest), [536] vermuthlich mit seinem ganzen Erbtheil, und zur Rechten schwimmt, nicht sonderlich aufgehoben, der Contrakt (Indenture) mit seinem Herrn, den die Aufführung des Bösewichts erst gebrochen und seine Hand hier noch einmal als unnütz eingerissen und der Themse übergeben hat, ihn in dem großen Archiv der Thetis beizulegen. Mit dem Risse in dem Papier hat Hogarth unstreitig auf den Namen des Contracts: indenture angespielt. Keiner seiner englischen Ausleger hat dieses gefühlt, und doch besteht gerade der Charakter des Genies dieses Mannes in solchen Zügen. Das ist es gerade, worin er weder Muster vor sich, noch bis auf diese Stunde auch nur halb erträgliche Nachahmer gefunden hat. Indenture, auf deutsch ein Zerter oder eine Zerte (charta indentata, eingezähnter Contract), hieß bekanntlich diejenige Urkunde, die man zwei Mal auf denselben Bogen Papier neben oder unter einander schrieb, und nachher die beiden gleichlautenden Exemplare durch einen gezähnten Schnitt mit der Scheere trennte. Die Absicht dabei war, natürlich, die von dem bekannten Kerbholz[2]. An dem untern Rande des schwimmenden Papiers sieht man hier noch die gerichtlich-rechtlichen Einzähnungen. Das Lächerliche also besteht hier eigentlich darin, daß Hogarth Faulhansen seine eigene Hälfte noch einmal einzähnen läßt, wo doch die ganze indenture bloß Null und Nichtigkeit beweist. Gerade vor dem Ruder schwimmt ein kleines Wrak, ein kleiner Zerter von einem Schiffe, und so wenig selbst ein Schiff, als jenes Papier ein Contract.
Nun, ehe wir dieses Blatt und Boot verlassen, noch ein Wort von dem Manne, der es mit seinen Rudern bewegt und lenkt. Er rudert [537] fort, durch das Toben dieser lebendigen Streiter in seinem Boote so wenig gerührt, als der Postillon, durch den gelehrten Zank in Briefen, die er von einer Station zur andern reitet, oder edler, denn der Kerl ist es werth: er bleibt der Bewegung seines Boots, alles Lärmens ungeachtet, so treu, als es Schwungkraft und Schwere der Erde ihrem Lauf um die Sonne trotz allem Armeengezänke bleibt, das auf ihr vorgeht. Sie mögen sich zanken. Warum? das ist nicht seine Sorge. Er sorgt nur dafür, daß sie sich immer in andern Räumen zanken. Dort in dem Zeichen des Krebses oder der Wage, wovon es Beispiele gibt, oder hier bei der Hahnrei-Landspitze, das ist ihm gleichviel. – Aber ist das nicht ein Kerl? Freilich nicht von dieser Welt, wenn süßes Wasser und festes Land die Welt ausmachen; auch kein gelecktes Gemmenköpfchen, ja, eher geeignet, so etwas, wie den metallnen Ring an einer Hausthüre, im Maule zu tragen, aber wahrlich sehr respektabel da, wo Eichenholz und Theer, und nicht Milch und Blut die Musterfarbe abgeben. Man muß wissen, daß sich, an diesem Kopfe da, gerade die drei unbändigsten unter den vier Elementen vielleicht in drei verschiedenen Zonen unserer Kugel so lange zerarbeitet haben, bis nichts weiter mehr auszurichten war. O! es ist ein herrliches Volk, getreu seinem Könige und seinem Vaterlande (pro Rege et grege), so lange kein religiöser und kein politischer Quacksalber moderne Destillationen in sein alt-englisches bewährtes, kräftiges Hausgetränke mischt. O! es ist eine Erquickung, diese Menschen zu sehen! Sie sind nicht selbst die Seele der siegreichen Flotten Britanniens, aber sicherlich die Lebensgeister derselben, die die Entschlüsse des dirigirenden Geistes durch das Tauwerk, wie durch Nerven, nach den Segeln, wie nach schwellenden Muskeln, auf den Wink hintragen, wodurch dann der große Gedanke erst zur großen That wird. Wenn daher, wie neulich am 1. August 1798[3] manches [538] schön mundirte Project der Feinde Britanniens durchgerissen und andern zum Exempel im Archiv der Thetis niedergelegt wird, so ist es unmöglich, dieser Menschenclasse den Namen wenigstens von Archivarien dabei abzusprechen.
- ↑ Herr Lavater, in dessen physiognomischen Fragmenten (s. erster Versuch Tab. IX. S. 100) man diesen Kopf abgebildet und beurtheilt findet, drückt sich darüber in seiner starken Sprache folgendermaßen aus: „Ich bemerke mit Entsetzen den allerhöchsten Grad – der Teufelei in dem Gesichte, das einer flehenden Mutter mit einer namenlosen, grimmig-hämischen Verachtung entgegen trutzt! Wenn Hogarth dieß Gesicht gesehen und diese Stellung copirt hat, so ist das Original – ein Inbegriff von Teufeln! Hat er’s erschaffen – so ist Hogarth – nein! Er hat’s zusammen gedichtet aus vorhandenen Gesichtern, und so ist er und das Menschengeschlecht gerettet. – Doch, ach Gott! ich habe schon Gesichter, Gebehrden und Stellungen gegen Mütter gesehen – die zwar nicht so waren, aber so hätten werden können! Ich wende mich von dem Gedanken weg.“ – Herr Ireland, der bei diesem Blatt ebenfalls Herrn Lavater citirt, den er etwas sonderbar: that great geographer of the human face (jenen großen Geographen des menschlichen Angesichts) nennt, führt in einer englischen Uebersetzung eine sehr kurze Stelle an, die gar nicht paßt, und wovon ich in dem ganzen hierher gehörigen Capitel des Originals auch keine Spur finde. Und doch sagt Herr I. davon: his observations deserve attention.
- ↑ Herr Adelung (Art. Zerte) hält es für wahrscheinlich, daß das Wort aus Charta verdorben sei, doch ist er auch denen nicht entgegen, die es von zerren, reißen herleiten wollen, da es denn mit der untrennbaren Vorsylbe vieler Wörter, als zerreißen, zerschlagen etc. zusammenhänge. Dieses letztere angenommen, ließe sich der Hogarthische Einfall fast ohne Verlust der beabsichtigten Anspielung im Deutschen durch zerzerrten Zerter geben.
- ↑ Bei Abukir. Der erste August ist (mancher Liebhaber wegen im Vorbeigehen anzumerken) ein merkwürdiger Tag: am ersten August (1759) wurde Contades bei Minden geschlagen, und am ersten August (1774) entdeckte D. Priestley die dephlogistisirte Luft (Gaz oxygene), die daher in Schriften der Geburtstag der französischen (antiphlogistischen) Chemie genannt wird.