Fleckennatter und Eidechse
Deutschland beherbergt, abgesehen von der Blindschleiche[1], vier Schlangen, von welchen drei der Familie der Nattern angehören, die vierte aber, die giftige Kreuzotter, eine Viper ist. Letztere gehört zu jener gefährlichen Sippschaft, welche das Volk der Schlangen in so üblen Ruf brachte, so daß man allen ohne Unterschied mit Furcht und Haß zu begegnen pflegt. Jedoch nur der geringere Theil verdient verfolgt und vertilgt zu werden, was dagegen die drei Nattern Deutschlands, nämlich die Ringelnatter, die glatte oder Fleckennatter, sowie die gelbe Natter betrifft, so kann ich für deren Unschuld und Ungefährlichkeit aus eigener Erfahrung einstehen. Es wird zwar nicht viel helfen, denn ihre Verwandtschaft mit der gefährlichen Viper, sowie das von dieser geerbte fatale Zischen macht es schwierig, sie von jeder üblen Nachrede zu befreien oder gar ihnen die Zuneigung der Menschen zu verschaffen. Eine Abhandlung über Schlangen in der „Gartenlaube“ muß sich daher gefaßt machen, vielleicht von vielen der Leser überschlagen zu werden, jedoch hoffe ich durch beistehende Zeichnung, welche den Kampf der Fleckennatter mit einer Eidechse darstellt, die Aufmerksamkeit auf dieses Capitel zu lenken, um einigen aussöhnenden Bemerkungen über die Lebensweise dieser gewiß nicht uninteressanten und schönen Thiere gleichsam durch List Eingang zu verschaffen.
Am meisten gefällt mir die glatte oder Fleckennatter, welche z. B. in Würtemberg stellenweise ziemlich häufig ist. Sie ist die kleinste und zierlichste unserer Nattern, zwei Fuß lang, kleinfingerdick, von meist röthlichgrauer Farbe; den Rücken entlang verläuft eine Reihe schwarzbrauner Flecken, deren größter das Hinterhaupt ziert. Das feingeschnittene Köpfchen zeigt nahe über der Mundspalte schöne, runde, durch keine Lider umfaßte Augen, deren seitliche Lagerung den Vortheil eines größeren Gesichtsfeldes hat. Es überschaut nämlich die Schlange ihre rechte und linke Umgebung, dagegen entgeht ihr, was unmittelbar vor ihrer Nase liegt, und sie würde diese bald anstoßen, käme nicht die tastende Zunge ihr zu Hülfe. Wer dies nicht weiß, der hält freilich die schmale und [70] lange, in zwei feine Spitzen auslaufende Schlangenzunge für ein äußerst gefährliches Instrument, zum Stechen und Vergiften geschaffen und Manchen schon sah ich erblassen oder wenigstens in lebhafte Unruhe gerathen beim Anblick eines zur Durchbohrung vorgehaltenen Fingers. Kraftlos aber prallt das rasch und häufig vorgeschnellte Züngelchen ab, ja man fühlt kaum die Berührung, so zart und weich ist dieses den Fühlern eines Insectes vergleichbare, hauptsächlich zum Tasten geschaffene Organ. Die Function eines Geschmacksorganes geht der Zunge ab und würde auch nichts nützen, da die Schlangen ihre Beute als Ganzes verschlingen. Nebenbei gebrauchen sie dieses geschmeidige Gebilde zum Auffangen von Regen- und Thautropfen, wie man, in Ermangelung, von Schlangen, Aehnliches auch z. B. an Eidechsen leicht bemerken kann, die man zu diesem Zwecke in einen mit Moos gefüllten Behälter setzt. Bespritzt man an einem heißen Sommertage mit wenigem Wasser das Moos, so kriechen alsbald die Thiere hervor, tauchen begierig die gespaltene Zunge in die Wassertropfen, ziehen sie dann behaglich und langsam zurück und wiederholen dieses Verfahren, bis der Durst gelöscht ist. Lassen wir also unsere Natter immerhin züngeln, sie richtet mit dieser Fertigkeit keinerlei Schaden an, und es scheint mir dieselbe zugleich den Zustand der Gemüthsstimmung zu verrathen. Aufgeregt oder auf Beute lauernd, erinnert das anhaltende Züngeln des drohend erhobenen Kopfes an das fatale Schweifwedeln der katzenartigen Raubthiere. Aber auch ihre Zufriedenheit scheint sie damit anzudeuten, wenn man sie in gezähmtem Zustande in der warmen Hand hält und sie streichelt; man denkt dabei an das freundliche Schwänzeln des Hundes.
Wie verhält es sich aber mit den spitzen Zähnen, womit der Schlangenrachen so reichlich ausgestattet ist? sind diese ebenfalls so ungefährlicher Natur? Gewiß, auch diese brauchen wir an unsern deutschen Nattern nicht zu fürchten, sie sind hakenförmig nach hinten gebogen und können somit gar nicht in das Fleisch des vorgehaltenen Fingers eindringen. Die Ringelnatter konnte ich überhaupt niemals zum Beißen bewegen, sie ist daher durchaus harmloser Natur, zischt nur und flieht, wenn man sie reizt. Anders verhält es sich mit unserer glatten oder Fleckennatter, sie ist ein sehr reizbares, jähzorniges Thierchen, welches frisch gefangen sofort mit weit geöffnetem Rachen um sich beißt. Hat sie den vorgehaltenen Finger gepackt, so erhält man nur die Empfindung eines gelinden Druckes, und hält man ruhig aus, bis die Natter wieder losläßt, so bleibt keine Spur einer Verwundung zurück. Will man dagegen den Finger mit Gewalt befreien und zieht man ihn rasch zurück, so fangen sich die Hakenzähnchen in der Haut, ritzen sie wie feine Nadeln, und es kann dann allerdings ein Tröpfchen Blut kosten, jedoch ohne weitere Folgen. Wie dem Finger, so ergeht es auch den zum Verschlingen erfaßten Thieren; je lebhafter sich diese loszumachen suchen, desto tiefer dringen die Haken ein, und sie dienen daher nicht zum Verwunden und Zerreißen, sondern nur zum Festhalten der erfaßten Beute.
Die der glatten oder Fleckennatter zur Nahrung dienenden Thiere sind meistens Eidechsen; sie schlägt daher ihren Wohnsitz an steinigen und sonnigen Abhängen auf. Nur einem glücklichen Zufall hätte man es zu verdanken, wenn man an Ort und Stelle den harten Kämpfen dieser Thiere beiwohnen könnte, und da ich öfters solche nur wenig bekannte Scenen beobachten wollte, so hielt ich mir eine größere Anzahl glatter Nattern in einem geräumigen mit Rasen und Steinen ausgelegten Glaskasten, dessen Deckel aus Draht geflochten war. Bringt man eine Schüssel mit Wasser hinein, so pflegen die Nattern hier und da zu trinken, wobei sie den Vorderkopf ganz eintauchen und deutliche Schluckbewegungen ausführen, Nach einiger Zeit ließ ich einige Eidechsen in den Behälter, welche sogleich die ihnen drohende Gefahr erkannten und in rasenden Läufen nach allen Richtungen zu entkonmmen suchten. Die ganze Gesellschaft kam in die größte Aufregung, und in der ersten Ueberraschung suchten auch die Nattern sich eiligst aus dem Staube zu machen. Dabei bissen sie wüthend um sich, so daß sie unter einander selbst in Händel geriethen oder mitunter sogar ihren eigenen Leib erfaßten.
Auf diese geräuschvolle Einleitung folgte eine peinliche Pause, hastig züngelnd mit erhobenem Kopfe überlegten die Schlangen ihren Angriffsplan, und mit halb geöffnetem Munde sammelten die vor Schreck festgebannten Eidechsen ihre Kräfte zur verzweifelten Gegenwehr. Plötzlich fährt eine der Schlangen auf ihr Opfer los, streckt den vorher nach hinten und seitwärts gebogenen Hals, und rasch dahingleitend erfaßt sie mit weitgeöffnetem Rachen die fliehende Eidechse. In rasendem Wirbel sich drehend, umschlingt sie mit engen Windungen den Leib der auf den Rücken geworfenen Eidechse, so daß nur noch deren Kopf und Schweif den dichten Knäuel überragt.
Nun folgt die schwere Arbeit des Verschlingens; die Eidechse soll in ihrer ganzen Länge und Dicke hinabgewürgt werden und zwar mit dem Kopfe voran; das kostet viele Zeit und Mühe. Unsere Natter hat daher auch keine große Eile damit, umzüngelt einstweilen ihr Opfer und wedelt mit dem Schwanze nach Katzenart.
Nun aber richtet sie sich hoch auf, beschreibt mit dem Halse einen senkrechten Bogen und mit weit geöffnetem Rachen erfaßt sie den Kopf ihres Opfers. Allmählich lösen sich die Schlingen, es verschwindet der Kopf der Eidechse, langsam folgt ihr Leib, traurig winkt noch zum Abschied ihr Schweif und erst im Verlauf einer halben Stunde oder später ist sie durch den weit ausgedehnten Schlund in den Magen der Natter eingefahren.
Nicht immer aber wickelt sich dieses Geschäft so glatt ab, denn auch die in beistehender Figur bis zum Halse eingeschraubte Eidechse lebt noch und hält sich mit ebenfalls offenem Rachen zur verzweifelten Gegenwehr bereit. Faßt die Schlange nicht richtig an, so erwischt die Eidechse den obern oder den untern Kiefer der Natter und mit krampfhaft sich schließendem Munde, sowie mit Hülfe der ebenfalls hakenförmig umgebogenen Zähne ist sie im Stande, stundenlaug den gepackten Theil ihrer Feindin zu behaupten. Umsonst sucht sich die Schlange zu befreien, beide Thiere haben sich mit krampfhaft geschlossenen Kiefern wie Doggen in einander verbissen; wüthend wickelt die Schlange von ihrem Opfer sich ab, retirirt – doch vergeblich. Endlich läßt die Eidechse los, macht sich natürlich aber sogleich aus dem Staube, und die mitunter blutende Schlange hat das Nachsehen. Glücklicher Weise aber kann die Natter, wie alle Schlangen, Wochen und Monate lang hungern, und wenn sie gelegentlich 1–2 Eidechsen verschlingt, so ist sie für viele Tage gesättigt.
Wie aber, wird man fragen, ist es möglich, daß eine Natter eine ebenso umfängliche oder selbst noch dickere Eidechse ganz verschlingt? Die Erklärung finden wir, abgesehen von der Musculatur und der Ausdehnbarkeit des Schlundes, in der merkwürdigen Beweglichkeit der das Kiefergerüste zusammensetzenden Knochen. Die beiden Seitenhälften, sowohl die des Oberkiefers wie auch die des Unterkiefers, sind beweglich mit einander verbunden, es kann daher z. B. die rechte Mundhälfte geöffnet und etwas vorwärts geschoben werden, während die linke Hälfte geschlossen bleibt, und umgekehrt. Hat also die Natter den Kopf einer Eidechse an der Schnauze gepackt, so halten die beiden Zahnreihen der einen Seite das Opfer fest, während die der andern Seite loslassen und sich etwas weiter nach vorn über den Kopf der Eidechse vorschieben. Hierauf schließt sich diese vorgeschobene Seitenhälfte des Mundes, während die andere Hälfte losläßt und sich vorschiebt u. s. f. Dabei verbreitert sich der Natterkopf, und die in den Schlund hineingezogene Eidechse erweitert auffallend den Schlangenhals; schließlich wird sie durch die Zusammenziehung der Muskeln in den Magen befördert.
- ↑ Die schlangenähnliche Blindschleiche gehört zu den Eidechsen.