Der Ring des Salomo
Tief aus des Ostens heil’ger Morgenfrühe
Tönt eine Sage, wie aus Kindermund,
Und doch voll hohen Sinns uralter Weisheit
Und Gleichniß der Entwicklung unsres Geistes:
Des Ringes werden wir noch heute froh.
An diesen Ring – so flüstert das Gedicht –
Gebunden war der Weisheit höchster Schatz
Und ob der Geisterwelt gewalt’ge Herrschaft.
Der Talisman, der jedes Uebel abhielt
Und seinem Herrn zur größten Macht verhalf.
Denn der verstand nicht nur der Vögel Wort;
Der Dichtung Zauber und der Weisheit Hort,
Sie haben – sagt man – in dem Ring gelegen.
„Auch hatt’ er die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Vom Finger ließ und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem Geliebtesten
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei, und stets der liebste
Ohn’ Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde.“
Erfahren, wie’s der große Meister Lessing
Hinein gelegt, daß jenes Ringes Schatz
An einen Vater dreier Söhne kam,
Die alle drei er gleich sehr zärtlich liebte.
Der Söhne jedem seinen Ring versprach,
Den Andern unbewußt. Sein Wort zu halten,
Ließ heimlich solcher Ringe er noch zwei
Verfertigen, dem echten täuschend ähnlich,
Um ruhig sich vom Thron in’s Grab zu legen.
Als dies geschehen, tritt mit seinem Ringe
Ein jeder Sohn hervor und nimmt die Herrschaft
Des Hauses und des Reichs sofort in Anspruch.
Weil er vom Vater selber ihn empfangen.
Doch da mit Zuversicht ihn keiner trägt,
So äußert sich die Kraft des echten nicht.
Und wie auch jeder mag den seinen preisen,
Die Brüder hassen und verfeinden sich
Und treten klagend vor den Richterstuhl.
Doch statt des Spruchs, den er nicht geben kann,
Ertheilet guten Rath der brave Richter.
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater,
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. Möglich, daß der Vater nun
Die Tyrannei des Einen Rings nicht länger
Daß er Euch alle Drei geliebt und gleich
Geliebt, indem er zwei nicht drücken mögen,
Um Einen zu begünstigen. – Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Es strebe von Euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen, komme dieser Kraft mit Sanftmuth,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun,
Zu Hülf’! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei Euern Kindes-Kindeskindern äußern,
So lad’ ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Als ich und sprechen: Geht!“
So weit hat Lessing
Durch seinen Nathan uns das sinn’ge Märchen
Erzählen lassen. Aber er verschwieg,
Erlaubt nun mir, der ich den Namen nannte,
Daß ich’s fortspinne und zu Ende führe,
So gut ein Mensch von heute dies vermag!
Der Ringe einer erbte auf den Teut,
Gen Abend und ward unser Aeltervater.
Man glaubt, daß er den echten Ring besessen.
Und weiter – wird erzählt – vermehrte sich
Der Ringe Zahl, und Tausende von Enkeln
Daß er des echten Rings Besitzer sei,
Da gab es neuen Streit, und manche Hand
Troff von des Bruders Blut. Unsel’ger Hader,
Den selbst des echten Rings Besitzer nicht
Er nie getragen ward. Das deutsche Volk
War nah daran an diesem Streit zu sterben,
Oder doch zu verkümmern und verderben.
Sieh, da vererbte sich der echte Ring
Der wurde sich der alten Kraft bewußt,
Die an den Ring gebunden ist, und gleich
Dem Salomo ward er ein Herr der Geister
Und hoher Weisheit, deutscher Weisheit Meister.
Des Rings ward er der Fürst in unsern Reih’n.
Mit starker Hand, ein neuer Hercules,
Wirft er den fremden Wust aus unterm Hause,
Der massenhaft da lagerte, dann gleich
Den deutschen Tempel Salomo’s, zu bauen,
Das Cultushaus des Geists, der Wissenschaft.
Die rang sich los aus ihrer alten Haft,
Um sich nach Sonnenhöhen umzuschauen.
Der schwere Schlaf von unsern Augenlidern,
und wir erwachten, von der Hand berührt,
Die unser Elend und den Weg uns zeigte.
Zur Burg des Lichtes aus der Nacht des Wahns.
Der Vater des neustrebenden Geschlechts,
Auf unsrer Bahn der Wahrheit und des Rechts.
Und der so stark den Weg voran uns ging,
Sagt selbst, besaß er nicht den echten Ring?
Des neuen deutschen Geistes, hat der Ringe
Unzähl’ge hinterlassen; doch nicht mehr
Zum Streit verführt uns eines Rings Besitz.
Vielmehr soll sich des Vaters hoher Geist
Nicht heute einen Ring? Wer hat den echten,
Allein gebietend hohen Geistesmächten?
Ja, sie sind alle echt; er weihte sie
Mit seinem Geiste, taufte sie mit Feuer.
Wir streiten nicht um Namen mehr. So nennt
Die Ringe, wie ihr wollt und wie ihr könnt:
Der Lieb’, des Wissens, Glaubens, der Erkenntniß,
Humanität, des Deutschthums Ringe. – „Name
Ist nur die Sache einfach, wahr und gut.
Die Sache ist’s, die That, die große, schöne,
Zu der, o Volk, der beste deiner Söhne,
Zu der uns unser Salomo berief. –
Da glänzt der Talisman an seiner Hand,
Mit dem er dich geweckt, mein Vaterland!
Und welches ist die That, die er verlangt,
Die alle edlen Geister mit ihm fordern,
Daß jeder seinen Ring nicht einzeln trage,
Daß wir vielmehr an einem großen Tage
Die deutschen Ringe in einander schlingen
Und eine Kette bilden von den Ringen.
Die unser Volk umschließt frisch, fröhlich, frei!
Fahrt fort und bringt die Ringe um die Wette!
Und das giebt keine neue Sclavenkette.
Die Kette ist’s der Einigung zu Schutz
Der starke Reif, der unter Riesenfaß
Zusammenhalte, drin das edle Naß,
Der neue Wein, die Panacee, soll gähren
Und lagern und zum Feuertrank sich klären.
Mit der wir an der Tiefe fest uns halten,
Wenn wir im Meer getrotzt des Sturms Gewalten,
Und nun des Hafens sichere Bucht erreichen
Und an der Zukunft grünes Ufer steigen.
Getrost vertraun, um uns zur Gipfelhöh’
Des reinen schönen Menschenthums zu heben.
O Sonnenschönheit! Heil’ges Menschenleben!
In solchem Kreis, wie er uns nie umfing,
Den keine Macht der Welt vermag zu brechen,
Den tück’sche Selbstsucht nie vermag zu schwächen.
Das ist der echte Ring des alten Weisen.
Jetzt aber ist er von gestähltem Eisen.
Und darum fehlt die alte Kraft ihm nicht.
Mit ihm beherrschen wir das Reich der Geister
Und werden selbst der Zukunft Herr und Meister.
Denn er ist A und O im Alphabet,
Nun eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurtheilen freien Liebe nach,
Und tilge so des alten ungerochnen,
Des unglücksel’gen Bruderkampfes Schmach.
Die Kraft des Ringes in der neuen Kette
An Tag zu legen, komme dieser Kraft
Mit jeder herrlichen Errungenschaft,
Mit Sanftmuth, herzlicher Verträglichkeit,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hülf’! Und alle Selbstsucht wird zu Spott,
Die unsern Ring zu brechen sich befleißt;
Denn in uns braust der Liebe Riesengeist.
Die Liebe macht uns einig, stark und frei.
Der Richter spricht nicht: Geht! Er spricht nun: Kommt!
Und jeder thue, was dem Ganzen frommt!
So Lessing’s Erbschaft froh zum Opfer bringe
Mein Volk, und schmiede Deine Eisenringe
Zum großen Ring, zur starken Eintrachtskette,
Daß sie uns aus der Schmach zum Heile rette!
Auf! Bilde muthig, fest und trotzig so