Textdaten
<<< >>>
Autor: Ludwig Storch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Ring des Salomo
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[65]
Der Ring des Salomo.
Prolog zu Lessing’s „Nathan der Weise“.
Von Ludwig Storch.


Tief aus des Ostens heil’ger Morgenfrühe
Tönt eine Sage, wie aus Kindermund,
Und doch voll hohen Sinns uralter Weisheit
Und Gleichniß der Entwicklung unsres Geistes:

5
Das Märchen von dem Ring des Salomo.

Des Ringes werden wir noch heute froh.

An diesen Ring – so flüstert das Gedicht –
Gebunden war der Weisheit höchster Schatz
Und ob der Geisterwelt gewalt’ge Herrschaft.

10
Der Siegelring des weisen Königs war

Der Talisman, der jedes Uebel abhielt
Und seinem Herrn zur größten Macht verhalf.
Denn der verstand nicht nur der Vögel Wort;
Der Dichtung Zauber und der Weisheit Hort,

15
Der Liebe Süße und der Eintracht Segen,

Sie haben – sagt man – in dem Ring gelegen.

„Auch hatt’ er die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,

20
Daß ihn der weise König darum nie

Vom Finger ließ und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem Geliebtesten

25
Und setzte fest, daß dieser wiederum

Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei, und stets der liebste
Ohn’ Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde.“

30
Nun werdet ferner ihr aus Nathan’s Munde

Erfahren, wie’s der große Meister Lessing
Hinein gelegt, daß jenes Ringes Schatz
An einen Vater dreier Söhne kam,
Die alle drei er gleich sehr zärtlich liebte.

35
Und so geschah’s, daß er mit schwachem Herzen

Der Söhne jedem seinen Ring versprach,
Den Andern unbewußt. Sein Wort zu halten,
Ließ heimlich solcher Ringe er noch zwei
Verfertigen, dem echten täuschend ähnlich,

40
Und giebt nun jedem Sohne Ring und Segen,

Um ruhig sich vom Thron in’s Grab zu legen.

Als dies geschehen, tritt mit seinem Ringe
Ein jeder Sohn hervor und nimmt die Herrschaft
Des Hauses und des Reichs sofort in Anspruch.

45
Und jeder schwört, sein Ring nur sei der echte,

Weil er vom Vater selber ihn empfangen.
Doch da mit Zuversicht ihn keiner trägt,
So äußert sich die Kraft des echten nicht.
Und wie auch jeder mag den seinen preisen,

50
So kann doch keiner je sein Wort beweisen.


Die Brüder hassen und verfeinden sich
Und treten klagend vor den Richterstuhl.
Doch statt des Spruchs, den er nicht geben kann,
Ertheilet guten Rath der brave Richter.

55
„Nehmt nur die Sache, wie sie liegt. Hat von

Euch jeder seinen Ring von seinem Vater,
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. Möglich, daß der Vater nun
Die Tyrannei des Einen Rings nicht länger

60
In seinem Hause dulden wollte. Und gewiß,

Daß er Euch alle Drei geliebt und gleich
Geliebt, indem er zwei nicht drücken mögen,
Um Einen zu begünstigen. – Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen

65
Von Vorurtheilen freien Liebe nach!

Es strebe von Euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen, komme dieser Kraft mit Sanftmuth,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun,

70
Mit innigster Ergebenheit in Gott

Zu Hülf’! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei Euern Kindes-Kindeskindern äußern,
So lad’ ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird

75
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen

Als ich und sprechen: Geht!“
 So weit hat Lessing
Durch seinen Nathan uns das sinn’ge Märchen
Erzählen lassen. Aber er verschwieg,

80
Daß es der Ring des Salomo gewesen. –

Erlaubt nun mir, der ich den Namen nannte,
Daß ich’s fortspinne und zu Ende führe,
So gut ein Mensch von heute dies vermag!

Der Ringe einer erbte auf den Teut,

85
Der zog mit seinem Stamm aus Morgenland

Gen Abend und ward unser Aeltervater.
Man glaubt, daß er den echten Ring besessen.
Und weiter – wird erzählt – vermehrte sich
Der Ringe Zahl, und Tausende von Enkeln

90
Besaßen Ringe und wohl Jeder meinte,

Daß er des echten Rings Besitzer sei,
Da gab es neuen Streit, und manche Hand
Troff von des Bruders Blut. Unsel’ger Hader,
Den selbst des echten Rings Besitzer nicht

95
Vermocht zu stillen, weil mit Zuversicht

Er nie getragen ward. Das deutsche Volk
War nah daran an diesem Streit zu sterben,
Oder doch zu verkümmern und verderben.

Sieh, da vererbte sich der echte Ring

100
An eines schlichten Pfarrers großen Sohn.

Der wurde sich der alten Kraft bewußt,

[66]

Die an den Ring gebunden ist, und gleich
Dem Salomo ward er ein Herr der Geister
Und hoher Weisheit, deutscher Weisheit Meister.

105
Ohn’ Ansehn der Geburt, in Kraft allein

Des Rings ward er der Fürst in unsern Reih’n.

Mit starker Hand, ein neuer Hercules,
Wirft er den fremden Wust aus unterm Hause,
Der massenhaft da lagerte, dann gleich

110
Beginnt er frisch des Deutschthums neuen Tempel,

Den deutschen Tempel Salomo’s, zu bauen,
Das Cultushaus des Geists, der Wissenschaft.
Die rang sich los aus ihrer alten Haft,
Um sich nach Sonnenhöhen umzuschauen.

115
Seit diesem Siegestage wich allmählich

Der schwere Schlaf von unsern Augenlidern,
und wir erwachten, von der Hand berührt,
Die unser Elend und den Weg uns zeigte.
Zur Burg des Lichtes aus der Nacht des Wahns.

120
Ja, Brüder, Lessing wurde unser Führer,

Der Vater des neustrebenden Geschlechts,
Auf unsrer Bahn der Wahrheit und des Rechts.
Und der so stark den Weg voran uns ging,
Sagt selbst, besaß er nicht den echten Ring?

125
Doch seht, auch Er, der Held, der weise Schöpfer

Des neuen deutschen Geistes, hat der Ringe
Unzähl’ge hinterlassen; doch nicht mehr
Zum Streit verführt uns eines Rings Besitz.
Vielmehr soll sich des Vaters hoher Geist

130
An uns nun offenbaren. Wer besitzt

Nicht heute einen Ring? Wer hat den echten,
Allein gebietend hohen Geistesmächten?

Ja, sie sind alle echt; er weihte sie
Mit seinem Geiste, taufte sie mit Feuer.

135
Die Zwietracht schickt sich an das Feld zu räumen.

Wir streiten nicht um Namen mehr. So nennt
Die Ringe, wie ihr wollt und wie ihr könnt:
Der Lieb’, des Wissens, Glaubens, der Erkenntniß,
Humanität, des Deutschthums Ringe. – „Name

140
Ist Schall und Rauch umnebelnd Himmetsgluth –“

Ist nur die Sache einfach, wahr und gut.

Die Sache ist’s, die That, die große, schöne,
Zu der, o Volk, der beste deiner Söhne,
Zu der uns unser Salomo berief. –

145
Als noch der größte Theil des Volkes schlief,

Da glänzt der Talisman an seiner Hand,
Mit dem er dich geweckt, mein Vaterland!

Und welches ist die That, die er verlangt,
Die alle edlen Geister mit ihm fordern,

150
Beseelt von der gewalt’gen Kraft des Rings?


Daß jeder seinen Ring nicht einzeln trage,
Daß wir vielmehr an einem großen Tage
Die deutschen Ringe in einander schlingen
Und eine Kette bilden von den Ringen.

155
Daß jeder Ring ein Glied der Kette sei,

Die unser Volk umschließt frisch, fröhlich, frei!

Fahrt fort und bringt die Ringe um die Wette!
Und das giebt keine neue Sclavenkette.
Die Kette ist’s der Einigung zu Schutz

160
Und Trutz, die ausschließt allen Eigennutz.

Der starke Reif, der unter Riesenfaß
Zusammenhalte, drin das edle Naß,
Der neue Wein, die Panacee, soll gähren
Und lagern und zum Feuertrank sich klären.

165
Die Ankerkette sei sie unsres Schiffs,

Mit der wir an der Tiefe fest uns halten,
Wenn wir im Meer getrotzt des Sturms Gewalten,
Und nun des Hafens sichere Bucht erreichen
Und an der Zukunft grünes Ufer steigen.

170
Dann wird sie Windekette, der wir uns

Getrost vertraun, um uns zur Gipfelhöh’
Des reinen schönen Menschenthums zu heben.
O Sonnenschönheit! Heil’ges Menschenleben!

In solchem Kreis, wie er uns nie umfing,

175
Wir schmieden selbst den starken Zauberring,

Den keine Macht der Welt vermag zu brechen,
Den tück’sche Selbstsucht nie vermag zu schwächen.
Das ist der echte Ring des alten Weisen.
Jetzt aber ist er von gestähltem Eisen.

180
Und jeder trägt ihn nun mit Zuversicht,

Und darum fehlt die alte Kraft ihm nicht.
Mit ihm beherrschen wir das Reich der Geister
Und werden selbst der Zukunft Herr und Meister.
Denn er ist A und O im Alphabet,

185
Und keine Kraft, die seiner widersteht.


Nun eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurtheilen freien Liebe nach,
Und tilge so des alten ungerochnen,
Des unglücksel’gen Bruderkampfes Schmach.

190
Nun strebe jeder von uns um die Wette,

Die Kraft des Ringes in der neuen Kette
An Tag zu legen, komme dieser Kraft
Mit jeder herrlichen Errungenschaft,
Mit Sanftmuth, herzlicher Verträglichkeit,

195
Mit Wohlthun, unserm Bruderbund geweiht,

Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hülf’! Und alle Selbstsucht wird zu Spott,
Die unsern Ring zu brechen sich befleißt;
Denn in uns braust der Liebe Riesengeist.

200
Die tausend tausend Jahre sinb vorbei.

Die Liebe macht uns einig, stark und frei.
Der Richter spricht nicht: Geht! Er spricht nun: Kommt!
Und jeder thue, was dem Ganzen frommt!

So Lessing’s Erbschaft froh zum Opfer bringe

205
Dem Vaterland! So ineinander schlinge,

Mein Volk, und schmiede Deine Eisenringe
Zum großen Ring, zur starken Eintrachtskette,
Daß sie uns aus der Schmach zum Heile rette!
Auf! Bilde muthig, fest und trotzig so

210
Den neuen Ring des alten Salomo!