Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/St. Michaelistag

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Am St. Michaelistage.
Matth. 18, 1–11.
1. Zu derselbigen Stunde traten die Jünger zu JEsu, und sprachen: Wer ist doch der Größeste im Himmelreich? 2. JEsus rief ein Kind zu Sich, und stellete es mitten unter sie. 3. Und sprach: Wahrlich, Ich sage euch, es sei denn, daß ihr euch umkehret, und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. 4. Wer sich nun selbst erniedriget, wie dieß Kind, der ist der größeste im Himmelreich. 5. Und wer ein solches Kind aufnimmt in Meinem Namen, der nimmt Mich auf. 6. Wer aber ärgert dieser Geringsten Einen, die an Mich glauben, dem wäre beßer, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehänget, und er ersäufet würde im Meer, da es am tiefsten ist. 7. Wehe der Welt der Aergernis halber! Es muß ja Aergernis kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Aergernis kommt! 8. So aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so haue ihn ab, und wirf ihn von dir. Es ist dir beßer, daß du zum Leben lahm, oder ein Krüppel eingehest; denn daß du zwo Hände oder zween Füße habest, und werdest in das ewige Feuer geworfen. 9. Und so dich dein Auge ärgert, reiß es aus, und wirf es von dir. Es ist dir beßer, daß du einäugig zum Leben eingehest; denn daß du zwei Augen habest, und werdest in das höllische Feuer geworfen. 10. Sehet zu, daß ihr nicht Jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn Ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht Meines Vaters im Himmel. 11. Denn des Menschen Sohn ist gekommen, selig zu machen, das verloren ist.

 IN diesem Texte löst der HErr eine Frage Seiner Jünger, nemlich die: „Wer ist der Größeste im Himmelreich?“ oder, wenn es erlaubt ist, nach dem Wortlaut des Grundtextes Luther’s deutsche Worte umzudeuten: „Wer ist im Himmelreich größer als andere − wer ist groß im Himmelreich?“ Die Frage des Textes sei unser Thema − und das Geschäft dieses Vortrags sei es, die Antwort JEsu vorzulegen.

 Ueber die Absichten der Jünger bei der Frage wollen wir wenig reden. Vielleicht ist anzunehmen, daß es keine völlig reinen waren. Christus würde vielleicht die Antwort anders geformt haben, wenn Er nicht nöthig gefunden hätte, einer falschen Regung im| Herzen der Jünger entgegenzutreten. Wir wollen übrigens die Absichten der Jünger so weit es möglich ist, ohne dem Texte seine Eigentümlichkeit zu nehmen, bei Seite laßen und die Frage: „wer ist groß im Himmelreich?“ als eine einfache Frage von allgemeiner Wichtigkeit nehmen und beantworten. Es ist ja auch im Himmel und Himmelreich nicht alles so frei und gleich, wie es die Aufrührer unserer Tage im bürgerlichen Leben einzuführen wünschten, − wenn sie’s nemlich aufrichtig wünschen. Es gibt allenthalben, wo Gott herrscht, im Reiche der Natur, der Gnade und der Herrlichkeit Unterschiede, Großes und Kleines, nur daß im Reiche der Natur das Große und Kleine durch einen unwiderstehlichen göttlichen Willen geordnet ist, während im Reiche der Gnaden und Herrlichkeit, von welchem unser Text redet, nicht rücksichtslose Allmacht das Große und Kleine bestimmt, sondern eine heilige Rücksicht auf den Menschen genommen wird und ohne eignes Wollen und richtiges Verhalten niemand weder groß wird, noch klein bleibt. Unser Text redet von einer Größe, welche vom Verhalten des Menschen nicht unabhängig ist, welche angestrebt und erreicht werden kann und soll, auf innerer, fortschreitender Vollendung und Verklärung in das Bild Gottes beruht. Ueber eine solche Größe zu reden und nach ihr zu fragen, ist ganz recht. Wir können weder nach ihr streben, noch sie erreichen, wenn wir nicht wißen, worin sie besteht und wie man zu ihr gelangt.

 Will man nun den Inhalt des Evangeliums in Bezug auf die Frage kurz zusammenfaßen und übersichtlich darlegen, so kann man sagen: der HErr zeigt zuerst den Zustand der Seele, der groß macht im Himmelreich, − Er zeigt sodann die Gefahren und zuletzt die Würde dieses Zustandes.

 Den Zustand der Seele und alles, was Er in diesem Texte lehrt, zeigt unser HErr am Beispiel eines Kindes, welches Er in die Mitte Seiner Jünger stellt. „Wenn ihr nicht umkehret, spricht Er, und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Hiemit sagt unser HErr noch nicht, wie man im Himmelreich groß werde, sondern Er zeigt bloß an, daß der Zustand, in welchem Männer und Erwachsene zu sein pflegen, nicht bloß alle Größe im Himmelreich, sondern die Männer und Erwachsenen selbst vom Himmelreich ausschließe; sowie, daß an den Kindern im Gegentheil ein Zustand warzunehmen sei, der zum Eingang ins Himmelreich tüchtig mache, und ohne welchen man keine offene Thüre hinein finde. Von diesem nämlichen Zustande sagt aber der HErr dann auch im vierten Verse, daß er den Menschen groß mache, wenn ihn jemand im ausgezeichneten Maße besitze. Was zum Himmelreich und zum Eingang in dasselbe befähigt, dasselbe macht auch groß im Himmelreich. Soll man nun diesen Zustand mit Einem Wort bezeichnen, so kann man ihn als bildsame Hingabe an den Erzieher, als einfältige Uebergabe in die Hand des Lehrers und Meisters bezeichnen, − oder kurzweg als Einfalt im Wachsen und Werden. Denn was ist der Unterschied zwischen dem Mann und dem Kinde, wenn nicht, daß jener geworden ist und dieses erst wird, daß jener keinen Lehrer und Erzieher mehr hat, dieses aber, das Kind, es völlig in der Ordnung findet, gelehrt und geleitet zu werden und dem Lehrer und Erzieher unterthan zu sein?! Zwar sind auch die Kinder gar oft widerstrebend, unartig, unlenksam; aber es ist eben nicht von den Fehlern des Kindes, sondern vom Unterschied des Kindes und Mannes, von rechter Kindesart die Rede, − und der HErr scheint deshalb auch ein Kind von besonderer Liebenswürdigkeit, ein recht kindliches und einfältiges, lenksames Kind ausgesucht und in die Mitte der Jünger gestellt zu haben. Die Ausdrücke: „Wer sich selbst erniedrigt, wie dies Kind“ − „wer ein solches Kind aufnimmt“, scheinen darauf hinzudeuten.

 Wenn nun der HErr die Kinder, insonderheit jenes gesegnete Kind unsers Evangeliums den Jüngern und Männern zum Muster aufstellt, so ist Seine Meinung nicht, daß Kindesart und Kindeseinfalt über alle Mannesart zu erheben sei. Daß das Kind ist, wie es ist, gereicht seinem Schöpfer, nicht aber ihm zum Lobe, es ist kindlich von Natur, so wie die Blume von Natur lieblich ist. Was aber jemand von Natur ist, kann wohl einem andern zum Spiegel, zur Lehre und zum Beispiel dienen, aber es braucht deshalb nicht an und für sich selbst das Höchste und Trefflichste zu sein. Wenn der HErr die Art des Kindes für das Höchste erkennete, was Menschen haben und besitzen können: warum bleibt denn der Mensch nicht Kind zu Gottes größerem Preise? Es ist eben die natürliche Kindesart zum Beispiel aufgestellt, so wie man auch Tauben und Schlangen in ihrer natürlich angeborenen Art den geistlichen Menschen zum Beispiel aufgestellt findet, ja wie man die Kinder der Welt den Kindern| Gottes als anreizendes, zum Eifer aufforderndes Beispiel der Klugheit empfohlen findet. Man soll am Kinde lernen, was man an ihm lernen kann, − thut man das, so wird man eben dadurch nicht bloß dem Kinde gleich, sondern über das Kind erhoben. Man soll am Kinde die Schönheit der Einfalt, der Jüngerschaft, der Empfänglichkeit, des Strebens und Werdens lernen − kehrt man aber von dem entgegengesetzten Zustand um und wird man, wie das Kind; so wird man über das Kind gestellt. Denn Männereinfalt ist mehr als Kindeseinfalt, und ein Mann, der Jünger, im demüthigen Lernen und Forschen, in der Schule JEsu bleibt, der hat nicht bloß, was Kinder haben, sondern mehr. Er hat die Eigenschaft, bei welcher man zum Himmelreich gelehrt werden kann; denn die nichts auf eigene Weisheit und Tugend halten, sondern sich kindlich zum Munde JEsu halten, diese demüthigen Männer finden eine offene Thür zum Reiche − und bleiben sie, wie sie eingehen, wird es ihr Fleiß und Eifer, sich zu erniedrigen vor Gott und Seinem Worte, und wie Kinder in Seiner Schule zu sitzen, so werden sie damit groß im Himmelreich. Denn eine immer demüthigere und in sich selbst ärmer werdende, immer reiner sich dem HErrn vertrauende und hingebende Seelenrichtung, die ist zugleich Bedingung und Anfang aller wahren Größe und von ihr gilt es: „Wenn Du mich demüthigst, machst Du mich groß!“ − Kein Hoffärtiger geht ein zum Himmelreich; aber je demüthiger und kleiner ein Mensch vor Gott wird, desto mehr wird er mit Gaben und Gütern Gottes erfüllt, desto größer wird er im Reich und unter seines Gleichen.
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 Hier habt ihr nun, meine Lieben, den Zustand, ohne den man nicht ins Himmelreich geht und der groß macht im Himmelreich. Er heißt Einfalt − Kindeseinfalt ist Vorbild, Manneseinfalt ist Urbild − mit Kindeseinfalt beginnt der Mensch den Lauf, in Manneseinfalt läuft alle Vollendung aus. Aber die Einfalt hat ihre Gefahren − und das ist es, was der HErr im Verlauf des Evangeliums zeigt. Er zeigt es wieder an den Kindern. Das Kind ist einfältig, seinem Lehrer und Erzieher ergeben, jedem Einfluß offen − aber eben damit auch dem Aergernis und der Verführung. Je empfänglicher das Kind, desto näher ist es dem Himmel, aber desto näher ist es auch der Hölle, desto leichter wird es ein Spielball guter und böser Kräfte, desto gefährlicher und bedenklicher ist seine Lage zwischen beiden mitten inne. Darum will der HErr, daß man ein Kind, je wahrhaftiger es Kind ist, auch desto mehr in’s Auge faße und es aufnehme in Seinem Namen, aufnehme gewis nicht bloß in’s Haus zu leiblicher Pflege, denn der Gegensatz des Aufnehmens ist Aergernis, d. i. Verführung zur Sünde. Der HErr will, daß man die Kinder aufnehme und ihnen helfe gegenüber allen Aergernissen, daß sie Sein bleiben und sich je länger, je treuer Seinem heiligen Wort und Sacramente hingeben; − und Sein Wehe trifft die, durch welche den Kindern Aergernis gegeben wird; mehr als den Mühlstein am Hals droht Er den Verführern der Kinder, wie ihr aus dem Text gesehen habt. Indes redet der HErr im Texte nicht hauptsächlich von den Kindern, so vollkommen alles auch auf Kinder paßt, ja, von ihnen entnommen wird. Er redet von Kindereinfalt, und will von Seinen Jüngern und für sie Manneseinfalt, und wenn Er von den Gefahren der Kindereinfalt redet, denkt Er gleich auch an die Gefahren der Manneseinfalt. Das beweist sich aus V. 8 und 9, wo Er von Aergernissen, von Verführungen redet, die aus der eigenen Seele entspringen und Hand und Fuß und Auge in ihren Dienst nehmen und zu ihren Werkzeugen machen. Diese Aergernisse finden sich weniger beim Kinde, als bei dem reiferen Menschen, wie denn auch der HErr ihretwegen die reifen Männer anredet. Dem Menschen, der umkehrt, der nicht mehr, wie die Kinder der Welt, die Mannheit in das fertige, abgeschloßene, Anerkennung und Rücksicht fordernde Wesen der Alten setzt, sondern in eine männlich besonnene, entschloßene Rückkehr zu neuem Anfang, zu ununterbrochenem Fortschritt − nicht selbständig, sondern an der Hand des HErrn, der mit St. Paulus nicht ansieht, was dahinten, sondern das, was vornen ist, − bei dem Empfänglichkeit und treue Jüngerschaft zur dauernden Verfaßung seiner Seele wird: dem begegnen auch eigenthümliche Gefahren. Er achtet, er bemerkt, er erwägt alles − siehe, da wird er auch seine eigenen inneren Regungen mehr gewar, da drängen sie sich auf und fechten ihn an und wollen ihn abwendig machen von der Einfalt in Christo. Ein Mann, der zur Einfalt umkehrt, sollte auf gegebene Aergernisse nicht achten, das sollte sein Unterschied von dem wehrlos jedem Aergernis bloß gegebenen Kinde sein; aber siehe, er nimmt Aergernis und wird nicht frei von der Anfechtung seiner Lüste,| die ihn, wie es geschrieben steht, in Irrtum verderben wollen. Hie gilt es eine heilige Bewährung − und eine große Weisheit ist nöthig, die nemlich, welche der innerste Sinn von dem Ausreißen des Auges und von dem Abhauen der Hand und des Fußes ist, wovon der HErr im Texte spricht. Es gilt, die Versuchung und damit die Gefahr zu umgehen, sie abzuschneiden, zu entfernen, sie unstatthaft − ja gar unmöglich zu machen. Der Unerfahrene redet von Ueberwindung aller Hindernisse − der Erfahrene und Einfältige läßt sich mit Hindernissen nicht ein, sondern geht grade durch sie hin, ohne mit ihnen anzubinden. Er will nicht zum Ritter an ihnen werden, sondern er vermeidet, so viel es von ihm abhängt, den Kampf und bleibt am Wort und Mund JEsu. Lieber ein Auge, einen Fuß, eine Hand verlieren, als dadurch geärgert zu werden, verführt zu werden zum Bösen und von der Einfalt! Ja, ja, das ist Mannesweisheit, bei Manneseinfalt, − und so vermeidet man männlich Gefahren, die zu bestehen man keinen Beruf hat. So wird durch eine von Gott geschenkte Manneskraft die Kraft des Aergernisses abgehalten und vernichtet, für deren Abwendung in Anbetracht der Kinder nicht diese selbst, sondern wie wir oben sahen, andere verantwortlich gemacht werden. Ein Zustand der eifrigen Hingabe an die Leitung JEsu und Seines Wortes, bei welchem man Versuchungen, statt sie zu überwinden, mit aller Macht vermeidet, abschneidet und entfernt, scheint freilich ein verächtlicher zu sein, − etwa wie der des schwachen Kindes, von welchem andere die Aergernisse abwehren, sie annehmen, sich ihrer annehmen sollen, weil sie so wehrlos und den Pfeilen des Bösewichts so sehr offen stehen. Dagegen aber zeigt der HErr im Texte, daß der Zustand der Hingabe und reinen Aufopferung an Ihn ein sehr würdevoller und im Reiche Gottes hochgeschätzter sei. Er zeigt es an der Kindereinfalt − und überläßt es den Seinen, einen verstärkten Schluß auf die Einfalt zu machen, zu welcher man umkehren soll, wenn man sich im Lauf des Lebens von ihr entfernt hat, auf die Manneseinfalt.

 Was für ein schwaches, zartes Geschöpf ist die Einfalt eines Kindes: wie leicht ist sie angehaucht von dem Pesthauch des Bösewichts und seiner Braut, des Teufels und der Welt! Und doch, wie groß und hochgehalten ist die süße Pflanze! Alle Heiligen haben Befehl, sie aufzunehmen, sich ihrer anzunehmen; wer es thut, dem ist es, als hätte er sich JEsu angenommen, und er bekommt einen großen Lohn. Dagegen ist schwere Strafe den Verführern gedroht: Aergernis und Verführung ist hoch verboten und verpönt. Gottes Gebot und Gottes Verbot wird der süßen Kindereinfalt zu Schutz und Schirm gegeben. Den Aposteln ist verboten, einen Kleinen zu verachten. Die Engel, welche Gott und dem Stuhle Seiner Offenbarung zunächst stehen, die allezeit Sein Angesicht sehen, also die größten und herrlichsten Engel, haben Befehl, Engel der Kleinen zu sein und sie vor Aergernis und Fahr zu schirmen, ihnen Leib und Seele zu bewahren. Und Er Selbst, der Sohn Gottes, der König der Engel, redet nicht allein in diesem Evangelium zu Gunsten der Kleinen, herzt und segnet sie nicht allein, Marc. 10.; sondern unter allem, was verloren ist, sind sie Sein geliebtestes Augenmerk und auf sie insonderheit gesagt ist der Spruch: „Des Menschen Sohn ist kommen, selig zu machen, was verloren ist.“

 Man muß keine Augen haben, wenn man nicht sieht, daß Kindereinfalt in den Augen JEsu hoch und groß und theuer ist. Aber man hat wohl auch keine sehr scharfen Augen, wenn man nicht sieht, daß es dem HErrn im Texte nicht um Kindereinfalt, sondern um Manneseinfalt, nicht um die Einfalt, welche von Natur bei allen Kindern ist, sondern um die Einfalt zu thun ist, welche in allen Männern, die da eingehen wollen in’s Himmelreich und groß drin werden, wachsen und werden soll. Ist aber das, dann wird nicht bloß von den Gefahren, sondern auch von der Würdigkeit und dem Werthe der Kindereinfalt der verstärkte Schluß auf die Manneseinfalt gemacht werden sollen. Es wird geboten sein, den Mann in seiner Einfalt zu fördern, − verboten, ihn zu ärgern. Es wird dem Mann − bei seinem Unterschied vom Kind − selbst verboten sein, sich stören zu laßen und Aergernis zu nehmen. Kein Apostel im Himmel, kein Engel vom Himmel wird den zur Einfalt heimkehrenden Mann verachten dürfen, alle werden ihm dienen sollen, − und Er Selbst, der HErr und Heiland, wird mit besonderem Wohlgefallen Sich zu den Verlorenen neigen, die sich so gerne finden laßen: groß werden sie sein in Seinem Reiche und groß wird Er sie machen ewiglich. Denn klein werden vor Ihm bringt Großwerden in Ihm und wer unter Seinem treuen Einfluß treulich bleibt, sich Seiner Regierung ohne Wanken untergibt,| von dem heißt es, wie wir hörten, im edelsten Sinn: „Wenn Du mich demüthigst, machst Du mich groß.

 Wir feiern heute das Gedächtnis des Erzengels St. Michael und aller Engel. Ich will jetzt nicht davon reden, wie groß, heilig und hehr St. Michael ist, − nicht beweisen, daß er nicht, wie etliche von unsern Vätern dafür hielten, Christus selbst sei, sondern ein wahrhaftiger und geschaffener, aber großer, siegreicher Fürst und Führer der himmlischen Heerschaar; sondern ich will einfach bei meinem Texte bleiben − oder vielmehr, ich will fragen, warum doch dieser Text für das Fest des Erzengels Michael und aller Engel gewählt ist, − dies Evangelium, welches hauptsächlich von der Größe der Einfalt und nur sehr zufällig von den Engeln handelt? Die Frage scheint schwer und hat eine leichte Antwort. Es fehlt nicht an andern Texten, welche von den Engeln handeln, aber es gibt in den Evangelien keinen Text, welcher die Verbindung, welche zwischen Menschen ist und Engeln, so schön aufzeigt, als unser Evangelium. Grade diese Verbindung aber ist es, welche wir feiern. Daß es Engel gibt, viele, große, heilige, viele Ordnungen und große Abstufung und Verschiedenheit des unaussprechlichen und ewigen Glanzes, das ist es nicht, was uns heute bewegt. Aber das ist es, was uns hoch erfreut, zur Dankbarkeit gegen Gott und die seligen Engel selbst reizt und treibt, daß sie ihrem König Christus in allem, auch in der Liebe zu uns und unsern Kindern und in der Gemeinschaft mit uns nachfolgen. Hier sind wir, eine verlorene Welt, − und sieh, zu uns, zur Menschwerdung, zur Erlösung steigt Gottes Sohn hernieder. Die barmherzige Liebe zwingt Ihn herunter bis zu uns. Da zieht das Heer der Engel Ihm nach. Er liebt, so lieben auch sie. Er dient, so dienen auch sie. Er liebt die Kinder vor allen Verlorenen, herzt, küßt und segnet sie: da stehen auch sie um Wiegen und Kinderbetten und hüten mit seliger Lust die Schäflein JEsu, die Geliebten. Er freut Sich der Kindereinfalt und preist die Manneseinfalt: da sind auch sie, wie Hüter der Kindlein, so Freunde, Wächter und Begleiter einfältiger Männer. Sie treten in Gemeinschaft mit der Kirche der Kindlein und Männer; sie kommen und bleiben unter uns; sie beten mit uns, loben und danken mit uns, − sie geleiten uns von der Geburt bis zum Tode, in die Zeit und in die Ewigkeit, und kurz: wir haben unter den Creaturen keine heiligeren, seligeren und liebevolleren Freunde, als die heiligen Engel − die Christo nach sich die Menschen zum Augenmerk und Zielpunkt einer ewigen Liebe gewählt haben. − Joh. 1, 51. spricht der HErr: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel hinauf und herab fahren auf des Menschen Sohn.“ Hiemit ist die Zeit des Neuen Testamentes beschrieben. Wir sehen die Engel nicht, aber mir ist, als sähe ich sie, so gewis weiß ich, daß sie um uns her sind und mitten unter uns. Ich fühle mich wie gezogen und bewogen, sie mit Grüßen dankbarer Freude zu grüßen. Ich möchte sie mit tausend Grüßen ehren, die großen, theuren, segensreichen Boten und Nachfolger JEsu und Freunde des menschlichen Geschlechts. Aber mehr noch soll und muß mich und euch verlangen, in den Zustand zu kommen, der Christo und ihnen so wohl gefällt, in den Zustand heiliger Einfalt und Hingabe an JEsum, von der sie selbst Bilder und Beispiele sind, in der sie so groß sind und die vor ihnen so groß ist, − und die auch wieder nöthig ist, wenn wir recht froh und fröhlich das Engelfest feiern sollen. Denn wer kann sich der Engel freuen, wenn er nicht, durch Christum frei gemacht von Mannigfaltigkeit des Verlangens und von Zweifel, einfach und einfältig geworden ist zu glauben allem, das geschrieben steht? − O HErr, schenke Deinen Knechten, daß sie werden, wie die Kinder, auf daß sie Dir zur Ehre groß werden und dermaleins seien in Deinem Reiche! Amen.




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