Erinnerungen aus dem heiligen Kriege/5. In den Casematten von Ulm

Textdaten
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Autor: R. H.
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Titel: Erinnerungen aus dem heiligen Kriege - 5. In den Casematten von Ulm
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 368–370
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Erinnerungen aus dem heiligen Kriege.
Nr. 5. In den Casematten von Ulm.


Nase und Ohren abschneiden, Bauch aufschlitzen und noch andere solche Dinge mehr sagte man den afrikanischen Horden nach, welche nach dem französischen Kriegsplane die blühenden Gefilde Süddeutschlands überfluthen sollten. Mit gebührender Spannung stand ich deshalb auch zwei Tage nach der Schlacht bei Wörth unter der Zuschauermasse an den Brücken beim Bahnhof in Stuttgart, und schaute hinauf zu dem endlosen Zuge, der die grausigen Ungethüme an allen Wagenluken als Gefangene zeigte. Die Erscheinung derselben war aber so malerisch packend, daß ich schon nach wenigen Minuten mit Gewalt mir in’s Bewußtsein zurückrufen mußte, daß dieses nicht Studienobjecte, sondern die grundsätzlich zu hassenden afrikanischen Meuchelmörder seien.

Aehnlich ging mir’s später in Ulm, wo gerade eine frische Sendung dieser französischen Schlachtenpopanze noch mit dem ganzen Originalschmutz Sedans an Körper und Kleidern eingeliefert worden war; die ohren- und fingerabbeißenden Menschenfresser lagen so urgemüthlich und so malerisch schön auf der Gänswiese unter Gottes freiem Himmel herum, daß ich nur hätte ein Dutzend Hände haben mögen, um die interessantesten derselben zeichnen zu können; und als einige Wochen später unter den siebenzehntausend französischen Gefangenen, welche vor den Thoren Straßburgs an mir vorüberzogen, gerade wieder die Turcos es waren, welche weder betrunken oder jubelnd, noch finster-trotzig an mir vorbeigingen, sondern in stiller Gelassenheit ergeben einherschritten: da nahm ich mir vor, bei nächster Gelegenheit dieser eigenthümlichen Menschensorte einmal gründlich in’s Gesicht zu schauen.

Reif, Eis und Schnee kam und machte dem Zeichnen und Malen im Freien ein Ende; da klopfte ich mit einem Geleitschein des Gouverneurs an die Pforte des oberen Kuhbergs, des äußersten Forts der Reichsfestung Ulm, wo die Turcos unter sicherer Hut lagen, und wo deren nächster Commandant, der Landwehrlieutenant L., mit freundlicher Bereitwilligkeit mir das Wohnen in der Officierscasematte auf Pritsche, Strohsack und Teppich bot. Während dreiwöchentlichem Dortsein hatte ich nun vollauf Gelegenheit, den Tag über in strengen Einzelstudien, am Abend bei gemüthlichen Besuchen in den Thürmen, in welchen das Völklein cernirt war, das Wesen desselben in seinen Grundtrieben und in seiner äußeren Erscheinungsform bestens zu erkunden. Kurz zusammengefaßt war der Gesammteindruck der einer Rotte geistig unentwickelter böser Buben, untermischt mit Zügen kindlicher Naivetät und großer Gutmüthigkeit, fessellos in den Ausbrüchen tierischer Triebe, wenn man ihnen die Zügel schießen läßt, folgsam, stumpf gehorchend, wo die äußere Macht ihr wahres Wesen zusammenschnürt; wie ein weißer Rabe sitzt hin und wieder ein harmloser, weicher Araber unter ihnen, wie ein schwarzer Fleck schleicht aber auch andererseits eine jener Erscheinungen vorüber, welche das Kainszeichen in jedem Zug, hauptsächlich in dem brandigen wilden Auge haben. Meistens kennen sie weder Vater noch Mutter, wissen weder Geburtsort noch Lebensalter, letzteres meist nur so ungefähr, bei etwa fünf Jahren nimmer genau, und haben somit weder Heimath, noch Vaterland, noch irgend eine Idee, welche sie begeisterte und ein Dämpfer ihrer glühenden Leidenschaften, ihres thierischen Wohlbehagens und Genießens wäre; sie gleichen zuletzt nichts als einer Meute für gewisse Zwecke wohldressirter Hunde, die instinctmäßig da packen und beißen, wohin sie von dem Leiter der Leine gehetzt werden. Auch „que les femmes ne seront pas épargnées“ (daß die Frauen nicht geschont werden würden) glaubt man dem französischen Herrn Minister beim Anblick dieser Menschen gerne, welchen er vor dem Ausbruch des Krieges das badische Verwüstungsversprechen gab, und segnet im Stillen die Tapferkeit unserer Krieger doppelt, daß sie uns und namentlich die deutschen Frauen und Mädchen vor der Ueberfluthung der jetzt unfreiwilligen Gäste bewahrte.

Am stärksten zeigte sich auch hier im Gefangenen- und Bewachungsleben des Forts der mächtige Gegensatz zwischen dem Grundwesen deutscher und französisch-afrikanischer Art; aus einer Reihe von solchen Wahrnehmungen mögen nur folgende hier stehen.

An einem Abende wurde dem Lieutenant im Reduit Meldung gemacht, daß in einem der Gefangenenthürme besondere Unruhe sei; wir sprangen schnell auf und eilten in den Thurm, fanden aber außer dem gewohnten Lärm des südlich raschen Sprechens nichts Besonderes, außer daß zwei sonst sehr lebendige Mulatten still zusammengekauert auf ihren Pritschen lagen. Auf Befragen stellte sich heraus, daß sie und Andere im Spiel Streit bekommen hätten und aneinander gerathen seien, daß Einer den Andern in den Daumen gebissen habe, in diesem Augenblick aber die deutsche Wache hereingesprungen sei, durch zwei Kolbenstöße den Einen links, den Andern rechts auf ihre Pritschen geschleudert habe und dann still wieder hinausgegangen sei. Der Lieutenant verordnete zum amtlichen Abschluß der Sache dem Daumenbeißer noch zweitägigen Carcer, und als wir aus der heißen, tabakgeschwängerten Luft der Casematten wieder hinaus in’s Freie traten, stand die so kräftig kolbenstoßende Wache wieder vollkommen regungslos oben auf dem gefrorenen Boden des Walls, als wenn die ganze Sache für sie nicht dagewesen wäre.

Ein anderes Mal war ich unten in der Stadt, um den Schönsten aus der Truppe, so wie den Häßlichsten, einen thierartigen, zähnefletschenden blauschwarzen Neger, photographiren zu lassen; zu gleicher Zeit trat beim Photographen ein preußischer Soldat in voller Ausrüstung ein, welcher in der vorigen Nacht Gefangene eingeliefert hatte und nun ebenfalls photographirt sein wollte. Er stellte sein Gewehr an die Wand und trat auf einen Augenblick in ein anderes Zimmer; sofort ergriff der kräftige Turco die Waffe, jauchzend mit derselben im Liegen, Knieen und Stehen die französischen Schieß- und Fechtstellungen machend, und das mit einer Schnelligkeit und Gelenkigkeit, als wenn eine Fischotter mit der erhaschten Beute auf- und niedertaucht und spielt; und als einige Augenblicke nachher der Preuße wieder zur Thür des Nebenzimmers heraustrat, sprang der Turco mit einem weiten Satze auf ihn zu und hielt ihm das Bajonnet dicht vor die Brust. Ohne mit einer Wimper zu zucken oder in irgend einer Körperbewegung die Ueberraschung zu zeigen, griff der schlanke blonde Mann nach seiner Waffe, legte sie auf die Schulter und ging, ohne zu grüßen, weiter, nur im Vorbeistreifen den Gefangenen und vielleicht auch Denjenigen, der sich so weit mit ihm einließ, mit einem Blick der tiefsten Verachtung streifend.

Den schärfsten Gegensatz bildete jedoch der letzte Abend. Der Lieutenant machte die Runde, ich mit; wir schlenderten behaglich durch die einzelnen Abtheilungen des einen der Gefangenenthürme; da trat Missarud ben Ali, ein schwarzer Corporal, zu mir und bat mich freundlich um einen „Snaps“. Dies ist das einzige deutsche Wort, welches sie fast Alle kennen. Ich gab ihm zwei Groschen und er verschwand. In der Nähe saß eine Gruppe, ruhiger als sonst, auf ihren Pritschen; in den rauhen Kehllauten ihrer Heimathsprache wiederholten sie unaufhörlich in einem gewissen

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In den Casematten von Ulm.
Nach der Natur aufgenommen von R. Heck.


Tacte den gleichen Satz, klatschten die Hände aneinander und – sangen auf diese Weise ihre Heimathlieder. In der nächsten Abtheilung saßen und knieten etwa acht jüngere Araber beisammen, ein ähnliches Spiel mit aller südlichen Leidenschaft treibend, wie die Italiener ihr Mora; es handelt sich bei demselben darum, eine geheim gehaltene Zahl zu errathen, und bei dieser so einfachen Aufgabe entwickelt sich eine Fülle der wildesten Bewegungen, dabei aber von einer Grazie und einem Fluß der Linien, wie ein deutscher Leib sie auszuführen niemals im Stande wäre; ein Aufspringen, wie wenn ein Panther sich auf sein Opfer stürzt, ein Schrei, schallendes Gelächter und – die Zahl ist errathen.

Eine Abtheilung weiter und wir sind mitten in einer zahlreichen Gesellschaft aus „Tausend und eine Nacht“, nur sitzt anstatt der reizenden Scheherasade hier ein dunkelbrauner Turco; aber athemlos hören mit der gespanntesten Erwartung die im Kreise Sitzenden, wie die Sage vom Heimathhelden bald leise gelispelt, bald in mächtig drohendem Tone, bald mit aller Gluth südlicher Leidenschaft von den Lippen des mit ganzer Seele vortragenden Erzählers quillt.

Leise gingen wir weiter, standen aber nach wenigen Schritten schon wieder still, gefesselt von einem neuen Bilde. Allein auf seiner Pritsche, die Beine untergeschlagen, saß der Marabu, der arabische Priester; auf seinen Knieen lag der Koran und aus demselben las er in halblauter, hin und wieder sich etwas hebender Stimme die Gesetze des Propheten für die nun nahende arabische Festzeit; in seiner Nähe saßen und lagen die in orientalischer Weise Andächtigen still herum, aber auch hier die unvermeidliche Papiercigarette im Munde.

Diese uns neue Art von Andacht nicht stören wollend, gingen [370] wir leise fürbaß und wollten eben den Thurm verlassen, als Missarud erschien und mit graciöser Handbewegung uns zum Sitzen einlud. Ein weiterer Wink von ihm und die Umstehenden hatten einen Kreis gebildet; einer derselben hatte einen Kochkessel, der, auf’s Knie gestützt und tactmäßig mit den Fingern bearbeitet, den Tamburin ersetzte; nach seinem Tacte klatschten die Umstehenden in die Hände und sangen dabei, endlos dasselbe wiederholend und ebenso melodielos wie der Marabu, die einzige Strophe: „Ach, wie so rosigroth sind Deine Lippen!“ Missarud glitt in leisen weichen Bewegungen nach dem Tacte und, elastische Hüftbewegungen machend, einmal im Kreise herum; plötzlich stand an einer Lücke desselben eine tief verhüllte arabische Schöne; der schelmische Ben Hannach hatte aus seinem Lagerteppich und seinem weißen Turbantuche sich eine Verkleidung als Araberin zurechtgemacht und stellte sich nun vor den Tänzer, bereit, dessen Huldigungen in Empfang zu nehmen. Immer tanzend, löste der Mohr den seidenen Shawl, den er um den Kopf gebunden hatte, wand und drehte sich in den gewagtesten Stellungen um die Schöne, wurde leidenschaftlicher, zudringlicher, die Geberden wurden immer plastischer und wilder und lösten sich zuletzt im Schlußacte unter schallendem Gelächter der Wilden auf.

Als schuldigen Tribut spendeten wir die nie ausgeschlagenen Cigarren, athmeten aber frisch auf, als die Casemattenthüren sich hinter uns geschlossen hatten und wir nach der Schwüle des eben verlassenen Raumes die frische klare Nachtluft um uns hatten und hoch oben von den schwarzen Wallkanonen aufragend und in dunkeln Umrissen vom klaren Sternenhimmel sich abhebend die regungslos dastehende deutsche Wache sahen, während unter uns nur einzelne Lichter aus der schlummernden Stadt heraufflimmerten.
R. H.