Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Rebekka am Brunnen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 370
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[370] Rebekka am Brunnen. Victor – so wollen wir einen jungen Officier nennen – erhielt in dem letzten Kriege einen Schuß durch den Fuß und wurde, da seine Verwundung den Transport mit dem Krankenzuge gestattete, nach Deutschland zurückbefördert. Viele Einwohner der Stadt, in welche man ihn brachte, hatten, beseelt von Patriotismus und Menschenliebe, sich erboten, Verwundete in Pflege zu nehmen; so kam Victor in das Haus des Rath P. Der Hausherr, seine Gattin, die beiden Töchter, die siebenzehnjährige reizende Helene und das achtjährige muntere Louischen, thaten ihr Möglichstes, um die Schmerzenstage des jungen Helden zu erleichtern und zu verschönern. Hatten sie doch ebenfalls einen Sohn und Bruder im Felde und meinten dem jungen Fremden nur zu gewähren, was sie in gleichem Falle für den theuren Abwesenden ersehnten.

Victor ertrug nicht nur seine Schmerzen mit der höchsten Ruhe und Geduld, sondern er zeigte, als diese nachließen, einen so heitern, lebensfrischen Sinn, daß Alle im Hause ihn herzlich lieb gewannen.

Louischen, mit welcher er sich fortwährend neckte, lief freudig Trepp’ auf, Trepp’ ab, um Zeitungen, Bücher, eine Erfrischung für ihn zu holen, oder die eingetroffenen Briefe der Cameraden und einer alten Großtante – seiner einzigen Verwandtin – ihm zu überbringen.

Drei Wochen hatte Victor im Hause des Rath P. verlebt, als er sichtlich ernster wurde. Von dem Arzt war ihm, wie er seinem gütigen Wirth offenbarte, anvertraut worden, daß sein Fuß wahrscheinlich steif bleiben und er lahm gehen werde.

Der Rath, ein sehr discreter Mann, forschte nicht weiter, glaubte jedoch annehmen zu müssen, daß der in diesem Falle nöthige Dienstaustritt den jungen Mann schmerzlich berühre, auch die künftige Gestaltung seiner Verhältnisse ihn beunruhige. Allein auch Helene wurde ernster und schweigsamer; die Mutter bemerkte, daß sie erröthete, wenn man von Victor sprach, und daß dieser nur zu ausdrucksvolle Blicke auf das schöne Mädchen heftete. Vater und Mutter hielten Rath miteinander. Victor war hübsch, liebenswürdig, jedes Wort zeigte die ehrenhafteste Gesinnung, allein die Familie besaß kein Vermögen, und eine Neigung Helenens für den jungen Officier hätte mit einer trauervollen Entsagung enden müssen. Man beschloß, während der kurzen Zeit, die Victor noch bei ihnen verweilen würde, dem jungen Mädchen mancherlei Zerstreuungen zu bieten, auch jedes Zusammensein derselben mit Victor möglichst zu beschränken und zu überwachen.

Die ernste Zeit verbot rauschende Vergnügungen, aber einige Freunde konnten sich zu geselligen Zusammenkünften vereinen und man beschloß „lebende Bilder“ zu arrangiren. Der Plan wurde von Helenens Freundinnen und einigen Jugendgenossen des abwesenden Sohnes mit Freuden aufgenommen und ein alter Hausfreund, der für Gemälde schwärmte und sich für einen Kunstkenner hielt, übernahm die Leitung des Ganzen. Kisten und Kasten, Vorrathskammern und Kleiderschränke wurden durchforscht, um die nöthigen Costüme und Requisiten zu beschaffen. Man stellte „Die beiden Leonoren“, „Masaniello und Fenella“, „Den schlafenden Räuber“, „Die trauernden Juden“, „Den Heirathsantrag auf Helgoland“, und die Proben gewährten ein ebenso großes Vergnügen als die Aufführung. Louischen lief hin und her und schleppte zusammen, soviel ihre kleinen Hände nur zu fassen vermochten. Es entzückte sie bei den Proben, daß ein Fenstertritt mit daraufgestellter Fußbank „eine Anhöhe“, und zwei mit grauer Leinewand überdeckte Stühle „das Gebirge“ darzustellen vermochten. Der Dolch, mit welchem Masaniello Fenella bedrohte, war ein abgebrochener Blechlöffel und der „schlafende Räuber“ hatte die dunkelrothe Gardine aus der ehemaligen Kinderstube als Mantel um seine Schultern drapirt.

Die Aufführung befriedigte allgemein, und eine Wiederholung des harmlosen Vergnügens und die Vorführung anderer Bilder wurde in Aussicht genommen. – So vergingen wiederum zwei Wochen, und Victor, der jetzt schon auf einen Stock gestützt das Zimmer durchwandern konnte, hatte seinem gütigen Wirth angezeigt, daß er in zwei Tagen die Reise zu der Großtante antreten werde. Mit gemischten Gefühlen nahmen der Rath und seine Gattin diese Botschaft auf; sie trennten sich ungern von dem liebenswürdigen jungen Manne, und doch stand bei seinem ferneren Bleiben das Glück ihres Kindes vielleicht auf dem Spiele.

Am nächsten Vormittag trat Victor in das Wohnzimmer der Familie, in welchem er Helene allein zu finden hoffte. Denn der Vater weilte um diese Zeit noch auf dem Gericht, und ein Blick auf den Hofraum hatte ihm gezeigt, daß die Mutter durch wirthschaftliche Anordnungen dort gefesselt sei.

Helene stand von ihrem Platz am Nähtische auf, um dem jungen Manne einen Stuhl zu reichen, wie sie es oft gethan.

Victor schleuderte jedoch den Stock, auf den er sich gestützt hatte, fort, schritt gegen Helene zu, ließ sich gewandt auf ein Knie nieder, faßte des Mädchens Hand und sagte: „Theuerste Helene!“ – –

„Um Gotteswillen, was thun Sie!“ rief erschreckt das Mädchen und beugte sich über den Knieenden.

„Helene, Sie sollten sich nur davon überzeugen, daß ich kein Krüppel geworden bin, wie ich es seit Wochen fürchtete, um Ihretwillen fürchtete, denn nie hätte ich dann gestanden, was meine Seele erfüllt – –“

„Herr Lieutenant,“ rief Louischen eintretend, welche von der Mutter die Weisung erhalten hatte, dem jungen Officier Gesellschaft zu leisten.

Nicht umsonst hatte Victor die Kriegskunst zu seinem Studium gemacht; in einem Moment waren von ihm seine Hülfsquellen berechnet, ein Feldzugsplan entworfen worden.

„Louischen“, rief er, in seiner Stellung vor Helenen beharrend, „geh’ in die Küche und bringe einen hübschen Krug! Wir probiren hier ein neues Bild – ‚Rebekka am Brunnen‘; ich bin der Brunnen, Deine Schwester stellt die Rebekka vor und beugt sich über mich, um Wasser zu schöpfen. Es fehlt uns nur noch der Krug! Liebes Louischen, ich bitte Dich, suche einen hübschen Krug aus, den allerbesten, den Du finden kannst!“

Ganz beglückt von dem ertheilten Auftrage, eilte Louischen in die Küche, allein die braune Kanne mit abgebrochener Schnauze, welche die Köchin ihr reichte, schien doch gar nicht zu dem „allerbesten Kruge“ zu passen, den sie auswählen sollte! Louischen beschloß, zur Mutter zu gehen und um die Schlüssel zur Vorrathskammer zu bitten. Die Hofthür war jedoch in Folge mehrtägiger Regengüsse so gequollen, daß es dem Kinde nicht möglich wurde, sie zu öffnen. Da gewahrte Louischen, als sie zum Rückweg sich entschloß, durch das Fenster der Hausflur ihren Vater, welcher dem Hause zuschritt. Sie lief ihm entgegen, bat ihn, die Hofthür zu öffnen, und der Rath vernahm mit Erstaunen den Auftrag, welchen man dem Kinde gegeben.

„Also der Herr Lieutenant stellte den Brunnen vor, Louischen?“

„Ja, lieber Vater, er hatte sich dazu hingekniet und Helene beugte sich über ihn, um Wasser zu schöpfen. Es fehlte nur der Krug!“

„Gieb mir fürerst die braune Kanne, Louischen, ich werde sie hinauftragen. Du kannst einen hübscheren Krug dann noch von der Mutter besorgen; die Köchin wird Dir die Hofthür öffnen.“

Als der Rath mit der braunen Kanne in das Wohnzimmer trat, entschlüpfte Helene, die jetzt neben „dem Brunnen“ stand, durch eine Seitenthür und ließ Victor mit dem Vater allein.

„Herr Lieutenant,“ sagte dieser mit etwas gepreßter Stimme, „ich bringe den gewünschten Krug zu dem seltsamen Bilde, das Sie probirten; ich meine jedoch, daß es ihnen an Tiefe fehlen werde, um den Brunnen wirksam darzustellen.“

„Herr Rath, es wäre unschicklich, wollte ich mir erlauben, Ihnen in der Bildersprache zu antworten. Als deutscher Mann und Soldat will ich gerade auf mein Ziel losgehen. Ich liebe ihre Tochter Helene von ganzem Herzen und würde mich glücklich schätzen, wenn Sie, verehrter Herr, Ihre Einwilligung zu unserem Bunde gäben! – Mein Fuß ist vollständig geheilt, ich muß ihn nur noch einige Wochen schonen; alle anderen Hindernisse hat ein heute in der Frühe eingetroffener Brief meiner Großtante beseitigt.“

Victor reichte dem Rath das Schreiben, welches lautete:

„Mein geliebter Victor! Gott hat mich gnädig diese große Zeit erleben lassen, er hat Dich wunderbar beschützt und behütet, wie sollte mein Herz nicht voller Dank und Freude sein? Nun bringst Du mir noch die Freude, daß ein liebes Mädchen Dich gefesselt hat und Du den eigenen Herd Dir aufbauen willst. Gott gebe dazu seinen Segen! Was ich besitze, gehört einst Dir; allein Du sollst nicht warten, bis meine Augen sich geschlossen haben, um glücklich an der Seite eines braven Weibes zu werden. Darum habe ich gleich nach Empfang Deines Briefes Dir gerichtlich eine Rente verschreiben lassen, die mehr beträgt, als ihr bei vernünftigem Haushalten verbrauchen werdet. Laß mich bald erfahren, ob die Eltern und das holde Mädchen Deinen Wünschen geneigt sind.“

„Was darf ich antworten, theurer Herr Rath?“ fragte der junge Officier, voll Innigkeit die Hand des Vaters erfassend.

„Rebekka hat wohl schon gesprochen, mein junger Freund, darum lassen Sie uns zur Mutter gehen. Sagt meine Frau ‚Ja‘, wie ich es von Herzen thue, so senden Sie der Großtante sofort eine officielle Siegesdepesche!