Erinnerungen aus dem deutschen Kriege des Jahres 1866

Textdaten
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Autor: Georg Hiltl
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Titel: Erinnerungen aus dem deutschen Kriege des Jahres 1866
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40–41, S. 626–628, 643–645
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[626]
Erinnerungen aus dem deutschen Kriege des Jahres 1866.
Nr. 1. Heiligenbilder auf dem Schlachtfelde.
Von Georg Hiltl.


Die Landstraßen, Felder, Thore und Gassen der Städte, welche innerhalb eines Ländergebietes liegen, dessen herrschende Religion die katholische ist, zeigen an unzählig vielen Stellen einen ebenso poetisch reizenden, als für den Bekenner zur Andacht mahnenden Schmuck: die Heiligenbilder. Man mag darüber urtheilen, wie man will, gewiß hat Jeder von uns schon bei dem Anblick [627] eines solchen Bildes dem freundlichen Eindrucke sich oft genug nicht zu entziehen vermocht, den das in einer stillen Waldgegend sich erhebende, von einem hohen Felsen in das Land hineinschauende oder in dunklem Thale von üppigem Grün umwucherte Bildstöckchen auf den Wanderer hervorbringt. Freilich arten die Darstellungen zuweilen aus und Marterbilder gehören nicht unter die poetischen Dinge, allein die einfache Gestalt eines segnenden Heiligen oder ein Marienbild verleihen der Gegend fast immer den Reiz des Malerischen, da sie gewöhnlich mit richtiger Empfindung an solchen Orten aufgestellt werden, die durch ihre Naturschönheit auf das Gemüth des Beschauers wirken.

So harmlos und friedlich nun aber diese Bilder in ruhigen Zeiten sich aus dem schwellenden Kornfelde oder am waldigen Kreuzwege erheben: wenn um und neben ihnen der Lärmen und Donner einer Schlacht braust, dann verändert sich mit Einem Schlage die Scene. Die Zeichen eines religiösen und Frieden verheißenden Begriffes respectirt der Krieg nicht weiter, und was sonst nur dem stillen Beter wichtig war, das wird jetzt mit in die Kampflinie gezogen und dient dem Interesse von Freund und Feind. Hierher gehört vor allen Dingen das so wichtige Abschätzen einer Distanz für das Feuer der Artillerie. Aus der Ebene, die kein Hügel, keine Erhebung des Bodens unterbricht, steigt das auf hoher Säule prangende Bild eines heiligen Nepomuk oder Sebastian empor. Keine bessere Schätzung für die Richtung, welche die mörderische Kugel zu nehmen hat. Von der todspeienden Batterie, deren Rohre sich dort hinten auf dem Hügelkamme befinden, bis zu dem Bildstocke sind so und so viele Fuß oder Schritt. Das weiß der Feind genau; nun schreiten die Angriffscolonnen vor, kaum sind sie in den Umkreis des Bildes gelangt, da schmettert das verheerende Eisen in ihre Glieder. Der Feind hat genau und scharf gezielt, er wußte die Entfernung, er kannte die Länge der Bahn, welche sein Geschoß durchfliegen muß, das Heiligenbild hat das Ziel bezeichnet, richtig ist die Distanz abgeschätzt und neben dem Friedenszeichen liegen die Angreifer blutend in den Sand gestreckt, der harmlose Heilige schaut herab auf das Elend, welches einige Hände voll schwerer Granatsplitter zu seinen Füßen ausgestreut haben, wie er ehedem auf die Beter oder die lachenden Felder herniedergeblickt hat. Die zerstörenden Geschosse verschonen die Statue eben so wenig wie die Lebenden. Kugelspuren am Postamente, abgerissene Stücke weit in das Feld hineingeschleudert, häufig die ganze Figur zertrümmert – so findet man unter den Leichen und Verwundeten die Trümmer des Heiligenbildes auf dem Schlachtfelde.

Es war auf dem Wege nach Königgrätz. Hin und her wogen die Reihen im Feuer des Gefechtes. Eine lange Colonne rasselt herbei. Das Feld ist ringsum frei geworden, nur stumme Gesellen, dem ewigen Schlafe verfallen, liegen verstreut auf dem blutgetränkten Boden. Zwischen ihnen erheben sich, matt nach Hülfe stöhnend, hier und dort die Verwundeten, sie recken ihre Hände zu dem Bilde des Heiligen empor, dessen Säule aus dem grausigen Gewirre emporsteigt. Die Colonne hält bei der Statue, sie kann hier ihre Stellung nehmen, denn schon ist jene todbringende Batterie drüben auf den Hügeln stumm geworden; genommen ist sie von den siegend vordringenden Schaaren, es schweigt das Feuer. Welche Bewegung in der Colonne? Mit Blitzeseile werden die Decken der Wagen zurückgeschlagen, seltsame Geräthschaften breitet man aus, Fuhrwerke mit rothem Kreuze im weißen Feld stellen sich rings um den Heiligen auf, rüstige Männer, in dunkler, einfacher Uniform, tragen die Zerschmetterten und Wimmernden herbei. Es ist eine Ambulance, ein Verbandplatz, der sich vor dem Bildstocke etablirt, und auf den Stufen, an den Zierrathen der Säule liegen Instrumente, Bandagen, hängen blutgetränkte Lappen und Tücher. So mancher der Herbeigetragenen sieht die Sonne des Tages zum letzten Male sinken, mit ihr scheidet er für immer aus diesem Leben. Er hat von Jugend auf im kindlichen Glauben an die Macht der Heiligen gelebt, für ihn ist es eine Erquickung, in der letzten Stunde noch das lächelnde Antlitz dort oben auf der Säule betrachten zu können. Er betet zu dem Steinbilde, er meint, die segnende Hand des Trösters dehne sich weit aus und senke sich auf seine brennende Todeswunde. „Hebt mir den Kopf noch einmal empor. Ich will ihn sehen,“ ruft ein armer Bursche aus dem schönen Steiermark, der auf den Tod getroffen vor dem Heiligenbilde liegt. Die preußischen Männer erweisen ihm diesen Liebesdienst und ein mattes Lächeln umspielt die Lippen des Sterbenden; leise murmelt er Etwas, dann senkt er sein Haupt zurück, streckt die kraftvollen Glieder und hat verendet.[1]

Eine Stunde später. Die Wagen sind nicht mehr zu erblicken, die Verwundeten sind in Sicherheit; man hat sie in das sogenannte Depôt gebracht, für ihre Wunden ist die sorgende Hand des Arztes da. Nur die Todten umgeben den Heiligen; in geringer Entfernung ziehen die Schaaren an ihm vorüber, die auf’s Neue in den immer wilder tobenden Kampf stürzen. Da galoppirt eine Reiterschaar herbei, sie hält um den Fuß des Bildstockes. Es sind hohe, kräftige Gestalten, trotz der einfachen Uniform lassen sich die preußischen Generäle und Officiere des Stabes leicht erkennen. Nun sitzen Einige ab von den dampfenden Rossen, Zügel und Riemen schlingen sich um die Säule des Heiligen. Die Schlacht hat eine ganz neue Physiognomie angenommen und gerade von dem Bildstocke aus läßt sie sich trefflich beobachten. Jetzt klettert einer der Männer auf die Stufen. Er lehnt sich mit dem Rücken gegen die Inschrift, welche die Säule ziert und ihre Stiftung bekundet, sieht unter dem Heiligenbilde ein Betpult, dann bedeckt dasselbe plötzlich eine Situationskarte, die Finger der Beobachtenden fahren über die Linien des Blattes und dann nehmen die Männer wieder die Fernröhre vor das Auge und starren ruhig in den furchtbaren Knäuel von Menschen, Pferden, Waffen, Geschützen und Rauch, der gegenüber der Statue vor den Blicken der Befehlshaber auf- und niederzuckend sich zusammenballt. Nur kurze Zeit halten die Reiter noch bei dem Bildstocke, die Wellen des Gefechtes rollen nach einer andern Gegend des Schlachtfeldes, ungeduldig scharren die Rosse schon den Boden, den in Zeiten des Friedens nur die Kniee der Andächtigen drücken.

„Auf, vorwärts!“ tönt es. Die Abgestiegenen schwingen sich in die Sättel, die Stufen des Heiligenbildes dienen ihnen als Tritt, noch einen Moment blickt Alles in die Ferne, um den Ort zu suchen, der ihnen für die nächste Beobachtung der beste scheint; da horch, ein pfeifender Ton hoch oben in der Luft, ein Knattern und Prasseln, lange weiße Fäden schweben nieder und an ihnen läßt sich sausend die Granate hinab, mit gewaltiger Kraft in den Erdboden schlagend. An den Reitern und an dem Heiligen empor spritzen Schlamm und Staub, mit zwei Sätzen stiebt die Schaar der Officiere auseinander, dem sichern Tode zu entgehen, aber schon berstet mit Krachen das verderbliche Geschoß, einige Splitter reißen Stücke aus dem Gesimse des Postamentes, einige andere fahren unter die Menschen. Blutend sinkt einer aus dem Sattel, es ist ein kräftiger Ulan, ein guter Bursch, der Ordonnanzdienste bei dem Stabe thut; ihn hat der mordende Splitter niedergerissen, zwei Cameraden helfen ihm aus dem Sattel und lassen ihn zur Erde gleiten, wo er blutend auf den Stufen des Heiligenbildes liegt. Die Helfer können nicht lange bei ihm verweilen, sie nehmen Abschied von dem Ohnmächtigen, der eine führt das ledige Pferd am Zügel mit, schon fällt die zweite – die dritte Granate dicht neben dem Bilde nieder, glücklicherweise platzen sie nicht; die Officiere reiten schon feldein, die Ordonnanzen müssen folgen. Der Gefallene wird hoffentlich aufgehoben werden durch die Lazarethcolonne; einstweilen röthet sein Blut die Steine des Sockels.

„Armer Junge!“ ruft wehmüthig einer der in’s Gefecht sprengenden Officiere. „Es war ein guter Kerl.“

„Ja, ja,“ erinnert der andere, „das Heiligenbild ist eine schlimme Stelle. Man sollte sehr vorsichtig dabei sein, es dient als Zielpunkt, schon liegen genug Leute von den Unsern da herum. Woher zum Teufel sind die Schüsse gekommen?“

„Nur einige Minuten lang hat da oben eine Batterie Posten gefaßt,“ antwortet ein älterer Officier, „und gleich wußten sie [628] ihre Distanz. Es ist erstaunlich, wie weit man die Ziele sehen kann. Sie haben Recht: Heiligenbilder und abgeschälte Baumstämme sind prächtige Merkzeichen.“

Wieder sind Stunden vergangen und unter blutigem Ringen hat sich der Kampf in die Nähe des Bildes gezogen. Fast in den Boden gestampft haben Roß und Mann die Todten, in das Gebüsch hinter der Statue werfen sich die Schützen des Feindes und senden ihre Kugeln den Gegnern zu. Ein Hagel aus den Zündnadelgewehren treibt sie zurück in das freie Feld, sie sind dem Verderben preisgegeben, aber sie müssen sich stellen, Schuß auf Schuß donnert heran. Deckung vor dem vernichtenden Geschosse! Da erreichen ein paar der dem Verderben Geweihten das Bild, sie pressen sich an die Säule, einige Kugeln schlagen dagegen. Die Schützen haben eine Stelle gefunden, hinter welcher sie sich bergen können, aber sie dürfen nicht müßig stehen, sie müssen feuern, und so legen sie denn das Rohr an die Säule des Heiligen; den linken Arm untergestemmt, den Kolben an der Schulter haben sie einen sicheren Stützpunkt und hinter dem Bildstocke hervor kracht der Schuß, in den Busch sinkt der getroffene Feind. Nun schwirren die Gewehrkugeln um die heilige Statue, immer näher streifen die Verfolger, bis zuletzt das furchtbare Bajonnet die letzte Entscheidung herbeiführt; zum Tode matt fechten die Krieger um ihr Leben, Hülferufe senden sie zu dem Steinbilde empor – umsonst. Ein Stoß wirft den letzten zu Boden. Noch ein Mal versucht er es sich aufzuraffen, aber tödtlich getroffen sinkt er nieder, seine Arme umklammern die geweihte Säule und an ihrem Fuße bricht er leblos zusammen. Auf die Stufen klettert der Hornist, sein Signal schmettert laut hinaus in das Feld. „Sammeln“ bläst er, und von allen Seiten kommen die Männer herbei; noch knattern einzelne Schüsse. „Stopfen“ bläst der Hornist; das Feuer schweigt, und endlich ist das ganze Bataillon zusammen, Helme und Feldmützen wogen durcheinander, jubelnde Stimmen schallen und begrüßen sich, Bajonnete blitzen und über all’ die Hunderte ragt der Heilige empor. Schon sinkt der Abend nieder, die Schatten werden länger, aber die Statue ist weithin sichtbar von rothem Schimmer überfluthet, es ist der Feuerschein des brennenden Dorfes, dessen geflüchtete Bewohner einst das Standbild gesetzt haben, als sie sich und ihre Habe dem Schutze des Patrons empfahlen.

Verloren ist das Treffen für die österreichischen Männer. Die Nacht bricht ein. Aus der Ferne hallen die Schüsse herüber, welche die zurückweichende Armee und die sie verfolgende lösen, doch lebendig und bewegt ist die Scene, auf die der Heilige nun herniederschaut. Man bivouakirt auf dem Schlachtfelde, die Wachtfeuer flammen empor, die Proviantcolonnen kommen heran, Alles jauchzt ihnen entgegen, Brod, Fleisch, Salz – das Labsal wird vertheilt und die Flaschen kreisen. Dicht um den Heiligen stehen die Karren der Marketender und die Fuhrwerke der Proviantcolonnen. Um in der Dunkelheit eine möglichst gute Beleuchtung zu haben, sind oben an dem Capitäl der Säule, wo die pausbäckigen Seraphsköpfchen hervorblicken aus vergoldeten Wolken, Stalllaternen angebracht, auf die Stufen der Säule hat man Hackebreter gelegt und zertheilt die Fleischrationen, welche dann sofort in die brodelnden Kochtöpfe wandern.

„Wie viel Brode sind ausgegeben?“ ruft eine Stimme.

„Zweihundert,“ lautet die Antwort.

Jede Zahl, die da genannt wird, schreibt ein stämmiger Bursche auf, die Rechnung muß genau stimmen, und die zum Vertheilen Beorderten haben die Verantwortung; da der Rechner keine Schreibtafel bei der Hand hat, so ist ihm die glatte Seite des Postamentes, auf welchem der Heilige thront, sehr willkommen. Er schreibt mit Kohle oder Kreide seine Zahlen daran, wie man beim Kegelspiel die Würfe notirt, dann macht er einen Strich und addirt die Zahlencolonne. „Stimmt,“ ruft er, macht seine Finger naß und löscht die Summe aus, um darunter eine neue Reihe zu beginnen, die seine Fleischrationen aufzählt. – Die Leute haben ihren Vorrath empfangen und die Proviantwagen setzen sich nach einem andern Theile des Schlachtfeldes in Bewegung. Nun machen es sich die Leute bequem, so bequem als es nur irgend möglich ist, ihre Tornister werden zu Kopfkissen genommen und die zunächst am Heiligenbilde campiren, die stellen ihre Gewehre gegen das Postament. An dem gebogenen eisernen Arm, der bei festlichen Gelegenheiten die brennende Lampe zu Ehren des Schutzpatrons hält, hängt das Riemenzeug; die Ecken des Unterbaues tragen Helme oder die Spaten und Beile der Sapeurs. – Wenn der Mond aufgegangen ist, beginnt man, so viel es sich thun läßt, die Todten bei Seite zu schaffen, und endlich schnarcht die ganze zahlreiche Gesellschaft trotz Kälte, Nässe und Wind so fest, als wäre Jedem ein weiches Bett in der Heimath bereitet; nur die Posten sind lebendig und die zahllosen Wachtfeuer flackern lustig, ihren Schein weit hinaus in die Nacht werfend. Dicht neben dem Heiligen rammen zwei kräftige Jungen eine Stange in den Boden, auf deren Spitze sich ein Büschel getheerten Strohes befindet; morgen wird hier ein Posten aufgestellt und das Strohbündel ist ein Zeichen, ein Fanal zum Alarmiren, wenn sich wieder Feinde zeigen sollten, woran aber Niemand glaubt. Braucht der Wachtposten das Zeichen nicht zu geben – auch gut, dann finden die Pioniere, die morgen schon den Feldtelegraphen errichten werden, eine gute Stange, woran sie ihren Draht befestigen können, und dicht neben dem Haupte des Heiligen wird der elektrische Funke entlang lauten und Dinge in die Welt tragen, von denen in den dicken Legendenbüchern kein Wörtchen zu finden ist und die auf so geheimnißvolle, wunderbare Art befördert werden, daß vor einhundertundfünfzig Jahren etwa die Anhänger des Patrons da oben auf der Steinsäule die Erfinder als Höllenkünstler auf den Scheiterhaufen gebracht haben würden. Der Heilige sieht auch ordentlich trüb darein, wenigstens scheint sein Antlitz ernster geworden; er hört keine feierlichen Gesänge, sondern die bewaffneten Arbeiter singen lustige Weisen, wie: „Es waren mal drei Gesellen“ oder ein munteres Reiterlied oder im besten Falle das wehmüthig frohe „O Straßburg! o Straßburg, Du wunderschöne Stadt“, bis endlich einer der am Fuße des Bildstockes schnarchenden Cameraden die Sänger mit einem lauten „Maul halten“ zur Ruhe verweist, worauf die Sänger sich am Fuße des Heiligenbildes niederlassen und beim Scheine einer Laterne ihre Hosen flicken.

Solche Bilder und Scenen in der Nähe einer Heiligenstatue sind noch immerhin anziehend durch die lustige Stimmung, welche sie umschwebt, sobald einmal die ernsten Augenblicke vorüber sind; aber wie oft bietet das Bildstöckchen und dessen Umgebung reichlichen Stoff für ein Gemälde gar ernster und trüber Art, auf dem sich die schreiendsten Contraste so eng bei einander finden, daß die Phantasie des Malers oder Zeichners nichts Widersprechenderes erfinden könnte. Eine solche Scene konnte man beispielsweise am 7. Juli Abends rechts von der Landstraße vor Pardubitz beobachten; da stand ein Bild des heiligen Sebastian. Rechts neben demselben lagen, die Köpfe gegen das Postament gelehnt, zwei schwer verwundete Oesterreicher, welche ein preußischer Arzt verband; ein weniger schwer Blessirter lag auf den Knieen, seinen Rosenkranz betend. Linker Hand saßen einige Füsiliere und rauchten aus ihren kurzen Pfeifen, während zwei andre einen todkranken österreichischen Jäger zwischen sich genommen hatten, dem sie löffelweise eine stärkende Flüssigkeit in den Mund träufelten; unmittelbar hinter dem Bildstocke war ein frischer Grabhügel aufgeworfen, welchen ein rohgezimmertes Kreuz zierte; offenbar hatten die rauchenden Füsiliere diese ernste Arbeit vollendet. Wer mochte darunter schlummern? Sicherlich Freund und Feind ruhig nebeneinander. Oben auf dem Haupte des Heiligen saß ein kleiner Vogel und wirbelte sein fröhliches Lied hell zwitschernd in die Luft; als er damit fertig war, schwang er sich hinauf in den Abendhimmel, als sei er froh, von der unheimlichen Stätte hinwegzukommen. Nachts aber flackert ein Feuer neben der Säule. Der Vorposten hat hier seine Stellung genommen und das „Werda“ tönt über die Straße. Kopfschüttelnd ziehen die Landleute vorbei – verblüfft schauen sie zu dem Heiligen empor. Es ist ein Trost: Auch die Heiligen leiden im Kriege. –

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Nr. 2. Bei Chlum.
Die Schlacht von Königgrätz war geschlagen; Tags darauf kam ich, wie schon früher erzählt, auf die Wahlstatt, auch dahin, wo das Gefecht am heftigsten gewüthet hatte, an die Höhe von Chlum. Es ist eine seltsame, drückende, unheimliche Stille, die über dem weiten Schlachtfelde am Tage nach dem Kampfe lagert. Die langen Reihen der ewig Stummen, die blutigen oder durcheinander geschichteten Knäuel, welche, aus getödteten Menschenkindern bestehend, sich in gewissen Zwischenräumen auf der zerstampften Ebene erheben, scheinen von unsichtbaren Mächten gehütet zu werden, die da jedes lebendige Wesen verscheuchen. Kein Vogel zwitschert hier in den Feldern, keine Grille hüpft umher, selbst der Wind, so dünkt es dem Beschauer, zieht hoch über die Gefallenen hinweg und nur zuweilen bewegt er einen Busch, der auf dem Hute eines Opfers nickt, oder er streift die Haare einer Leiche mit seinem Hauche. Oede – bleierne Ruhe überall. Ganz hoch in den Lüften kreisen einige Raubvögel, fern am Horizonte wirbelt ein Schwarm häßlicher Aaskrähen, nur dicht um die Leichen der gefallenen Krieger regt sich geschäftig, gleich unzählbaren, beweglichen und bewegten Punkten, die aus Myriaden bestehende Armee der Käfer, Ameisen und Erdspinnen. Das Gewürm wittert reiche Beute. Die Todten sind die Letzten, denen ihr Recht wird, zuerst, und so soll und muß es sein, sucht man die Lebenden zu retten. Mit Laternen und Fackeln wird gleich nach Beendigung des Treffens umhergespäht; was noch aufgefunden werden kann, wo noch ein

[644] Athemzug das Leben verräth, eine matte Bewegung der Hand, des Hauptes bemerkt wird, das heben die sorgsamen Krankenträger der siegreichen Armee empor und bergen den Zerschmetterten in den schützenden Wagen, der, mit rothem Kreuze in weißem Felde geziert, alsdann mit seiner traurigen Last in die Lazarethe zurückkehrt. Wenn endlich jeder Theil des Schlachtfeldes sorgfältig abgesucht ist, dann schreiten die dunkel gekleideten Arbeiter heran.

Das letzte Quartier.
Originalzeichnung von A. Nikutowski.

Die unheimliche Stille wird unterbrochen durch das Geräusch von Wagen und Fußtritten. Hoch oben am Saume des Hügels, da, wo er sich mit dem Horizonte zu verbinden scheint, gewahrt man einen langen, dunklen Streifen, der sich um den kegelförmigen Berg windet und in die Ebene hinabläuft. Es sind theils größere, theils kleinere Fuhrwerke, aus Korbgeflecht oder plump gearbeiteten Leitern sind sie zusammengesetzt, einige Schütten Stroh bedecken den Boden des Kastens und darauf liegen übereinandergeschichtet die zur ewigen Ruhe Bestimmten. Welche grausigen Gestaltungen haben diese starren Körper angenommen! Wie verrenkt sind die Arme, wie schauerlich gespreizt oder gebogen die Beine! Sie starren zwischen den Sprossen des Leiterwagens hervor, hier und da nickt im Fahren ein blutiges Haupt aus dem Stroh, die Augen starren weit geöffnet, gläsern gequollen, in den Himmel, keine liebende Hand hat sie zugedrückt. Die Todten werden beerdigt! In langen Zügen nahen die Wagen und jene dunklen, beweglichen Reihen sind Todtengräbercompagnien. Wenige Minuten später machen sie alle Halt. Hier ist eine Stelle, wo das Verderben besonders gewüthet hat, und mit Kopfschütteln betrachten die an Grauen jeder Art gewöhnten Männer diese Stätte der Verwüstung.

Es ist der kleine Hohlweg, in dem auch ich eben stehe und der in die Ebene mündet; rechter Hand liegt auf einer Anhöhe das Dorf Chlum; oben auf dem Hügel, den sie soeben verlassen haben, ist das Logement sichtbar, hinter welchem die Verderben speienden Geschütze der Oesterreicher standen. Ein Theil der Arbeiter schwenkt links ab, in die Ebene hinein, und es beginnt nun eine ernste Verrichtung. „Antreten!“ schallt halblaut das Commando, die Männer stehen im Viereck um einen großen, freien Platz, sie nehmen [645] ihre Werkzeuge zur Hand, dann dröhnen die Schläge der Hacken und die Stöße der Spaten durch die Stille des Schlachtfeldes, auf und nieder bewegen sich die Werkzeuge, fast im Tacte graben sie die weite Grube – das „letzte Quartier“ der Gefallenen. Die Männer arbeiten schnell und mit einer gewissen Hast. Sie bauen diese letzten Wohnungen mit handwerksmäßiger Geschicklichkeit, aber doch scheinen sie sich besonders zu eilen und bald ist der große, tiefe Graben ausgehöhlt. Nun verschnaufen sie Alle ein wenig, sie lehnen auf ihren Spaten und wischen den Schweiß von der Stirn. Aus dem Hohlwege schaut die schauerliche Karawane, sie bringt Schläfer herbei das letzte Quartier zu füllen. Zwei Reiter geleiten den Zug. Sie sind frisch und wohlauf, ihre braunen Gesichter strotzen von Kraft unter der Husarenmütze hervor, und doch irrt das Auge trübe blickend über die Reihen hinweg, welche jetzt neben dem Rande der Grube gebildet werden; die Reiter sehen da Manchen, den sie gekannt haben, der noch vor wenig Stunden ihnen zurief und mit der Hand winkte. Diese Hand hängt nun zerschmettert herab, dieser Mund ist nun auf ewig geschlossen.

Langsam werden die Todten von den Wagen herabgehoben. Einige Männer in bürgerlicher Kleidung leiten im Verein mit den uniformirten Todtengräbern das ernste Geschäft. Diese Männer haben weiße Binden um ihre linken Arme gewunden und auf den Binden zeigt sich ein rothes Kreuz – es sind die Samariter des Schlachtfeldes, denn sie pflegen Freund und Feind, und wo sie nicht mehr pflegen können, da wirken sie für die Bestellung des letzten Quartiers und suchen zu erforschen, wer von den Freunden in dem feuchten Grabe ruht.

Die Todten werden nebeneinander geschichtet, sie liegen in doppelter Reihe, so, daß ihre Füße zusammenstoßen. Da ruhen sie, die vor wenigen Stunden noch so erbittert gegeneinander fochten, friedlich, still! Die Uniformen bilden einen scharfen Contrast. Die weiße Farbe der österreichischen Waffenröcke neben dem Dunkel der preußischen; graue Jäger neben blauen Dragonern, braune, schmerzzerissene Gesichter, umspielt von schwarzen Haaren, neben bleichen, ruhigen Antlitzen, welche blondes Haupt- und Barthaar einrahmt, der Italiener neben dem Pommern, der Czeche neben dem Märker – Alle hinein, Alle bereit, das letzte Quartier friedlich mit einander zu theilen.

Zuweilen tönt ein lautes, schmerzliches Geheul durch die Stille. Da tragen sie auf einer Bahre oder Karre zwei Leichen daher, die sie gefunden haben in dem schrecklichen Hohlwege vor Chlum. Diese stummen Männer lagen unter einem Busche, dessen Zweige in den Weg nickten; als sie vorwärts zum Kampfe schritten, die beiden Krieger, stießen sie hier zusammen, Keiner wollte, durfte weichen, und so entspann sich der Kampf. Es waren erbitterte, starke Gegner; die Patronen sind verschossen gewesen und die Wuth des Gefechtes hat Beide erfaßt, so wild und mächtig, daß sie es ohnedies verschmäht haben würden, Kugeln zu wechseln, darum nehmen sie die blanke Waffe zur Hand und fallen sich an. Ein verzweifelter Kampf beginnt, die Blätter des Gebüsches werden herabgeschlagen, die Männer ringen gegen einander, schon bluten sie aus vielen Wunden, endlich sinkt der eine nieder in den Sand. Noch einmal versucht er es, sich zu erheben, aber die Wunde ist tödtlich gewesen, das Eisen des Gegners hat zu gut den Weg zum Herzen gefunden – im Tode bricht das Auge und der Sterbende fällt zuckend in den Schatten des Gebüsches. Sein Gegner versucht sich zu halten, umsonst! auch ihn hat der Stoß des Gefallenen hart getroffen. Er will sich weiter schleppen, noch ist Rettung möglich, da kracht es über, neben, unter ihm, von dem Logement des Hügels sanft die verderbliche Granate, die Aeste des Busches splittern gleich Regen auf ihn hernieder und ein Stücklein Eisen, kaum einen Zoll lang, fährt durch die Brust – noch ein dumpfer Schrei, ein krampfhaftes Zusammenschlagen der Hände, dann bricht der Kämpfer zusammen und im Sturme vorwärts wankend, bettet er sich auf den Körper seines erschlagenen Feindes. Wieder eine convulsivische Bewegung, die Arme strecken sich, sie umklammern die Leiche des Gegners und so, das Haupt auf die Brust desselben gelegt, verscheidet der Sieger auf dem Besiegten. Als die Leichenträger den Hohlweg absuchen, finden sie die Beiden in starrer, grausiger Umarmung; über ihnen nicken die zerschmetterten Zweige des Gebüsches im leichten Morgenwinde, vor ihnen sitzt der große, braune Hund des Oesterreichers, der seinen Herrn endlich gefunden hat und nun das klagende Gewinsel um den Todten ausstößt, welches markerschütternd aus der Kehle eines Thieres zum Ohre des Menschen dringt.

„Wir wollen sie Beide zusammenbetten, wie wir sie gefunden haben,“ sagt der Unterofficier zu den Leuten mit ernster Stimme, und also geschieht es. Man trägt den Preußen und den Oesterreicher auf einer Bahre in die Grube, und der arme braune Hund sitzt traurig davor und winselt so lange, bis er seinen Herrn nicht mehr sehen kann, denn die Todtengräber schaufeln hastig die Grube zu, sie müssen oft genug den braven Hund verscheuchen, der immer wiederkehrt und die Erde aufscharren will. Endlich ist genug Sand darüber geworfen, unter demselben schlummern sie Alle, die in das „letzte Quartier“ gewiesen wurden. Nun beten die Todtengräber leise; ringsum ist es wieder still, nur die klagenden Töne des Hundes unterbrechen das Vaterunser. „Fertig,“ tönt das Commando, „links um,“ und von dem weiten Grabe hinweg schwenken die Arbeiter, um von Neuem das ernste Tagewerk an anderer Stelle zu beginnen. Als sie sich nach einer Weile umwenden, sehen sie den Hund auf dem Grabe sitzen, er hat seine Schnauze in den Sand gebohrt, seine langen Ohren hängen herab, der Schwanz schlägt den Boden, der den geliebten Herrn bedeckt. Kein Rufen vermag das treue Thier von der Stelle hinwegzulocken, und als die Patrouillen beim Scheine des Mondes über das Feld ziehen, erblicken sie den Hund noch in derselben Stellung. Er kann nicht zu seinem Herrn dringen, er hütet den Eingang zum „letzten Quartier“ des Gefallenen.




  1. Es sind die einzelne Reminiscenzen aus dem letzten Kriege, wie sie in der allgemeinen geschichtlichen Darstellung der denkwürdigen Epoche nicht Raum fanden, wohl auch erst nachträglich bekannt geworden sind. Dergleichen „Erinnerungen aus dem deutschen Kriege des Jahres 1866“, und zwar aus allen Heereslagern der kämpfenden Armeen, werden wir nach und nach noch weitere veröffentlichen, nicht Schilderungen von Schlachten und Gefechtsscenen – davon hat nachgerade das Publicum wohl genug zu lesen bekommen – sondern Mittheilungen von einzelnen interessanten, ergreifenden oder auch erheiternden Zügen und Episoden; den Beobachtungen von Augenzeugen und authentischen Quellen entnommene militärische Genrebilder und persönliche Kleinmalereien, die zwar vor den großen Ereignissen des Krieges zurücktreten, nichtsdestoweniger aber zur Charakteristik des Ganzen erläuternd und vervollständigend beitragen.
    Die Redaction.