Preußens militärischer Luther

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Autor: unbekannt
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Titel: Preußens militärischer Luther
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40–41, S. 628–631; 640–643
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Dreysse, der Erfinder des Zündnadelgewehrs
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Preußens militärischer Luther.


Auf meiner letzten Sommerreise durch die herrlichen Auen Thüringens führte mich mein Weg nach dem jetzt so berühmt gewordenen Städtchen Sömmerda. Unter den bescheidenen Häusern des freundlichen Ortes fiel mir auf der Straße, die, wie ich mich erkundigte, ihren Namen nach der benachbarten Kreisstadt Weißensee führt, vor Allem ein nettes einstöckiges Gebäude auf, an dessen

[629]

Nikolaus von Dreysse.
Nach einer Originalphotographie vom Hofphotographen Frisch.

der Straße zugewandtem Giebel die schöne, charakteristische Inschrift: „Bete und arbeite!“ prangte. Dem Wohnhaus sah man in der That an, daß das Gebet darin walten müsse; die Arbeit wurde ich in den zahlreichen zur rechten Seite des Gebäudes sich hinziehenden hohen Werkstätten, denen mächtige Dampfwolken entstiegen, gewahr. Ich trat in dies eine Sackgasse (Pfarrbeutel genannt, wie ich später erfuhr) bildende Gewirr von Fabrikgebäuden ein; ein Thorweg zu meiner Linken reizte meine Neugier, weil derselbe zu dem Hofe jenes Hauses des Gebets und der Arbeit führte. An den überaus sauberen Hof, der zu seiner Rechten von einer anscheinend unbedeutenden Werkstätte begrenzt wurde, schloß sich ein sorgfältig gepflegter Garten mit zierlichen Blumenbeeten, duftenden Rosen und dunkelrothen Nelken. Vor der Thür eines Gartenhauses stand ein alter Herr im schlichten, dunklen Hausrock, der mit sinnenden Blicken auf den Blumenflor schaute, beleuchtet von den goldenen Strahlen der untergehenden Sonne. Seine ganze Erscheinung trug den Stempel bürgerlicher Tüchtigkeit und Gediegenheit; graues Haar bedeckte die trotz seines hohen Alters noch immer klare Stirn, unter welcher die hellen Augen mit jugendlicher Munterkeit leuchteten, während den milden Mund ein freundliches Lächeln zu umschweben schien. Es war ein gemüthliches Stillleben, das sich hier meinen Blicken darbot, der ehrwürdige Greis unter seinen Blumen verkörperte mir das Bild eines glücklichen Alters und ungetrübten Friedens. Man konnte ihn für einen wohlhabenden Bürger halten, der in beneidenswerther Ruhe ein gemüthliches, wenn auch beschränktes Dasein genießt, fern von dem Geräusch der großen Welt und unberührt von den blutigen Ereignissen und Kämpfen der kriegerischen Gegenwart.

Während ich in meiner Phantasie das Bild ausmalte, trat ein kräftiger Arbeiter mit rußigem Schurzfell aus der zur Seite des Hofes befindlichen unansehnlichen Werkstatt an den alten Herrn heran und reichte ihm einen in der Sonne blitzenden Gegenstand. Meine Neugierde war erregt, als ich ein Gewehr zu erkennen glaubte, und zwar eine jener furchtbaren Waffen, welche in der jüngsten Zeit durch ihre vernichtende Wirkung dem Krieg eine ganz veränderte Gestalt verliehen und das Gleichgewicht Europas in seinem Grunde erschüttert haben. Beim Anblick dieser Waffe zeigte das Gesicht des gemüthlichen Alten eine wunderbare Veränderung, seine Züge belebten sich, seine Stirn furchte sich nachdenklich, und prüfend richtete er seine Augen auf den künstlichen Mechanismus. Bald [630] hob er das Gewehr, bald senkte er es wieder, indem er es von allen Seiten sorgfältig untersuchte, den Hebel auf- und niederdrückte, hier keine Schraube, dort einen Stift berührte, worauf er mit einem beifälligen Nicken dem Arbeiter die Waffe wiedergab, mit der sich dieser, ehrfurchtsvoll grüßend, entfernte, während der alte Herr noch einen Blick auf seine Blumen warf und sich dann, an mir vorübergehend, in sein Wohngebäude zurückzog.

Unwillkürlich hatte dieser an sich unbedeutende Vorgang meine Neugierde noch gesteigert, so daß ich den nächsten Mann, der zufällig vorüberging, ansprach und nach dem Namen des alten Herrn fragte.

„Sie müssen wohl ein Fremder sein,“ erwiderte derselbe, „sonst würden Sie wissen, daß in dem Hause dort der Geheimrath von Dreysse wohnt.“

„Wie?“ rief ich überrascht. „Der alte Herr der Erfind…“

„Der berühmte Erfinder des Zündnadelgewehrs,“ ergänzte mein gefälliger Cicerone, der sich mir bald als einen ebenso gebildeten, wie gut unterrichteten Beamten zu erkennen gab.

„Ich gestehe, daß ich mir den Mann ganz anders vorgestellt habe nach dem Portrait, das unlängst eine illustrirte Wochenschrift gebracht hat, das indeß, wie ich nun sehe, eine Caricatur ist. Wie hätte ich aber auch ahnen sollen, daß dieser an einigen Blumen sich mit so sichtlichem Behagen erfrischende schlichte Mann der Erfinder jenes tödtlichen Geschosses sei, das eine förmliche Revolution in der Welt und namentlich in der Bewaffnung der Armeen hervorzurufen bestimmt ist; daß dieser friedlich freundliche Greis der Besitzer und Lenker einer der bedeutendsten, jedenfalls aber nunmehr der berühmtesten Gewehrfabriken Europas sei?“

„Ich begreife Ihr Erstaunen. Aber hat nicht ein frommer Mönch in seiner stillen Zelle das Pulver erfunden, welches den mittelalterlichen Feudalstaat in die Luft gesprengt? Werfen Sie außerdem nur einen Blick auf die Geschichte der Erfindungen und besonders der deutschen Erfindungen; wer waren die Männer und welchen Standes, deren Geistesblitze so unendlich segenbringend für die Völker wirkten? Wer sind heute die Männer, die an der Spitze unserer berühmten deutschen Industrie-Stätten stehen, und was waren sie einst? Sind sie nicht alle aus dem Volke im reinsten Sinne des Wortes hervorgegangen? Dreysse ist der Sohn eines Bürgers und Schlossermeisters; Dreysse war Beides selbst; heut’ ist der Name Dreysse jedem Kinde in unserm Vaterlande bekannt, heute wird der Name Dreysse auf der östlichen wie auf der westlichen Hemisphäre genannt; der Mann selbst ist trotz Orden und Adel, womit er von seinem Könige geehrt worden, trotz seines, beiläufig bemerkt, vielfach überschätzten Reichthums der liebenswürdige, bescheidene und schlichte Bürger Sömmerda’s geblieben.“

Mein Begleiter, der sich mir immer mehr als Gesinnungsgenossen zu erkennen gab, wandte sich zum Gehen und forderte mich in freundlicher Weise zu einem Spaziergang vor das Thor hinaus auf, wo wir in einen öffentlichen, wenn ich nicht irre, der Sömmerdaer Schützencompagnie gehörenden Garten einkehrten. Wir fanden daselbst mehrere Bürger und zahlreiche Beamte, Meister und Arbeiter der Gewehrfabrik im eifrigen Gespräch, das sich natürlich um die letzten Zeitereignisse drehte und bald auch auf die berühmte Erfindung ihres Landsmanns Dreysse zurückkam.

„Ja,“ sagte ein grauköpfiger Bürger. „Wer hätte das denken sollen, daß unser Nikolaus noch einmal in die Weltgeschichte kommen würde! Ich kenne den Dreysse noch von der Schule her, wo wir manchen tollen Streich zusammen ausgeführt haben. Seitdem waren wir Freunde und sind es auch geblieben, obgleich er jetzt ein reicher Mann geworden und sogar geadelt ist.“

„Da können Sie mir gewiß über sein Leben und seine Erfindung Auskunft geben. Sie würden mir damit einen großen Gefallen erweisen.“

„Das will ich gern thun, wenn Ihnen damit gedient ist. Freilich ist es schon lange her, aber ich erinnere mich noch deutlich an die alte Zeit, wo noch in Sömmerda die Franzosen hausten. Damals wohnte der Vater Dreysse’s gerade gegenüber von der alten Mohren-Apotheke und betrieb die Schlosserei; das Haus können Sie heut’ noch auf der langen Gasse sehen, es gehört schon seit vielen Jahren dem Bruder des Geheimraths und seinem treuen Helfershelfer, dem Oberrevisor Rudolph Dreysse. Nebenbei hatte der Vater Dreysse eine kleine Feldwirthschaft und besaß, wie so mancher Bürger in jenen Tagen, die Gerechtigkeit Bier zu brauen und auszuschenken, wenn die Reihe an ihn kam. Der alte Johann Christian Dreysse war ein Ehrenmann von damals mehr als gewöhnlicher Bildung und freierer Anschauung, der sich redlich nährte, in allgemeiner Achtung stand und durch sein gediegenes Urtheil seinen Mitbürgern wie Gästen imponirte. Wenn drüben über der französischen Grenze Dinge vorgingen, über welche die guten Sömmerdaer Philister die Köpfe schüttelten und die Hände zusammenschlugen, so gingen sie zum alten Dreysse und der setzte ihnen auseinander, daß die französische Revolution trotz der unendlichen Gräuel und Blutscenen viel Gutes zur Folge haben müsse, nicht für Frankreich allein, sondern auch für Deutschland, und daß ihre Kinder gewiß noch die aus jenem, leider auch vielem unnütz vergossenen Blute entspringenden Früchte ernten würden.

Unser Nikolaus oder, wie er gewöhnlich genannt wurde, Niklas ging fleißig zur Schule, zeigte auch einen anstelligen Kopf, aber kein Mensch ahnte in ihm ein absonderliches Genie. Als er das vierzehnte Lebensjahr überschritten hatte und confirmirt worden war, es wird im Jahr 1802 gewesen sein, da Dreysse 1787 am 20. November geboren, kam er in die Werkstatt seines Alten als Lehrling, mit der Zeit wurde er freigesprochen und Geselle. Damals war es noch Brauch und Sitte, daß man mit dem Ränzel auf dem Buckel auf die Wanderschaft zog und einige Jahre in der Fremde arbeitete, ehe man sein Meisterstück machte und sich als Bürger niederließ. Mutter Dreysse, eine kreuzbrave Frau, ließ den Jungen nur ungern ziehen und vergoß beim Abschied manche Thräne, aber der Alte hielt streng auf das Herkommen und den Handwerksbrauch. Auch der Nikolaus war damit zufrieden und entschloß sich zunächst zu seinem Vetter Beck nach Altenburg zu ziehen, der daselbst herzoglicher Hofwagenfabrikant war. Da ich gerade meine Verwandten von mütterlicher Seite im Altenburgischen besuchen wollte, so begleitete ich ihn noch eine tüchtige Strecke. Es war das Unglücksjahr 1806 und wir geriethen mitten in das Kriegsgetümmel, so daß ich am liebsten wieder umgekehrt wäre, allein ich wollte meinen Cameraden nicht im Stich lassen, und so wanderten wir in Gottes Namen weiter, bis wir in die Gegend von Jena kamen, wo kurz vorher die furchtbare Schlacht geschlagen worden war. Am Wege fanden wir noch die Spuren des Kampfes, unbegrabene Leichen, crepirte Pferde, zerbrochene Wagen, zerschossene Lafetten und weggeworfene Waffen aller Art. Es war ein entsetzlicher Anblick. Während ich aber mit Schaudern vorübereilte, sah ich, wie mein Freund zurückblieb und bald ein preußisches, bald ein französisches Gewehr aufnahm und von allen Seiten betrachtete. Sorgfältig untersuchte er die alten Feuerschlösser, indem er mich auf den Unterschied der Constructionen aufmerksam machte, wobei er über die elende Beschaffenheit der alten preußischen Schießprügel tüchtig schimpfte und hauptsächlich ihnen die Schuld an dem unglücklichen Ausgang des Krieges gab. Wie mir Dreysse selbst später einmal sagte, hat ihn seitdem der Gedanke nicht verlassen, eine verbesserte Schießwaffe herzustellen. Das ging aber nicht so schnell, wie er dachte.

Eine geraume Zeit arbeitete er als Schlossergeselle in Altenburg bei seinen Verwandten. Nach und nach regte sich in ihm immer mehr der Gedanke, nach Paris zu gehen; mißmuthig darüber, daß ihm sein Vetter davon abrieth, ihm auch die dafür nöthigen Mittel verweigerte, verließ er denselben und wanderte nach Dresden, wo er bessern Verdienst hatte und dadurch die Mittel fand, etwas für seine immerhin nicht ausreichende Bildung zu thun. Während andere Gesellen den Tanzboden besuchten und ihr Geld verjubelten, schaffte sich Dreysse dafür allerlei nützliche Bücher und gute Schriften an, aus denen er was Ordentliches lernte. Nach nur halbjährigem Aufenthalte in Dresden folgte er dem Rufe seines Verwandten und kehrte nach Altenburg zurück. Endlich setzte er es doch durch, daß ihn Beck, nachdem der Vater Dreysse seine Erlaubniß ertheilt hatte, nach Paris ziehen ließ, wo er gleichsam die Universität seines Handwerks finden und aus einem simplen Schlossergesellen ein geschickter Mechanicus werden sollte. Mit dreißig Thalern in der Tasche, die zur Hälfte aus erspartem Verdienste und zur andern Hälfte aus einer Beihülfe des Vetters bestanden, wanderte unser Niklas im Jahr 1809 an den Rhein und, ohne sich lange dort aufzuhalten, nach Paris.

Jetzt begann für ihn eine der trübsten und drangsalvollsten Perioden; er hat, wie er selbst nicht leugnet, zu Zeiten dort bitterste Noth, ja Hunger gelitten. Doch das Alles konnte seinen Muth nicht beugen, nach den Tagen der Trübsal kamen bessere Zeiten, der geschickte Mensch fand endlich in einer der bedeutendsten Wagenfabriken [631] von Paris Unterkommen und damit nicht allein den benöthigten Verdienst, sondern auch die heißerwünschte Gelegenheit mehr und mehr zu lernen. Gern erzählt er noch heut’ beim Glase Wein, wie er dort an dem Staatswagen für den König Joseph von Spanien mitgeholfen, die Kinderequipage des kleinen Königs von Rom allein verfertigt, an den Instrumenten für den großen Leuchtthurm im Havre de Grace mit gearbeitet hat. Die Hauptsache aber war, daß in dieser Wagenfabrik der kaiserliche Oberst Pauly auf ihn aufmerksam wurde. Dieser besaß selbst eine Fabrik der verschiedensten Eisenwaaren, verfertigte aber auch Gewehre. Dreysse hatte es namentlich in der Kunst des Feilens und Drehens weit gebracht, war ein geschickter Modelleur und ungemein glücklich in der Auffindung von Verbesserungen und Vereinfachungen. Pauly nahm Dreysse zu sich und von diesem Zeitpunkt datirt eigentlich der Gewehrarbeiter Dreysse. Pauly beschäftigte sich ungemein viel mit allerlei Versuchen und Verbesserungen der Schießwaffen und wurde dabei von Dreysse energisch und erfolgreich unterstützt. Fast klingt es wie ein Märchen, und doch ist es vollkommen wahr, daß der Kaiser Napoleon unserem Dreysse die erste Idee zu dem Hinterladungssystem gegeben bat, indem er Pauly beauftragte, ein derartiges Gewehr zu construiren. Das Ding kam zwar zu Stande, war aber so ungeschickt und complicirt, daß von einer praktischen Anwendung im Kriege nicht die Rede sein konnte. Was dem Lehrer mißlang, das sollte, wenn auch erst nach langen Jahren, dem Schüler glücken.“

„Wunderbar!“ rief ich überrascht. „Das Genie Napoleon’s mußte dem deutschen Schlossergesellen den Anstoß zu seiner wichtigen Erfindung geben!“

„Von der Idee aber bis zur Ausführung,“ fuhr mein freundlicher Graukopf fort, „war noch ein weiter, dornenvoller Weg, den jedoch mein Freund mit seltener Beharrlichkeit verfolgte. Nach einem langen Aufenthalte in Paris kehrte Dreysse 1814 nach Sömmerda zurück, wo er zunächst seinen inzwischen gealterten und kränklichen Vater in seinem Geschäfte und der kleinen die Familie mit ernährenden Oekonomie kräftig unterstützte. Das war im Jahre 1814, als der erste Pariser Frieden eben geschlossen war. Es ist mir noch wie heute, als Abends beim Bier erzählt wurde, Dreysse, der Pariser, wäre wieder da. Einige Jahre arbeitete Nikolaus nunmehr als Geselle bei seinem Vater, machte dann sein Meisterstück und übernahm darnach im Jahre 1818 das Geschäft seines Vaters für eigene Rechnung und damit die Pflicht der Sorge für die gesammte, aus Vater, Mutter, einem Bruder und zwei Schwestern bestehende Familie. Noch vor seiner im Jahre 1821 erfolgenden Vermählung mit Dorothea Ramann hatte er neben seiner Schlosserei ein kleines Eisenwaarengeschäft etablirt und sich dadurch vielerlei Bekanntschaften und Verbindungen mit den umliegenden Orten und den daselbst existirenden Eisenwaaren-Etablissements erworben. Neben der Schlosserei, dem kleinen Geschäfte, ja selbst neben der eigenhändigen Mithülfe bei der nicht großen Landwirthschaft seiner Eltern bestrebte sich Dreysse fort und fort die Kenntnisse zu verwerthen, die er im Auslande gesammelt. Er construirte Maschinen von allerdings geringen Dimensionen, weil immer noch sehr beschränkt in den daran aufzuwendenden Mitteln, mit denen er Eisenwaaren auf sogenanntem kalten Wege herstellen konnte; er erfand eine Maschine, mit welcher er z. B. Nägel schnitt, während diese doch bisher nur geschmiedet wurden; er fertigte ferner Maschinen zu rascherer Herstellung von Fensterbeschlägen in größerer Anzahl, während bisher die Stücke einzeln fabricirt werden mußten.

So hatte er auf Anregung eines Geschäftsfreundes Namens Zierfuß aus Frankenhausen eine Knopfzange construirt, mit welcher immer je sechs Knöpfe auf einen Druck fertig wurden. Zufällig sieht diese Zange Collenbusch, der Reisende eines Eisenwaarengeschäfts in Erfurt, das Friedrich Kronbiegel gehörte und an Dreysse Eisenwaaren für dessen Handel lieferte. Collenbusch fragt den in der Werkstelle allein befindlichen Vater Dreysse nach dem Verfertiger der Zange. ‚Die hat mein Franzose, der Niklas, gemacht,‘ antwortet der Vater und deutet dabei nach dem Fenster, durch welches man diesen im Hofe mit landwirthschaftlichen Arbeiten beschäftigt erblicken konnte. Nikolaus wird hereingerufen und nach dem Preise für Ueberlassung der Knopfzange gefragt und, als er den Verkauf ablehnte, aufgefordert als Werkmeister in die Fabrik Kronbiegel’s einzutreten; als er auch dies Anerbieten zurückwies, weil er – wie er bemerkte – schon in Paris Werkmeister gewesen wäre, eine selbstständige Stellung aber vorzöge, bittet Collenbusch um eine Frist von drei Tagen, innerhalb welcher Dreysse die Knopfzange nicht weggehen solle. Dies wird ihm bewilligt und nun reist Collenbusch nach Erfurt zurück und meldet seinem Principal den wichtigen Fund. Beide fahren ohne Säumen zusammen nach Sömmerda, und da Dreysse es entschieden ablehnt, Sömmerda und seinen alten Vater zu verlassen, entschließt sich Kronbiegel, der sich wohl von der Bedeutung des jungen Dreysse für sein Geschäft nachgerade überzeugt haben mochte, dasselbe nach Sömmerda zu verlegen und Nikolaus Dreysse zum Compagnon desselben anzunehmen. Das Abkommen kam im Jahre 1821 bald nach der Verheirathung Dreysse’s zu Stande. Zuerst führte das Geschäft den Namen Kronbiegel’s; als dieser aber bald darnach starb, der Reisende Collenbusch die Wittwe desselben heirathete, als inzwischen von Dreysse das vervollkommnete Zündhütchen und eine Maschine zur Herstellung des Zündhütchens in größeren Massen erfunden und vom preußischen Staate patentirt worden war, nahm das Geschäft die Firma Dreysse und Collenbusch an. Sie können die Gebäude dieses Geschäftes, das, obwohl Dreysse längst ausgeschieden, gleichfalls zur höchsten Blüthe entfaltet ist, wenige Schritte von hier in Augenschein nehmen.“

Mein Begleiter war selbst so freundlich mich zu dem dem Schützengarten schief gegenüberliegenden Fabrikgebäude zu führen und mir einige Aufklärungen zu geben. Dann fuhr er fort:

„Bald nach Beendigung der französischen Kriege und dem Wiener Friedensschlusse, mit welchem Sömmerda, das bis zum Jahre 1803 kurmainzisch, dann bis 1807 preußisch, von da ab aber französisch gewesen, definitiv zu Preußen zurückkam, war die Percussionswaffe auch in Deutschland mehr und mehr zur Geltung gelangt und die preußische Regierung hatte die Umänderung der alten Steinschloßgewehre in Percussionsgewehre vorzunehmen beschlossen. Dreysse wurde dadurch zu den verschiedensten Versuchen, eine besonders gute und tadellose Zündmasse zur Füllung der Zündhütchen herzustellen, veranlaßt. Mit Hülfe der Apotheker Baudius und Kahleis, tüchtiger Chemiker, und eines geschickten Waffenpraktikers, Büchsenmacher Burchard, fand er endlich unter den lebensgefährlichsten Experimenten eine Zusammensetzung, die allen Wünschen und Anforderungen entsprach, und die Firma erhielt im Jahre 1824 ein Patent für Zündhütchen. Bis zum heutigen Tage haben die deutschen Bundesstaaten und andere Staaten Europas ihren Bedarf an Zündhütchen fast nur allein aus dieser Fabrik bezogen, noch größere Massen sind über das Meer gewandert. Nachdem Dreysse noch im Jahre 1825 eine Dampfmaschine nach einer neuen Construction erfunden und von der preußischen Regierung patentirt erhalten hatte, kehrte derselbe gänzlich zu der Aufgabe, die er sich gestellt und nie ganz aus dem Auge gelassen, wenn auch inzwischen etwas vernachlässigt hatte, der, ein verbessertes Gewehr herzustellen, zurück und widmete sich von nun an derselben ausschließlich.“

[640] „Um den Verlauf der Dreysse’schen Gewehrversuche im Zusammenhange zu erzählen, soweit ich wenigstens damit bekannt bin, muß ich nochmals zum Jahre 1815 zurückkehren. Die preußische Regierung, die sich trotz des Friedensschlusses noch nicht am Ende der Kämpfe wähnte – hatte ja doch, wie weltbekannt, Oesterreich schon im Januar desselben Jahres, also noch vor Eröffnung des Wiener Congresses, einen Allianzvertrag mit England und dem Erbfeind Frankreich (!) gegen Preußen und Rußland zu Stande gebracht, um Preußen an der Geltendmachung seiner Ansprüche auf das ihm vor dem Kriege zugesagte Sachsen zu verhindern – und sich damals schon für den Krieg rüsten zu müssen glaubte, der über ein halbes Jahrhundert später im Jahre 1866 zum Ausbruch gelangte, requirirte von allen Seiten her Arbeiter, namentlich tüchtige Schlosser, zu schneller Wiederherstellung der in den beendigten Kämpfen unbrauchbar gewordenen Gewehre, später zur Umänderung derselben in Percussionswaffen. Auch an Dreysse erging eine Aufforderung, zu diesem Zwecke nach Erfurt zu kommen; er lehnte indeß zu Gunsten seines Bruders Rudolph ab, der auf diese Weise sich mit der Gewehrfabrikation näher bekannt machte und ihm später hierin sehr nützlich werden sollte. Er selbst beschäftigte sich inzwischen mit Herstellung eines Pauly’schen Hinterladungsgewehres, mußte es jedoch nach reiflicher Prüfung für Militärzwecke so völlig unbrauchbar finden, daß er von nun an alle weiteren Versuche in dieser Richtung einstellte. Von den hierauf folgenden neuen Experimenten, um zu dem Ziele zu gelangen, das er sich gesteckt, ist weniger bekannt geworden; nur soviel steht fest, daß, wie viele er auch vergeblich machte, er sich dadurch auch nicht einen Augenblick entmuthigen ließ.

Da mußte ein Zufall weniger seltsam, als derjenige, welcher Berthold Schwarz zur Erfindung des Pulvers führte, aber immerhin als ein Fingerzeig zu betrachten, mit welchem die Vorsehung unserm Dreysse zu Hülfe kam, diesen auf einem ganz anderen und, wie wir jetzt behaupten können, richtigen Weg leiten. Hier und da waren Sendungen von Zündhütchen, die durch Feuchtigkeit gelitten und unbrauchbar geworden, der Firma Dreysse und Collenbusch zurückgeschickt worden. Diesen Uebelstand zu vermeiden, kam Dreysse auf den Einfall, die Einwirkung von Feuchtigkeit auf die in den Hütchen befindliche Zündmasse dadurch zu verhüten, daß er diese letzten noch mit einem Blättchen Papier bedeckte. Dreysse erreichte dadurch gerade das Gegentheil, das Papier zog erst recht Feuchtigkeit an und verdarb die Zündmasse, und eine sehr bedeutende, auf diese Weise hergestellte Lieferung wurde als unbrauchbar der Fabrik wieder zur Verfügung gestellt. Das Kupfer war damals sehr theuer, der Rückgang dieser Lieferung für die Fabrik mithin sehr empfindlich; um das Kupfer schnellstens wieder zur Verwendung zu erhalten, nahm sich Dreysse, der durch seine falsche Speculation das Mißglücken der ganzen Lieferung verschuldet hatte, daher vor, die Hütchen von der verdorbenen Zündmasse zu befreien. Die Herausnahme der Zündpillen aus jedem Hütchen war aber sehr umständlich und zeitraubend. Dreysse beschloß nach kurzem Ueberlegen, die Zündmasse aus den Hütchen durch Explosion zu entfernen; nach mehreren ihn nicht zufriedenstellenden Versuchen kam er auf den Gedanken, mit einer Nadel die Hütchen durchstechen zu lassen, um dadurch die Explosion zu bewirken. Das Experiment gelang vollkommen. Fast blitzartig erfaßte nun Dreysse die Idee, die Nadel überhaupt zur Zündung der Patronen zu verwenden; nicht minder rasch folgte der zweite Gedanke, der unsern Dreysse schon lange Jahre verfolgt hatte, den Zündungsproceß von außen nach innen zu verlegen, das Kupfer des Hütchens, das an und für sich theure Herstellungsmaterial, gänzlich wegfallen zu lassen und die Zündpille einfach der Patrone einzuverleiben. Das war der erste große Schritt, welcher zu unserm heutigen Zündnadelgewehr geführt hat. Rasch machte sich Dreysse jetzt an die Arbeit und mit Beginn des Jahres 1829 wurde das erste Zündnadelgewehr fertig.

Von der Wichtigkeit seiner Erfindung überzeugt, beeilte sich Dreysse, dem Kriegsministerium in Berlin sein neues Zündnadelgewehr einzureichen, das freilich, wie nicht unerwähnt bleiben darf, noch von vorn geladen werden mußte. Man prüfte in Berlin die Waffe, ließ derselben auch alle Anerkennung widerfahren, gab aber Dreysse nach Verlauf von etwa zwei Monaten den Bescheid, daß man das Gewehr für Militärzwecke nicht anwendbar gefunden habe, weshalb es ihm freistehe, nach Belieben darüber zu verfügen. Gleichzeitig wurde unserm Dreysse als Trost für diese Ablehnung auf die Dauer von zehn Jahren die eigenthümliche Construction der Waffe für den Bereich des preußischen Staates patentirt. Hiernach blieb ihm nichts weiter übrig, als sich mit seiner Erfindung an das Ausland zu wenden. Er frug bei Oesterreich an, aber noch schlimmer, als in Berlin, erging es ihm in Wien; der österreichische Gesandte in Berlin schickte ihm sein Modell mit dem Bemerken zurück, daß man keinen Gebrauch davon machen könne, – ‚in Wien gäbe es auch gescheidte Leute‘. Nun, die Oesterreicher,“ fügte mein freundlicher Erzähler hinzu, „sind hart genug für ihren Hochmuth bestraft worden und haben die praktischen Erfolge des Zündnadelgewehrs zu ihrem Schaden in diesem Jahre an sich selbst kennen lernen und erfahren müssen.

Fast wäre es übrigens den Preußen nicht anders ergangen, die Sache hing, wie man zu sagen pflegt, an einem Haare; schon stand Dreysse mit der dänischen Regierung wegen seiner Erfindung in Unterhandlung, als plötzlich und unerwartet von Berlin die Aufforderung an ihn erging, sein Gewehr nochmals einzureichen. Ein merkwürdiger Zufall hatte dazu Veranlassung gegeben. Der Großherzog von Weimar hatte bei Gelegenheit von der Dreysse’schen Zündnadelwaffe Kenntniß erhalten und sich in Sömmerda ein Jagdgewehr mit der neuen Construction anfertigen lassen. Der damalige Prinz Wilhelm von Preußen, unser jetziger König, hörte bei einem Besuche in Weimar (es war noch in demselben Jahre 1829) von dem Gewehre sprechen und der Großherzog beeilte sich, unter Herbeischaffung des in seinem Besitz befindlichen Gewehrs, dem Prinzen die Beachtung dieser Erfindung angelegentlichst zu empfehlen. Fast zu derselben Zeit fand Dreysse einen warmen Fürsprecher in dem damaligen Capitän im zwanzigsten Infanterie-Regiment von Prim, der bei einem Durchmarsch seines Bataillons durch Sömmerda Dreysse und seine neue Waffe kennen lernte und sich lebhaft für die ihm sehr beachtenswerth erscheinende Erfindung interessirte. Der tüchtige Officier machte seine Vorgesetzten, besonders den General von Thiele, auf die neue Waffe und deren Vortheile für Militärzwecke aufmerksam; so erhielt der damalige Kriegsminister von Hake von zwei Seiten her, durch den Auftrag des Prinzen von Preußen und die Empfehlung Prim’s, resp. Thiele’s, dringende Veranlassung der Dreysse’schen’ Schöpfung seine Aufmerksamkeit zuzuwenden und Dreysse zur nochmaligen Einreichung seines Gewehrs aufzufordern.

Die Sache begann jetzt Aufsehen zu erregen. Der Flügeladjutant General Neumann, und der derzeitige General-Adjutant des Königs, nachmaliger Kriegsminister von Witzleben, lernten durch die Bemühungen Prim’s das Gewehr kennen und nahmen sich desselben mit großer Theilnahme an, so daß endlich Dreysse vom Kriegsministerium den Auftrag erhielt, eine Anzahl Cylinder- und Traubengewehre, wie damals das Dreysse’sche Gewehr nach der Form der Kammer genannt wurde, anzufertigen. Dies geschah und die gelieferten Gewehre wurden besonders dazu ernannten Commissionen in Glatz, Graudenz und Erfurt überwiesen. Dreysse sandte zu diesen Prüfungen technische Beiräthe und mit der Handhabung des Gewehrs vertraute Männer nach Glatz und Graudenz ab, während er den Prüfungen in Erfurt selbst beiwohnte. Diese Prüfungen zogen sich bis zum Jahre 1834 hin, da die Gewehre allerdings noch mancherlei Uebelstände und Mängel besaßen, die namentlich hinsichtlich ihrer Verwendung für Militärzwecke sehr in’s Gewicht fallen mußten.“

„Die Commission selbst,“ nahm mein freundlicher Erzähler nach einer kurzen Pause wieder das Wort, „bestand meist aus tüchtigen und vorurtheilslosen Männern. Dagegen gab es viele höhere Militärs, die den alten Zopf nicht los werden konnten und jede Neuerung mit Mißtrauen begrüßten. Da war unter Andern ein hochgeborener Prinz, der von dem schnellen Abfeuern eine übermäßige Erhitzung und das Springen des Gewehres befürchtete; ein alter General hatte allerlei Bedenken [641] von wegen unnöthiger Munitionsverschwendung, ein Dritter wollte überhaupt aus Bequemlichkeit von der ganzen Geschichte nichts wissen und war über die Frechheit empört, daß ein Civilist sich mit solchen Dingen befaßte. Kurzum, die Mehrzahl rieth dringend von der Einführung der Zündnadelgewehre ab und warnte sogar vor den gefährlichen Versuchen mit diesen Waffen. Der gute Dreysse befand sich während der ganzen Zeit in der höchsten Aufregung und litt, wie er oft selbst eingestanden, wahre Folterqualen. Dennoch verlor er nicht den Muth, da er von der Trefflichkeit seiner Erfindung so fest wie von der Wahrheit des Evangeliums überzeugt war. Er schlief keine Nacht und auch am Tage fand er keine Ruhe, bis er alle ihm gemachten Ausstellungen glücklich beseitigt hatte. Die Prüfungs-Commissionen in Graudenz, Glatz und Erfurt wurden endlich wieder aufgelöst, ohne daß damit für das Gewehr Dreysse’s ein weiteres Resultat hatte erreicht werden können.

Dreysse’s neues Zündnadelgewehr.

Die meisten Uebelstände der Waffe, welche gerügt worden waren und sich der Annahme des Gewehrs von Seiten des Ministeriums hartnäckig und mit einem gewissen Rechte entgegengestellt hatten, ließen sich auf die bei dem Gewehr noch vorhandene Vorderladung zurückführen. Dadurch wurde Dreysse auf den schon früher hartnäckig verfolgten Gedanken zurückgeleitet, die Herstellung eines von hinten zu ladenden Zündnadelgewehrs zu versuchen, wobei der Ladestock ganz entbehrlich und die Ladung des Gewehrs höchst vereinfacht würde, und im Jahre 1836 wurde es ihm nach den verschiedensten mühevollsten Versuchen möglich, dem Kriegsministerium sein erstes von hinten zu ladendes Zündnadelgewehr vorzulegen.

Inzwischen hatte Dreysse auch der Vervollkommnung der Zündmasse ununterbrochen seine Aufmerksamkeit zugewendet und es war ihm gelungen, jene eigenthümliche Mischung, die, wenn auch nicht in ihren Bestandtheilen, so doch in dem Verhältniß der Theile noch immer ein Geheimniß ist, zu finden und damit alle von ihm selbst an die Zündmasse gestellten Anforderungen erreicht zu sehen.

Noch bevor das Ministerium über die ihm überreichte neue Waffe hatte zur Entscheidung kommen können, hatte Dreysse unter Hinzufügung einiger weiteren Verbesserungen und Veränderungen mehrere Gewehre dieser Construction anfertigen lassen, und der zufällig in Sömmerda weilende Major von Eberstein, der mit diesem Gewehre selbst einige glückliche Schießversuche auf sechshundert Schritt Distanz gemacht, nahm zwei solche Gewehre mit nach Berlin. Der Kriegsminister von Witzleben war damals krank und übertrug dem Major (nachmaligem Reichskriegsminister) Pencker die Prüfung der Waffe. Die Schießversuche wurden im Garten des Ministers in Gegenwart verschiedener Militärs, seines Spandauer Gewehrfabrikanten und anderer Personen vorgenommen. Rudolph Dreysse war wie immer der Schütze. Als derselbe sich zum Schießen rüstete und die erste Patrone in die von hinten geöffnete Kammer legte, riß Alles aus, weil man bestimmt ein Zerspringen des Gewehres erwartete. Nach zehn Schüssen, die sämmtlich in’s Schwarz der Scheibe trafen, trat man neugierig näher; Schuß auf Schuß folgte, der Zieler sagte stets Schwarz an. Stoff, der Spandauer Gewehrfabrikant, der erklärlicherweise sehr eifersüchtig auf das Gewehr werden mußte, zum Theil wohl auch ungläubig war, warf dem Zieler vor, er passe nicht auf und klebe die Löcher der Scheibe nicht gehörig zu; er, Stoff, habe die Kugel hundertundfünfzig bis zweihundert Schritte vom Schützen entfernt aufschlagen sehen. Stoff hatte nicht ganz Unrecht, aber nicht die Kugeln, sondern die Spiegel waren aufgeschlagen. Stoff stellte sich nunmehr selbst an die Scheibe, wieder folgte Schuß auf Schuß, Treffer auf Treffer. Jetzt schossen auch die übrigen Herren der Reihe nach mit, zu ihrer Verwunderung trafen auch sie meistens. Rudolph Dreysse hatte noch zwölf Patronen übrig; er wurde gefragt, wie viel er in der Minute feuern könnte; er schoß fünf Schuß, fünf Treffer in der Minute. Wie er sich daran macht, die letzten sieben Schuß abzugeben, greift Stoff eine Hand voll Sand auf und wirft sie, als Dreysse sich anschickt zu laden, auf die geöffnete Kammer des Gewehrs, um damit nach seinem Dafürhalten den Beweis zu liefern, daß das Gewehr, wenn staubig geworden, seine Dienste versagen müßte. Doch noch sieben Schuß rollten hin, und noch sieben Mal hatte der Zieler Schwarz anzusagen – das Dreysse’sche Gewehr hatte sich glänzend bewährt! Rudolph Dreysse hatte mit seinem Zündnadelgewehr bei hundert Schuß einundneunzig Treffer geliefert!

Dieser Schießversuch entschied. Im Herbst 1840 befahl der König Friedrich Wilhelm der Vierte die Einführung des Zündnadelgewehrs. Zunächst sollten damit sämmtliche Füsilier-Bataillone bewaffnet werden; Dreysse erhielt Auftrag zur Anfertigung von sechzigtausend Gewehren und gleichzeitig wurde das Ministerium angewiesen, Dreysse die Geldmittel vorschußweise zu gewähren, deren dieser zur Erbauung einer großen Gewehr- und Munitionsfabrik bedurfte. Derart entstand im Laufe des Jahres 1840 die Sömmerdaer Gewehrfabrik, die im Herbst des nächsten Jahres in Betrieb gesetzt wurde.

Man hätte meinen sollen, Dreysse stehe nun am Ziele, allein dem war nicht so. Der gefährlichste Feind, den er zu überwinden hatte, war, seinem eigenen Geständnisse nach, die Gewohnheit, die das alte Percussionsgewehr nicht aufgeben mochte. Neid, Mißgunst und Cabalen kamen wohl auch dazu, und so wurden bald von Neuem viele Stimmen gegen die Dreysse’sche Erfindung laut. Das Kriegsministerium ordnete darum für 1846 einen großen Schießversuch in Spandau an; leider schien bei diesem ein eigenthümlicher Unstern über dem Zündnadelgewehr zu walten, indem gleich in den ersten Tagen viele Nadeln durch Verbiegen oder Zerbrechen untauglich wurden. Dreysse’s Gegner triumphirten, das Zündnadelgewehr wurde für nicht gut und unausführbar erklärt und der alte Mann erhielt bereits die Nachricht, daß man die angefertigten sechzigtausend Stück Gewehre nicht würde gebrauchen können und ihm als ‚alt Eisen‘ zur Verfügung stellen müssen. Da machte er sich selbst wieder auf die Beine nach Berlin und setzte wenigstens eine Wiederaufnahme der Versuche durch.

Bei allen diesen Schwierigkeiten und Verlegenheiten verlor jedoch Dreysse keinen Augenblick Vertrauen und Muth und legte damit das beste Zeugniß von seiner Charakterstärke ab, die trotz der schmerzlichsten Täuschungen und härtesten Prüfungen nicht wankte. Das Zündnadelgewehr hatte sich zwar später im badischen Feldzuge bewährt, demungeachtet war aber an maßgebender Stelle in Berlin noch immer kein definitiver Entschluß erfolgt, hatte daselbst noch immer nicht ein endgültiges Urtheil Platz greifen können. Der König sah indeß ein, daß hier etwas Bestimmtes geschehen müsse, die Bewaffnung des preußischen Heeres konnte nicht lange mehr Frage bleiben, zumal alle an Preußen angrenzenden, dessen Militäreinrichtungen mit wachsender Aufmerksamkeit verfolgenden Staaten sich für ein oder das andere der geltend gewordenen Gewehrsysteme definitiv entschieden hatten. Der König ordnete deshalb einen letzten großen Schießversuch für das Jahr 1850 an; gleichzeitig befahl derselbe, daß mit dem Dreysse’schen Zündnadelgewehr auch die übrigen bedeutenderen Gewehrsysteme zur Prüfung gelangen sollten. So kam der denkwürdige Schießversuch und Schießwaffen-Wettkampf theils in Potsdam, theils in Spandau zu Stande, dem der König in eigener Person beiwohnte und bei welchem die Waffen eines Thouvenin, Minié, Podewil, die Dornbüchse und der Schweizer Stutzen mit dem Dreysse’schen Zündnadelgewehr um den Sieg rangen. Dreysse entsandte zu diesem Kampf völlig zuverlässige Gewehre und sichere Schützen, unter denen wiederum sein Bruder, der inzwischen zum Oberrevisor ernannt worden war, hervorragte. Der Erfolg gab den Ausschlag: das Dreysse’sche Gewehr siegte mit dreiundneunzig Procent Treffer, einem Resultat, hinter welchem alle übrigen Waffen weit zurückblieben, ungerechnet der Vorzüge des Gewehrs durch Schnelligkeit des Ladens und Feuerns und durch die Fähigkeit, damit größte Distanzen nehmen zu können.

Das Schicksal des Zündnadelgewehrs war hiermit entschieden; der König befahl die Bewaffnung der gesammten preußischen Armee [642] mit dem Zündnadelgewehr, Dreysse erhielt den Auftrag größtmöglichster Erweiterung und Ausdehnung seiner Fabrik und ebenso wurde mit ihm ein Abkommen geschlossen, demzufolge der Staat berechtigt sein sollte, mehrere Gewehrfabriken auf eigene Rechnung zu bauen und zu betreiben. Das Zündnadel- und Hinterladungssystem wurde weiter auf die Büchse, den Carabiner, die Pistole, ja selbst den Revolver ausgedehnt, und die Sömmerdaer Gewehrfabrik hat von dem Tage ihrer Gründung an bis heute etwa vierhunderttausend Stück Schießwaffen aller Art nach dem System Dreysse’s geliefert. Daß Preußen mit der neuen Bewaffnung nicht allein ein specifisch preußisches, sondern ein allgemein deutsches Interesse verfolgte, wird am besten durch die Thatsache bewiesen, daß es allen jetzt im norddeutschen Bunde vereinigten Staaten Deutschlands das Zündnadelgewehr noch vor Errichtung des Bundes in die Hand gedrückt hatte. Hannover, Kurhessen und Nassau, welche sich gegen die Annahme des vortrefflichen Gewehrs aus kleinlichen Motiven gewehrt hatten, sind nicht mehr; Sachsen und Hessen-Darmstadt werden sich derselben nicht länger widersetzen können; der norddeutsche Bund wird zugleich ein Zündnadelgewehr-Bund sein.

Wie Dreysse von dem König von Preußen ausgezeichnet wurde, ist Ihnen natürlich bekannt. Sie würden indeß irren, wenn Sie glauben sollten, daß nunmehr die Dreysse’schen Bestrebungen einen Abschluß erhalten hätten. Der unermüdliche Eifer, die nie rastende Thätigkeit, der Drang zu schaffen hat in dem jugendlichen Greise fortgewirkt; verschiedene wichtige Erfindungen Dreysse’s haben die Trefffähigkeit und Sicherheit des Gewehrs erhöht, die Tragweite der Geschosse vergrößert; die Erfindung der Explosions- und Brandgeschosse folgt der Herstellung des vortrefflichen Langbleis; die speciell für die Festungen und deren Vertheidigung construirten von hinten zu ladenden Wallbüchsen und sogenannten Amusetten warten noch immer ihrer Anwendung und Erprobung. Heute steht der im nächsten Monat neunundsiebenzigjährige Mann im Begriff, Preußen ein neues Gewehr zu übergeben, um damit die Anstrengungen der europäischen Mächte, die, erschreckt durch die Wirkungen seines Zündnadelgewehrs, in schlechtverhehlter Furcht und mit unüberlegter Hast die massenhafte Fabrikation von Hinterladungsgewehren decretiren, um ein gutes Stück wieder zu überholen; heute will Dreysse durch seine neue Zündnadel-Doppelkanone dieselbe Revolution in der Artillerie hervorrufen, zu welcher er die Infanterien sämmtlicher europäischer Staaten genöthigt hat. Ich kann Ihnen über die neuesten Schöpfungen Dreysse’s nicht viel erzählen, wenigstens nicht viel Zuverlässiges; wollen Sie sich aber einen Begriff von der neuen Waffe Dreysse’s verschaffen, so begeben Sie sich morgen Nachmittag in die Nähe des Dreysse’schen Schießplatzes, der gleich hinter der langen Brücke über die Unstrut beginnt und sich bis zu der Weißenburg ausdehnt. Sie werden von Weitem sehr gut dort soviel sehen und erfahren, daß Sie auch Anderen davon einen, wenn auch mehr äußerlichen Begriff davon verschaffen können. Ein Mehreres ist auch um der Sache willen und gegenüber der Aufmerksamkeit unserer offenen Feinde und zweifelhaften Freunde für’s Erste nicht nöthig.“

Mein freundlicher Erzähler hatte mich nicht falsch berichtet; am nächsten Nachmittage fand ich Gelegenheit, Dreysse’s Schießversuche mit seinen neuen Waffen beobachten zu können. Zur Seite des Dreysse’schen Schießplatzes stehen einzelne Bäume und Sträucher; hier faßte ich Posto. Die kleine Cavalcade kam bald nach mir an und nahm glücklicherweise mir ziemlich gegenüber Stand.

Die Vorrichtungen zu den Schießversuchen, wie die vorbereitenden Unterredungen nahmen eine geraume Zeit in Anspruch; mir wurde dieselbe nicht lang. Mich fesselte die eigenthümliche Form und Gestalt der Waffen, unter denen ich deutlich zwei Gattungen von Handfeuerwaffen und zwei Gattungen von Kanonen unterschied, und mit der größten Spannung haftete mein Auge an der Person des mir bereits bekannten alten Herrn von Dreysse. In der Entfernung von tausend Schritt (wie ich nach Beendigung der Schießversuche erfuhr) wurde eine Scheibe postirt; ein noch jung aussehender Mann nahm eines jener wunderlichen Werkzeuge, von dem nur das Rohr eine entfernte Aehnlichkeit mit einer Schießwaffe verrieth, und bald sah ich den ersten Blitz, hörte den ersten Knall; zehn Schuß fielen schnell hintereinander. Bald stand, bald saß, bald lag, bald kniete der Schütze; sein linker Arm handhabte das Gewehr, der rechte Ellenbogen stützte dasselbe, die linke Schulter hielt die Waffe. Nach zehn Schüssen eine Pause; der alte Herr nickte zufrieden, der Schütze hatte in allen möglichen Stellungen auf tausend Schritt eine Scheibe von acht Fuß Breite und sechs. Fuß Höhe mit zehn Schuß zehn Mal getroffen; das Experiment wiederholte sich mehrere Male, jedesmal mit demselben Erfolg. Zuletzt mußte der Schütze Befehl zum Schnellfeuern erhalten haben, zehn Schüsse fielen rasch hintereinander und der Erfolg ergab acht Treffer; ich beobachtete die nächsten zehn Schüsse nach meiner Uhr, sie erforderten nicht mehr als einundeinviertel Minute. Das Gewehr wurde bei Seite gelegt, ein ähnliches, an dem ich nur ein stärkeres Rohr wahrnehmen konnte, wurde vorgenommen, die Scheibe gleichzeitig um etwa fünfhundert Schritt hinausgerückt. Das Schießen begann von Neuem; es mußten Explosions-Geschosse sein, mit denen geschossen wurde, denn nach jedem Schuß ertönte von der Scheibe her, die mir fast völlig unsichtbar war, ein eigenthümliches, starkes, einer Explosion ähnliches Geräusch.

Das war das neue Zündnadelgewehr Dreysse’s ohne Schaft und Kolben, ganz von Eisen, drei Pfund leichter und zwei bis drei Thaler billiger, das in der Minute acht Mal abgeschossen werden kann und auf tausend Schritt seinen Mann nicht fehlt; das war ferner die neue Zündnadelbüchse Dreysse’s, welche auf eintausendfünfhundert Schritt noch Geschütze zu demoliren, Munitionswagen in die Luft zu senden und mit einem in acht Theile sich theilenden Geschoß möglicherweise acht Mann kampfunfähig zu machen vermag. Statt Schaft und Kolben hat das Gewehr in gewundener Form einen Stoßstempel, dessen Schulterstück eine ähnliche, aber viel praktischere Form wie die Schweizer Hakenkappe hat, vermöge welcher das Gewehr fest an der Schulter des Schützen sitzt; dadurch ist das beschwerlichere und unsichere Schießen aus freier Hand beseitigt. Die rechte Hand des Schützen wird völlig frei und kann mit Leichtigkeit und größter Schnelligkeit von der Patrontasche zur Kammer, von der Kammer zum Drücker, vom Drücker wiederum zur Kammer wandern. Beim Laden wird das Gewehr nicht von der Schulter gebracht. Auch der Vorwurf leichten Verbrennens der Nadel, der zuweilen dem Zündnadelgewehr gemacht worden, ist bei der neuen Waffe unmöglich geworden, da der Mechanismus der Abzugsfeder ein fast gleichzeitiges Vor- und Rückspringen der Nadel bewirkt, so daß diese dem, wenn gleich von ihr selbst bewirkten, Explosionsproceß stets fern bleibt. Ueberdies ist das ganze Gewehr bis auf das Bajonnet und die Ladungseinrichtung der bequemen Handhabung wegen mit Leder überzogen.

Wieder wurde die Scheibe noch weiter hinausgerückt, die kleinste der Kanonen wurde vorgefahren; zu meiner Verwunderung erblickte ich jetzt zwei Rohre in einem Geschütz zusammen nebeneinander vereinigt. Zwischen den Rohren befindet sich eine Lafette, welche den Munitionskasten hält, zwischen der Lafette und den Rädern rechts und links je ein Rohr, hinter jedem Rohr nimmt nur je ein Mann sitzend Platz. Auf einen Griff und Ruck öffnet sich der hintere Theil des Rohrs, der Bedienungsmann greift je nach seinem Sitz mit der rechten Hand nach links oder mit der linken Hand nach rechts, wo eine Cartouche bereit liegt; so wie dieselbe weggenommen wird, rollt bereits längs der Lafette aus dem Munitionskasten eine Ersatz-Cartouche von selbst nach. Der Schütze rüstet das Kanonenrohr, er handhabt dasselbe wie ein Handgewehr nach rechts und links, nach oben und unten, die Rohre haben Circularbewegung. Der Kanonier legt sich immer fester in die seine Brust stützende, auf einem Stoßstempel befestigte Gabel, die wie sein Sitz mit Leder überzogen; ein Ruck, das Rohr steht fest, einen Augenblick darauf rollt der Schuß dahin, der Schütze ist unverändert auf seinem Platze sitzen geblieben, ein Rückstoß ist kaum wahrzunehmen gewesen. Gleich darauf ertönt vom zweiten Rohre der zweite Schuß und nun beginnt sich von dem einen Geschütz ein völliges Geschützfeuer zu entwickeln; die Schüsse folgen rascher und rascher, ich zähle endlich in der Minute acht Schuß, je vier auf jedes Rohr. Pausen treten nun ein, um die Resultate der Schüsse festzustellen und hier und da die Scheibe noch weiter hinauszusetzen; das ist Dreysse’s Zündnadel-Doppelkanone. Ein zweites Geschütz wird angefahren, dieselbe Construction, dieselbe Gestalt, dieselbe Handhabung; die Rohre des erstern waren ihrem Caliber nach den Dreipfündern, die des zweiten Geschützes den Sechspfündern ähnlich. Nach dem dritten Schuß allgemeiner Jubel. Ich blicke nach der Seite hin, wo das Ziel sich befinden muß, und entdecke Feuerschein. Ein aus einem [643] sechspfündigen gezogenen Rohr geworfenes Projectil hatte auf zweitausend Schritt Distanz eine eiserne geschmiedete Platte von zwei Zoll durchbohrt und das dahinter liegende Holzwerk entzündet; wenigstens wurde mir nach Beendigung des Schießversuches so von einem Manne der Bedienungsmannschaft erzählt.

Nach dreistündigem Schießen und Kanoniren endete der Schießversuch; Dreysse wandte sich zum Heimgange, die Truppe folgte mit ihren Geschützen. Ich näherte mich mehr und mehr und befand mich innerhalb der in die Stadt führenden Pappelallee dicht hinter den Geschützen, so daß ich völlig Gelegenheit fand, mir Gestalt und Form wie nähere Beschaffenheit der neuen Waffen und ihrer Construction zu merken. Die Figur des neuen Zündnadelgewehrs habe ich flüchtig abgezeichnet, Weiteres jedoch über diese Gewehre und Geschützes an dieser Stelle zu geben, halte ich zur Zeit für ungeeignet, wenn mich auch kein Versprechen, keine Verpflichtung bindet. Aber fragen mußte ich mich: wird der große Waffen-Reformator auf die Prüfung und Annahme seiner neuesten Schöpfungen wiederum so lange zu warten haben, wie auf die Einführung seines Zündnadelgewehrs? Wird man an der maßgebenden Stelle bald den Befehl geben, wieder einmal und mit Ernst dem alten Dreysse seine Aufmerksamkeit zuzuwenden? Möge das Wort bald fallen, damit Preußen der Vorrang der ausgezeichnetsten und besten Bewaffnung gewahrt bleibe!

Unter diesen Gedanken und Hoffnungen war ich mit der Truppe wieder an das Wohnhaus Dreysse’s gelangt. Die Waffen verschwanden rechts im Arsenale, links bog der muntere Greis in den Hof seines Wohngebäudes ein, warf noch einen Blick auf seine Blumen und zog sich dann in seine Gemächer zurück, um nach wenigen Stunden die Ruhe zu suchen, die einen Tag wie den andern um neun Uhr Abends beginnt und um fünf Uhr Morgens aufhört.

Den Vormittag hatte ich zu einer Besichtigung der Localitäten und Baulichkeiten der Fabrik benützt, soweit dies irgend möglich war. Die Dreysse’sche Gewehrfabrik besteht aus vier verschiedenen Gebäudecomplexen, die sich theils rechts, theils links der Unstrut erheben, an welcher die Stadt liegt. In dem einen, dem sogenannten Rohrhammer, wird das Rohr bis zum Einlegen in den Schaft fertig gemacht und ausschließlich mit durch Wasser und Dampf getriebenen Maschinen bearbeitet. Ebenso werden darin die Ladestöcke, Bajonnete, die Hülsen, wie überhaupt alle gröberen Arbeiten des Gewehrs angefertigt.

Ein anderer Complex begreift die Dreysse’s Wohnhaus umschließenden eigentlichen Maschinen-Werkstätten. In diesen Werkstätten werden alle in den verschiedenen Theilen der Fabrik benöthigten Maschinen angefertigt. In der Construction dieser Maschinen zeichnet sich namentlich der Sohn Dreysse’s, Commissionsrath Franz von Dreysse, ein hochgebildeter, leider aber etwas unzugänglicher Mann, aus, der, beiläufig bemerkt, schon seit vielen Jahren Geschäftsdirigent ist, nachdem Nikolaus von Dreysse sich lediglich den Betrieb und die Ueberwachung der wenigen Werkstätten vorbehalten hat, in welchen er seine Experimente leitet, seine neueren Erfindungen ausbildet. Die unscheinbare Werkstelle zu rechter Hand im Hofe des Wohngebäudes, der wir im Anfange unserer Erzählung Erwähnung gethan haben, sowie eine zweite Werkstelle auf der anderen Seite des Pfarrbeutels, bergen die gediegensten und geschicktesten Schlosser Deutschlands, Feiler wie Dreher. Sie sind Dreysse’s Lieblinge und erfreuen sich seiner besonderen Theilnahme, denn sie geben seinen Ideen und Gedanken Fleisch und Blut, oder vielmehr, da hier nur Stahl und Eisen in Betracht kommt, Form und Gestalt.

Endlich am nördlichsten Ende der Stadt, wiederum hart an der Unstrut, dehnt sich in einem mächtigen länglichen Viereck die sogenannte eigentliche Gewehrfabrik aus, die mit ihren zahlreichen Arbeitssälen, ihren vielen hundert Fenstern, durch welche die großartigsten Maschinen sichtbar werden, ihrem wahrhaft infernalischen Lärm, ihren Tausenden von Arbeitern beiderlei Geschlechts einen imposanten Anblick gewährt. Der Eintritt in die Gewehrfabrik ist gekrönten Häuptern versagt worden, wenn sie keinen von höchster Hand ausgestellten Creditbrief mitbrachten; kein Wunder und kein Aerger, daß auch mich der den Eingang bewohnende Cerberus freundlich, aber entschieden abwies. In diesem Theile der Gewehrfabrik werden alle übrigen Bestandtheile des Gewehrs, außer Rohr, Bajonnet und Ladestock, also die verschiedenen Theile der Kammer, die Beschläge und Ringe, der Schaft u. s. w. verfertigt.

Aus dem Hintergrunde blickt verborgen unter alten Bäumen und dichten Sträuchern ein seltsames Gebäude etwas unheimlich hervor, man kann zu ihm nur vermittels einer Bogenbrücke über die Unstrut gelangen; das ist die Munitionsfabrik Dreysse’s, der Ort, wo trotz der zahlreichen munteren Arbeiterinnen und der romantischen Lage der plötzliche Tod verborgen lauert. Eine nie schlummernde Aufsicht, nie aus den Augen gesetzte Vorsicht haben die früher öfter vorkommenden Explosionen zwar auf äußerst seltene Fälle beschränkt, aber immerhin bleiben die im Pulver, Antimon, Knallquecksilber schlummernden höllischen Kräfte der menschlichen Kraft überlegen und spotten aller zu ihrem Darniederhalten aufgewendeten Vorsichtsmaßregeln. Wer einen Begriff davon erhalten will, der beschaue sich nur die verstümmelten Gliedmaßen des trotz seines Alters und trotz der erlebten vielen Explosions-Campagnen noch sehr munteren Werkführers. –

Zum Schluß sei mir noch gestattet einen Scherz Dreysse’s zu erzählen, der mich am besten einer weiteren Schilderung seines Charakters überhebt, da er zur Genüge die Schlichtheit und Bescheidenheit bezeichnet, welche den Mann trotz aller ihm gewordenen Ehren keinen Augenblick im Leben verlassen.

Dreysse besitzt außer dem obenerwähnten Sohne noch zwei Töchter, von denen die ältere an den Oberst v. Besser verheirathet ist, die jüngere mit dem bei Königgrätz gefallenen Hauptmann v. Garczynski vermählt war. Nach Empfang der traurigen Botschaft hat sich die noch junge Wittwe mit ihren Kindern nach Sömmerda zu ihrem Vater zurückgezogen. Jeden Augenblick, den der alte Herr sich abmüßigen kann, bringt er nun bei der trauernden Tochter und den verwaisten muntern Enkeln zu. Eines Tages bittet die Tochter den Vater, ihr doch einen Schlosser herüberzusenden, der ihr ein verdrehtes Schloß des Secretairs repariren solle. Lächelnd antwortet ihr Dreysse: „Meine Tochter, wozu einen Schlosser? Das ist ja mein Fach.“ Spricht’s, nimmt den Schlüssel und nach wenigen Versuchen öffnet er mit Leichtigkeit das Schloß. Das war doch wohl derselbe Dreysse, der fünfzig Jahre früher von Paris zurückkehrte, um seinem Vater bei der Schlosserei zu helfen!