Textdaten
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Autor: Claire von Glümer
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Titel: Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 270–2272
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[270]
Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.
Von Claire von Glümer.
IV.

Mit der Scheidung trat Wilhelmine Schreiber-Devrient in die Sturm- und Drangperiode ihres Lebens ein. Während sich ihr ganzes Wesen in Kampf und Schmerz rasch entwickelte, wurde sie auch immer selbstbewußter in ihrem künstlerischen Schaffen; mehr und mehr offenbarte sich in ihr jene Gluth und Kraft, durch welche sie auf der Bühne wie im Leben so unwiderstehlich hinriß.

Um die Kunst war und blieb es ihr bis an’s Ende heiliger Ernst, und ihrem schöpferischen Genius kam der beharrlichste Fleiß zu Hülfe. Mit Entrüstung hörte sie die vielverbreitete Ansicht aussprechen, daß Talent und Genie nicht zu arbeiten brauchen.

„Es ist ja doch nur ein ewiges Suchen in der Kunst,“ sagte sie oft, „und der Künstler ist verloren, ist todt für die Kunst, sobald er sich dem Wahne hingibt, am Ziel zu sein. Bequem ist es freilich, mit dem Costüm die ganze Aufgabe abzustreifen und ruhen zu lassen, bis man sie nach Anordnung des Repertoirs wieder aufnehmen muß. Ich habe das nie gekonnt. Wie oft, wenn mir das Publicum seinen Beifall zujauchzte und mich mit Blumen überschüttete, bin ich beschämt in mein Kämmerlein gegangen und habe mich gefragt: Wilhelmine, was hast Du nun wieder gemacht? und dann hat es mir keine Ruhe gelassen; ich habe tagelang, nächtelang darüber nachgedacht, bis ich das Bessere gefunden hatte.“

Sehr empfindlich war die Künstlerin gegen die Verstöße und Unachtsamkeiten, durch welche der Schauspieler so oft die Illusionen des Publicums zerstört. Es empörte sie, wenn Rebecca den Schmuck, durch den sie ihre Rettung zu erkaufen versucht und von dem sie noch eben gesagt hat: „er ist von hohem Werth“, zu Boden fallen läßt, sobald sie seiner nicht mehr bedarf; oder wenn Agathe das Taschentuch, das sie als „Flagge der Liebe“ dem Geliebten entgegen wehen ließ, in die Coulisse wirft, wenn die Arie zu Ende ist. „Es fehlt diesen Leuten an Respect vor ihrer Kunst,“ sagte sie; „sonst könnten sie sich nicht in dieser Weise gegen sie versündigen.“

Bis in die geringsten Einzelheiten suchte sie sich ihre Aufgabe klar zu machen. Sie studirte nicht allein am Charakter der Musik, es genügte ihr nicht, die Handlung des Stückes, die Gestalten der Mitspielenden und vor allem das Wesen, das sie selber darstellen sollte, bis in die leiseste Nüance jeder Stimmung zu kennen, auch das äußere Beiwerk war ihr wichtig. Sie lernte fechten, um den Romeo geben zu können; sie forschte nach den Sitten des Landes und der Zeit, worin sich die Handlung jedes Stückes bewegte, nach den geselligen Formen der verschiedenen Stände, nach den häuslichen Gebräuchen, und ihr Costüm war immer aufs Genaueste dem Geist ihrer Rolle angepaßt.

Dabei wurde sie von dem richtigsten Instinct, dem feinsten Geschmack geleitet. Eine reich gekleidete, mit Schmuck überladene Agathe, eine Emmeline in Florschürze und seidenem Mieder, eine Norma oder Armida mit geschnürter Taille war ihr ein Gräuel. Gegen die Ristori, die sie nie gesehen hatte, war sie eingenommen, weil diese Künstlerin auf einem ihrer Bilder den antiken Gürtel mit der Spitze nach unten trägt. Es war Wilhelmine unbegreiflich, wie eine „gescheidte Frau“ solchen Verstoß begehen könnte. Sie wußte freilich ebenso genau um den Hochzeitsschmuck einer altdeutschen Bürgerstochter Bescheid, wie um das Priestergewand einer Vestalin und um die Tracht des Schweizermädchens, wie um den malerischen Anzug einer Jüdin aus dem 12. Jahrhundert.

Wenn sie die Agathe gab, trug sie im ersten Act ein schmuckloses, häusliches Kleid, wie sich’s für eine Försterstochter paßt. Um die Stirn hatte sie als Vorband ein weißes Tuch gelegt, um den Zuschauer an die Verwundung durch das herabstürzende Bild zu erinnern, von der wir heutzutage, bei der undeutlichen Aussprache der meisten Sängerinnen, kaum etwas erfahren. Erst zu Ende des Duetts mit Aennchen nahm sie das Tuch wieder ab. Im zweiten Act ließ sie das blonde Haar in langen Locken auf die Schultern fallen – ein Schmuck, der in alten Zeiten Vorrecht der Bräute war. – Ihr Kleid war von schlichtem weißen Stoff und altväterischem Schnitt, an die Zeit des 30jährigen Kriegs erinnernd, und die grüne Schärpe, die sie leicht um die Taille geschlungen hatte, bezeichnete ebenso graziös als zeitgemäß die deutsche Jägerbraut.

Als Emmeline erschien sie in einem Rock von grobem Wollenzeug, in einfachem rothen Mieder mit Hemdsärmeln von Leinwand. Dazu trug sie eine weite Schürze, bunte Strümpfe, die vom Knie zum Knöchel reichten, sodaß sie barfuß in ihren Lederschuhen stand, und das blonde Haar fiel in langen Zöpfen über den Rücken hinunter. Aber auch in dieser schmucklosen Tracht war sie von hinreißender Schönheit. Wenn sie im dritten Act am Fenster der Hütte erschien, die Hände gefaltet, die Augen in träumerischer Freude zum Himmel erhoben, sprach sich die Bewunderung des Publicums oft so stürmisch aus, daß sie eine ganze Weile wie im stummen Gebet dastehen mußte, ehe sie das Terzett:

Ach, wie herrlich ist der Morgen;
es verschwinden alle Sorgen!

beginnen konnte.

Ueber den Romeo sagt sie in einem Brief an Emmy La Grua, eine junge Sängerin, die sich, wie viele Andere, Rath und Belehrung suchend an sie gewendet hatte: „Die größte Schwierigkeit für die Darstellung dieser Rolle liegt darin, daß sie für eine Frau geschrieben wurde; die Künstlerin hat daher die ungeheuere Aufgabe, ihr Geschlecht vergessen zu machen und in Haltung, Bewegung, Stellung einen feurigen, von der ersten Liebesgluth durchdrungenen Jüngling darzustellen. Nichts darf ihr Geschlecht verrathen, soll die ganze Situation nicht lächerlich werden. Sie muß gehen, stehen, hinknieen wie ein Mann; sie muß den Degen ziehen und sich zum Kampfe anstellen wie ein geübter Fechter, und vor allen Dingen muß alles Weibische aus ihrem Costüm verbannt sein. Keine zierlichen Locken, kein eingezwängter Fuß, keine „schöne Taille“! Das Hutaufsetzen und Abnehmen, das Handschuh-Aus- und Anziehen ist nicht minder wichtig.“

Wie Wilhelmine Schröder-Devrient diese Aufgabe erfüllte, wird Jedem unvergeßlich sein, der sie darin bewundern durfte. Vom ersten Auftritt an, wo Romeo mit festem Schritt und trotzig erhobenem Kopfe an der Spitze seiner Krieger erscheint, um den Capuletti Frieden zu bieten, bis zu dem letzten Aufschrei im Todeskampfe, dem letzten Zusammensinken an Giulietta’s Sarge war sie in jedem Blick, in jedem Zucken der Lippe, in jeder Handbewegung der stolze Patriciersohn, der liebeglühende junge Held, den sie – Shakespeare nachdichtend – in die Bellinische Oper übertrug.

In dieser dichterischen Kraft, die ihr in einem Maße verliehen war, wie keiner anderen Bühnenkünstlerin, lag das Geheimniß ihrer Größe. Im Fidelio, in Donna Anna, in Gluck’s und Weber’s Opern, in allen Rollen, in die sie sich mit Bewunderung und Liebe versenkte, befähigte sie diese Kraft, sich jeder Intention des Meisters anzuschmiegen und Alles, was er gedacht, gefühlt, vielleicht nur geahnt hatte, so lebendig zu gestalten, daß die Darstellung das vollendetste Weiterschaffen im Sinn und Geist des Dichters, des Componisten war. Aber wurde ihr eine jener gehaltlosen Aufgaben zu Theil, wie sie in hundert alten und neuen Opern zu finden sind, so waren Dichtung und Handlung nur noch der Rahmen, in dem sich ihre Dichtung bewegte, und die Musik war nur das Idiom, in welchem sich ihre Freuden und Schmerzen, [271] ihre Sehnsucht oder Leidenschaft aussprach. Darum erschien selbst Bellini’s Musik gewaltig, wenn sie den Romeo sang.

Sie hat uns oft erzählt, wie ihr der Romeo – später eine ihrer Lieblingsrollen – „offenbart“ wurde. Die Capuletti und Montecchi wurden in Dresden zuerst von der italienischen Operngesellschaft gegeben. Signora Schiasetti gab den Romeo. Von einer längeren Urlaubsreise zurückkommend, hatte Wilhelmine die Oper einige Mal gesehen, hatte aber – so wenig wie das übrige Publicum – weder dem ungeschickten Text noch der seichten Musik Geschmack abgewinnen können. Plötzlich wurde ihr die Partie des Romeo mit dem Bemerken zugeschickt, daß sie dieselbe in acht Tagen für die erkrankte Signora Schiasetti singen müsse. Wilhelmine erschrak vor dieser Aufgabe; es erschien ihr fast unmöglich, die große Rolle in so kurzer Zeit, noch dazu in fremder Sprache, einzustudiren. Dennoch ging sie fleißig an’s Werk, und es gelang ihr, sich die Musik in der gegebenen Frist zu eigen zu machen. Aber die Gestalt, die sie darstellen sollte, war ihr fremd geblieben, sie konnte sich nicht dafür erwärmen, fühlte sich unsicher und war überzeugt, daß sie in dieser Stimmung wenig zu leisten vermöchte.

„Die Befangenheit verschwand zwar, sobald ich in’s Costüm kam,“ sagte sie, „aber statt dessen kam eine Art von Taumel über mich. Als der Vorhang zum letzten Male fiel, wußte ich nicht, was und wie ich gesungen und gespielt hatte. Das Publicum überschüttete mich mit Beifall, ich wußte nicht warum. Ich war wie im Traume. Statt, wie sonst, die Kleider zu wechseln, ließ ich mir nur den Mantel geben, fuhr nach Hause, warf mich – noch immer im Costüme Romeo’s – auf das Sopha und blieb dort, die Hände unter den Kopf gelegt und mit weit offenen Augen zur Decke starrend, bis fünf Uhr Morgens liegen.“

In diesen Stunden zog die Oper Scene auf Scene an der Künstlerin vorüber. Sie sah Romeo – ihren Romeo, wie er an diesem Abend das Publicum entzückt hatte – eine herrliche Jünglingsgestalt voll Feuer und Leben. Stolz, trotzig, aufbrausend dem Feinde gegenüber, liebeglühend im Verkehr mit Julia, aber auch hier unfähig, den stolzen Sinn zu beugen. Wie flammt er auf, als das Mädchen, sich nicht entschließen will, mit ihm zu fliehen! wie wendet er sich von ihr ab, stampft mit dem Fuße und preßt die übereinander geschlagenen Arme fest zusammen, als wäre er nur so im Stande, den Ausbruch seines Zorns zurückzuhalten!, Und doch ist die Liebe noch mächtiger als der Zorn. Singend bricht sie hervor mit dem innigen Flehen:

,Des Geliebten Glück und Leben
Sind in Deine Hand gegeben!“.

Er kann nicht leben ohne die Geliebte, er muß sie besitzen und wird den Kampf mit einer Welt nicht scheuen, um sie zu erringen.

Aber plötzlich heißt es: „sie ist todt!“ und nun bricht der junge Held zusammen. Mit dem herzzerreißenden Aufschrei „Giulietta“ wirft er sich zu Boden, als ihr Sarg vorüber getragen wird – und als er sich nach langer, langer Pause langsam aufrichtet, spricht sich’s in dem zum Himmel erhobenen Blick, den wie in Schmerz erstarrten Zügen, dem Zusammensinken der eben noch so kräftigen Gestalt unverkennbar aus, daß alle Saiten dieser tief und heftig fühlenden Seele zerrissen sind, daß Romeo nur im Tode Erlösung zu hoffen hat.

So tritt er, gebrochen und doch stark im Entschluß, zu sterben, in Julias Gruft. Aber die Jugend glaubt schwer an den Tod, die ganze Lebenskraft des Jünglings sträubt sich gegen die Schauer des Grabes. In jedem Wort, in jedem Ton seiner herzzerreißenden Klagen spricht sich das Grausen aus – leise anklingend in dem ersten Seufzer: „Hier ist ihr Grab!“ deutlicher in dem zagenden: „Oeffnet des Sarges Deckel, daß ich sie sehe!“ endlich in dem lauten in Thränen ersterbenden Jammerruf: „Wach’, o erwache bei meinen Klagetönen, Dich rufet, Dich rufet Dein Romeo!“ womit er sich über die Leiche der Geliebten hinwirft. Julia hört ihn nicht; sie bleibt starr und stumm, Romeo muß sterben!

Er trinkt das Gift. Mit verhülltem Gesicht steht er da, sieht nicht, wie Julia erwacht, umherblickt, ihn erkennt. Aus anderen Welten glaubt er ihre Stimme zu hören. Aber sie ruft noch einmal – er wendet sich, sie lebt! Mit vorgestreckten Händen stürzt er vorwärts – nur um einen Schritt, dann bleibt er stehen, wie versteinert vor Entsetzen. Aber nur für einen Augenblick. dann entringt sich ein Schmerzensschrei der tief athmenden Brust und mit dem verzweiflungsvollen Ausruf: „Du lebst!“ schließt er die Geliebte in die Arme. Er will nicht sterben. Noch einmal flammt alle Liebesgluth, alle Lebenskraft in ihm auf – aber der Tod gibt sein Opfer nicht los. Noch einmal umfaßt Romeo mit zitternden Händen das Haupt der Geliebten; noch einmal drückt er den Mund auf das bleiche Antlitz, dann sinkt er zurück, der Blick erlischt, und während das letzte matte Lächeln auf den Lippen erstarrt, greift die Hand wie im Traume nach den Blumen, die auf den Stufen zu Giulietta’s Sarge liegen.

„Als ich im Morgengrauen von meinem Lager aufstand“, erzählte Wilhelmine, „war mir der Romeo, wenn ich so sagen darf, in Blut und Leben übergegangen, und ich habe ihn seitdem mit Begeisterung gesungen.“

Fast immer war die Künstlerin während des Spiels so begeistert, daß ihre ganze Umgebung dadurch gleichsam belebt und vergeistigt wurde. Charakteristisch sind die Antworten, die Jenny Lind, Henriette Sontag und Wilhelmine Schröder-Devrient gaben, als sie gefragt wurden, wie sie bei ihren Darstellungen die Decorationen betrachteten. Jenny Lind sagte: „Für mich existiren keine Decorationen, ich weiß gar nicht, wozu sie da sind. Ich trete hinaus und weiß nicht anders, als daß ich singe, singen muß.“ Henriette Sontag erwiderte: „Ich sehe bei meinem Wirken die Decorationen stets als das an, was sie sind, aber ich bin bemüht, so gescheidt und so eifrig, als es mir möglich ist, sie zu meinen künstlerischen Zwecken zu benutzen. Ich denke und empfinde mich so lange in sie hinein, bis sie mich mit inspiriren können, doch nie so, daß ich mir dessen nicht mehr bewußt wäre.“ Wilhelmine Schröder-Devrient antwortete: „Das Alles ist mir freilich nur Kram und Plunder, aber das Zeug muß zu dem werden, was ich will. Es muß vergeistigt werden, bis es mir wirklich lebt, zu Gestalten wird. Im nächsten Augenblicke ist’s mir zwar wieder der nackte Plunder, aber im Moment haben mir doch wirklich die Bäume gerauscht, die Blumen geduftet, die Cascaden geschäumt, die Gestirne geleuchtet, die Gewitter geflammt und gedonnert. Wem das nicht geschehen kann, der kann selbst nicht flammen und donnern.“

Ging ihr durch zu häufige Wiederholung einer Oper die Illusion verloren, so mußte sie selbst ihre Lieblingsrollen eine Weile ruhen lassen. Wie französische Schauspieler hundert Mal hinter einander dieselbe Rolle ganz in derselben Weise und mit demselben Erfolge geben können, war ihr ein Räthsel. Als sie in London acht Mal hinter einander im Fidelio aufgetreten war, konnte sie ihn eine Weile nicht mehr singen, und daß ihr auch zu andern Zeiten ihre Aufgabe oft schwer geworden ist, spricht sich in ihren Tagebüchern aus. Einmal schreibt sie nach dem Fidelio:

„Das Räderwerk meiner Gefühle konnte heute nicht gehörig in Schwung kommen; es hackte und knarrte recht störend in Beethovens himmlische Harmonien! Unser abscheulich zugiger Musentempel[1], den ein höllisches Feuer verzehren möge – machte meinen ganzen Körper in bitterem Frost erbeben, und die physische Kälte ging über auf meine Seele, die heute wie ein wahrer Eiszapfen war, von dem die göttlichen Töne des Meisters nur einzelne, kaum erwärmte Tropfen loslösen konnten. Nicht immer schwingt sich die Begeisterung zur rechten Höhe. Die moralische Kraft fehlte mir heute, und an den kalten Seelen, die unser Publicum bilden, kann man sich auch nicht wärmen; da gibt es keinen Funken, trotz allem Daraufschlagen! Lederne Seelen!!“

Eine Lieblingsgeschichte der Künstlerin war, wie sie sich von der Aufgabe befreit hatte, in Halevy’s „Guido und Ginevra“ zu spielen. Sie hatte schon manchen häßlichen, unsinnigen Operntext, manche langweilige Composition überwunden, aber diese Ginevra ging über ihre Kräfte. Nachdem sie sich vergebens in Bitten und Vorstellungen erschöpft hatte, um die Aufführung der Oper zu verhindern, beschloß sie, das häßliche Stück „todt zu spielen“.

Im ersten Act trifft Ginevra von Medicis, Tochter des Herzogs Cosmo, ihren Geliebten, den Bildhauer Guido, bei einem ländlichen Feste. Die Sängerin Ricciarda, die den jungen Künstler ebenfalls liebt, wird eifersüchtig und fordert im zweiten Acte den Anführer der Landsknechte, Fortebraccio, auf, die Prinzessin zu ermorden. Er singt zwar erst:

„Sagt, wie kann man denn an Schätzen
Fröhlich sich ergötzen,
Wenn man hoch ohne Gnade
An dem Galgen schwebt?
Nein, ich will ganz bescheiden
Lieber Armuth leiden,
Und will huld’gen der Tugend,
Die mich stets belebt.“

[272] Gleich darauf läßt er sich aber durch einen Schmuck bestimmen, die Unthat zu vollführen. Er bringt der Prinzessin einen vergifteten Schleier, den sie auf der Stelle um ihr Haupt schlingt und der sogleich – während sie einem ländlichen Tanze zuschaut – seine Schuldigkeit thut. Mit dem Ausruf:

„Ha, wehe! welche Qual!
Ein ungeheurer Schmerz, er tobt in mir –
O sterben! – Ha, hinweg mit dem Schleier!“

fährt Ginevra empor. Fortebraccio erzählt dem erschrockenen Herzoge, daß ein Schiff vom schwarzen Meer den Schleier soeben nach Livorno gebracht hat. Der Haushofmeister Lorenzo fügt hinzu:

„Schon hat viel Opfer sich grausam die Pest gesucht,
„Und wer noch lebt, entweicht in wilder Flucht.“

worauf denn auch sämmtliches Hofpersonal und alle Landleute, die noch eben so fröhlich tanzten, das Weite suchen, indeß die arme Ginevra an den Folgen des Giftes verscheidet.

„Da starb ich denn wirklich einmal wie eine Vergiftete,“ sagte Wilhelmine; „ich machte die Sache mit Zuckungen und Grausen so überzeugend, daß nach Schluß des Actes der Intendant mit dem Arzt herbei gestürzt kam und angstvoll fragte: „„Um des Himmels willen, was ist Ihnen – sind Sie krank? das war ja fürchterlich!““ „Nein,“ gab ich ruhig zur Antwort, „krank bin ich nicht, ich sterbe nur an Gift, das ist nicht meine Schuld.“

Im dritten Acte wird Ginevra beigesetzt in einer finstern Gruft, deren Zugang eine Steinplatte verschließt. Aber das Gift ist nicht zureichend gewesen – sie erwacht, erinnert sich der Trauergesänge, die sie wie im Halbschlaf gehört hat, und bald wird ihr klar, daß sie „lebendig hier im öden Grabe“ dem gräßlichsten Tode entgegen geht. Eine Scene haarsträubender Verzweiflung beginnt. „Mit den Worten:

„O Qual sonder Gleichen,
Mitten unter Leichen
Hier im ew’gen Schweigen
Begraben zu sein!“

begann ich wie rasend in Entsetzen und Todesangst umher zu jammern“, erzählte die Künstlerin. „Ich kratzte mit den Händen an der Wand umher, zerraufte mein Haar, zerschlug mir die Brust. Es war so entsetzlich, daß der Hof mitten im Acte aufbrach und das Publicum in die äußerste Bestürzung gerieth. Der Intendant bat und fluchte, – ich blieb unerschütterlich. Warum gebt Ihr mir solche Dinge zu singen? es ist Eure Schuld, sagte ich. Nun habt Ihr was Ihr verdient, da Ihr eine Künstlerin zwingt, das Häßliche darzustellen.“ Die Rolle der Ginevra mußte einer andern Sängerin übertragen werden, und bald darauf wurde die Oper ganz vom Repertoir gestrichen.

Daß Wilhelmine Schröder-Devrient auch Rollen, die ihr nicht zusagten, zur Geltung bringen konnte, hat sie oft bewiesen, auch noch in ihrer letzten dramatischen Schöpfung, der Venus in Richard Wagners Tannhäuser. Mit Widerstreben, nur aus Gefälligkeit für den Componisten, den sie schätzte, übernahm sie die Partie, die für eine 43jährige Frau nicht paßte. „Ich weiß nichts aus der Rolle zu machen“, sagte sie. Und doch ist sie bis jetzt die einzige Sängerin, welche die zauberreiche Frau Venus der Sage darzustellen vermochte.


  1. Das alte Theater in Dresden.