Endlich haben wir die Seeschlange doch?

Textdaten
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Titel: Endlich haben wir die Seeschlange doch?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 272
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[272] Endlich haben wir die Seeschlange doch? Wieder die alte Ente, die schon tausend Mal durch die Zeitungen geschwommen ist! So wird der Leser ausrufen, und wir können es ihm nicht verdenken. Bisher hatte man aber das räthselhafte Ungeheuer des Oceans immer nur gesehen, jetzt, so sagt man, ist es gefangen worden, und das würde einen Unterschied machen. Wir wollen die Sache erzählen: Vor der Küste von Nord-Carolina, etwa hundert und sechszig Meilen vom nordamerikanischen Festland entfernt, liegt im stürmischen Meer die Inselflur der Bermudas. Sie besteht zum großen Theil aus Korallenriffen; die Zahl der Inseln beträgt, genau gezählt, so viel als das Jahr Tage hat; aber nur fünf sind bewohnt, und unter ihnen ist Bermuda die größte; dort hat der englische Gouverneur seinen Sitz. In der Hafenstadt Hamilton erscheint ein Wochenblatt, „the Bermudian“, und dieses berichtet in seiner Nummer vom 25. Januar 1860 Folgendes: „Am Sonntag, 22. d. Monats, zwischen zehn und elf Uhr Morgens trieb in der Hungarybay ein merkwürdiges Seethier auf den Strand. Zwei Männer, die am Wasser hingingen, vernahmen ein Geräusch, wie von einem großen Fische, der die Fluth peitscht, und eilten nach der Gegend bin, wo sie etwas sich bewegen sahen. Sie fanden ein ihnen unbekanntes Thier noch lebend, aber es war erschöpft, obwohl es noch zuckend um sich schlug. Es war hellfarbig, hatte einen wie Silber glänzenden Ueberzug, von dem in Folge der Zuckungen Vieles abgescheuert war und in Menge umherlag. Sie zogen das Thier völlig auf’s Land. Die Haut fühlte sich rauh und warzig an, war aber ohne Schuppen. Fast über die ganze Länge den Thiers lief eine Rückenflosse; sie bestand aus kurzen, dünnen Stacheln, welche durch eine transparente Haut mit einander verbunden waren und keinen Zoll weit auseinanderstanden, mit andern Worten, diese Rückenfinne war gleichsam unterbrochen durch regelmäßige Zwischenräume. Der Kopf hatte etwas Hundsartiges und eine vorstehende Schnauze, die Augen lagen flach, die Brustflossen waren klein, die Flossen am Bauche noch kleiner, die Kiemen groß, aber ohne Zähne. Auf dem Kopfe hat das Thier einen Kamm. der aus acht röthlichen Stacheln besteht, von denen die drei ersten bis zur halben Höhe durch eine dünne, durchsichtige Haut mit einander in Verbindung stehen. Diese feinen Kammstacheln können nach Belieben aufgerichtet oder niedergelegt werden und sind von unregelmäßiger Länge. Von der Spitze der Schnauze bis zur Spitze des Schwanzes mißt das Seethier sechszehn Fuß sieben Zoll: es hält elf Zoll im Durchmesser vom Rücken bis zum Bauche, an der Stelle, welche etwa fünf Fuß vom Kopf entfernt ist, von da ab läuft der Leib nach unten hin verjüngt zu und in einen spitzigen Schwanz aus, der keine Flosse hat. Man schnitt diese „Seeschlange“ auf und fand in ihr einen Rogen von etwa drei Fuß Länge; das Thier war also ein Weibchen und ein Fisch. Die drei Doctoren Hinson, P. B. Tucker und Cullen zerlegten es. Herr Matthew Jones, Verfasser des Werkes: „Der Naturforscher auf Bermuda“, ist im Besitze des Kopfes und anderer Theile des Skeletts; er will das Thier wissenschaftlich beschreiben. Ist nun dasselbe vorhanden, so fragt sich, wohin dasselbe zu classificiren sei.“ – So steht, wie gesagt, im Bermudian vom 25. Januar 1860. Die Zoologen werden wissen, ob ein Seethier, wie das obige, überhaupt möglich sei, und ihnen überlassen wir die Entscheidung, da wir selbst kein Urtheil haben. Daß viele Schiffscapitaine und Gelehrte steif und fest an eine Seeschlange glauben, ist bekannt; manche wollen sich sogar den norwegischen Kraken nicht nehmen lassen. Daß wir überhaupt schon alle Seethiere kennen, wird im Ernst Niemand behaupten wollen; kann nun Matthew Jones mit dem Geripp jenes bermudischen Schlangenfisches hervortreten, so wäre ein bisher nicht beobachteter Bewohner der Tiefe bekannt. Ob und in wie weit der Bermudian „gehumbugt“ hat, wird sich gelegentlich herausstellen.