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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am fünfundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

1. Thess. 4, 13–18.
13. Wir wollen euch aber, lieben Brüder, nicht verhalten von denen, die da schlafen, auf daß ihr nicht traurig seid, wie die andern, die keine Hoffnung haben. 14. Denn so wir glauben, daß JEsus gestorben und auferstanden ist; also wird Gott auch, die da entschlafen sind durch JEsum, mit Ihm führen. 15. Denn das sagen wir euch, als ein Wort des HErrn, daß wir, die wir leben, und überbleiben in der Zukunft des HErrn, werden denen nicht vorkommen, die da schlafen. 16. Denn Er Selbst, der HErr, wird mit einem Feldgeschrei und Stimme des Erzengels, und mit der Posaune Gottes hernieder kommen vom Himmel, und die Todten in Christo werden auferstehen zuerst. 17. Darnach wir, die wir leben und überbleiben, werden zugleich mit denselbigen hingerückt werden in den Wolken, dem HErrn entgegen in der Luft, und werden also bei dem HErrn sein allezeit. 18. So tröstet euch nun mit diesen Worten unter einander.

 DAs Kirchenjahr wendet sich zu seinem Ende wie eine Kreislinie, welche bei ihrem Endpunkte zu ihrem Anfangspunkte heimkehrt. Am Anfang des Kirchenjahres war die christliche Hoffnung das große Thema der gewählten Lectionen und Vorträge, und am Ende desselben wird derselbe Gedanke der königliche und herrschende. Und zwar halten alle Texte der drei letzten Sonntage des Jahres den Gedanken so klar und deutlich fest, daß es jedermann erkennen kann, und daß ich von heute an auch füglich euch und mir die Mühe ersparen kann, den Zusammenhang des Evangeliums und der Epistel nachzuweisen: es sieht ja jedermann, der ein Auge hat zu sehen, wie auch alle Episteln mit allen Evangelien der drei letzten Sonntage ganz übereinstimmen im Vortrag und Bekenntnis der großen Hoffnung aller Christenheit. Allenfalls kann es mir bloß obliegen, die Besonderheit unsres heutigen epistolischen Textes namhaft zu machen; sie besteht darin, daß die christliche Hoffnung als Todestrost an den Gräbern der Christen aufgefaßt ist. Daß es also ist, springt wieder in die Augen, und wer es recht scharf ansehen will, der gehe eben mit uns in die Betrachtung hinein, so wird es ihm klar werden.

 Was unter der christlichen Hoffnung zu verstehen sei, habe ich wohl in diesem Vortrag nicht abermals zu erklären, da ich es schon so oft gethan habe. Ihr könnet euch gewis erinnern, daß ich euch mehrfach nachwies, des Christen Hoffnung sei die Wiederkunft des HErrn und was mit dieser für den Christen zusammenhängt, also die Auferstehung der Leiber, die selige Versammlung der Auferstandenen zu dem HErrn. Ganz so ist es auch in dem heutigen Texte. Der erste Vers der Epistel, der 13. des Textcapitels, gründet allen Todestrost der Christen ausdrücklich auf die Hoffnung; die übrigen Verse legen die Hoffnung aus. Begehrst du etwas von der Wiederkunft Christi selbst zu hören, so kann dir der 16. Vers zu Dienste sein. Da liesest du die prächtigen Worte: „Er Selbst, der HErr, wird mit dem Feldgeschrei (oder mit lautem Zuruf Seiner endlichen Befehle), mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabkommen.“ Also Seine eigene die Welt beherrschende Stimme wird man alsdann hören, diese Stimme, deren Laut gegenwärtig kein Sterblicher vernimmt, wenn auch ihre Kraft die Welt beherrscht. Sein eigner lauter Ruf wird vernommen werden, die Stimme des Erzengels wird dazu kommen und die Posaune Gottes ertönen, – und unter dem Schlachtruf des allerhöchsten Feldherrn, unter dem Nachklang der Stimme Michaels, unter dem Ton der Posaune Gottes wird ER, der Richter der Welt, der Helfer der Seinen, vom Himmel herab,| der Erde zu kommen. Verstehst du, was du liesest? Ich denke, du verstehst und verstehst doch nicht. Gewohnt, alles fast, was die Schrift von den ewigen und zukünftigen Dingen redet, wie man sagt, geistlich auszulegen, wirst du nicht wißen, wie man den Inhalt unsers Verses geistlich auslegen kann. Verlegen ob der geistlichen Deutung wirst du die einzelnen Theile des Verses schärfer ansehen und finden, daß man entweder die Sache nehmen muß, wie sie steht, oder es läßt sich gar nichts Klares denken. Es wird dir vielleicht gehen, wie mir und andern, die, je länger sie die Schrift lesen, desto mehr sich gezwungen sehen, sie zu laßen, wie sie ist: also hier einen Commandoruf des HErrn, einen Ruf Seines in der Schrift öfter genannten Feldherrn oder Erzengels Michael und ein Posaunengetön anzunehmen, ähnlich wie es etwa auf Sinai zu hören war. Und weil ein Commandoruf des obersten, wie des Unter-Feldherrn, so wie Posaunenton ein Heer voraussetzen, so wirst du den HErrn in Begleitung eines himmlischen Heeres zur Erde niederwärts kommend dir denken müßen: ein himmlischer, gewaltiger Heereszug wird vor das Auge deines Geistes treten, der HErr und Seine vereinte Heerschaar kommen, dem Gericht der Kirche ein Ende zu machen zum Siege und die Feinde der Kirche, wo sie auch seien, zu überwinden. Das stimmt mit den übrigen Stellen der heiligen Schrift so völlig überein, daß ich es gar nicht für nöthig halte, viel davon zu sprechen. Wer bisher dergleichen nur mit den Ohren vernahm, ohne mit dem Geiste drauf einzugehen, der lerne von nun an, wenn es ihm möglich ist, ein Beßeres. Wohlan, das sagt der Text von dem Kommen JEsu; was aber soll auf Erden geschehen, wenn sich die Heerschaar der Himmel niederwärts bewegt?

 Davon redet weiter die Schrift. Während der Zug der himmlischen Heerschaar niederwärts kommt, ereignet sich auf Erden an jenem großen Tage eine mächtige Bewegung. Unter der Erde schlafen die Leiber der Heiligen. „Sie sind entschlafen durch JEsum,“ sagt der Text, und braucht damit von den Todten einen hoffnungsvollen Ausdruck. Der Schlaf ist vom Tode dadurch unterschieden bei aller Aehnlichkeit, daß er kein Tod, sondern ein Zustand des Lebens ist, welcher den Menschen nur desto mehr stärkt und kräftigt für alles wache Leben und Wirken. Ist aber der Tod selbst dem Schlafe ähnlich in dem, worin dieser sich von ihm unterscheidet, so ist ihm schon durch diese Vergleichung, welche aus dem Munde Christi und Seiner Apostel kommt, das Schreckliche genommen. Werde er noch so sehr Tod, d. i. des Schlafes Gegentheil, gehe er in das Grauen der Verwesung über und lege die Leiber in Staub oder Asche: das hat alles nicht weniger als wir der große HErr gewußt, der ihn einen Schlaf nennt und nennen läßt. Es kommt die Zeit, da der Schlachtruf vom Himmel ertönt, Michaels Stimme und die Posaune der Heerschaar vernommen wird: – wenn diese Zeit des Streites und Kampfes kommt und das Reich des Feindes erlegt werden soll, dann ist ausgeschlafen für alle, die in der Erde liegen, und der Schlachtruf ihres Königs bringt die Leiber der Heiligen wieder. Von Seiner Siegesschlacht wird keiner der Seinigen ausgeschloßen, keiner darf fehlen, jeder wird selbst wie eine Beute des Königs dem Tode entnommen und arbeitet wohl auch, wir wißen nicht wie, mit zu dem großen Siege. – So kommt von dem Himmel die Heerschaar, so hebt sie sich aus der Erde; ja, sie wird, wie die Schrift sagt, „mit ihrem König geführt“, zu Ihm empor, dem kommenden, und mit Ihm herunter, dem Feinde entgegen. So wenigstens scheint das Wort der Schrift aufgefaßt werden zu müßen.

 Wer sich das denkt, wie der HErr Seine himmlischen Heere erdwärts führt, wie die heiligen Todten auferstehen, zu Ihm erhoben werden, mit Ihm kommen, der braucht in der That keine starke Einbildungskraft zu haben, um innerlich ergriffen zu werden. Aber unser Text liefert uns zum größten aller Bilder noch mehr Züge. Es liegen ja nicht bloß viel Tausende von heiligen Leibern im Grabe; sondern viele heilige Seelen werden zu jener Zeit hier auf Erden leben, in ihren Leibern leben. Was soll mit denen werden? Was für ein Loos werden die Heiligen haben, welche am großen Tage noch unter den Lebendigen übrig sein und die Zukunft ihres HErrn erleben werden? Sie werden nicht sterben; vielleicht werden die Schrecken und Aengsten, welche sie zu erleiden haben, für Todesschrecken gerechnet werden; vielleicht wird ihre Verwandelung aus dem Todesleibe in den der Unsterblichkeit, wenn das Sterbliche vom Leben wird überkleidet werden, mit Todesschmerzen| vor sich gehen, daß sie dadurch ihren entschlafenen Brüdern ähnlich werden. Wie es aber auch sei, wie sie aus diesem in jenes Leben versetzt werden mögen; sie werden hinein versetzt und ihre Leiber denen der auferstandenen, zuvor entschlafenen Christen ähnlich. Und wie diese „mit Christo geführt werden“, so werden auch sie „zugleich mit ihnen dahingerißen werden in den Wolken zur Begegnung des HErrn in die Luft und also bei dem HErrn sein immerdar.“ Diese Worte Pauli geben zugleich eine anschaulichere Ausführung deßen, was von den auferstandenen Heiligen mit den Worten „mit Ihm führen“ gesagt ist. „Dahingerißen“, mit Gewalt entführt, trotz allem Zorn des bösen Feindes und aller Misgunst der ewig Verlorenen dahingezückt werden – welch ein Bild der Macht Deßen, der gesagt hat: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ – „In den Wolken hingerückt werden“, wie erinnert das an die Auffahrt Deßen, dem alle diese Auferstandenen und Verwandelten nachfahren und Himmelfahrt halten werden. – „Zur Begegnung“, was für ein Ausdruck! Da kommt Er in Seiner Majestät zur Rache wider alle Seine Feinde, Gerechtigkeit und Gericht ist Seines Thrones Feste, auf welchem Ihn Seine Cherubim tragen; aber Seine Auserwählten, die in der Wonne ihrer Auferstehung und Himmelfahrt Ihm entgegenkommen, die erfahren keinen Zorn, die werden aufgenommen wie die Braut von dem Bräutigam; da gibt es eine Begrüßung, wer kann die beschreiben oder auch nur nach Würden denken! – „Begegnung in der Luft“ – was ist dagegen die Begegnung Petri und Christi auf dem Waßer!? Zumal dann kein zagender Petrus, sondern eine Braut voll Zuversicht und Vertrauen dem HErrn entgegenkommt! – „Immer bei dem HErrn sein“, keine Trennung in Ewigkeit mehr erleben, – nicht mehr den Edlen wegziehen sehen und dann bloß im Glauben leben müßen! Ihn ewig haben und schauen! – Es kann doch kein Mensch leugnen, daß auf diese Weise die Hoffnung des Christen in einer wunderbaren Weise beschrieben ist.

 Aber Fragen könnten bei Gelegenheit gerade dieser apostolischen Stellen genug aufgeworfen werden, Fragen, welche zu beantworten Meister in der Schriftauslegung nöthig sind, – Meister, von Gottes Geist durchdrungen. Kaum ist in unsern Tagen etwas mehr bewegt oder besprochen worden, als die letzten Dinge, von denen eben unser Text redet. Es ist, wie wenn die ganze protestantische Kirche in zwei Heerlager auseinandergehen wollte um der Hoffnung willen Israels, um des Antichristus und des tausendjährigen Reiches willen, – ja auch um der Zukunft willen Christi, welche nunmehr eben so oft als eine noch zwiefach bevorstehende bezeichnet wird denn als eine nur noch ein einziges Mal eintretende. Auch unser Text kann mit in den Streit hineingezogen, es kann die Frage aufgeworfen werden, von welcher Wiederkunft Christi die Rede sei, von der zur Zerstörung des Antichristus, oder von der zur Zerstörung der Welt; – von welcher Auferstehung die apostolische Feder schreibe, ob von der ersten oder von der zweiten? St. Paulus belehrt dieselben Thessalonicher, an welche unser erster Brief geschrieben ist, im zweiten Kapitel des zweiten Briefes ausdrücklich, daß der HErr nicht vor dem großen Abfall, nicht vor Offenbarung des Kindes des Verderbens, des Menschen der Sünde, des Antichristus komme. Also stimmt er nicht bloß mit der jüdischen Kirche seiner Tage, sondern auch mit Daniel, dem Seher der Geschichte im Alten Testamente, und mit Johannes, dem Apocalyptiker, in der Lehre von einem persönlichen Antichrist zusammen. So mag denn daraus mit Sicherheit geschloßen werden, daß er auch sonst keine andere Lehre von der Hoffnung führte: daß er also ein tausendjähriges Reich, welcherlei Art es sei, gelehrt haben müße, ebendeshalb auch eine doppelte Auferstehung, eine besondere und eine allgemeine. Ist aber das der Fall und hat St. Paulus zu Folge seiner Lehre die nächste Gegenwart Christi nicht als zum allgemeinen Gericht, sondern als zur Zerstörung des antichristischen Reiches für bevorstehend erachtet: so kann man danach auch die Antwort zu geben versuchen, welche unsern Text betrifft. Wie sie unter solchen Voraussetzungen ausfallen wird, kann keine Frage sein.

 Indes, meine theuern Freunde, gibt es außer unserm heutigen Texte noch viele, die von JEsu eigenem Munde herstammen und dasselbe Gepräge, wie St. Pauli heutige Stellen, tragen. Der Schriftforschung unserer und nachfolgender Tage bleibt eben hier, auf dem eschatologischen Gebiete, noch recht viel| zu thun übrig, und wir haben Ursache, für uns und andere den heiligen Geist anzurufen, der in alle Wahrheit leiten kann und wird. Bis der HErr Licht und Sieg der Wahrheit gegeben haben wird, ziemt uns Prüfen, Stillesein und Warten, auf Gottes Wort allein sehen und nicht zweifeln, daß Recht doch Recht bleiben muß, und daß ihm endlich alle frommen Herzen zufallen müßen. Was hilft zur Klärung leidenschaftlicher Streit? Hindert er nicht den Frieden und die Liebe? Alles vereinige sich zum Forschen, keiner überschätze die eigene Meinung, gegenseitig vereinige man sich zum Gehorsam gegen die Wahrheit, und der HErr wird mit Seiner Gnade und Seinem Segen und Siege nicht ferne sein. Zumal bis man selbst klar ist, vertrage man andere; ja man vertrage sie, auch wenn man klar geworden ist – den Heiligen Gottes ziemt viel Geduld. Es kommt am Ende auch weniger darauf an, ob man die erste oder zweite Zukunft zunächst zu erwarten habe; sondern man warte nur, warte nur auf Ihn und sei versichert, daß viele die Zukunft hell und selig finden werden, auch solche, die sie hier nur wie eine dunkle, finstere Wolke vor sich sahen. – Warten, auf den HErrn warten, ernstlich warten, das ist allen, allen nöthig. Der HErr kommt, das sagen alle, die einen wie die andern; das bleibe fest, das andere möge der Geist aufhellen, je länger je mehr; wir aber wollen Seiner Führung ergeben sein und bleiben, bis unsre Nacht keine Finsternis mehr hat und wir alles im Lichte sehen.
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 Wenn wir nun weiter gehen, um zu erkennen, wie St. Paulus die dargelegte Hoffnung zum Troste an Gräbern anwendet; so kann es uns fürs Erste auffallend sein, daß er vom Zustande der vom Leibe abgeschiedenen Christenseelen gar nichts sagt. Ueberhaupt ist das ewige Leben der Seele im Neuen Testamente als eine so unzweifelige Thatsache vorausgesetzt, daß nirgends ein Beweis für das Fortleben der nach dem Tode übrig bleibenden Seele geführt, sondern durchweg angenommen wird, kein Mensch werde das anlangend auch nur den geringsten Anstand haben. Unser Unglück von Jugend auf ist gewesen, daß wir nicht bloß Beweise vom Dasein und Fortleben der Seele, sondern sogar vom Dasein Gottes, in Schulen und in Gesprächen hinnehmen mußten, die eine umgekehrte Wirkung auf uns machten, als die beabsichtigte. Das Geschlecht ist im Innersten des Glaubens gerade durch diese armen Beweise erschüttert worden. Wenn dem Menschen nach so vielen Jahrtausenden, welche sein Geschlecht auf Erden durchlebt hat, erst noch dergleichen bewiesen werden muß; so ist ja gar nicht die Frage, welche Religion die rechte sei, sondern ob es eine gebe, ob eine möglich sei? Da ist dann freilich noch weit hin bis zu der felsenfesten Gewisheit eines Apostels, daß der Tod des Einen JEsus am Kreuze eine Quelle, ich sage hier nicht ewigen Lebens, sondern ewiger Seligkeit sei. Wer daher an den Gräbern der Seinigen den Beweis für die Fortdauer der Seele als Trost verlangt, und bei jedem hinfallenden Leibesleben aufs neue in die Verlegenheit kommt, was er nun, nachdem der Leib im Grabe liegt, von der armen Seele halten soll, der frage nur keinen Apostel, nur nicht die heilige Schrift. Man kann bei jedem Verse des göttlichen Wortes den Beweis führen, daß die heiligen Schreiber von dem Fortleben der Seele vollkommen überzeugt waren; aber sie geben nirgends einen Beweis, wie ihn das ungläubige Volk des achtzehnten oder neunzehnten Jahrhunderts verlangt. – Eben so wenig ist demjenigen eine Befriedigung aus dem göttlichen Worte zu versprechen, der die Frage aufwirft, ob sein ungläubiger Verwandter oder einer, von deßen Glauben oder Unglauben er keine rechte Ueberzeugung gewonnen hat, selig geworden sei oder nicht. Wenn man es von einem Getauften gewis wißen kann, daß er im Unglauben gestorben ist; wenn man das wißen kann, sage ich, dann ists mit dem Trost am Ende; wer wirklich im Unglauben dahin fuhr, ist ewig unglückselig, er ist verloren. Wo man aber des Glaubens keinen sichern Beweis hat, da gibt es auch keinen sichern Trost. Der Trost hängt am Glauben; nicht am Grade des Glaubens, der so sehr verschieden ist, sondern an des Glaubens Leben und Dasein. Der Apostel sagt ganz einfach Vers 14: „So wir glauben, daß JEsus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott die, welche durch JEsum entschlafen sind, eben so mit Ihm führen.“ Man muß an Christi Tod und Auferstehung glauben, man muß durch JEsum entschlafen, durch Ihn zur Todesruhe und zum Grabesbette gebracht werden, in Seinem Reiche sterben, wenn man für sich Todestrost haben soll, –| und für wen sonst man diesen Trost haben soll, von dem muß man auch Grund haben, ihn zur Gemeinde, zu dem heiligen „wir“ zu rechnen, von dem der Apostel in den Worten redet: „So wir glauben“.

 Wohlan denn, so viel wißen wir, daß der apostolische Todestrost nur den Gläubigen gilt, – aber worin besteht er? In der dargelegten Hoffnung, wirst du ganz richtig sagen; aber wie wird eben diese Hoffnung zum Todestroste? Das laßt uns nun weiter sehen. Der ganze Nachdruck des Todestrostes bei der Anwendung der christlichen Hoffnung liegt in dem Worte des 14. Verses „mit JEsu führen“. Der leibliche Tod ist ein Schlaf, die todten Leiber schlafen im Grabe, der Verwesung unterthan. Aber es kommt für sie eine Zeit des vollen Gegensatzes; sie sollen aus der Erde nicht bloß auferstehen, nicht bloß auf Erden wieder wandeln, sondern über dieselbe erhoben durch die Luft mit ihrem HErrn und Gott vereinigt werden. Das ist apostolischer Trost an Gräbern. Gegenüber der Einsenkung und dem Begräbnis steht eine Auferstehung; gegenüber der Verwesung ein herrlicher, neuer Leib, wahrhaftig ein Leib, wie der sterbliche, aber geschickt, sich von der Erde zu heben und in den Lüften Platz zu nehmen. Eine Leichtigkeit der Bewegung, wie sie kein Vogel hat, eine Wesenhaftigkeit, wie sie jedes Todes spottet, eine Herrlichkeit, daß sie der des Gottessohnes zur Gesellschaft gegeben zu werden für würdig befunden wird, – das alles und was sonst noch darein eingeschloßen ist und daraus gefolgert werden kann, soll denen zu Theil werden, die als Leichname mit sich schalten laßen müßen wie mit einer Sache, und deren nächstes Ergehen im Grabe das reinste Gegentheil von dem ist. Man schafft ja die Leichname aus dem Angesicht und der Gesellschaft der Lebendigen hinweg, weil es nicht möglich ist, sie zu behalten, so lieb man sie habe, und die Schmach des menschlichen Geschlechtes in der Verwesung vor Augen zu sehen. – Schickt man sich in die Größe und Herrlichkeit der Verheißung, wagt man es, sie sich und den Seinen zuzueignen; so erwacht allmählich der Sinn für den großen apostolischen Trost und der Glaube hebt fröhlich seine Flügel über den Gräbern.

 Diese Todeströstung St. Pauli nimmt jedoch in unserm Texte noch eine andere Wendung. Die ersten Christen warteten auf die zweite Zukunft Christi. Sie sahen schon damals viel antichristisches Wesen, viele Antichristen, welche ihnen als Zeichen des nahenden Schreckensköniges, des eigentlichen Antichristus, des Menschen der Sünde, erschienen, der seinerseits wieder auf die baldige Ankunft des HErrn hindeutete, weil die Adler kommen, wo das Aas ist. Da hoffte man also den HErrn mit sterblichem Auge, im Leibe des Todes zu schauen, auf diese Weise dem Tode selbst zu entgehen und vor den schon Verstorbenen den großen Vortheil voraus zu haben, nicht entkleidet zu werden, nicht außer dem Leibe wallen zu müßen, sondern ohne Vermittlung von Todespforten in die innigste Gemeinschaft mit Christo zu kommen. So oft daher ein Christ starb, konnte er auch deshalb bedauert werden, weil er – bei so großer Nähe des HErrn und Seiner Wiederkunft – doch noch sterben und durch des Todes Pforten gehen mußte. Die große Noth des Sterbens war ihm nicht erspart worden. Dagegen erinnert nun St. Paulus in unserm Texte, daß die, welche die Zukunft Christi erleben würden, doch keineswegs vor den Todten den großen Vortheil gewinnen würden, welchen sie sich vielleicht dachten. „Sie werden den Entschlafenen nicht vorangehen,“ sagt er im 15. Verse, „ihnen nicht zuvorkommen“. „Die Todten in Christo, fährt er Vers 16 fort, werden zuerst auferstehen“, dann wird die Verwandelung der Lebendigen, diese wunderbare Um- und Neugeburt erst vor sich gehen, welche man billig wie eine Art des Todes ansehen könnte. Und erst wenn nun alle Heiligen Gottes in ihren neuen Leibern dargestellt sein werden, wird die Himmelfahrt und die Vereinigung mit Christo beginnen, durch welche die ewige, selige, sichtbare Gemeinschaft mit Ihm beginnt. Auch das sollte nach dem Sinne des Apostels Todestrost sein. Nicht bloß werden die Entschlafenen auferstehen, durch die Luft erhoben werden, wie man sagen könnte, Himmelfahrt halten; sondern es bleibt ihnen auch der sichere Vortheil, daß sie eher auferstehen, als die Lebenden verwandelt werden, daß sie das Wesen des unverweslichen Leibes eher anziehen, als diese. Die Lebenden, welche doch die Ueberkleidung und Verwandelung erfahren müßen, bei welchen das Sterbliche vom Leben muß verschlungen werden, denen eine Veränderung von nicht geringerer Art als der Tod bevorsteht, haben also nichts vor den Todten voraus, und diese| sind deshalb in keiner Weise beeinträchtigt. Sie gehen vor den Lebenden ins ewige Leben des Leibes ein und werden zugleich mit ihnen heimgeholt zu Dem, der Sieger bleibt am Ende, der Seiner Feinde Ueberwinder und Seiner Gläubigen ewiger Bräutigam ist und die Freuden der Ewigkeit ihnen offenbaren wird, wenn Er die Welt und ihre Kinder mit den Schaalen Seines Zornes übergießen wird.

 Auch bei Darlegung des zweiten Theiles des Todestrostes Pauli kann derjenige, welcher darzulegen hat, in die Verlegenheit kommen, sich in der Auffaßung der apostolischen Worte für eine zweite Zukunft Christi zur Vertilgung des Antichristus und für eine dritte zum allgemeinen Weltgerichte entscheiden zu sollen. Die Briefe St. Pauli an die Thessalonicher und ihr Zusammenhang scheinen eine solche Entscheidung zu fordern, während doch durch die Stimmen vieler Brüder der vergangenen und gegenwärtigen Zeit einer solchen Entscheidung widerstritten wird. Da steht unsre Erkenntnis wie an einem Scheidewege. Niemand ist aller Bedenken los, er betrete die eine oder die andere Bahn. Der Geist aber, der in alle Wahrheit leitet, wird die, welche die Wahrheit und die Erscheinung Christi lieb haben, führen und leiten und Seiner Kirche zum Lichte helfen, wenn und weil sie es bedarf. Habe ich, meine Freunde, im Sinne der Unterscheidung einer zweiten und dritten Zukunft des HErrn gesprochen, so nehmet es versuchsweise. Was im Verlauf der Zeit, unter der Leitung des heiligen Geistes sich nicht bewährt, das falle dahin. Eins aber ist gewis, wie man es rücksichtlich der Zukunft Christi halte: der Todestrost bleibt unverkümmert in dem einen und andern Falle. Wir werden auferstehen, wir werden hingerückt werden in den Wolken, dem HErrn entgegen in der Luft und mit Leib und Seele ewig bei Ihm sein. Damit kann man selbst friedlich und fröhlich schlafen gehen und die Seinen getrost entschlafen laßen. Wer das lebendig und gläubig auffaßt, der kann sich und die Seinen, die da glauben, nicht für verloren achten, wenn die Nacht kommt, da man zur Ruhe und Schlaf gebracht wird. Wer das annimmt als ein Wort des HErrn (V. 15.), der kann die Klage, welche sich an Gräbern erhebt, nicht walten laßen, der muß seines Leides Meister werden. Er hat ja Hoffnung, und ihm gehören der erste und letzte Vers der heutigen Epistel, die, gleichen Inhalts, mit allem Ernste auffordern, sich den apostolischen Todestrost zuzueignen. „Nicht wollen wir euch verhalten, lieben Brüder, von denen die da schlafen, auf daß ihr nicht traurig seid, wie die Uebrigen, die keine Hoffnung haben.“ Ein gewisses Maß von Trauer an den Gräbern ist ja gerechtfertigt; haben doch auch Gottes Heilige, hat doch selbst Christus an Lazarus Grabe getrauert und geweint. Es ist und bleibt der Tod die bitterste Frucht der Sünde, und wer sie hinnehmen und eßen muß, hat ernste Stunde; auch gibt es da eine zeitliche Trennung an der Schwelle noch verhüllter Pforten. Todesstunden sind daher schon trübe Stunden, und es ist drum grade nichts Schönes, noch Edles, wenn irgendwo kein Mitgefühl und keine Trauer bemerkt wird. Aber verloren sind die Entschlafenden und Entschlafenen nicht, wenn sie in Christo sind; man soll drum auch nicht trauern, wie die andern, die Heiden, die keine Hoffnung haben, sondern, wie V. 18 sagt, wir sollen „einander trösten mit den Worten Pauli“ von der Auferstehung, von der Auffahrt, von der Vereinigung der Gläubigen mit ihrem Christus. Nicht mit geringerem, sondern mit echt apostolischem Troste sollen wir die Seele sättigen, wenn sie an Gräbern nach Trost seufzt. Die Herzen sollen erhoben werden zu dem hohen Troste, der, wenn er den thränenschweren Augen zu groß scheint, um ergriffen zu werden, doch die Kraft heiliger Schwingen und Flügel hat, uns von aller Traurigkeit zu erheben, so wie man sich nur von ihm ergreifen läßt.


 Meine theuern Brüder und Schwestern, wie nöthig ist Todestrost! Alle Tage macht der HErr Wittwer, Wittwen, Waisen, betrübte Leute. Immer sind eine große Anzahl von Familien in jeder Gemeinde vorhanden, welche in Traurigkeit versetzt sind und in schwarzen Trauerkleidern in der Versammlung der Christen erscheinen. Diese alle bedürfen Todestrost, es wäre schrecklich, wenn sie keinen bedürften. Wer keine Traurigkeit hat, wenn die Seinen sterben, in dem sollte man sie wecken, weil abgestumpfte Sinnen für die schlagende Hand des Todes keineswegs ein Vorzug sind. Die Traurigkeit ist werth, gepflegt zu werden, weil ihr Trost so schön ist und das ganze Erdenleben des Christen doch hauptsächlich nur ein| getröstetes Elend genannt werden kann, wenn es köstlich ist. Da ist es mir nur herzlich leid, klagen zu müßen, daß in unserer Kirche auf die große Anzahl allezeit vorhandener Trauerleute zu wenig Rücksicht genommen wird. Die Leichenfeiern sind schön und herrlich, die unter uns gangbar sind; aber reichen sie denn hin, die Trauernden zu trösten? Ich bin der Meinung, die Zahl der Trauerleute sei in jeder Gemeinde allezeit so groß, daß auf sie wenigstens in jedem Sonntagsgottesdienst, jeder Communion, Rücksicht genommen, die tröstende Hoffnung der Auferstehung der Todten hervorgehoben und unsere in Christo fest gewurzelte Gemeinschaft mit den in Christo Entschlafenen bekannt und gefeiert werden sollte. Wie dem Leben Salbung und hohe Feier mangelt, wenn man nicht in Hoffnung der herrlichen Zukunft Christi und der Ewigkeit lebt; so ist auch der Gottesdienst nicht was er soll, wenn er nicht immer an den offenen Pforten der großen Zukunft und im Morgenstrahle der Ewigkeit gefeiert wird. Es fehlt ihm seine Vollendung, wenn er bloß für die Zeit eine Stärkung ist, nicht aber für den Tod, und die Zeit da wir außer dem Leibe leben. Darum laßt uns, theure Brüder, nicht bloß vermißen, was fehlt, nicht bloß wünschen, daß es erstattet werde, sondern auch beten und arbeiten, so viel an uns liegt, dem Gottesdienst seine Beziehung zur Ewigkeit, den Trauernden gottesdienstlichen, oft wiederkehrenden Trost, der Gemeinde aber Ausspruch und Bewußtsein zu geben, daß Eine und einig ist die Gemeinde derer, die hier im Leibe streiten, und derer, die da schlafen dem Leibe nach, denen aber bereits der Seele nach das ewige Licht leuchtet. Amen.




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