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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am zwölften Sonntage nach Trinitatis.

2. Cor. 3, 4–11.
4. Ein solch Vertrauen aber haben wir durch Christum zu Gott. 5. Nicht, daß wir tüchtig sind von uns selber, etwas zu denken, als von uns selber; sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gott; 6. Welcher auch uns tüchtig gemacht hat, das Amt zu führen des Neuen Testaments; nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig. 7. So aber das Amt, das durch die Buchstaben tödtet und in die Steine ist gebildet, Klarheit hatte, also, daß die Kinder Israel nicht konnten ansehen das Angesicht Mosis, um der Klarheit willen seines Angesichts, die doch aufhöret: 8. Wie sollte nicht vielmehr das Amt, das den Geist giebt, Klarheit haben? 9. Denn so das Amt, das die Verdammnis prediget, Klarheit hat; vielmehr hat das Amt, das die Gerechtigkeit predigt, überschwängliche Klarheit. 10. Denn auch jenes Theil, das verkläret war, ist nicht für Klarheit zu achten gegen dieser überschwenglichen Klarheit. 11. Denn so das Klarheit hatte, das da aufhöret; vielmehr wird das Klarheit haben, das da bleibet.

 IM Evangelium wird uns erzählt, wie der HErr einen Taubstummen durch Sein mächtiges Hephatha heilte. Die Epistel aber handelt von der Herrlichkeit des neutestamentlichen Amtes. Was ist zwischen den beiden Texten für ein Vergleichungs- oder Berührungspunkt? Ist auch einer oder keiner? könnte man fragen, wenn man so einfach, wie wir es eben thaten, den Hauptinhalt angibt. Vergegenwärtigt man sich aber den Inhalt der beiden Texte im Einzelnen, so sieht man bald, daß sich allerdings beide innig verwandt die Hände reichen. Ehe der HErr den Taubstummen in Seine göttliche Behandlung nahm, war er eben ein Taubstummer, konnte nicht reden, nicht hören; des HErrn Hand und Hephatha gibt ihm Gehör und Sprache. Eben so vermag ein Mensch von Natur nicht, das Amt des Neuen Testamentes zu führen, er ist taub, Gottes Wort zu hören, stumm, es zu reden; ohne des HErrn Hand und Hephatha gibt es keinen würdigen Vertreter und Verwalter des gesegnetsten unter allen Aemtern und Berufen. Der Taubstumme, der nicht hörte, noch redete, aber hernach hörend und redend wurde, ist St. Paulus, und alle, die das Amt des Neuen Testamentes haben: auf die heiligen Amtsträger| deutet die Kirche durch ihre Textwahl das Evangelium, – und in dem Taubstummen sollen alle, die das Amt tragen, ihr Vorbild und den Weg erkennen, auf dem auch sie zu Erkenntnis und Zeugnis kommen. – Wohlan, ich denke, die wählende Kirche hat Recht. Ihr erkennet den Zusammenhang der Texte und wir gehen befriedigt und ohne Aufenthalt weiter, unsre Epistel zu betrachten.

 Diese Epistel enthält Vers 4. 5 die Veranlaßung zu dem Ruhm und Preis des Amtes, welchen der heilige Apostel anstimmen will; Vers 5. 6 eine Abwehr verkehrter Ausdeutung des Preises; Vers 6 auch noch die Ursache alles Ruhmes und Preises und endlich Vers 7–11 eine Vergleichung des göttlichen Amtes im Neuen Testamente mit dem im Alten Testamente. Zuweilen ist es für uns faßlicher, wenn uns der Inhalt eines epistolischen Textes nicht grade in der Gedankenfolge des heiligen Schriftstellers vorgelegt wird, heute aber ist kein Grund von Bedeutung vorhanden, weshalb wir vom Gedankengang des Apostels abweichen sollten, da bei euch so viel Bekanntschaft mit der Lehre der heiligen Schrift von dem neutestamentlichen Amte vorausgesetzt werden kann, als nöthig ist, um die zwei ersten Gedanken zu verstehen, noch ehe der dritte dargelegt wird, welcher die Ursache von Ruhm und Preis des Amtes angibt. Sonst wäre es freilich bequemer den dritten und wohl auch vierten Theil des Textes vorauszunehmen.

 Schon im zweiten Kapitel des zweiten Briefes an die Corinther hatte der heilige Paulus begonnen, sein Amt zu preisen. Nach der Kenntnis der menschlichen Seelen aber, welche er hatte, konnte er wohl schließen, daß ein Ruhm und Preis des Amtes als Ruhm und Preis der Amtsträger würde aufgefaßt werden, und daß man persönlich nehmen, deshalb als Hochmuth ausdeuten würde, was er ganz sachlich, mit allem Absehen von eigenem Verdienste meinte. Da schreibt denn der Apostel in den ersten Versen des Textkapitels, er habe keinen Ruhm und Preis seiner persönlichen Amtsführung nöthig und brauche Empfehlungsbriefe weder für die Corinther, noch von ihnen. Sie selbst, das Bestehen und die Begabung der corinthischen Gemeinde und seine Amtsverwaltung seien ein Empfehlungsbrief für ihn, von dem man billig erwarten müße, daß er tief in die dankbaren Herzen geschrieben sei und deshalb gar kein anderes Schreibmaterial bedürfe. Indem nun aber der Apostel sich auf seine Wirksamkeit und den Segen seines Amtes beruft, kommt er aufs Neue in die Noth, der er entrinnen wollte. Was er sagte, konnte ja wieder als hochmüthige Rede ausgedeutet werden, und es bleibt ihm daher nichts übrig, als erst noch gründlicher auf den Ruhm und Preis des Amtes selbst einzugehen. Die Corinther sollten an die Herrlichkeit des Amtes erinnert und in ihrem Gedächtnis alles aufgeweckt werden, was ihnen Paulus längst vorgetragen hatte. Weil sie, wie überhaupt der Mensch, in der Anfechtung zur Sünde und Verkennung Pauli, geneigt waren zu vergeßen, was sie in der Anfechtung stärken konnte, mußte es ihnen nun ins Gedächtnis gerufen werden. Die Veranlaßung also zu dem erneuerten Ruhm und Preise des Amtes sind eben die argen Gedanken, welche sich in den Herzen der Corinther voraussichtlich bei dem Vortrag des Apostels regen konnten, dieselben argen Gedanken, welche St. Paulus zu Anfang unsers Textes abwehrt. So groß ist nach Meinung des Apostels die Herrlichkeit des Amtes, daß aller Verdacht, als lobe er sich selbst, indem er seines Amtes Segen vorlege, verschwinden muß, so wie diese Glorie gezeigt wird. Ob alle Corinther für diese Weise der Vertheidigung Pauli empfänglich waren, das ist eine andere Frage. Je befleckter das eigene Gewißen ist, desto weniger Gutes traut man einem fremden Gewißen zu. Je verwerflicher das eigene Herz und sein Getrieb, desto schärfer pflegt das Urtheil über andere zu sein. Die Erinnerung an die Uebung des achten Gebotes erscheint da nur wie eine übel begründete Bitte um Schonung, wie eine Verleitung zur Verbergung der Wahrheit. Hat man es nun mit solchen Leuten zu thun, so muß man sich eben gefallen laßen, verkannt zu sein und zu bleiben und unter dem Summen der Mücken dem Sonnenstrahle der Wahrheit unverrückt folgen.

 Da nun die Veranlaßung zum Preise des Amtes dieselben argen Gedanken sind, welche St. Paulus abwehren will, also der erste und zweite Theil unsers Textes und Vortrags zusammengehen, wie zwei Strahlen in Einem feurigen Punkte zusammentreffen; so müßen wir diese argen Gedanken vor allem deutlich machen. St. Paul verschmäht Empfehlung und Empfehlungsbriefe für die Corinther und von ihnen: er| beruft sich auf seine gewaltigen Erfolge in Corinth, auf den geschenkten göttlichen Segen, welcher ihn und sein Apostolat genugsam empfehlen könne. Das konnte als Vertrauen auf eigene Kräfte und als Ruhm eigener Tüchtigkeit erscheinen. Selbstsucht, Hoffahrt, Eitelkeit waren also die Namen, welche von den Feinden Pauli ihm und seinen Reden beigelegt werden konnten.

 Gegen den Ruhm des Vertrauens auf eigene Kräfte sagt nun der Apostel Vers 4: „Ein solch Vertrauen haben wir aber durch Christum zu Gott“; – gegen den Vorwurf des Ruhmes eigener Tüchtigkeit aber spricht er: „Nicht daß wir tüchtig sind, von uns selbst etwas zu schließen als von uns selbst (aus uns selbst heraus), sondern unsre Tüchtigkeit ist aus Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des Neuen Testamentes.“ Wenn er also die corinthische Gemeinde seinen Empfehlungsbrief nennt, der von allen Menschen eingesehen und gelesen werden könne, nicht mit Dinte, auch nicht auf Stein, sondern mit dem heiligen Geiste und in die Herzen eingeschrieben sei; so sieht der heilige Apostel nicht auf sich selbst, nicht auf seine Kräfte. Er hält vielmehr den Erfolg in Corinth für groß genug, um ihn als eine Folge der Vertretung und Fürbitte Christi anzusehen, er hat die Zuversicht und das Vertrauen durch Christum zu Gott, daß in Corinth etwas Außerordentliches und Göttliches geschehen sei, eine göttliche That vor Augen liege. Unter solchen Umständen solche Erfolge errungen zu sehen, das erweckt ein Vertrauen zur Fürbitte Christi und zur Wirkung Gottes: das muß Gott gethan haben und nicht Menschen, – und alle Menschen sollen es zu Gottes Lob und Preis auch einsehen. Ist aber das, so ist damit ohnehin schon gesagt, wie wenig der Apostel auf sich selbst und seine natürliche Tüchtigkeit vertraut. Zu denken und Schlüße zu machen, wie sie Paulus in seinem Amte und z. B. Kapitel 2 und 3. des zweiten Briefes an die Corinther machte, – das geht weit über den Horizont eines natürlichen Menschen, – und so vorwärts zu gehen mit Satz und Folgerung und Schluß und Lehre, wie wir es aus dem Munde des heiligen Apostels vernehmen, so wie wir nur irgend eine seiner Reden, einen seiner Briefe aufschlagen, das liegt über Menschenmöglichkeit hinaus. „Daß wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns tüchtig gemacht hat das Amt zu führen des Neuen Testamentes.“ Also nicht einmal St. Paulus darf sich einen Schluß und eine Folgerung, geschweige mehr zutrauen, wenn er seines Amtes waltet, es sei denn Gott mit ihm. Also leitet er alle seine Tüchtigkeit, zu schließen, zu lehren, das Amt zu führen von einer besonderen, nicht natürlichen, nicht angeborenen, sondern von einer Gnadengabe, von einer Amtsgabe her. Ein Verfahren, das andere, geringe Geister und Lehrer eines Theils sehr in die Demuth weist, aber auch anleiten muß, wohl Acht zu haben, daß nicht etwa der Satan natürliche Schlüße und Reden als göttliche darstelle. Soll Gott wirken, so muß deine Seele feiern. Sollst du göttliche Schlüße faßen und sagen dürfen, so muß in dir Sabbath sein, Stille, die Feier der Demuth und Selbsterkenntnis, die arm und elend im Staube liegt, die Eigenheit verurtheilt und von jeglichem Worte leben will, das aus Gottes Munde geht. Ach, man geht in göttlichen Dingen eine schmale Bahn. Man schließt, man vertheidigt und lehrt oft Schlüße, man vertheidigt sie mit dem Ansehen des aufhabenden Amtes – und doch ist vielleicht falsch, was man thut und vornimmt. Harre auf Gott – entledige dich deiner, horche auf Ihn, lausche auf Seine Rede, übe scharfes Selbstgericht, demüthige, beuge dich – und empfang in tiefer Stille Schluß und Gedanken aus dem Worte Gottes. Tiefe Demuth bereitet für den göttlichen Einfluß, und die Schrift wird klar dem, der sein Auge für Eitles, sein Herz für Leidenschaft schließt und alleine Gott und Seinem Geiste leben will. Es ist ein himmlischer, schmaler Weg, auf dem Gott zum Amte und den heiligen Reden des Amtes tüchtig macht, – die Natur aber ist ein unfruchtbarer oder böser Baum, wenn sie sich in Gottes Werke will mengen.


 Wir stehen nun daran, den Grund und die Ursache zu vernehmen, um deren willen St. Paulus das Amt so sehr preist. Wir werden dabei wieder, wie bei den schon vorgetragenen zwei ersten Hauptgedanken des Textes verfahren müßen. Wie nemlich die Veranlaßung unsers Textes nicht dargelegt werden konnte, ohne die Abwehr der falschen Beschuldigung, welche der Text enthält, zu berücksichtigen; so| kann man auch die Ursachen, um deren willen St. Paul das neutestamentliche Amt so hoch erhebt, nicht vorlegen, ohne hie und da schon erinnert zu werden, daß unser Text mit einer Vergleichung des alt- und neutestamentlichen Amtes abschließt. Diese Vergleichung ist nemlich nicht bloß das Eingehendste, was der Text enthält, sondern sie schließt auch von den Ursachen etliche ein, welche das neutestamentliche Amt mit so großer Glorie umgeben. Laßt uns also nicht scheuen, was nicht zu scheuen ist, schon im dritten Theile einigermaßen vergleichend zu verfahren: es wird nichts desto weniger der Schluß erst im vierten Theile gezogen werden.

 Das neutestamentliche Amt heißt nemlich in unserm Texte ein Amt des Geistes, ein Amt des Lebens, ein Amt der Gerechtigkeit. Eine jede von diesen drei Benennungen würde hinreichen, den großen Ruhm des heiligen Amtes zu rechtfertigen, wie viel mehr werden die drei Benennungen zu dem gleichen Zwecke dienen! Sie sind wie drei unzertrennliche Glieder einer und derselben Kette; sie hängen stark zusammen. Sie sind wie Glieder Eines Leibes, deren keines man verletzen kann, ohne, die Gesundheit des ganzen Leibes zu zerstören; es leiden alle Glieder eines Leibes mit, so wie auch nur ein einziges leidet. Wo Geist ist, da ist Leben, und wo Leben, da Gerechtigkeit. Umgekehrt, wo keine Gerechtigkeit, da ist kein Leben, und wo kein Leben ist, da ist kein Geist. Die drei Namen fallen und stehen miteinander. Es fragt sich aber zunächst, warum das neutestamentliche Amt ein Amt des Geistes, des Lebens und der Gerechtigkeit heißt, wie der Apostel diese Ausdrücke meint? Die Antwort ist leicht. Das Amt des Neuen Testamentes gibt den Geist, mit dem Geiste Leben und mit dem Leben Gerechtigkeit, daher auch Martin Luther ganz richtig den Ausdruck „Amt des Geistes“ übersetzt „Amt, das den Geist gibt.“

 Ein einfacher Hörer des Wortes kann nun leicht begreifen, was für eine mächtige Ursache des Ruhmes und Preises in den drei Namen liegt, welche der Apostel im Texte dem neutestamentlichen Amte gibt. Wie könnte ich das Amt höher heben, als auf diese Weise? Die Kaiser und Könige haben ein von Gott gewolltes und eingesetztes Amt. Mit welch einem Ansehen prangen sie auf Erden daher! Wie weicht vor ihnen alles Volk! Wie beugt sich alles, was Unterthan heißt, wenn der Kaiser, der König, der Herzog, der Fürst daher kommt. Aber werden diese Obrigkeiten sagen, sie seien und hätten ein Amt des Geistes, des Lebens und der Gerechtigkeit? Es fällt gewis keinem ein. Allein wir wollen nicht auf die Kaiser und Könige sehen. Wir wollen mit Paulo in die Vorzeit schauen, das Amt des Alten Testamentes, das Amt Mosis und Aarons, der Propheten und Priester des Alten Testamentes ins Auge faßen. Kann man sagen, das sei – wie des Neuen Testamentes Amt – ein Amt, welches Geist, Leben und Gerechtigkeit gibt? Der Apostel selbst beantwortet uns die Frage mit nein. Er nennt das alttestamentliche Amt ein Amt des Buchstabens, ein Amt des Todes, ein Amt der Verdammnis, – er thut es in unserm Texte. Er gibt ihm also gradezu die entgegengesetzten Titel, lauter Titel, die wohl Grauen und Entsetzen, aber nicht Preis und Ruhm veranlaßen und wecken können. So steht also das neutestamentliche Amt selbst im Vergleich mit dem größten, was wir in der Mit- und Vorwelt finden können, mit dem Amte der Obrigkeit und dem Amte des Alten Testamentes einzig da, denn es gibt, was kein anderes gibt, Geist, Leben und Gerechtigkeit. Der stille Pastor, der am Altar und auf der Kanzel des Amtes waltet, der, vielleicht von Noth und Verachtung der Welt umgeben, den Menschen unnütz und werth erscheint, mit seinem ganzen Thun und Treiben aus der menschlichen Gesellschaft entfernt zu werden, – der hat, so klein, so schwach er scheint und so verachtet er ist, dennoch, weil er das Amt des Neuen Testamentes trägt, zugleich ein Amt, welches Geist, Leben und Gerechtigkeit verleiht.

 Fragst du da nicht, wiefern er dies Amt erweist? Bist du nicht begierig, herauszubringen, wie er, der vielleicht selbst schwach, krank, todesnahe, sterbend ist, Geist, Leben und Gerechtigkeit gebe? Von Natur nennt uns die heilige Schrift Fleisch – mit Seele und Leib, – sie nennt uns todt, sie nennt uns sündig, verloren, verdammt. Wie uns die Schrift nennt und zeichnet, so sind wir ohne Zweifel: wir sind also Fleisch, todt, voll Sünde, verloren und verdammt. Wie wird uns denn das Amt des Neuen Testamentes so segensreich? Das Gesetz, welches Moses bringt und handhabt, gibt und hinterläßt,| macht uns nicht zu andern Leuten, zeigt und ruft uns zu guten Werken, welche wir nicht vermögen zu vollbringen, enthüllt uns eben damit unsre Unfähigkeit und unsern Tod, aber auch unsre Schuld, unsre Bosheit, und das Gericht, welches auf uns wartet. Je mehr man das Amt des Alten Testamentes oder des Gesetzes treibt, je mächtiger man sein waltet, desto trauriger wird die Seele, die unter seinen Einflüßen steht. Das Gefühl des göttlichen Zornes und der Verdammnis legt sich über das arme Herz. Wer hilft da? Da hilft das Amt des Neuen Testamentes – und wodurch? Durch die Mittel, die Heils- und Gnadenmittel, die ihm verliehen sind durch Wort und Sacrament des Neuen Testamentes, durch Evangelium, Taufe und Abendmahl. Nicht der Mann, welcher das Amt hat, kann den heiligen Geist geben aus sich und seiner Fülle heraus, aber das Wort des Friedens, welches er predigt, das Wort von Christi Leiden und Sterben, von Seinem Opfer und Verdienste, das ist es, womit sich der heilige Geist verbindet, wodurch ER Seine Lebenskräfte über die todten Seelen strömt, – und die Taufe ist es, welche der Amtsträger verwaltet, der äußern Handlung nach, welche aber durch den Geist zur Wiedergeburt wird, – und das Abendmahl ist es, welches das neue Leben nährt, stärkt und heranzieht, – und Wort und Sacrament sind es, durch welche der heilige Geist den Sünder von Erkenntnis zu Erkenntnis, von Kraft zu Kraft, von einer Stufe der Heiligung zu der andern fördert. Ich weiß es, daß viele unter euch diese Früchte vom Wort und Sacrament und Amt nicht gepflückt haben und deshalb das Amt verachten. Aber der Apostel im Texte redet nun einmal vom Amte in dem hohen Tone, – und ihm nach redet die Kirche aller Zeiten, ihm nach zeugen die Seligen des Himmels, die Kinder Gottes auf Erden, – die Erfahrenen reden so und widersprechen dem Wiederspruch der Welt, die weder Geist, noch Leben, noch Gerechtigkeit hat; sie stehen dabei fest, sie leben und betheuern, daß das Amt durch die ihm übertragenen reichen Gnadenmittel der fruchtbare Baum ist, von dem Geist, Leben und heilige Gerechtigkeit des innern und äußern Lebens kommt. Sie reden aus Erfahrung, weisen die Unerfahrenen auf Erfahrung und heben hoch und mächtig in der Welt den Ruhm des heiligen Amtes, – eines Amtes, von dem sie wißen, daß es bleiben wird bis ans Ende, dienen und segnen, bis der HErr kommt, – und daß es dem HErrn Seine Braut bereitet für die ewige Hochzeit und Ihm dieselbe zuführt, wenn Er kommen wird.

 Bei solchen Ursachen des Ruhmes ist es dann auch kein Wunder, wenn der Apostel, welcher selbst das Amt trägt, gegenüber seinen judenchristlichen Feinden mit Lust bei der Vergleichung des Alten und Neuen Testamentes verweilt und am Schluß des Textes die Herrlichkeit des Neuen Testamentes siegreich aus dieser Vergleichung hervorbringt und deßen Fahne hoch erhebt.

 Zu faßen, was St. Paulus sagt, muß man vor allen Dingen sich über das Wort Klarheit verständigen. Erinnert euch an jene herrliche Geschichte aus dem Leben Mosis, in welcher erzählt wird, daß er aus dem Umgang mit Gott, in welchen er wunderbarer Weise eingetreten war, ein leuchtendes Angesicht mitgebracht habe; die Gemeinde habe in sein Angesicht erst dann sehen können, als er den Glanz durch eine Decke gemindert und für ihre Augen gelindert hatte. Der leuchtende Glanz seines Angesichtes, von welchem die Sitte der Maler, heilige, gottverlobte Menschen mit einem „sogenannten Heiligenschein“ zu malen, den Ursprung nahm und an welchem sie außer dem leuchtenden Angesicht JEsu auf dem Berge der Verklärung das herrlichste Beispiel hat, – dieser Glanz ist die Herrlichkeit oder Klarheit im Angesichte Mosis, von welcher im Texte die Rede ist. Dieser irdische und zwar vergängliche Glanz des Angesichts Mosis (denn er hörte ja auf, wie aus der alttestamentlichen Geschichte leicht zu schließen, aus St. Pauli Worten aber klar zu sehen ist,) gedieh nun dem Amte Mosis zu hoher Ehre. Er war ihm ja zu Theil geworden, als er mit dem HErrn umgieng, um Seine heiligen Befehle für Regelung aller kirchlichen und staatlichen Verhältnisse Israels in Empfang zu nehmen; das Prophetenamt Mosis und sein Dienst an der Instandsetzung und Einführung der zehen Gebote war dadurch beglaubigt und geehrt. Er wurde in der Ansicht Israels zu einer Klarheit des Amtes. – Daß nun der heilige Paulus bei seiner Vergleichung des neutestamentlichen Amtes mit dem Amte des Alten Testamentes nicht an leuchtende Angesichter der| Apostel und übrigen Diener des Wortes dachte, ist wohl ohne Beweis klar, zumal er ja von einem bleibenden unvergänglichen Glanz des neutestamentlichen Amtes redet. Wenn aber nicht von der strahlenden Klarheit der Angesichter die Rede ist, so kann doch nur theils von der Ehre die Rede sein, welche Gott dem neutestamentlichen Amte nicht minder, als dem des Alten Testamentes gibt, theils aber von der Ehre, die das heilige Amt in der neutestamentlichen Kirche finden soll. Vergleicht nun der Apostel das alt- und neutestamentliche Amt miteinander nach der Ehre, so legt er bei seiner Vergleichung eine andere Vergleichung zu Grunde, nemlich die der Gabe und Wirkung beider Aemter. Je größer Gabe und Wirkung, desto größer die Ehre. Diese erstere, zu Grunde liegende Vergleichung haben wir bereits Gelegenheit gehabt, kennen zu lernen. Wer kann nun nach der Darlegung des Apostels zweifeln, daß das neutestamentliche Amt weit größere Gaben, weit mächtigere, und namentlich seligere, heilendere, heiligendere Wirkung hat, als das Amt des Alten Testamentes? Ist das Amt des Alten Testamentes etwas anderes gewesen in der Wirklichkeit, bei der Beschaffenheit Israels und aller Menschenkinder, als ein Mittel, den Tod und die Verdammniswürdigkeit der Menschen recht unwidersprechlich ins Licht zu stellen und recht öffentlich, als vom Sinai herunter, auszusprechen? Allerdings eine große Glorie Mosis und aller Propheten nach ihm und aller echten Schriftgelehrten; aber eine Glorie, die, wie sie, vergangen ist, – denn wo ist das Amt des Alten Testamentes, – auch nicht mit der zu vergleichen ist, welche dem Amte des Geistes, des Lebens, der Gerechtigkeit zugeschrieben werden muß und von Paulo auch zugeschrieben wird. Sieh hin auf die Millionen seit achtzehnhundert Jahren, welche mit aufgehobenen Händen, im Leben und Sterben das neutestamentliche Amt gesegnet haben, wie nur immer der unter die Mörder Gefallene den guten Samariter mit seinem Wein und Oele segnen konnte! Kannst du den Segen, aber auch das Vertrauen und die Anerkennung überschauen, welche das heilige Amt gerade bei denen gefunden hat, die sein am meisten genoßen und dann am wenigsten bedurft haben? Wenn dermaleins alle gerechtfertigten und geheiligten Christen vor dem Erlöser stehen und Ihm ewigen Dank bringen, wird es dann außer dem Wort und Sacrament, wodurch sie gerechtfertigt und geheiligt wurden, etwas auf Erden gegeben haben, was sie in jenen Stunden und der nachfolgenden Ewigkeit mehr ehren werden, als das Amt des Neuen Testamentes, durch welches aller Welt Wort und Sacrament zu Theil geworden ist? Ich glaube es nicht. Schon Daniel versetzt die Glorie der Angesichter der Lehrer in die Ewigkeit, wenn er sagt: „Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit wiesen, wie die Sterne immer und ewiglich.“ Dann wird leiblich sichtbar werden, was hier zwar oft unsichtbar ist, aber dennoch nicht entschwindet; denn die Ehre des neutestamentlichen Amtes ist nicht bloß zukünftig, sondern von den Zeiten Pauli an bleibend, also schon vorhanden. Seitdem das Amt Neuen Testamentes da ist, ist seine Ehre im Himmel und bei allen Heiligen auf Erden da – und wird ewig bleiben – und zwar so groß und herrlich, daß Mosis glänzendes Angesicht, ebensosehr dagegen verschwindet, als die alttestamentliche Gabe vor der des Neuen Testamentes. Gewis muß daher auch alles, was Christ heißt, mit Paulo stimmen, wenn er sagt: „Wenn das Amt des Todes, das in die Steine gegraben war, in Klarheit war, so daß die Kinder Israels in das Angesicht Mosis nicht schauen konnten, wegen der Klarheit seines Angesichts, die doch vergieng: wie soll und wird da nicht vielmehr das Amt des Geistes in Klarheit sein? Denn wenn das Amt der Verdammnis Klarheit ist, so fließet und strömet viel mehr das Amt der Gerechtigkeit in Klarheit über. Denn was verklärt ist, ist in diesem Stücke nicht einmal verklärt (zu nennen), wegen der Klarheit (des neutestamentlichen Amtes), von der es übertroffen wird. Denn wenn das, was aufhört (das Amt des Alten Testamentes) durch Klarheit gieng, so wird das, was bleibet (das neutestamentliche Amt) in Klarheit stehen.“
 Nachdem Euch nun der Ruhm des neutestamentlichen Amtes, von St. Paulo mehr als von mir, vor die Augen gemalt ist, so frage ich euch, die ihr hier versammelt sind, ob bei euch das Amt in Klarheit, in Herrlichkeit, in Ehren ist? Ich erinnere euch, daß wir im neunzehnten Jahrhundert der Kirche leben, in welchem sich, wie es scheint, mit Macht der Abfall nicht bloß vorbereitet, sondern ereignet, der vor dem Auftreten des Antichrists eintreten soll. In| dieser unserer Zeit ist mehr als einmal bereits die Ehre und Herrlichkeit der Obrigkeit dahingesunken und verachtet worden; voraus aber ist das Amt des Neuen Testamentes verunehrt und in den Staub getreten worden. So lange das Amt in Ehren ist, wird die Obrigkeit geehrt, denn es lehrt die Obrigkeit ehren. Mit der Achtung vor dem Amte wanken und sinken die Thronen. Ist das Amt mehr in Ehren, als 1848? Stehen die Thronen sicherer? Ich fürchte, nein. Das ist eine Antwort fürs Allgemeine; sie ist es auch in Anbetracht euer. Ehret ihr die Obrigkeit? Vielleicht erscheint es euch so. Aber wenn ihr euer Gewißen über diese Frage prüfen wollet, so fraget euch nur, ob ihr das Amt ehret. Ich will gerne anerkennen was anzuerkennen ist. Es mag mehr Leute unter euch geben, welche das Amt ehren, ohne daß ichs wahrzunehmen bekomme. Aber es sind viele unter euch, die das Amt nicht ehren, und manche, die es in den Staub treten. Es ist ein folgenreicher Vorwurf, den ich euch mache, – folgenreich für eure Ewigkeit; denn es steht geschrieben: „wer euch höret, der höret mich; wer euch verachtet, der verachtet mich.“

 Vielleicht aber hat der eine oder der andere unter euch eine Ausrede. Vielleicht sagt der eine oder andere, das Amt Pauli wollen wir erkennen, aber nicht das Amt der Pfarrer? Dann sage ich euch, daß ihr den Leuten zu Christi Zeit gleichet, die den verstorbenen Propheten Gräber und Monumente bauten, Christum und Seine Heiligen aber ermordeten und ihnen jede Schmach anthaten. Habt ihr nicht gehört, daß die Klarheit des Amtes nicht vergehen, sondern bleiben soll, und daß dies ein Unterschied zwischen neutestamentlichem und alttestamentlichem Amte ist? Wenn aber die Klarheit bleiben soll, kann dann das Amt untergehen? Leuchtet denn auch ein Feuer noch in Klarheit, wenn es erloschen ist? Leset eure Bibel beßer. Schauet hinein in die Briefe Pauli an die Corinther nicht bloß, sondern auch an die Epheser, an Timotheus, an Titus etc., leset forschend die andern apostolischen Briefe und überzeugt euch, daß die Apostel selbst den Hirten und Lehrern, also den Pfarrern, welche eure Hirten und Lehrer sind, das Amt zuschreiben, welches sie haben. Die Stellung zur Gemeinde und die Gabe ist mancherlei, aber Wort und Sacrament sind gleich bei den Pfarrern wie bei den Aposteln. Darum predigen ja die Apostel ausdrücklich die Ehre des Aeltesten- oder Hirtenamtes und wollen, daß man einen Aeltesten, der wohl vorsteht, zwiefacher Ehre werth halten soll. Es gibt daher keine Ausrede, keine giltige. Der HErr kennt die Herzen wie die Worte der Feinde Seines heiligen Amtes und wird sie finden und richten.

 ER wende eure Seelen zum Gehorsam der Wahrheit, zur Ehrerbietung gegen das heilige Amt, – und vergebe euch alle Sünden, auch die ihr gegen das heilige Amt begangen habet. Bekehrt euch von allen euern Sünden, auch von diesen, denn es ist Ein HErr, der alle verbietet, alle richtet, alle strafet. – Der HErr nehme keinen aus dem Leben und stelle keinen unter Euch vor Sein Angesicht, bevor er Buße gethan und Vergebung empfangen hat für alle seine Sünden, auch für die gegen das heilige Amt.

 Allen Seinen Knechten und Amtsträgern aber gebe ER Geduld und gegen die Widerwärtigen ein muthiges, starkes, aber auch betendes, väterliches, liebevolles Herz. Amen.




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