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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

deutet die Kirche durch ihre Textwahl das Evangelium, – und in dem Taubstummen sollen alle, die das Amt tragen, ihr Vorbild und den Weg erkennen, auf dem auch sie zu Erkenntnis und Zeugnis kommen. – Wohlan, ich denke, die wählende Kirche hat Recht. Ihr erkennet den Zusammenhang der Texte und wir gehen befriedigt und ohne Aufenthalt weiter, unsre Epistel zu betrachten.

 Diese Epistel enthält Vers 4. 5 die Veranlaßung zu dem Ruhm und Preis des Amtes, welchen der heilige Apostel anstimmen will; Vers 5. 6 eine Abwehr verkehrter Ausdeutung des Preises; Vers 6 auch noch die Ursache alles Ruhmes und Preises und endlich Vers 7–11 eine Vergleichung des göttlichen Amtes im Neuen Testamente mit dem im Alten Testamente. Zuweilen ist es für uns faßlicher, wenn uns der Inhalt eines epistolischen Textes nicht grade in der Gedankenfolge des heiligen Schriftstellers vorgelegt wird, heute aber ist kein Grund von Bedeutung vorhanden, weshalb wir vom Gedankengang des Apostels abweichen sollten, da bei euch so viel Bekanntschaft mit der Lehre der heiligen Schrift von dem neutestamentlichen Amte vorausgesetzt werden kann, als nöthig ist, um die zwei ersten Gedanken zu verstehen, noch ehe der dritte dargelegt wird, welcher die Ursache von Ruhm und Preis des Amtes angibt. Sonst wäre es freilich bequemer den dritten und wohl auch vierten Theil des Textes vorauszunehmen.

 Schon im zweiten Kapitel des zweiten Briefes an die Corinther hatte der heilige Paulus begonnen, sein Amt zu preisen. Nach der Kenntnis der menschlichen Seelen aber, welche er hatte, konnte er wohl schließen, daß ein Ruhm und Preis des Amtes als Ruhm und Preis der Amtsträger würde aufgefaßt werden, und daß man persönlich nehmen, deshalb als Hochmuth ausdeuten würde, was er ganz sachlich, mit allem Absehen von eigenem Verdienste meinte. Da schreibt denn der Apostel in den ersten Versen des Textkapitels, er habe keinen Ruhm und Preis seiner persönlichen Amtsführung nöthig und brauche Empfehlungsbriefe weder für die Corinther, noch von ihnen. Sie selbst, das Bestehen und die Begabung der corinthischen Gemeinde und seine Amtsverwaltung seien ein Empfehlungsbrief für ihn, von dem man billig erwarten müße, daß er tief in die dankbaren Herzen geschrieben sei und deshalb gar kein anderes Schreibmaterial bedürfe. Indem nun aber der Apostel sich auf seine Wirksamkeit und den Segen seines Amtes beruft, kommt er aufs Neue in die Noth, der er entrinnen wollte. Was er sagte, konnte ja wieder als hochmüthige Rede ausgedeutet werden, und es bleibt ihm daher nichts übrig, als erst noch gründlicher auf den Ruhm und Preis des Amtes selbst einzugehen. Die Corinther sollten an die Herrlichkeit des Amtes erinnert und in ihrem Gedächtnis alles aufgeweckt werden, was ihnen Paulus längst vorgetragen hatte. Weil sie, wie überhaupt der Mensch, in der Anfechtung zur Sünde und Verkennung Pauli, geneigt waren zu vergeßen, was sie in der Anfechtung stärken konnte, mußte es ihnen nun ins Gedächtnis gerufen werden. Die Veranlaßung also zu dem erneuerten Ruhm und Preise des Amtes sind eben die argen Gedanken, welche sich in den Herzen der Corinther voraussichtlich bei dem Vortrag des Apostels regen konnten, dieselben argen Gedanken, welche St. Paulus zu Anfang unsers Textes abwehrt. So groß ist nach Meinung des Apostels die Herrlichkeit des Amtes, daß aller Verdacht, als lobe er sich selbst, indem er seines Amtes Segen vorlege, verschwinden muß, so wie diese Glorie gezeigt wird. Ob alle Corinther für diese Weise der Vertheidigung Pauli empfänglich waren, das ist eine andere Frage. Je befleckter das eigene Gewißen ist, desto weniger Gutes traut man einem fremden Gewißen zu. Je verwerflicher das eigene Herz und sein Getrieb, desto schärfer pflegt das Urtheil über andere zu sein. Die Erinnerung an die Uebung des achten Gebotes erscheint da nur wie eine übel begründete Bitte um Schonung, wie eine Verleitung zur Verbergung der Wahrheit. Hat man es nun mit solchen Leuten zu thun, so muß man sich eben gefallen laßen, verkannt zu sein und zu bleiben und unter dem Summen der Mücken dem Sonnenstrahle der Wahrheit unverrückt folgen.

 Da nun die Veranlaßung zum Preise des Amtes dieselben argen Gedanken sind, welche St. Paulus abwehren will, also der erste und zweite Theil unsers Textes und Vortrags zusammengehen, wie zwei Strahlen in Einem feurigen Punkte zusammentreffen; so müßen wir diese argen Gedanken vor allem deutlich machen. St. Paul verschmäht Empfehlung und Empfehlungsbriefe für die Corinther und von ihnen: er

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 082. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/458&oldid=- (Version vom 1.8.2018)