« Register der Winterpostille Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Register der Sommerpostille
Trinitatis 01 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|

Am Feste der allerheiligsten Dreieinigkeit.

Römer 11, 33–36.
33. O welch eine Tiefe des Reichtums, beides der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind Seine Gerichte, und unerforschlich Seine Wege! 34. Denn wer hat des HErrn Sinn erkannt? Oder wer ist Sein Rathgeber gewesen? 35. Oder, wer hat Ihm etwas zuvor gegeben, das Ihm werde wieder vergolten? 36. Denn von Ihm, und durch Ihn, und in (zu) Ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

 GEheimnisse in der Religion oder keine? Eine oft aufgeworfene Frage, die wir nicht anders beantworten können, als mit den Worten: Ja, es gibt Geheimnisse. Eine Religion, die keine Geheimnisse hätte, die in allen ihren Gebieten von dem menschlichen Verstande durchdrungen werden könnte, nichts in sich hätte und nichts übrig ließe, was uns unbegreiflich wäre, würde nur ein Beweis ihres geringen dunklen menschlichen Ursprungs und ihres Unwerthes sein. Eben weil die christliche Religion eine Offenbarung Gottes ist, die sich über alles erstreckt, über Gott und Welt, über die Schöpfung und Erlösung des Menschen, über seinen Beruf hier und dort, eben deshalb ergeht sie sich in Höhen und Tiefen, Fernen und Weiten, welche weit über alle unsere Faßungskraft hinausgehen, von denen auch zum Theil zu vermuthen, ja zu wißen ist, daß unser Geist auch in den fernsten Fernen der Ewigkeiten sie zu durchforschen Kraft und Vermögen nicht besitzen wird. Zwar sind nicht alle Geheimnisse von der Art, daß sie für alle Ewigkeit unserer Faßungskraft spotten, es gibt auch Geheimnisse, die, wenn wir sie gleich nimmermehr von uns selbst ahnen oder finden konnten, dennoch, nachdem sie einmal offenbart sind, sich tief in die Erkenntnis der menschlichen Seele legen. Aber von diesen Geheimnissen, welche aufhören, Geheimnisse zu sein, sobald sie kund gegeben sind, reden wir heute nicht, sondern nur von denen, die, wie bereits gesagt, auch nach der Offenbarung bleiben, ja ewig bleiben, was sie sind. Insonderheit rechnen wir dahin das Geheimnis der allerheiligsten Dreieinigkeit oder des göttlichen Wesens, und die Geheimnisse des göttlichen Thuns und Waltens unter den Menschenkindern, die Wahl und Verstoßung der Juden und die Wiedergeburt des Menschen. An jenes erste Geheimnis des göttlichen Wesens erinnert der Tag, den wir feiern und sein Name. Von dem erstgenannten Geheimnisse des göttlichen Thuns, der Wahl und Verwerfung der Juden, redet die Epistel. Von dem Geheimnis der Wiedergeburt aber das heutige Evangelium, so daß man also an diesem Tage an eitel Geheimnisse erinnert wird. Verwunderlich könnte es dabei nur scheinen, daß am Feste der allerheiligsten Dreieinigkeit das Evangelium von der Wiedergeburt, die Epistel von Wahl und Verwerfung der Juden handelt, da man doch vielmehr einen Text erwartet, welcher vom Geheimnis der allerheiligsten Dreieinigkeit selbst handelte. Allein, das Fest der allerheiligsten Dreieinigkeit ist ein junges Fest, die Wahl unserer Texte ist älter und da man also eigentlich für die Octave des Pfingstfestes Lectionen auszusuchen hatte, konnte man auf der Schwelle des Winter- und Sommerhalbjahres acht Tage nach Ostern nichts beßeres thun, als von den großen Werken des Geistes, der Wiedergeburt und dem Schicksal der Juden lesen. Es bleibt jedoch immerhin leicht genug,| von den Geheimnissen des göttlichen Thuns auf die des göttlichen Wesens den Schluß zu machen, und während man jener gedenkt, innerlich in beständigem Andenken das Geheimnis des göttlichen Wesens zu tragen und in anbetender Ferne, der eigenen Gnadenwahl und Wiedergeburt versichert, vor dem Gotte niederzufallen, deßen Wesen ein unausforschliches Meer und ein unergründlicher Abgrund, ist.
.
 In dem vorausgehenden Kapitel hat der heilige Paulus jenes wunderbare Gegentheil seines Lieblingsgedankens abgehandelt. Sein Lieblingsgedanke ist die Vereinigung Israels und der Heiden zu Einem Glauben und zu Einer Kirche, die Vereinigung der beiden Mauern des ewigen Tempels durch Einen Eckstein. Das Gegentheil davon ist der Gedanke von der Verwerfung Israels auf eine Zeit lang und der Blüthe des Heidenchristentums für dieselbe Zeit, das kräftige Wachstum der eingepfropften Zweige auf dem alten Stamm, während die natürlichen Zweige verdorren, bis auf den Tag, wo es anders wird und Gott nach Seiner unwandelbaren Gnade und Treue aus dem Stamme auch wieder natürlicher Zweige die Fülle und aus ihnen unzählige Früchte erwecken wird. So wie die Vereinigung der Juden und Heiden zu Einer Kirche die heilige Absicht Gottes in der Geschichte ist, so ist umgekehrt das zeitweilige Verderben Israels und das einseitige mächtige Vorwiegen der Heidenchristen die Nachtseite der Geschichte. In beiden aber erfüllt sich das Geschick der Menschheit; in beiden vollenden sich alle Wege Gottes, wie der Geschichte. Bei der Betrachtung beider Seiten der Geschichte wird man, je tiefer man erkennt, desto mehr zu den bewundernden Worten des heiligen Paulus in unserm Texte hingerißen: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beide der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind Seine Gerichte und unerforschlich Seine Wege! Denn wer hat des HErrn Sinn erkannt, oder wer ist Sein Rathgeber gewesen? Oder wer hat Ihm etwas zuvor gegeben, das Ihm werde wieder vergolten?“ Außerordentliche Worte sind es, welche ich so eben aus unsrem Texte wiederholt habe, Worte, für deren Deutung meine Einsicht vielfach zu kurz und klein ist. Es ist ja überhaupt so mit den Worten der heiligen Schrift, daß auch die klarsten unter ihnen von Menschen nicht ergründet werden können, manche überhaupt für jede menschliche Deutung zu groß und tief sind, eine große Anzahl aber zwar der Deutung fähig, auch vielfach gedeutet sind, für den bescheidenen Leser aber dennoch bei all ihrem Lichte so viel göttliches Dunkel enthalten, daß man sich schwer für diese oder jene Deutung entscheidet. So mags euch auch zuweilen mit meinem Deuten gehen und ich würde euch vielfach mit demselben gar nicht behelligen, wenn ich nicht doch die Ueberzeugung hätte, daß auch bloße Deutungsversuche, wenn sie dem Glauben ähnlich sind, der aufmerksam betrachtenden Seele zur Förderung gedeihen und die geistlichen Sinne stärken können, und wenn es nicht süß und friedlich wäre, sich gemeinschaftlich mit Gottes Worten zu beschäftigen, selbst wenn man am Ende weiter gar keinen Eindruck bekäme, als den, daß Gottes Wort sehr groß, wir aber sehr arm und klein seien vor Ihm. Darum wollen auch wir es getrost wagen, von den drei Textesversen, die ich zuletzt angeführt habe, die Deutung zu versuchen. Es ist die Rede von einer Tiefe des Reichtums, beide der Weisheit und Erkenntnis Gottes. Die Weisheit Gottes ist, denke ich, jedenfalls die Weisheit, die Gott selbst hat, und von welcher Er, menschlich zu reden, bei allen Seinen Wegen und großen Thaten geleitet wird. Die Erkenntnis Gottes ist aber nicht eine Erkenntnis, die Gott hat, sondern die wir von Ihm und Seinen Wegen besitzen und durch Ihn Selbst empfangen. Die beiden bereits angegebenen großen Gedanken der Geschichte vom Bau der Kirche aus Juden und Heiden, so wie von der zeitweiligen Verwerfung Israels und dem Ueberwiegen des Heidenchristentums bis zu jener Zeit, wo das Reich Israel aufgerichtet wird, enthalten in sich eine Tiefe des Reichtums, beides der göttlichen Weisheit und der menschlichen Erkenntnis Gottes. Wer Gott will erkennen, muß Seiner Weisheit nachgehen, wer aber die Weisheit sucht, der findet sie in demjenigen, was uns die Schrift von den Wegen Gottes, von dem Schicksal der Juden und Heiden offenbart. Je tiefer ihm das Meer der göttlichen Weisheit erscheint, desto tiefer wird seine Erkenntnis Gottes. Der Weg aller Heiden von den Tagen Babels an bis zum ersten christlichen Pfingsten und von da bis zum Ziele, an dem sich der Heiden Zeit erfüllt, ebenso aber auch der Weg Israels vor Christo, in der Zeit vor und nach der babylonischen Verbannung und nach Christo während der Zeit der| Heiden und am Ende ist ein Weg voll Gericht und Gerechtigkeit, voll wunderbarer Führungen des HErrn. Der Apostel Paulus, welcher die Geschichte der Vergangenheit und die Zukunft der Geschichte weißagend und lehrend durchdrungen hat, sieht eben in den Geschicken der Juden und Heiden eine Offenbarung der gerechten Gerichte und der gnädigen Führungen Gottes und ruft, während sein Blick dabei verweilt, voll Bewunderung die Worte aus: „Wie gar unbegreiflich sind Seine Gerichte und unausforschlich Seine Wege.“ „Unbegreiflich“ ist hier nicht in dem Sinne gebraucht, in welchem dies Wort unter uns gebraucht zu werden pflegt; es ist nicht damit angedeutet, daß wir die Gerichte Gottes gar nicht faßen oder erkennen könnten, sondern es sagt uns in ähnlicher Weise, wie das gebrauchte Wort „unausforschlich“ nichts anders, als daß wir die Gerichte und Wege Gottes mit unserer Vernunft nicht hätten ausfindig machen, sie weder hätten ahnen noch entdecken können. Die Weisheit, die Gerichte, die Wege Gottes sind den Menschen verborgen, und so ganz die Geschichte Israels und der Heiden ihrer voll ist, so würden doch selbst apostolische Geister ohne Offenbarung dies nicht erkannt und die Geschichte der Welt und der Zukunft eben so wenig im klaren Lichte geschaut haben, als die ungläubigen Geschichtsforscher unserer Tage, die, je reicher ihre Kenntnis der geschichtlichen Thatsachen wird, doch desto weniger den Sinn der Geschichte faßen und je länger, je weniger aus dem wallenden und brausenden Meere der Völker klug werden können. St. Paulus, des göttlichen Lichtes voll, rühmt und preist Weisheit, Gerichte und Wege Gottes nach dem Maße des tiefen Reichtums seiner Erkenntnis. Dabei ist ihm das alle menschlichen Gedanken und Kräfte überragende Licht, das er in die Geschichte der Juden und Heiden bekommen hat, so groß, so alle menschliche Kraft und Gabe verspottend, daß er des Gedankens nicht los werden, sondern seine tiefe Verwunderung und Anbetung aussprechen muß. Er thut es in den Worten: „Wer hat des HErrn Sinn erkannt, oder wer ist Sein Rathgeber gewesen, oder wer hat Ihm etwas zuvor gegeben, das Ihm wieder vergolten würde?“ Er spricht in dreien Fragen, deren eine immer stärker ist, als die andere. Alle drei sind verneinend zu beantworten, und die Verneinung der einen schließt die Bejahung der nachfolgenden aus. Kein Mensch hat des HErrn Sinn erkannt, den Er bei der Führung aller Völker hatte; wieviel weniger ist irgend jemand Sein Rathgeber gewesen, als Er den Plan der Geschichte machte; am allerwenigsten aber sind Gottes unaussprechliche Wohlthaten und wunderbare Führungen in Berücksichtigung irgend eines menschlichen Verdienstes ins Werk gesetzt worden, sondern wenn auch alle Seine Gerichte vollkommen gerecht sind und den Menschen nach Verdienst bezahlen, so ist doch keiner Seiner Gnadenwege eine Vergeltung des Wohlverhaltens, sondern es bleibt jede treue selige Führung Gottes in der Zeit und am Ende der Zeit Gnade und nichts als Gnade. Das erkennt der Apostel und in solcher Erkenntnis lobt, preist und anbetet er den HErrn. Ja er ist so durchdrungen vom Lobe Gottes und von der Nichtigkeit des Verdienstes aller Völker und Menschen, daß er den Schluß, im engsten Zusammenhang mit den vorausgegangenen Gedanken, mit einem prächtigen Lobe Gottes macht, indem er Vers 36 spricht: „Von Ihm und durch Ihn und zu Ihm sind alle Dinge, Ihm sei Ehre in die Ewigkeiten. Amen.“ Von Ihm sind alle Dinge, denn Er hat alles geschaffen. Durch Ihn bestehet alles, denn Er ist es, der die abfällige Welt trotz ihres Abfalls und ihrer Sünde erhält. Zu Ihm sind alle Dinge, denn es ist Sein heiliger Wille, daß alles wieder zu Ihm kehre. Was durch den Schöpfer ins Dasein gerufen, durch den Erlöser erhalten ist und vor dem Zorne Gottes bewahrt, das soll durch den Geist der Gnaden und seine selige Wirkung wieder zu Ihm kommen und in den uranfänglichen Zustand zurückkehren. So ist also Gott der HErr und Seine heilige dreieinige Wirkung in allen Perioden der Welt alles in allem, und weil Er und Sein Thun alles in allem ist, in der Schöpfung, Erhaltung und Erlösung, so bringt Ihm der Apostel die Ehre und will dieselbige Ehre Gottes in alle Ewigkeiten ausgedehnt haben.
.
 Wenn nun auch, meine lieben Brüder, dieser ganze Text sich auf den Bau der heiligen Kirche, das große Werk des heiligen Geistes in der Welt bezieht, und ebenso wie die Epistel die Pfingstbetrachtung und die Pfingstgedanken fortsetzt, so eignet sich doch so Evangelium wie Epistel ganz wohl auch für das Trinitatisfest. Nicht bloß finden wir| die undurchdringlichen Geheimnisse der Gerichte und Wege Gottes gleichsam wie lichte Wolken vor den Pforten des allerhöchsten Geheimnisses, der allerheiligsten Dreifaltigkeit gelagert, sondern es schließt die apostolische Betrachtung geradezu mit Preis und Lob der allerheiligsten Dreieinigkeit selbst. Das „von Ihm, durch Ihn, zu Ihm“ redet ja nicht bloß von drei unterschiedenen Werken Gottes, sondern es weist auch auf die drei unterschiedenen Personen in der Einen Gottheit. Die Lobpreisung aber: „Ihm sei Ehre in die Ewigkeiten“ faßt nicht bloß alle Ehre der Werke Gottes zusammen, sondern auch die drei Personen zu Einem Wesen, dem alle Ehre gebührt. So geht man also durch die lichten Wolken, das ist durch die Geheimnisse des göttlichen Thuns, wie durch Vorhöfe anbetend hinein in den Tempel, in welchem das persönliche Geheimnis des göttlichen Wesens sich offenbart, und die Pfingstbetrachtung leitet also zur Betrachtung des Dreinigkeitsfestes.

 Wenn man nicht wüßte, meine lieben Brüder, daß die heutigen Texte älter sind, als die Feier eines besonderen Trinitatisfestes, so könnte man die heutige Textwahl für das Fest, das man feiert, völlig zu rechtfertigen suchen. Es gibt einen griechischen Dichter, welcher Lieder zu Ehren von ihm groß und hochgeachteter Menschen verfertigte; diese Lieder aber handeln nicht von diesen Menschen selbst, sondern zu Ehren derselben von andern Dingen, die man allenfalls in eine ehrende Beziehung auf die Helden sehen kann, denen das Lied gewidmet ist. Man hat diese Verfahrungsweise des Dichters sehr schicklich gefunden. So könnte man es auch schön und schicklich finden, daß an dem heutigen Tage nicht Lectionen gelesen werden, welche geradezu von den dreien Personen, oder der einen Gottheit handeln, sondern solche Texte, die von dem allerhöchsten Geheimnis ehrerbietig schweigen, zu Seinen Ehren aber von andern großen Geheimnissen, von den Geheimnissen der Wiedergeburt und des göttlichen Baues der Kirche in einer solchen Weise handeln, daß man alle Augenblicke an das allerhöchste Geheimnis des göttlichen Wesens zu denken sich veranlaßt sieht, zumal wenn man es bereits in anbetendem und feierndem Andenken trägt. Da liest man: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beide der Weisheit und der Erkenntnis Gottes,“ und es erwacht an dem Gedanken der andere: O welch eine Tiefe des Wesens, der Offenbarung und der Erkenntnis des dreieinigen Gottes! Man liest: „Wie gar unbegreiflich sind Seine Gerichte und unausforschlich Seine Wege“, und neben diesem Ausruf dringt aus der Seele ein anderer: Und wie unbegreiflich bist Du selbst, Du ewiger, heiliger, dreieiniger Richter, und Du ewiger, barmherziger, dreieiniger Hirte und Führer Deines Volkes und Deiner Kirche. „Wer hat des HErrn Sinn erkannt,“ liest man weiter, „oder wer ist Sein Rathgeber gewesen, oder wer hat Ihm etwas zuvor gegeben, das Ihm wiedervergolten würde?“ Aus diesen Worten hebt sich alsbald die andere Rede: Und wer hat nicht Deinen Sinn, o HErr, sondern Dein Wesen erkannt, wer ist nicht Dein Rathgeber, nicht Dein Wohlthäter, nein, wer ist Dein Schüler, wer ist, Du ewiger Wohlthäter, Dein Kind und Mündel gewesen, der nur recht verstanden und gefaßt hätte, was Du bist, wer Du bist? Ist denn ein Mensch, ja ist denn ein Engel nur werth, genannt zu werden ein Auge, ein Ohr für Dich und Deine Offenbarung? Von Dir und durch Dich und zu Dir sind alle Dinge: das hören, das wißen wir und wißen es doch auch wieder nicht. Wie unbegreiflich, wie unausforschlich bist Du für uns arme Menschen! Dir sei Ehre in Ewigkeit!

 Nachdem wir unsern Text zu verstehen gesucht haben, sind wir an der Handleitung desselben bei dem Feste angekommen, das wir heute feiern. Dies Fest feiert nicht eine That des lebendigen Gottes, sondern das Geheimnis Seines Wesens und ist insofern das einzige in seiner Art. Es ist für die vergangene Festzeit, für die geschloßene Hälfte des Kirchenjahres wie ein mächtiges Siegel, welches in den Umrissen des Wappens, das es in sich hält, in den drei großen Namen: Vater, Sohn und Geist die Erinnerung an alles zusammenfaßt, was man von Advent bis Pfingsten gefeiert hat. Es ist aber auch nicht bloß ein Siegel für die vergangene Hälfte des Jahres, sondern auch ein herrlicher Anfang der zweiten Hälfte. Hindurchgedrungen bis zur Erkenntnis und dem Bekenntnis der göttlichen Dreieinigkeit, gestärkt durch so viel Feier in Furcht und Scheu vor dem Dreieinigen geht man der zweiten Hälfte des Kirchenjahres entgegen, bereit, durch eigene gute Werke die Zeit zu weihen, wie man sie im ersten halben Jahre vorzugsweise durch die Erinnerung an Gottes große Werke geweiht| und geheiligt hat. Der dreieinige Name des HErrn geleitet uns zur seligen Uebung jeder gottwohlgefälligen Tugend. Mag nun aber das Fest der allerheiligsten Dreieinigkeit in seinem Verhältnis zu den beiden Hälften des Jahres so oder anders gefaßt werden, so bleibt es doch an und für sich selbst ein Ausdruck der bewundernden Anbetung, welche alle wahren Kinder der Kirche des HErrn durchdringt. – Worüber sinnt die Menschenseele mehr, als über die Gottheit? Wie ein Mensch auch beschaffen sei, immerhin wird er sich doch vor Gottes Augen stellen und über das große Du der geschaffenen Welt, den Ursprung aller Dinge seine Gedanken haben. Je weiser und verständiger, je aufrichtiger und offener ein Mensch ist, desto willkommener wird ihm die Lehre von der allerheiligsten Dreieinigkeit sein, denn sie kommt einem jeden Bedürfnis entgegen, das wir beim Forschen über Gott und Sein Wesen haben können. Wäre Gott nur Einer, so wäre Er nicht vollkommen, weil Er die Liebe nicht sein könnte. Wie könnte Er die Liebe sein, wenn nichts da wäre, was Er lieben sollte, wenn Er Sich das erst durch die Schöpfung verschaffen müßte, und wie könnte Er der allein Selige sein, wenn Er nicht liebte. Ein einziges göttliches Wesen, einsam und selbstgenügsam, könnte auch für die Creatur nicht der Ursprung jener heiligen Lehre sein, welche in die Bruderliebe und überhaupt in die Liebe des Gesetzes Erfüllung verlegte. Es muß eine Mannigfaltigkeit in dem einigen göttlichen Wesen sein, damit es die Liebe sein und die Liebe einen Gegenstand haben und sich zu demselben bewegen könne. Diese Mannigfaltigkeit aber ist vollendet in der Dreiheit, die allein weder zu arm, noch zu reich ist für das göttliche Wesen. Auch eine Zweiheit wäre zu arm und eine Zahl, die über die Dreiheit hinausläge, wäre zu mannigfaltig, zu vielfach für Gottes Wesen. Wie aber eine Dreiheit in Gott nothwendig ist, so ist auch nöthig, daß die Einheit sei und ewig bleibe. Eine Dreiheit ohne Wesenseinheit wäre ebenso wenig vollkommen, als eine Einheit ohne Dreiheit der Personen. Drei gleiche göttliche Wesen sind so undenkbar, als drei, die zu einander im Verhältnis der Ueber- und Unterordnung stehen. Gäbe es drei gleiche, so könnte man es nicht faßen, denn wie sollten drei ohne alle Ueber- und Unterordnung von Ewigkeit zu Ewigkeit nebeneinander stehen können. Gäbe es aber drei über- und untergeordnete, so wüßte man nicht, wie die selige Liebe bestehen könnte, die am Ende nur ihresgleichen vollkommen und seliglich lieben kann. Da hilft allein jene höhere Lehre von der Einheit in der Dreiheit, von dem Einen Wesen der drei Personen. Solcher Gedanken gibt es viele; sie führen und leiten den Bescheidenen und Bedächtigen zur bewundernden Anerkennung der heiligen Lehre von der Dreieinigkeit Gottes, die ein so vollkommener Gedanke und eine so große Wahrheit ist, daß man sie um ihrer selbst willen als ewige Wahrheit annehmen müßte, selbst wenn es möglich wäre, daß der Mensch auf sie geriethe durch eigene Eingebung, ohne Offenbarung. Der Leichtsinnige freilich, der über das göttliche Wesen niemals ernst gedacht hat, sondern sich mit weit wenigerem genügen läßt, mit viel geringeren Gedanken, weiß dieser Lehre eben so wenig zu huldigen, oder sie zu erkennen, als er von sich und seinem eigenen Herzen ein rechtes Urtheil zu fällen vermag. Frevelnd belächelt er eine Lehre, die jenseits aller menschlichen Gedanken liegt, und meistert mit frecher Zunge das Geheimnis, vor dem sich Erde und Himmel neigt. Ihm scheint es fast, als habe er sich in dem unschlachtigen Geschlechte dieser Welt der heiligsten Lehre zu schämen, als wäre es Beschränktheit, die Worte in der heiligen Schrift von der Dreiheit und Einheit ergeben und gläubig anzunehmen. So haschet dann der HErr die gerne Weisen in ihrer Thorheit, während die wahrhaft weisen Menschen sich gerne beschränken, die Vernunft unter den Gehorsam des Glaubens gefangen nehmen, das Geheimnis der allerheiligsten Dreieinigkeit glauben und dann allmählich auch mit ihrem armen Verständnis aus den klaren, aber unermeßlichen Tiefen des Geheimnisses schöpfen lernen. – Ich rede von einem Geheimnis, meine Theuren, und von der Klarheit, die es seinen Schülern verleiht, aber ich weiß auch, daß hier mehr anzubeten, als zu verstehen ist. Weitaus am meisten ziemt es mir und lüstet es mich, in die Posaune zu blasen und aller Welt zuzurufen: „Stille vor Ihm alle Welt.“ Man lobt in der Stille anbetender Herzen den dreieinigen Gott. Man betet feiernd an, und wenn die Gemeinde recht still geworden, recht ins Bewußtsein eingetreten ist, vor Gott zu stehen und dreimal heilig singt Dem, der dreimal heilig ist, dann fällt Trinitatisfeier wie Mittagslicht vom Himmel und die Absicht dieses| Festes ist erreicht, denn es gilt hier bei weitem mehr anzubeten und vor Gott zu schweigen, als von dem unermeßlichen Meere Seines Wesens zu wißen; die Betrachtung schweigt, die Predigt hört auf, das Halleluja aber und das dreimal Heilig beginne, um nimmermehr aufzuhören. Amen.




« Register der Winterpostille Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Trinitatis 01 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).