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Am Sonntage Rogate.

Jakobi 1, 22–27.
22. Seid aber Thäter des Worts, und nicht Hörer allein, damit ihr euch selbst betrüget. 23. Denn so jemand ist ein Hörer des Worts, und nicht ein Thäter, der ist gleich einem Manne, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschauet. 24. Denn nachdem er sich beschauet hat, gehet er von Stund an davon, und vergißt, wie er gestaltet war. 25. Wer aber durchschauet in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und darinnen beharret, und ist nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern ein Thäter: derselbige wird selig sein in seiner That. 26. So aber sich Jemand unter euch läßt dünken, er diene Gott, und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern verführet sein Herz, deß Gottesdienst ist eitel. 27. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist der: die Waisen und Wittwen in ihrer Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt behalten.

 DEr heutige Sonntag heißt Betsonntag, nicht bloß, weil das herrliche aus Joh. 16 entnommene Evangelium jene hochberühmte herrliche Stelle vom Gebet im Namen JEsu enthält, sondern weil mit diesem Sonntag die sogenannte Betwoche beginnt, in deren erster Hälfte die römisch-katholische Kirche ihre Bittgänge und Litaneien für die Fluren und Feldfrüchte zu halten pflegt, die lutherische Kirche aber in ihren Versammlungen für die Fluren und Früchte des Feldes eifriger und anhaltender betet als sonst. Ohne allen Zweifel ist für diese Zeit des frühen Jahres, für diese leibliche und geistliche Frühlingszeit das Gebet für die Fluren und Früchte sehr schicklich und bedeutungsvoll. Unser Gebet begleitet das Thun des HErrn: Er hat Sich aufgemacht, das Land zu segnen und Seine Fußstapfen triefen von Fett, alles tritt in Flor. Seiner Kirche aber entgeht die Spur Seines Segensgangs nicht, sie freut sich derselben, und verfolgt sie mit betendem Vertrauen und vertrauensvollen Gebeten. So wie nun aber nach dem Grundsatze der Kirche dem unabläßigen Wirken Gottes auch ein unermüdliches Wirken der Seinen zur Seite gehen soll, da ja Christus der HErr gesagt hat: „Mein Vater wirket bisher und Ich wirke auch,“ – auch unsere Gebete im allgemeinen begleitet sein sollen von guten Werken; so ist namentlich heute am Betsonntag dem Evangelium zur Seite eine Epistel gestellt, die auf das ernstlichste die Jünger JEsu zu guten Werken anleitet. Beten unter guten Werken, gute Früchte bringen unter unabläßigen Gebeten im Namen JEsu, und dabei auf den Tag sehen, der da kommt, auf den Pfingsttag, der auch uns eine Zeit der neuen Heimsuchung und Mahnung des werthen heiligen Geistes sein möge: das ist die rechte Verfaßung eines Christenmenschen, eines Pfingstchristen, und die verleihe euch der treue Gott.

 Unser Text selbst zerlegt sich in zwei Theile. Der erste handelt im Allgemeinen von der Notwendigkeit der guten Werke, von der heiligen Verpflichtung der Christen, nicht bloß Hörer, sondern auch Thäter des Wortes zu sein. Der zweite Theil und seine beiden Verse zeigt uns insonderheit zwei Früchte des göttlichen Wortes, die aus dem Leben des Glaubens und der Liebe in uns nothwendig hervorgehen müßen. Beide Theile des Textes sind voll Licht und Kraft des HErrn; es sei unsere Freude, einen nach dem andern zu betrachten.

 Gute Werke sind nothwendig, ein Satz, der alle Anerkennung verdient. Jedoch wißen wir dabei wohl, daß unsere Seligkeit keine Frucht der guten Werke ist, sondern ein freies Gnadengeschenk, dem gläubigen Menschen aus Gnaden um Christi willen gegeben. Daher kann man allerdings nicht sagen, daß gute Werke zur Seligkeit nöthig seien, wie die Ursache zur Wirkung, wie der Same zur Frucht. Dennoch aber| ist der Wille Gottes unsere Heiligung. Der HErr will, daß wir Gutes thun, und was Er will, das ist nothwendig, weil Er es will; Sein Wille ist Nothwendigkeit genug. Auch sind die guten Werke die nothwendige Frucht unsres Glaubens, und wer Zeit hat auf Erden seines Glaubens zu leben, bei dem muß diese Frucht erscheinen. Nicht die Menge der Früchte, nicht die Vollkommenheit derselben, nicht die oder jene Stufe der Vollkommenheit, aber das Dasein von Früchten, die Erscheinung des Zeugnisses guter Werke ist nothwendig, und eine Forderung, die, wenn auch mit Weisheit und Verstand, an jeden Christen von ihm selbst und seinen Brüdern zu stellen ist. Das ist es auch, worauf hin unser Text und seine Absicht geht. „Seid aber Thäter des Wortes, sagt St. Jakob, und nicht Hörer allein, denn damit betrügt ihr euch selbst. Denn wenn jemand ein Hörer des Wortes ist und nicht ein Thäter, der gleicht einem Manne, der sein leibliches Antlitz im Spiegel erblickt; denn er erblickte sich und gieng vorüber und alsbald vergaß er wie er gestaltet war. Wer sich aber darüber hinbückt über das vollkommene Gesetz, das Gesetz der Freiheit, und dabei beharret, der ist nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern ein Thäter des Wortes, der wird selig sein in seinem Thun.“ Hier sehen wir also zuerst eine Schilderung des bloßen Hörers, dann aber auch eine Darstellung der seligen Folgen eines dem Wort getreuen Wandels. Das bloße Hören, ohne daß aus dem Hören gute Werke wachsen, ist uns als reiner Selbstbetrug dargestellt, der Selbstbetrug aber ist durch das Bild vom Spiegel erläutert. Ein Mann geht an einem Metallspiegel vorüber, wie ihn die Alten hatten. Der Spiegel thut seinen Dienst, er gibt dem Manne, deßen Blick in ihn fällt, sein Bild zurück; da aber der Mann am Spiegel nicht verweilt, Zeit und Fleiß nicht darauf wendet, sein Angesicht und seine Gestalt genau kennen zu lernen, so vergißt er sein Bild wieder und kennt sich hernach eben so wenig, als hätte er gar nicht in den Spiegel geschaut. Ebenso ist es mit dem oberflächlichen Hörer des göttlichen Wortes. So wie der Spiegel auf alle Fälle seinen Dienst thut, und auch der flüchtige Beschauer, der mit eilendem Fuße vorübergeht, sein Spiegelbild von ihm bekommt, so hat auch das göttliche Wort in allen Fällen seine Wirkung auf die Menschenseele. Ohne Eindruck läßt es keinen an sich vorübergehen. Auch das oberflächlichste Ohr nimmt etwas davon mit sich fort, was ihm durch nichts anderes zu Theil werden würde. Der Mensch erblickt sein Spiegelbild, und mit großer Wahrheit schaut er sich selbst an. Wie manchmal ein Mensch vor seinem Angesicht im Spiegel erschrickt und ihm seine eignen Züge unheimlich vorkommen, so bewirkt auch oft schon eine flüchtige Bekanntschaft mit dem göttlichen Wort eine Selbsterkenntnis, die man auf keinem andern Wege erreicht hätte; es offenbart sich ein Einfluß, und eine Gewalt über die Seele des Hörers, die er sich nicht zu erklären weiß. Das Wort des allmächtigen Gottes verleugnet seine Abkunft nicht. Wenn nun aber der Mensch sich vom Worte nicht faßen und festhalten läßt, Fleiß und Zeit nicht darauf wendet, es genauer kennen zu lernen, so entschwindet ihm der Eindruck wieder und die Strahlen des göttlichen Wortes haben ihn umsonst beschienen und ihm in die Seele geleuchtet. Aus dem Gesagten erklärt sich allerdings die Fruchtlosigkeit eines vorübergehenden und schnellen Hörens. Aber wie der Apostel diese Fruchtlosigkeit einen Selbstbetrug nennen kann, ist damit noch nicht klar. Der Betrüger ist nichts anders, als eine Art von Lügner, ein Lügner, der seiner Lüge zum Schaden anderer Glauben verschafft. Ein Selbstbetrüger belügt sich selbst und glaubt seine Lüge zu seinem eignen Schaden. Er muß also die Lüge entweder gar nicht für Lüge erkennen, oder wenn er sie auch von Anfang dafür erkennt, allmählich Sinn und Gefühl für das Unrecht verlieren und am Ende das Unrecht selbst für Recht halten. Die Lüge nun, mit welcher sich der Selbstbetrüger betrügt, ist das leichtfertige, unnütze Hören, das bloße Hinsitzen zum Wort und die Meinung, das schon sei Christentum, das Wort zu hören und dem allmächtigen Gotte die Ehre anzuthun, daß man bei Ihm und Seinem Posaunentone ein wenig verweilt und ein Weilchen zuhorcht. Indem nun ein solcher Mensch dies leichtsinnige Hören, bei welchem man auf den Inhalt des Wortes nicht einmal recht eingeht, schon für Gottesdienst und Seelenheil hält, bedient er sich selbst mit Lügen und betrügt sich um das Heil seiner unsterblichen Seele. Er geht in die Kirche, das Wort weht über ihn hin,| er träumt von Morgen- und Lebenswind, aber siehe da, er bleibt der Alte, und unverändert kommt er aus jeder Predigt heim. Er geht zur Kirche in der Meinung, seiner armen Seele zu nützen; anstatt des Nutzens aber zieht er einen Schaden, denn seine leichtfertige Seele gewöhnt sich an den Schall des göttlichen Wortes, wird taub und hart, blind und verstockt, und reift der fürchterlichen Enttäuschung der Verdammnis entgegen. Das ist die Lebens- und Todesgeschichte von Tausenden und aber Tausenden. Der Betrug ist so offenbar und augenfällig, daß man nicht begreift, wie ein einziger Mensch in demselben untergehen kann, und doch gehen so unzählig viele unter. Die Warnung ist so begründet und leicht faßlich, und der Fehlgriff so grob, daß man denken sollte, es sei nichts leichter, als einen Sünder von diesem Traume aufzuschrecken; dennoch aber wird der Posaunenstoß, der zum Aufbruch mahnt, nicht vernommen, und der erbärmliche Selbstbetrug, welchen man seiner Seele nicht einen Augenblick spielen sollte, Jahre und Jahrzehnte lang von ganzen Heerschaaren fortgesetzt. Das leichtsinnige Hören ist auch ein Leichtsinn, der Leichtsinn aber macht schon seinem Namen nach einen Eindruck, wie wenn er eines kurzen Lebens wäre; aber siehe, das ist Täuschung, der Leichtsinn ist ein andauernder Zustand wie ein anderer, nur daß er sich und andern immer Glauben macht, als sei seine Zeit bald vorüber, als müßten bald beßere Zeiten kommen. So dauert der gefährliche Leichtsinn an, der arme, betrogene Mensch aber wähnt immer, er gehe vorüber.
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 Dem großen Selbstbetruge des leichtsinnigen Hörens gegenüber steht ein beßeres, fruchtbares und seliges Hören. Der heilige Schriftsteller bleibt bei seinem Gleichnis vom Spiegel, von dem er aber nun eine andere Benützung zeigt. Ein Mann geht vor dem Spiegel vorüber, den man sich liegend denken muß, nicht stehend, wie unsere Spiegel zu sein pflegen. Er sieht sein Angesicht, der Blick in den Spiegel feßelt ihn, er beugt sich über den Spiegel hin um sich recht zu sehen, er lernt im Spiegelbild seine wahre Gestalt kennen, sieht seine Flecken und Mängel, reinigt sich, nimmt eine beßere Haltung an, und kurz, die Bekanntschaft, die er mit sich selbst im Spiegel macht, hat eine heilsame Wirkung, indem er, von seinem Auge belehrt, nun manches an sich ändert und beßert, was er ohne den Spiegel gar nicht einmal wargenommen haben würde. So weit das Bild. Nun aber die Deutung. Der Spiegel ist das Gesetzbuch Gottes, oder kurzweg das Wort Gottes, welches St. Jakob vollkommen und ein Gesetz der Freiheit nennt, vollkommen, weil es von dem vollkommenen Meister stammt, der in der Höhe wohnet, ein Gesetz der Freiheit, weil es die Absicht hat, den Menschen von aller Sclaverei eines bösen Willens zu einem fröhlichen, freudigen Gehorsam gegen Gott zu bringen. Wer das Gesetz Gottes nur oberflächlich hört und das Wort alten oder neuen Testamentes nur mit leichtsinnigem Ohre auffaßt, dem thut es weiter keinen Dienst, als ihm sein flüchtiges Bild entgegen zu werfen. Wer aber das göttliche Wort benützt, um zunächst sein eigenes Bild, das es ihm zeichnet, genauer kennen zu lernen; wer sich gewißermaßen darüber hinbückt wie über einen alterthümlichen Metallspiegel, um sich selbst recht genau der Wahrheit gemäß kennen zu lernen; wer den Fleiß und die Beständigkeit nicht scheut, sondern mit allem Ernste in Gottes Wort sich kennen zu lernen sucht: der kommt nicht bloß zur richtigen Ansicht von sich selbst, zur Demuth und wahrhaftigen Erkenntnis seiner Sünden, sondern seine Reue wird thätig und wirkt Beßerung, sogar schon, bevor er in das volle Glaubensleben eintritt. Manche Untugenden verschwinden, manche Fehler hören auf, er tritt unvermerkt in den Stand eines Thäters des Wortes und guter Werke ein, und die Erneuerung und Beßerung, welche er im Glauben an JEsum Christum wirkt, macht ihn nun so selig und fröhlich, daß St. Jakobus nicht umsonst von ihm geweißagt hat, er wird selig sein in seiner That. Die rechte Schriftbetrachtung führt zum Leben, eine oberflächliche Betrachtung aber hat ihre großen Gefahren, zu Tod und Verstocktheit zu führen. Das Wort Gottes führt die Seinen nicht bloß zu einem schulmäßigen Wißen, sondern auch zu einem seligen Thun, und macht sie zu frohen, freien Leuten, die bei ihrem Thun und Laßen ein inneres Genügen und eine Freude haben, von welcher der nichts weiß, der Gottes Weg nicht geht. Da sehen wir also, wie aus dem Hörer ein Thäter wird, und wie er zum Gesetz der Freiheit| gelangt. Die Erklärung St. Jakobs ist einfach, so daß wir zunächst nichts anderes mehr bedürfen, als den Ausdruck „Gesetz der Freiheit“ zu verstehen.
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 St. Paulus lehrt uns, daß das Gesetz Zorn wirkt und Gottes Fluch über alle Uebertretung, im Menschen aber Erkenntnis der Sünde, Furcht und Scheu vor dem allwißenden Richter unsrer Tage hervorbringt. Wenn wir nun im ersten Psalme lesen: „Wer Lust hat zum Gesetz des HErrn und redet von Seinem Gesetz Tag und Nacht, der ist wie ein Baum, gepflanzet an den Waßerbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht und was Er macht, das geräth wohl“; so ist damit eine so verschiedene, ja entgegengesetzte Wirkung des Gesetzes angegeben, daß St. Paulus und der Psalm unter demselben Worte „Gesetz“ nicht wohl dasselbe verstehen können. Das Gesetz bei Paulo wirkt Zorn, Furcht, Erkenntnis der Sünden, das Gesetz im Psalm wirkt grünendes, blühendes, früchtereiches Wohlsein, dem Wohlsein eines Baumes gleich, der an den Waßerbächen gepflanzt ist. Das Gesetz Pauli ist das Wort der zehn Gebote, das Gesetz im Psalm ist die ganze Thora, die fünf Bücher Mosis mit all ihrem reichen Inhalt, einem Inhalte, der reicher ist an Evangelium als an strengen Befehlen Gottes. Ein und dasselbige Wort, verschieden aufgefaßt, wirkt ganz Verschiedenes. Wer das Wort „Gesetz“ daher in allen Stellen der heiligen Schrift nur in paulinischem Sinne auffaßen wollte, der müßte das Wort Gottes mit sich selbst in Widerspruch setzen. Dieselbige Bemerkung kann man bei unserer heutigen Textesstelle machen. Da ist von einem vollkommenen Gesetze, von einem Gesetze der Freiheit die Rede. Wollte nun jemand das Beiwort „vollkommen“ unverständlich finden, weil er nicht wüßte, ob er es mehr auf die Vollkommenheit des Gesetzes selber, was das Einfachste ist, oder auf die Eigenschaft desselben, vollkommen zu machen, deuten sollte; so würde doch der Ausdruck „Gesetz der Freiheit“ nimmermehr anders gefaßt werden können, als von der Kraft des Gesetzes frei zu machen, – frei, wovon? Wovon sonst, wenn nicht von Furcht und Sclavensinn, von Angst und bösem Gewißen, von Gottes Zorn und drohender Strafe, an deren Stelle die sichere Zuversicht der Gnade und das selige Bewußtsein des Friedens Gottes tritt. Da nun das Gesetz in Pauli Sinn von alle dem das Gegentheil wirkt, nicht frei macht, sondern sclavisch, so muß St. Jakob wie der Psalter unter dem Gesetze etwas anders verstehen, als St. Paulus, sintemal ein Brunnen nicht aus einem Loche süß und sauer quillen kann. So ist es auch ohne Zweifel. Bei St. Jakobus ist das Gesetz offenbar ganz einerlei mit Gottes Wort überhaupt, mit dem Worte, welches in den kirchlichen Versammlungen vorgelesen zu werden pflegte. In den Versammlungen der ersten Zeit aber wurde hauptsächlich das alte Testament, die heilige Thora, die Propheten und übrigen Schriften des alten Bundes gelesen; das neue Testament war erst im Entstehen begriffen und konnte in jener frühesten Zeit in der reichen und doch bereits abgeschloßenen Sammlung von Schriften, die wir besitzen, nicht gelesen werden. St. Jakobus schreibt also der Thora und dem alten Testamente die Kraft zu, den eifrigen, fleißigen und eingehenden Hörer zu der Freiheit der Kinder Gottes zu bringen und zu einem heiligen Leben, zu einem schriftgetreuen Wandel zu führen, um deswillen nicht bloß andere den selig preisen müßen, der ihn hat, sondern auch er selbst alle Ursache bekommt, Gott mit Freuden zu danken und zu preisen. Wenn aber das alte Testament eine solche Kraft besitzt, wie vielmehr das neue, in welchem wir ja den kommenden Christus nicht bloß in voraneilenden Weißagungen und Schattenrißen, sondern mit aufgethanem Angesicht schauen. Da erscheint uns die Leutseligkeit und Freundseligkeit Gottes im hellsten Glanze; es bedarf daher nicht einmal des mühsamen und eingehenden Studiums, wie beim alten Testamente, nicht bloß den Weisen, sondern auch den Unmündigen und Kleinen wird die Kraft und befreiende, beseligende Macht des HErrn nahe gebracht, und wer daher die Schriften des neuen Testamentes ohne Erfahrung des göttlichen Segens, ohne Einwirkung auf das innere und äußere Leben hört, auf dem lastet eine viel größere Verantwortung und Schuld, als auf dem leichtsinnigen, vergeßlichen Hörer des alten Testamentes. Kann man das alte Testament ein Gesetz der Freiheit nennen, wie viel mehr das neue Testament, nur daß wir allerdings an diejenige Auffaßung des Wortes „Gesetz“, welche bei Paulo die herrschende ist, nicht einmal denken dürfen. – Hiemit, meine geliebten Brüder, schließt sich unsre Betrachtung des ersten Theiles| unserer Epistel. Das Wort, das treue Hören, die unausbleibliche Frucht guter Werke bei treuem Hören haben wir gesehen und es ist uns nichts zu wünschen, als daß uns zum Worte, das wir haben, das treue Hören und die selige Frucht eines heiligen Lebens voll in Gott geübter guter Werke geschenkt werde. Zunächst aber soll ein treuer Hörer diejenigen edlen Früchte bringen, die wir im zweiten Theile unsres Textes und in deßen letzten Versen kennen lernen.
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 Ein jeder von den heiligen Schriftstellern hat bei großer Uebereinstimmung mit den andern in Betreff der Wahrheit doch auch wieder seine eigne Weise zu denken und zu reden, und darinnen hervorstechende Eigentümlichkeiten sogar bis herunter zum Gebrauch einzelner Worte. So ist es nun eine hervorstechende Eigentümlichkeit des heiligen Jakobus mit allem Ernste auf den rechten Gebrauch der Zunge zu dringen. Jedermann unter euch ist es bekannt, in welch einer unübertrefflichen Weise dieser heilige Schriftsteller im dritten Kapitel seines Briefes über diese Materie redet, und was für treffende, glänzende Bilder er dabei anwendet. Nicht so ausführlich und eingehend, aber bei dem Zusammenhang mit der ganzen Epistel nicht weniger nachdrücklich redet Jakobus in unserem Texte von der Zunge, und lehrt uns, daß sich die erste Frucht eines göttlichen Lebens im Gebrauche der Zunge äußern müße. In beiden Stellen gebraucht er übereinstimmend einen und denselbigen Ausdruck, welchen man, weil er von anderen heiligen Schriftstellern nicht gebraucht wird, füglich einen jakobischen nennen könnte. Dieser Ausdruck ist ein bildlicher, vom Zaume der Pferde hergenommen, aber in seiner Bildlichkeit so vortrefflich, daß man den richtigen Gebrauch der Zunge vielleicht in keiner andern Weise beßer und lehrhafter darstellen könnte. Wer durch das göttliche Wort zur Freiheit hindurchdringt, der soll seines Mundes Herr werden, so wie ein Reiter durch Gebiß, Zaum und Zügel das Maul des Pferdes und eben damit den Kopf und das ganze Pferd regiert: man soll die Zunge, und eben damit sich selbst, den ganzen Menschen im Zaum halten. In diesem Ausdruck liegt zugleich Maß und Weisheit eines Apostels zu Tage. Vor dem Misbrauch der Zunge sind manche mit Recht erschrocken; in ihrem Schrecken aber sind sie auf ein verzweifeltes Mittel gerathen, nemlich auf ein solches Maß des Schweigens und Nichtgebrauchs der Zunge, daß man ihnen den Einwurf entgegenhalten muß, wozu ihnen denn der HErr die Zunge gegeben habe. Was hilft es, durch einen Fehler den andern vermeiden, und wer trägt am Ende schwerere Schuld, der ein von Gott gegebenes Gut und eine herrliche Gabe misbraucht, oder der sie im Schweißtuch vergräbt? Daher stellt sich der vollkommene Lehrer Jakobus keineswegs auf die Seite der Schweigenden, das ist, der Unterlaßungssünder, ebenso wenig als auf die Seite der Schwatzenden und Verläumdenden, d. i. der Uebertretungs- und Begehungssünder. Er lehrt uns die rechte Mitte und will, daß wir die Zunge im Zaum halten, also regieren nach Christi Sinn, auf Christi Pfad, zu Christi Ehren. Die Zunge ist ein unruhiges Uebel, kein Theil des menschlichen Leibes ist so schnell in allen Leidenschaften thätig wie sie; ist kein Regent vorhanden, so gibt sie Laut von jeder Regung der Seele, von jeder Begier, von jeder sündlichen Bewegung im Innern. Darum muß man immer den Zaum in Händen haben, und dieß unvernünftige Werkzeug unsrer Seele mit aller Aufmerksamkeit und allem Fleiße regieren. Wer das kann und thut, ist der größte Meister, und erweiset eine Vollkommenheit, der kaum eine andere gleich kommt. Wer hingegen in diesem Stücke nichts leistet, der bringt Mangel und Verderben in all sein übriges Leben, und befleckt alles und alles, was sonst an ihm löblich wäre. St. Jakob sagt: „So sich jemand unter euch läßet dünken, er diene Gott und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern verführet sein Herz, des Gottesdienst ist eitel.“ Er stellt also ein Beispiel auf und setzt den Fall, daß das Leben eines Menschen Gottesdienst sei, daß es mit allem Ernste und bewußter Treue zu allem angeführt und geleitet werde, was Gott gefallen kann. Da kann man sich also einen Menschen denken voll Gebet und Lieder, voll Andacht und Anbetung, voll Willigkeit, jeden Ort zum Gotteshause, jede Zeit zu einer Zeit der Feier zu machen. Muß man sich aber dazu denken, daß ein solcher Mensch seine Zunge nicht im Zaum halte, so bekommt man einen solchen Widerspruch gegen alles andre Thun desselben Menschen, daß man nicht eben von einem Apostel erst hören muß, um es zu glauben, sondern daß man es mit Zuversicht aus dem eignen Ermeßen heraus sagen und behaupten kann: ein solcher| Gottesdienst ist eitel, wer ihn hat und hochschätzt, betrügt sich selbst. Wie könnte es auch anders sein, meine lieben Brüder? Wie stimmt der Zungenmisbrauch mit dem Dienste Gottes? Wie soll man Gott gefallen, wenn man sich alle Augenblicke mit Zungensünden beschmutzt, zumal es am Tage ist und ein jeder aus eigner Erfahrung es sattsam wißen kann, daß nichts die Seele eitler, öder, unzufriedener, staubiger, schmutziger und unbehaglicher macht, als Zungensünden. Darum mag ein jeder sich bei der heutigen Epistel das recht wohl merken und einprägen, daß ein Schüler des göttlichen Wortes, der es mit demselben ernst und genau nimmt und zum Gesetze der Freiheit hindurchdringt, den ersten Einfluß seines Studiums in der Art und Weise und im Maße seines Redens empfinden muß. Gottes Gedanken müßen deine Gedanken, Gottes Worte deine Worte reinigen, mäßigen und heiligen, und selbst wenn du bisher ein Schwätzer gewesen wärest, ein unverbeßerlicher, so müßte es dem Geist des HErrn doch gelingen, dich in diesem Stücke zu ändern, und der vormals ein Schwätzer war, muß durch den ewigen Geist der Rede, den heiligen Geist, auch ein Meister der Zunge und seiner Worte werden. Hie besinne dich und schlage an deine Brust.
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 Schon in dem 26. Verse, deßen Betrachtung wir so eben geschloßen haben, ist die heilige Zucht der Rede dem gottesdienstlichen Leben gegenübergestellt, welches aus dem rechten Hören des Wortes hervorgehen muß. Dies gottesdienstliche Leben ist nun auch der Hauptinhalt des letzten Verses, des siebenundzwanzigsten im Kapitel. Nicht daß nun alles nach einander aufgezählt würde, was man unter dem Namen „gottesdienstliches Leben“ zusammenfaßen kann, aber es werden einige Beispiele, ja Bestandtheile dieses Lebens gezeigt, die vortrefflich zeigen können, welche Werke und heiligen Uebungen nach Gottes Sinn und Willen aus dem Heiligtum des HErrn vor andern hervorgehen sollen. Denn so schreibt der heilige Apostel: „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst bei Gott und dem Vater ist der, die Waisen und Wittwen in ihrer Trübsal besuchen, und sich unbefleckt von der Welt erhalten.“ Ganz offenbar ist durch den Beisatz Gottesdienst „bei Gott dem Vater“ dem Leser dieses Verses eine hohe Meinung und große Schätzung der heiligen Werke, von welchen der Vers redet, beizubringen beabsichtigt. Ob Menschen es hoch anschlagen, wenn man sich der Wittwen und Waisen annimmt und sich von der Welt unbefleckt erhält, oder ob sie es für nichts achten, das kann demjenigen vollkommen gleichgiltig sein, der aus dem Munde des heiligen Jakobus vernimmt, das sei allerdings ein Gottesdienst, und zwar vor Gott dem Vater, also vor dem höchsten Richter, deßen Urtheil in Ewigkeit recht behält wider alle seine Feinde. Dazu heißt es nicht einmal bloß, die verzeichneten Werke und Uebungen seien vor Gott und dem Vater ein Dienst, sondern es wird beigesetzt: „ein reiner und unbefleckter.“ Wird man aus diesen Beiwörtern schließen müßen, daß der HErr an diesem Gottesdienste gar keinen Mangel findet, daß keine Sünde und kein Flecken an ihm haftet? Kann etwas völlig rein sein vor Dem, vor welchem auch die Himmel nicht rein sind, und der auch an Seinen Boten Tadel findet? Oder huldigt etwa der heilige Jakobus jener Lehre etlicher Secten und der römischen Kirche, nach welcher der Christ schon auf Erden eine völlige und unwandelbare Heiligkeit erreichen kann? Ist es der Mühe werth, mit Stellen aus unsrem Briefe das Gegentheil zu beweisen? Bedarf das jemand unter uns? Wenn aber nicht, wenn St. Jakob wie die übrigen Apostel die Unvollkommenheit jedes Menschen glaubt und lehrt, wie kann er denn irgend eine Tugend, irgend ein gutes Werk einen reinen und unbefleckten Gottesdienst nennen? Uebertreibende Worte werden wir doch nicht bei ihm suchen; wenn aber seine Worte wahr sind, wie kann dann etwas, wie kann irgend ein Dienst, ein Werk, eine Uebung, eine Tugend rein und unbefleckt sein? Ich weiß das nicht anders zu erklären, als so: Wenn dich die Kraft des göttlichen Wortes und der Geist der Freiheit der Kinder Gottes mit Liebe und Aufopferung gegen arme geplagte Waisen und Wittwen erfüllt, du dich ihrer annimmst, dagegen aber die Gemeinschaft und Befleckung der feindlichen Welt vermeidest, so gefällt dem HErrn in Christo JEsu dieser Trieb und dieses Werk des heiligen Geistes so wohl, daß Er mit dem Blute Seines Eingebornen die Flecken davon wäscht und aus Gnaden um Christi willen deine unvollkommenen, unreinen und befleckten Werke für rein und unbefleckt erklärt. Weißt du die Worte des heiligen Jakobus auf eine andere Weise aufzufaßen, ohne| daß Jakobus mit sich oder andern heiligen Schriftstellern in Widerspruch geräth? Empfiehlt sich dir diese Deutung nicht durch ihre Richtigkeit, und wird dir nicht auf diese Weise in unserm Verse die Liebe zu Wittwen und Waisen und die Abgeschiedenheit von der eitlen, thörichten, widerwärtigen Welt als recht lieblich und nachahmenswerth hingestellt? Da sind christliche Wittwen und Waisen: die elende Welt hängt sich an die Verlaßenen, um sie zu verderben, sie werden verfolgt und unterdrückt, ihr Recht gilt nicht, ihre Schwachheit und Ohnmacht lädt den Bösewicht zur frevlen Gewaltthat ein. Du aber bemerkst es, du springst ihnen bei, wirst ihr Anwalt und Helfer, ihr Vater und Bruder, dienst ihnen mit Freuden und Aufopferung, lebst für Wohlthat und scheidest dich dabei von allen Freuden und Sitten der Welt. Gewis, das ist ein herrliches Leben, von dem man sagen kann, es hat seinen Lohn in sich selbst. Wie befriedigend ist es, Gottes Wege zu gehen, und wie heiter macht das Bewußtsein, recht gethan zu haben! Dennoch aber übertrifft die Gewisheit, daß Gott unser armes Thun annimmt und für rein erkennt, alle natürliche Gewißensruhe, und bis zur tiefen Beugung und Beschämung kann einen Christen, der den reinen und unbefleckten Gottesdienst übt, das gnadenvolle Urtheil des Allerhöchsten bringen.

 Nehmet, meine Brüder, am Schluße den Gedankengang des heiligen Jakobus wahr. Es ist, wie wenn in unsrem Texte vor den Augen des heiligen Schriftstellers eine versammelte Gemeinde wäre. Da sieht er vergeßliche Hörer, Leute, die in die Kirche gegangen sind, um Gott mit ihrer Gegenwart zu fröhnen, die für den Augenblick schweigen, die aber kaum die Versammlung geschloßen haben werden, so überlaßen sie sich wieder zügellosem Geschwätz und Zungensünden, so mengen sie sich wieder unter die Welt und ihre Kinder und beflecken ihre armen Seelen. Dagegen aber erkennt Sein leuchtendes Auge in der Versammlung auch andere: Sie hören mit allem Fleiße das göttliche Wort, sie ruhen nicht bis sie hindurchgedrungen sind und erkannt haben das vollkommene Gesetz der Freiheit. Einerseits voll demüthiger Selbsterkenntnis, andrerseits voll Trieb und Lust zu guten Werken befleißigen sie sich der Heiligung: ihr Wort wird sparsam, gerecht und milde, ihre Füße eilen den Wittwen und Waisen zu Hilfe, ihr Leib und ihre Seele bleibt frei von aller Lust der Welt. Zweierlei Klaßen von Gemeindegliedern: zu welcher von beiden gehörst du? In der Kirche hören und nichts lernen; auf dem Heimweg ungezügelt schwatzen; am Nachmittag und Abend dem Geize dienen oder der Welt nachlaufen: das ist die Sonntagsgeschichte der allermeisten unter euch, welche der Apostel nicht klarer hätte voraussehen und weißagen können. Das ist der Gottesdienst der Meisten, und eben deshalb ist er eitel, Selbstbetrug, Verdammnis. Wenige fleißigen sich in der Kirche zum Gesetz der Freiheit hindurchzudringen; wenige streben nach der Kirche, nach Wahrhaftigkeit, Güte und Liebe im Urtheilen, wenige widmen ihre freie Sonntagszeit dem Dienste der Elenden und Armen und halten sich frei von der Welt. Also wenige haben wahres Sonntagsleben und Sonntagsfreude; wenige kennen das pfingstmäßige Frühlingsleben der Heiligung und guter Werke, wenige sind selig in ihrer Sonntagsfeier in- und außerhalb der Kirche. Sie leben nicht im Gebete, wie das heutige Evangelium will, und nicht im heiligen Dienste Gottes, wie die Epistel befiehlt. Traurige Wahrnehmung, jammervoller Zustand, und doch ein Zustand, der gar nicht nöthig wäre, der auch nicht bleiben muß, zu deßen Aenderung Gott und Sein heiliges Wort, Sein guter Geist und deßen annahende Kräfte jedes Herz einladen. Wendet euer Angesicht zu Ihm und laßt euch faßen, widerstrebt nicht dem heiligen Geist, laßt euch vor allen Dingen zu tiefer Erkenntnis Seines Wortes leiten, so wird Sein Wort allmählich euer Wort regieren und anstatt der sündigen Triebe, die euch zur Welt hin zwangen, eine heilige Lust und Freude am Guten in euch wachsen, eine Freude am HErrn selbst, die eure Stärke werden, euch innerlich von der Welt scheiden und euch zu Helfern und starken, segensreichen Boten Gottes unter den Elenden machen könnte. Es ist um ein Kleines zu thun. Widerstrebt nicht, so wird euch der Geist des HErrn ergreifen und andere Leute aus euch machen, ihr aber werdet dann hingehen und thun, was euch zu Handen kommt und merken, daß Gottes Werke leicht sind, gute Werke eine hebende Kraft auf den Menschen üben, daß sie mehr in uns gethan werden, als von uns. Zu solcher seligen Erfahrung leite euch der HErr in dieser seligen Frühlingszeit der Pfingsten. Amen.

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