Episode aus dem letzten deutschen Kriege

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Episode aus dem letzten deutschen Kriege
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 399–400
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Der Tod des Garde-Kürassier-Corporals Hartmann
Blätter und Blüthen
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[399] Episode aus dem letzten deutschen Kriege. Wenige Tage nach der Schlacht von Langensalza besuchte ich mit meinen Kindern eines der größten Lazarethe der Stadt, – im Heinemann’schen Kaffeehaus und Garten – um Labungen aller Art, namentlich Wein, Fruchtsäfte, Eingemachtes, Citronen u. dgl., den dortigen Verwundeten persönlich zu überbringen und zu vertheilen. Es waren milde Spenden barmherziger Menschenfreunde in der Ferne, die man zu meiner Verfügung gestellt hatte. Die Kinder sollten sich an den Anblick des Elends gewöhnen, im Dienste der leidenden Menschheit selbst mit Hand anlegen und durch die Praxis lernen, wenn diese auch schrecklich genug war, daß selbst eine Kinderhand Gutes thun, Freude bereiten kann.

Die Mädchen trugen außerdem noch eine Menge selbstgewundener Kränze von weißen Rosen – es war ja die Rosenzeit und Rosen gab es Tausende und aber Tausende – um die Särge der täglich Nachsterbenden zu decoriren oder sie in die Hände der Todten zu legen. Es war damals unter die lieben Kinder eine wahre Sucht nach Blumen und Kränzen gekommen und keinen Sarg, kein Grab ließen sie ohne diesen Schmuck. Man wird sich noch lange Zeit ihres sinnigen Thuns erinnern und unserer Jugend nicht vergessen.

Die Knaben hatten sich mit rothen Rosen und allerlei andern duftenden Blumen versehen, um den Lebenden damit eine Freude zu bereiten und gleichzeitig die Luft in den dunstigen Räumen mit angenehmen Gerüchen zu erfüllen. Es wurde dies sowohl von der Sanitätsbehörde gewünscht, als besonders von den auf das Schmerzenslager gebannten armen Kranken, und rührend war ihre Freude und Dankbarkeit über einen frischen Blumenstrauß.

Wir durchschritten das Vorderhaus, um zunächst die Kränze für die stillen Leute, für die Todten, welche in einem entfernten Gartenhäuschen bis zum Begräbniß auf Stroh gebettet lagen, abzugeben. Eine mit der Krankenpflege betraute fromme Klosterschwester nahm die Kränze in Empfang. Den Anblick der Todten entzog ich den Kindern; sie hatten ja ohnehin des Schrecklichen genug um und neben sich.

Die Knaben machten sich bereit, ihre Schätze ebenfalls auszukramen und an die nächstgelegenen Verwundeten im offenen Garten zu vertheilen, als wir urplötzlich einen markdurchdringenden Schrei vernahmen. Er kam aus der zu einem leichten Lazarethe eingerichteten, überbauten Kegelbahn, in welcher man die Schwerverwundeten, meist Amputirte, niedergelegt hatte. Es war der Garde-Kürassier-Corporal Hartmann aus Northeim, den ein Säbelhieb in die Stirne tödtlich getroffen und welcher seit mehreren Tagen mit dem Tode rang – das Ende, dessen die Gartenlaube bereits vorübergehend erwähnt hat.[WS 1] Alles strömte nach seinem Lager und auch wir traten näher.

Eine Dame stand neben dem Schwerverwundeten; blaß, bleich, selbst todesmatt, hielt sie seine zuckenden Hände und wehrte die Fliegen ab. Es war die Braut des Armen, seit sieben Jahren mit ihm verlobt, aus weiter Ferne hierher geeilt, um den Leidenden selbst zu pflegen. Als wir in seine Nähe kamen, trat eben ein geistlicher Herr zu der Schmerzerfüllten, ergriff theilnehmend ihre Hände und sprach: „Beten Sie, mein Fräulein! Verzweifeln Sie nicht, Gott wird helfen!“

„Gott?“ rief sie bitter, „es giebt keinen Gott, sonst würde er das Schreckliche nicht zugelassen haben. Beten soll ich? Habe ich nicht Tag und Nacht gebetet, und was hat es geholfen? Da liegt der Arme unter Höllenqualen, er kann nicht leben, kann nicht sterben. Lassen Sie jedes Trostwort; es giebt keinen Gott, und ich will nicht beten!“

Da hob der Geistliche die Rechte in die Höhe und sprach ernst: „Wohl nur der Schmerz, mein Fräulein, läßt Sie Dinge sagen, die Sie nicht verantworten können. Wollen Sie noch länger Gottes Gegenwart und Barmherzigkeit leugnen, so betrachten Sie jetzt das Antlitz Ihres Verlobten!“

Bei diesen Worten richteten sich ihre Blicke nach diesem; eine große Veränderung war in dem Augenblick mit ihm vorgegangen. Die dunkle Gluth der Wangen war der tiefsten Blässe gewichen, die wahnsinnigen Augen lächelten, die zuckenden Hände falteten sich wie im Gebete; ein wahrer Himmelsglanz leuchtete über ihn hinweg; es war ein freundlicher Sonnenstrahl aus der brechenden Gewitterwolke und mit ihm trat ein letzter Gedankenblitz wiederkehrenden Bewußtseins ein: „Anna, liebe Anna!“ flüsterte sein Mund und schloß sich mit den treuen Augen für immer.

Tief ergriffen und lautlos standen wir vor dem Todten und entblößten mit den Hunderten um uns her in Demuth die Häupter, falteten die Hände und beteten mit dem Diener des Herrn für die Seele des Frühvollendeten. „Es ist ein Gott!“ sprach der Geistliche noch einmal mit feierlicher lauter Stimme, und wir Alle sagten in unseren Herzen dazu ein Ja und Amen.

In einer nahen Seitenhalle stand ein Flügel, welcher bei der Ausräumung des großen Gartensalons, behufs Einbringung der Verwundeten, einstweilen hierher gestellt worden war. Einer der Besucher des Lazareths öffnete ihn in der Stille, schlug die Saiten an und begann mit lauter sonorer Stimme das schöne Lied zu singen: „Es ist bestimmt in Gottes Rath, daß man vom Liebsten, was man hat, muß scheiden etc.“[WS 2] Die ganze große Versammlung fiel nach und nach in den Gesang mit ein und sang das schöne, bedeutungsvolle Lied bis zu Ende, unter strömenden Thränen zwar und tief ergriffen, aber gehoben und getröstet und unter Jammer und Elend voll freudigen Glaubens und Friedens.

Ehe das Lied zu Ende ging, hatte sich mein Töchterchen Elvire von [400] meiner Hand losgemacht und entfernt; nach wenig Augenblicken aber kam sie mit einem ihrer Kränze wieder zurück und breitete denselben über das Antlitz des Todten; in seine gefalteten Hände gab sie ihm die Rose, welche sie selbst bis jetzt in ihrer Hand getragen. Der Sänger und Spieler mochte das bemerkt haben, denn er ließ das Instrument von Neuem ertönen und er präludirte: „die letzte Rose“. Wer sollte nicht diese herrliche Melodie kennen? Unter ihren tief ergreifenden Klängen verließen wir und viele der fremden Besucher das große, weite Schmerzenshaus. Vor unserm Weggang schon hatte die schwergeprüfte Dulderin, die Braut des eben Verschiedenen, am Arme des geistlichen Herrn dasselbe verlassen.[1]




  1. Kann auch die wortgetreue Wahrheit dieser Episode von dem Erzähler, der nicht selbst Zeuge war, nicht verbürgt werden, so ist doch das Factum selbst durchaus unzweifelhaft.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. 1866, Heft 31/32: Noch einmal vom Langensalzaer Schlachtfelde
  2. Gedicht von Ernst Feuchtersleben, vergleiche dazu ADB:Feuchtersleben, Ernst