Textdaten
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Autor: Heinrich Leopold Stiehler
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Titel: Elternliebe in der Thierwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 546–548
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Elternliebe in der Thierwelt.

Es geht ein großer, versöhnender Zug durch die oft in Kämpfen so gewaltig aufgeregte Natur, und seine Spur wird selbst bei den grausamsten und beutegierigsten Thieren nicht vermißt; es ist der Zug der Elternliebe zu den Jungen, oder in Ermangelung von Eltern, die Liebe der Pflegeeltern zu den verlassenen Jungen.

So weit das Auge theilnehmender Naturforscher gefolgt ist, hat man bis in die niederen Thierclassen hinab, bis in die Reihen der Spinnenthiere, diese offen bethätigte Liebe beobachtet, wobei wir noch immer alle instinctmäßige Vorsorglichkeit bei Seite lassen.

Wir rechnen z. B. nicht mehr zu der bewußt- und absichtsvollen Elternliebe das den Alten durch den Instinct gebotene und darum unabweisbare Fürsorgen betreffs eines sichern Brutplatzes, der den ersten Schutz und die erste Nahrung zugleich bietet. Denn der Instinct ist nichts, als der angeborne Trieb, Alles zu thun, was zur eignen Erhaltung und im Allgemeinen zur Erhaltung der Jungen nöthig ist.

Nach ihm sucht das Kind – denn auch der Mensch besitzt Instinct – bald nach der Geburt von selbst die Mutterbrust; nach ihm sucht das eben geborne Böcklein unter vielen Trinkgefäßen sich nur das Milchgefäß aus; nach ihm bauen sich gewisse Vögel immer und in jedem Falle Beutelnester; nach ihm liegen die Schmeißfliegenmaden im Fleische und die Zwiebelfliegenmaden in den Zwiebeln; nach ihm kleben die jungen Flußmuscheln, um vor Stößen gesichert zu sein, mehrfach in den Höhlungen der Ufersteine. Ja, ich fand sie mehrfach in Scherben, in dem hohlen Raume zwischen dem hervortretenden Bodenreife einer zerbrochenen Tasse oder Vase haften.

Alles dies kommt auf Rechnung des Instincts und der instinctmäßigen Mutterliebe. Es gibt aber auch der besondern Fälle gar viele, wo Ueberlegung, wo eine Art Gefühl, wo Erfahrung sichtlich wird, wo die Alten nicht gerade so handeln mußten, und wo man es auch ihnen zum Verdienste anrechnen könnte. Es ist uns hier darum zu thun, eine Reihe von fremden und eignen Beobachtungen vorzuführen, an denen bedachte und absichtlich einwirkende Elternliebe sichtlich ist, neben jener allgemeinen und instinctmäßigen, die Jeder, auch der einfachste Mann, ohne Loupe und Mikroskop auf seinen Spaziergängen finden kann.

Wie alte Hausthiere schon die Jungen pflegen, können wir täglich beobachten. Wie ängstlich geleiten nicht manche Tauben die Ihren zum ersten Fluge! Schafe finden unter hundert ihrer Brüder das Junge heraus, bleiben aber mit besonderer Treue oft bei Schwächlichen stehen. Stampfende Pferde schonen auf oft auffällige Weise ihr herumtölpelndes Füllen; selten und meist nur verschüchtert verletzt das Hornvieh seine Jungen. Eine alte Ziege ermunterte das von ihr niedergeworfene Junge nachdrücklichst zum Aufstehen, als wenn dies ein Beweis des Wohlbefindens wäre. Dazu trat die Alte mit den Vorderbeinen dicht an’s Junge heran und stieß gelind mit der Nase in dessen Weichen. Katzen schleppen oft ihre Jungen im Maule in die entlegensten Schlupfwinkel, wenn ihnen der alte Platz unbehaglich wird. Eine Katze, die in dem Winkel einer viel benutzten Küche Junge gesetzt hatte, schleppte dieselben, weil ihr das Fleischhacken widerlich schien, den neunten Tag in einen Holzschuppen, wo trocknes Reisig lag. Die Nacht war rauh und kalt; das Spalier hatte wenig Schutz geboten, und der nächste Tag fand die Katze mit den ihr gelassenen zwei Jungen unter dem Fenstertritte, der nach einer Seite offen war. Andere Hausthiere, z. B. manche Hunde, lassen sich kaum ihre Jungen ohne Gefahr rauben. Gänse und Enten wachen ängstlich über die Jungen; man weiß, daß alte Gänseriche den Verfolgern auf den Leib geflogen sind und sie empfindlich verletzt haben. Sprichwörtlich ist die Liebe einer Haushenne zu ihren Jungen geworden und Mutterliebe hat, wenn auch nicht eine ganze Sprache, so doch eine ziemlich lange Reihe von Lauten, mit denen die alte Glucke die Jungen heim oder zum Futter ruft oder vor Habichten sichert.

Noch ergreifender und oft viel wichtiger sind die Beobachtungen an den frei lebenden Thieren, sowohl in den Reihen der oft so lieblichen Gliederthiere, wie auch in dem Haufen der mehr aristokratischen Knochenthiere. Wie wohlthuend, wie gewinnend ist’s nicht, zu sehen, wie aus Mutterliebe die kleine Fledermaus des Abends beim Beutezuge ihr Junges in den warmen, häutigen Mantel [547] einhüllt, um nicht auf so lange von ihrem Lieblinge getrennt zu sein! Welche Mutter unter den Menschen, die ihres Kindes, wenn auch in Augenblicken der Noth, vergessen konnte, sollte sich nicht an solch’ einer Liebe aufrichten? Und wie grundlos und völlig maßlos ist unser Ausdruck: „Gefühllos sein wie ein Thier!“ – Sollte eben der doppelten Quälerei und des vielfachen Nutzens der Fledermäuse wegen nicht diese Gattung bei uns unter die polizeilich geschützten Thiere aufgenommen werden, gleich den Singvögeln, Schwalben und Schlupfwespen (deren Eierhäufchen zunächst, welche an Baumstämmen gleich umsponnenen Getreidekörnchen kleben) und den Ichneumonen, Störchen, Ibissen, Eiderenten u. s. w. anderwärts?

Der Reisende C. A. Geyer, der sich größtentheils in Aufträgen in den Wildnissen Nordamerika’s während sieben wechselvoller und entbehrungsreicher Jahre umherschlug und, in der Heimath angelangt, viel zu früh in Meißen starb, erzählt, wie bei den Waldbränden in den wildschönen, südwestlichen Districten des großen Missourigebietes, hinwärts nach dem Flusse Arkansas, oft die Mustangpferde, ihre Fohlen treibend, über riesige Cedern hinwegsetzen, indeß seitwärts der blutgierige, löwenähnliche, nur weit feigere Puma sein eigenes Junges im Maule davon trägt, der versengenden Lohe zu entfliehen.

Gerade die katzenähnlichen Raubthiere vertheidigen ihre Jungen mit der höchsten Wuth und jener Fall, den Herr Bowley berichtet, bezeugt dies in der Entwickelungsreihe der Zehenläufer bis zum Königstiger hinauf. Eine Truppe Jäger hatte ein Tigerlager geplündert, und die zwei Tigerkätzchen mit sich genommen, als plötzlich das Rachegeschrei der Tigerin erscholl. Die Reisenden retteten sich in ein Felsenloch, dessen Eingang sie nothdürftig mit großen Steinen verrammelten. Wüthend war das Gebahren der Mutter, als der unvorsichtige Diener die indeß erdrosselten jungen Tiger der Alten hinaus geschleudert hatte, und nach längerer Zeit erst, in welchem das Leben der Jäger auf dem Spiele stand, gelang es, mit einem wohlgezielten Schusse dem machtvollen, heißathmigen Thiere den Garaus zu machen, als es sich eben durch die Felsblöcke zwängen wollte.

Aber auch in der Heimath, im deutschen Lande, gibt’s der schlankleibigen Zehenläufer, deren Mutterliebe sich klar genug bethätigt. Wie zärtlich führt nicht das Steinmarderweibchen die ein Vierteljahr alten Jungen aus zum Rauben und Schmausen, wenn im Gehöfte Herr und Knecht schlummern! Wie besorgt trägt nicht das Hermelin, das auch bei uns in Steinklüften wohnt, die erbeuteten Mäuse, Hamster, Kaninchen, oft auch Geflügel, selbst aus weiter Entfernung zum Neste, wobei selbst beobachtet worden ist, daß es die Eier unter dem Kinne fortträgt. – Die Bärenmutter führt ihre Jungen bis in’s zweite Jahr und noch darüber, wohl am längsten unter allen ihren Verwandten, aus. – Wie sorglich hängt im Gegentheile die winzige Zwergmaus des nördlichen Deutschlands ihr künstliches Nestlein gleich einem Vogelneste im dichten Schilfe auf, wie es Gloger selbst in Schlesien noch fand. – Im vorigen Jahre hatte ich Gelegenheit, an unserm gemeinen Eichhörnchen die Mutterliebe zu beobachten. In unsern Buchen- und Kieferwaldungen, wo es häufig haust, hatte ich eine Familie dieser Springer entdeckt, welche sich, wie gewöhnlich, nicht mit einer Wohnung begnügt, sondern deren drei, vier und mehr in den höheren Astgabeln baut. Es war Anfang Mai, und nach dem eigenthümlichen „Murxen“, wie unsere Jäger sagen, mußten wohl Junge da sein. Jener eigenthümliche, halb unterdrückte Laut wird nämlich gerade immer bei Beängstigungen des Thieres vernommen. Als ich aber gar am Stamme zu rütteln und zu stoßen anfing, und mein Begleiter einige Steine zum Schreck zu den niederen Aesten hinaufwarf, da war die arme, geängstigt Mutter schnell entschlossen. Sie trug ihre gefährdeten Jungen eins nach dem andern höchst gewandt im Maule oder abwechselnd in dem linken Vorderbeine, welches sie gegen die Brust drückte, bis in das ziemlich weit davon entfernte, in einer Stammhöhlung befindliche Nest. Und wir hatten genug erfahren, um das Thier nicht hier noch zu beunruhigen. – Wie besorglich um seine Jungen auch das Edelwild ist, zeigt das Reh. Die Rike führt die Jungen, indeß der Rehbock echt ritterlich der Erste hinaus ist auf’s Feld und der Letzte wieder zurück in’s Gehölz. Die Rehmutter ist’s ja auch, die nach sorgfältigen Beobachtungen die Jungen sich schüchtern niederducken lehrt, wenn diese kindlich-einfältig und ohne Argwohn im Saatfelde gerade dastehen. Und dem Rehbock wiederum wird seine Kindesliebe zum Verderben, indem der Jäger das „Fiepen“ der Jungen nachahmt, worauf ihm der Bock zuläuft. Der Jäger nennt dies Verfahren bekanntlich „auf’s Blatt laufen“, weil er gewöhnlich auf einem Birken- oder Buchenblatt fiept.

Am meisten Gelegenheit, die Elternliebe der Thiere zu beobachten, gibt wohl die Classe der Vögel. Schon im Verse ist’s gesungen, daß selbst die Raubvögel ihre Jungen innig lieben: Wie ein Adler sein Gefieder über seine Jungen schlägt etc. Wüthend vertheidigen die Geier ihren Horst, und als im Glarner Freiberge ein Jäger die Jungen des Lämmergeiers ausnahm, verfolgten ihn die Alten noch vier Stunden weit, so daß er sich ihrer mit Macht erwehren mußte.

Auch an andern sonst so kaltblütigen Raubvögeln hat man dieselbe warme Elternliebe beobachtet. So an den räuberischen Würgern, die oft selbst kleineren Sängern in’s Nestlein einbrechen und die Jungen rauben und verzehren; sie verfolgen keck die sich nähernden größern Raubvögel und verführen dabei ein solches Geschrei, um überall, gleich befugter Polizei, vor den Strolchen zu verwarnen, daß sie schon von Alters her die Namen „Wächter, Warner“ erhielten. Ja, der kleine, schwarz gestirnte Neuntödter, der ebenfalls ein jämmerliches Lamento beginnt, wenn sich Feinde dem Neste nahen, ist jenen schon in’s Gesicht entgegen geflogen. Ebenso verfahren die größeren Drosseln bei der Vertheidigung ihrer Jungen, ängstlich wie der Ziemer ihr Quirik rufend, so daß es den Stein erbarmen möchte. In der höchsten Verzweiflung aber stechen sie wohl gar, ihr Leben wagend, gegen Hunde und selbst gegen Kinder. Wie gewinnend schon ist die Fürsorge der echten Singdrossel, der Drustel des Thüringers und der Zippe des Sachsen und Preußen. Ich habe ihr Nest mehrere Jahre hintereinander beobachtet, wie es in der Nähe eines Wässerchens, dicht an einem sehr begangenen Spaziergange des öffentlichen „großen Gartens“ bei Dresden, sich in das etwa reichlich mannshohe, wenngleich kahle Ruthenwerk einer Buche versteckt hatte. Das Nest war von dem dahinter liegenden Stamme kaum bei einem flüchtigen Blicke zu unterscheiden; Rindenfasern, Würzelchen, Stengelchen und Halme waren hier so verbunden, daß die Farbe des Stammes täuschend nachgeahmt war. Der Vogel saß brütend auf den grünlichblauen, getüpfelten Eiern, unverwandt die Kommenden im Auge. Kein Ruf, kein Flügelschlag, kein Zucken verrieth die ängstliche Mutter mit ihrer Brut; sie glaubte sich ungesehen, Aber leise folgte uns mit behutsamer Wendung der so treu fürsorgende Blick der freier aufathmenden Vogelmutter, wenn wir weiter gingen.

Ebenso haben mir alte Vogelsteller versichert, daß es eine Kunst sei, das Nest eines Blaukehlchens, welches nach denselben Grundsätzen baue, aufzufinden; das Blaukehlchcn und die Sperbergrasmücke seien einmal „scheue Nestvögel.“

Eine andere große Gruppe von Vögeln versucht es, durch ängstliches Flattern und lärmendes Geschrei nach einer ganz andern Stelle, als wo sich das Nest befindet, abzuleiten. Folgt der Verfolger ihnen aber nicht, sondern sucht weiter, dann halten sie wehklagend fast über ihm Stand. So der Kiebitz mit seinen Verwandten, den Regenpfeifern. Hastigen, aber gewandten Flugs bittet dann der schöne, gehäubte Kiebitz kläglich: „gäh nit, gäh nit!“ – Gehen aber z. B. Hunde dennoch auf das Nest im Rasen, so werden sie oft blutig gestochen zurückgewiesen.

Noch viel listiger wissen es die Grasmücken oder auch Rebhühner und Wachteln anzustellen. Werden deren Nester überfallen, so stäuben die Jungen auseinander; am kläglichsten geberdet sich dann die Alte und scheint wie verletzt, mit verrenktem Bein oder verletztem Flügel, nicht mehr fortzukommen. Damit aber zieht sie die Aufmerksamkeit des Verfolgers eben auf sich; weiter hinkend und weiter flatternd, entfernt sie ihn so weit vom Neste, bis die junge Brut Zeit gewonnen hat, sich zu sichern. Man muß namentlich eine Rebhuhnmutter in solchem Falle gesehen haben, um sich auch von der List eine Vorstellung zu machen, welche die Mutterliebe hier anwendet.

Andere Vögel, welche Brut im Neste haben, bewachen gemeinsam oder abwechselnd die Jungen; so der Storch. Von ihm ist’s sogar bewiesen, daß der Gatte wiederum das Weibchen ängstlich bewacht, wenn es brütet, und daß er ihm auch die Nahrung zuträgt. Graue Kraniche, die ihr Nest gern versteckt in Erlen- und Weidenbrüchen anlegen, gehen Tags über nie gerade auf ihr Nest los; sondern sie krümmen und ducken sich bis dahin, fliegen jederzeit entfernt davon auf und nieder, nur um die [548] innig geliebte Familie nicht zu verrathen. Selbst die sonst stumpfsinnigeren Vögel, wie Säbelschnäbler und Lappentaucher lieben ihre Brut auf’s Zärtlichste. Die Eiderente Islands und Norwegens, welche die fürstlichen Dunenbetten liefert, rupft sich, nur um den geliebten Jungen ein warmes Obdach zu bereiten, ihre weichen Brustfedern selbst zweimal weg, wenn die ersten Federn von beutegierigen Menschen genommen wurden. Sind aber gar für ein drittes Mal bei einer und derselben Brut Federn nöthig, so opfert auch das Männchen bereitwilligst seinen Brustschmuck und Schutz auf.

Aber nicht nur die Vögel bewachen die Brut; man weiß selbst von Fischen, daß sie sorglich ihre Nachkommenschaft bewahren. So die Kaulköpfe und Stichlinge. Die Weibchen legen den Laich in ein erst gescharrtes Loch des Grundes, worauf sie ihre Nachkommenschaft bis zum Auskriechen bewachen. Ja, die schwarze Meergrundel des Mittel- und atlantischen Meeres, die sich für ihre Fischbrut Furchen in den Meeresschlamm, am liebsten im Thonboden wühlt, weiß ihre Jungen, die sich bei Gefahr gern hinter Seepflanzen bergen, geschickt zu vertheidigen. – Selbst die plumpen, ekelhaften Amphibien oder Lurche wollen nicht zurückbleiben, und eine Kröte des heißeren Amerika’s macht sich bemerklich, indem sie gar ihre eigenen Jungen spazieren trägt, ähnlich den Beutelratten wärmerer Klimaten.

Aber auch hiermit schließt jener Zug der Elternliebe nicht ab; im Gegentheile wäre im Insectenreiche und unter den Spinnen noch viel Raum zur Beobachtung. Wollte doch Jeder nur seine Beobachtungen an einzelnen Thieren laut werden lassen, denn es fehlt noch gar sehr an Monographien! Zum Beobachten aber gehört eben keine Gelehrsamkeit, kein schwieriger Apparat, sondern nur redlicher Wille, Lust an der reichen Erdenwelt und strenge, wahre Ausdauer. Freilich muß man aber auch nüchtern bleiben und darf keinerlei Schmuck und Voraussetzung in solche Beobachtungen hineintragen. Ich kenne genug schlichte Leute, einfache Arbeiter, die solcher Weise Verdienst haben, und ein achtenswerther Verein hat mehrfach als Vorbilder solchen Strebens einen Schuhmacher und einen Fabrikarbeiter hingestellt. Andere kennen einen Koch, dem die Gelehrtenwelt Vieles dankt, und doch liegen solche Beobachtungen dem Berufe jener Männer eigentlich fern. – Namentlich dient die Insectenclasse wegen ihrer Farbenpracht und ihrer Verwandlungen als Gegenstand der Jagd, und gewiß gibt’s auch hier Beweise von seltener Elternliebe. Wie gewaltig ist nicht zuweilen der Kampf der Ameisen um ihre Brut, um die Puppen (fälschlich Eier genannt), die der Vogelliebhaber ihnen wegnimmt. Auch hat man erfahren, wie die Maulwurfsgrille ihre Jungen bewacht. – Vor wenigen Wochen fing Schreiber dieses eine Sackspinne, von der er die zärtliche Sorgfalt gegen die Brut rühmen hörte. Diese schwarzbraune, weißlinirte und an den Beinen gelblich geringelte Spinne, die ihren Eiersack mit sich umherträgt, fing ich unter einem Steine. Als ich ihr, der gehässigen, blutgierigen Spinne, den Eierbeutel entreißen wollte, regte sich alles Feuer der Mütterlichkeit in ihr. Sie schlug ihre Fußklauen heftiger in das Gewebe, und zog die Ihrigen unter ihren Leib, als wollte sie sagen: durch ihn geht der Weg zu meinen Kindern. Ich setzte die Spinne an den Rand einer Trichtergrube vom Ameisenlöwen; die Spinne rutschte im losen Sande hinab, und ahnte alsbald die drohende Gefahr. Kaum merkte der bis an die Greifzangen eingewühlte Räuber die Nähe des Opfers, so wurde er sichtbar und fing die Spinne, die ich augenblicklich wieder befreite. Dabei aber schleppte sie erschreckt das Eierbündel nach, und ich konnte nicht verhüten, daß der lauernde Räuber es zerriß, und etwa ein Drittel oder Viertel der Eier sein wurden. Den Rest packte die Spinne schnell, die, von mir unterstützt, den Rand des Trichters erreichte, aber da droben umherirrte, um die Verlorenen zu suchen. Ja, kaum konnte ich sie abhalten, daß sie nicht von Neuem in die Fallgrube hinabrutschte.

Aber die Fürsorge der Eltern für erziehungsbedürftige Junge ihres oder eines verwandten Geschlechts erstreckt sich noch weiter; denn sie hat auch ein ordentliches Pflegeelternwesen ausgebildet, ohne daß es dazu eines Geheißes oder Adoptivbriefes bedürfe. Es gibt genug Waisenkinder in der Welt. Jeder Kukuk ist eigentlich ein solches; er, der uns so liebe, ist nicht von seinen Eltern erzogen worden; er kennt sie kaum, obgleich sie Reviervögel sind und keinen andern ihres Gleichen in ihrem Reviere dulden. Das Kukuksweibchen hat ihrer Zeit verschiedenen kleinen Vögelchen, z. B. Grasmücken (diesen besonders gern), Bachstelzen, Goldhähnchen, Zaunkönigen und Rohrsängern, also gerade der allerkleinsten Gesellschaft, die Eier einzeln in die Nester gelegt. Das Kukuksweibchen hat die Nester geschickt aufgefunden, legt das Ei darein oder trägt’s gar, bei zu engem Eingange, im Schnabel herzu und schiebt es hinein. Haben die, mir nichts, dir nichts erkornen Pflegeältern den Kukuk kommen sehen, so machen sie ihm ehrerbietigst Platz; denn er ist ja ein großer Herr. Nicht selten werden die Eier der eigentlichen Nestinhaber beschädigt, oder wegen Mangel an Platz hinausgeworfen, obwohl solch’ ein Kukuksei nicht größer als ein Sperlingsei ist; die Schale ist nur etwas fester und glänzender, grünlichweiß und mit närrischen bräunlichen Kritzeln und Zickzacks verziert. Der junge Herr wächst nun auf, seinen kleinen Pflegeeltern über den Kopf, die ängstlich vor ihm in der Entfernung sitzen und ihm sein Räuplein (meist Borstenraupen) hinreichen. Aber wenn er so recht hungrig „iß iß iß!“ ruft, da läuft auch die ganze Nachbarschaft ängstlich herzu. Ammern, Zaunkönige, Grasmücken, Sperlinge, Zeisige, Berg- und Edelfinken, Pieper, Steinschmätzer und Bachstelzen drängen sich; der bringt einen Schmetterling, der eine Made und der eine Fliege, so daß der junge Schnapphans gar nicht sogleich weiß, wohin? –

Woher das aber kommt, daß der Kukuk sein Ei stets in fremde Nester legt? – das wissen die wenigsten Leute zu sagen, und es geht so zu: das Kukuksei bedarf gewöhnlich ziemlich einer Woche (6–7 Tage) zu seiner Reife; nach einer Woche kommt das andre und so fort jede Woche eins, bis 4–6 Eier „in die Welt gesetzt sind.“ Da nun das Weibchen mit dem Legen allein 4–6 Wochen zubringt, würden die sogar verschiedenalten Jungen der verschiedensten Pflege und des größten Nestbaus, wohl auch mehrerer Ernährer bedürftig sein. Die Natur hat sich darum auf so merkwürdige Weise geholfen. Jedenfalls hat auch der gar große Magen und seine schnelle Verdaulichkeit Einfluß auf die Entwickelung der Eier. Aber das sehen wir deutlich, daß für das scheinbar Verlassenste in der Welt am reichlichsten gesorgt wird. – Auch daß Sumpfmeisen für Kohlmeisen gesorgt haben, hat man schon bemerkt. Möglich, daß auch diese Sumpfmeisen ihre Jungen verloren hatten. – Man hat ferner ein Rohrsängermännchen, wie R. Brehm erzählt, vom Neste weggeschossen; nach ein paar Tagen war ein anderes Männchen einer andern Art Rohrsänger beschäftigt, die Jungen mit aufzufüttern. – Wie ängstlich läuft die Henne als Pflegmama um den Teich, in der die von ihr ausgebrüteten jungen Enten wohlgemuth umherschwimmen! – Eben so wissen Jäger und Jagdliebhaber oft recht gut, daß verwaiste Eulen (Strix otus), Schneeammern und Eisvögel von fremden Weibchen und Männchen ihrer Gattung gepflegt wurden. – Tüchtige Kenner des Vogellebens, wie Naumann sen. und R. Brehm, versichern ebenso, daß oft Junge der ersten Brut die zweite mit aufziehen helfen. So ist’s von Kanarienvögeln und Meisen bekannt, daß die erste Brut, als das ältere Geschwister, den Eltern in der Erziehung treulich beistand. Der ältere Naumann hat sogar bei dem grünfüßigen Rebhuhne gesehen, daß die Jungen der ersten Brut die der zweiten führten. Ebenso fanden die beiden Brehms. daß einige alte Meisen von einem Jungen erster Brut auf’s Eifrigste in der Verfolgung einer nahen Eule unterstützt wurden. Auch gefangene Vögel zeigen Aehnliches. Nicht bloß die Gartengrasmücke, sondern auch Kanarienvögel füttern fast jeden gefangenen jungen Vogel auf. – Zuletzt erwähnen wir, daß auch die Insectenclasse genug der Pflegeeltern aufweist. Der Bienenstaat, selbst der Ameisenhaufen, in dem wohl ein Mandel ganz anderer Thierarten als Miethsbewohnerschaft wohnt, gelten hier als Beispiele. Vor allen Dingen fällt die Larve des Goldkäfers, unseres grünen und goldglänzenden Rosenzerstörers auf, die als grauer Engerling mehrere Jahre freie Kost und Wohnung im Ameisenhaufen fand. Sie ist also ein Waisenkind unter den Insecten. Ungestört, ja gehätschelt darf sie unter den kleinen bissigen Tyrannen nebst vielen andern „Geduldeten“ wohnen. Endlich bricht der Parvenu als goldiger Käfer durch den Bau hindurch, ohne daß er verfolgt wird. Nein, Eins brauchte das Andre und hat sich nun sattgebraucht. In Fried und Freud scheiden die ehrlichen Klausner. Einheit und strenge Ordnung wie in dem saubersten Räderwerk! Das aber ist eben der nicht immer verstandene Gedanke des großen Organismus auf weiter, schöner Erdenwelt.
H. Stiehler.