Die Todtengewölbe unter der St. Stephanskirche in Wien

Textdaten
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Autor: v. S.
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Titel: Die Todtengewölbe unter der St. Stephanskirche in Wien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 544-546
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Todtengewölbe unter der St. Stephanskirche in Wien.

Die Erlaubniß, diese Katakomben zu besuchen, war schon vor einigen Jahren sehr erschwert, jetzt ist sie den Fremden völlig versagt. Als der Aufzeichner dieser Zeilen in diese merkwürdigen Gewölbe hinabstieg, diente ihm ein Mann mit einer Fackel zum Führer, ein zweiter blieb bei dem Eingänge stehen, um uns zu Hülfe zu eilen, wenn es dessen bedürfte. Unsere Gesellschaft war klein und es befand sich nur eine Dame darunter, die trotz dessen, daß man ihr abgerathen, doch nicht unterlassen konnte, uns in die Unterwelt zu folgen. Wir alle hatten das Buch einer Engländerin gelesen, die vor nicht langer Zeit hier hinabgestiegen war und eine Beschreibung von dem gegeben hatte, was sie hier erblickt. So aufregend und erschütternd diese Skizze auf den Leser wirkte, so läßt sie doch die Wahrheit weit hinter sich. Noch nie ist die Phantasie im Stande gewesen, auf diesem düstern Felde die Wahrheit zu erreichen; das Reich der Nacht hat seine Schrecken, die man anschauen, aber nicht beschreiben kann. Deshalb sollen auch nur wenige Worte dem Bilde folgen, das, an Ort und Stelle flüchtig dem Papiere anvertraut, später beim Licht des Tages seine gehörige Ausführlichkeit erhielt.

Es ist bekannt, daß Wien von einer sehr hartnäckigen und in ihren Verwüstungen fast unermeßlichen Pest heimgesucht wurde, und von dieser Schreckensperiode her haben sich hier diese kolossalen Massen von menschlichen Gebeinen angesammelt, die man damals, wie es scheint, um ihrer nur rasch los zu sein, in die tiefen Grabgewölbe mehr hinabstürzte, als sorgsam legte. Drei Stockwerke zählt dieser unterirdische Bau und alle drei sind mit diesem grausenvollen Inhalte gefüllt. Es ist nicht möglich, bis in die unterste Katakombe hinunterzusteigen, eine solche Entdeckungsreise wäre zu gefährlich, nur bis zur zweiten Abtheilung konnte man damals gelangen, und auch dieses hatte seine Schwierigkeiten. Nicht die geringste darunter war die Menge der zusammengeschütteten Gebeine, die hier ohne Ordnung über und unter einander lagen. Die Luft war eine dumpfe Kellerluft, nicht gerade mit Moderdüften geschwängert, der Proceß der Verwesung war,

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Die Todtengewölbe in der St. Stephanskirche[WS 1] in Wien.

da er über zwei Jahrhunderte lang Zeit gehabt sich zu entwickeln, vollkommen geendet und die animalischen Stoffe hatten sich verflüchtigt. An einigen Gebeinen, besonders solchen, die in einer bestimmten Richtung hin, wo sie einem Luftstrom ausgesetzt waren, aufgeschichtet lagen, fand man das Fleisch mumienartig eingetrocknet, und diese Leichname waren es, die für den Beschauer einen besonders auffälligen und, wenn man will, schreckvollen Eindruck machten, denn diese Körper scheinen beim Lichte der Fackeln zu leben, und ihre entfleischten Züge, gehüllt zum Theil in morsche Tücher, uns entgegenzustrecken. Unser Führer wählte seinen Platz dicht neben einem Pfeiler, der ein grobzugehauenes Crucifix enthielt, und indem er uns auf dieses alte Bildwerk aufmerksam machte, gebrauchte er die eigenthümliche List, plötzlich mit seiner Fackel hinabzuleuchten, wo wir denn dicht vor uns ein Skelet erblickten, in einer Allongenperücke und in einem schwarzen Sammtmantel mit theilweise noch erhaltener Goldstickerei. Diese Figur, die abgesondert von den andern hier am Pfeiler lehnte, war der sogenannte „schöne Mann“ oder der „Kammerherr“, wie ihn der Führer nannte. Im Leben mochte dieser Mann allerdings sehr groß gewesen sein, denn seine, obgleich zusammengesunkene, Gestalt überragte doch noch die des Führers. Das Gesicht dieses Phantoms war zur Erde gesenkt, als wolle es nicht von dem [546] Scheine des Lichts belästigt sein, seine Arme hingen herab, gleichsam wie bei Einem, der ermüdet ausruht. Die Dame, die uns begleitete, äußerte den Wunsch, ein Stückchen von dem schwarzen Mantel des Kammerherrn zu besitzen, allein der Führer erklärte, daß er nicht in diesen Raub willigen dürfe. Eine Engländerin, wie er hinzu setzte, hatte bei einem Besuche unvermerkt einen Handschuh des schönen Mannes eingesteckt, aber er war ihr beim Hinausgehen wieder abgenommen worden. „Denn,“ sagte der Führer, „unser schönes Exemplar muß unangetastet bleiben, wen hätten wir denn sonst den Fremden zu zeigen, der hier die Honneurs des Wirths vom Hause machte?“ Mit diesem Einfall mochte der gute Mann schon oft die Herumzuführenden bedient haben, es war nicht zu leugnen, daß das Scherzhafte, das in diesen Worten lag, einen besondern Contrast mit den Schrecken der Umgebung machte.

Wenn das Auge sich von den ziemlich erhaltenen Mumien abwandte, erblickte es oben einen Gegenstand, der noch heftiger die Sinne ansprach. Die Wand eines Gewölbes war in Folge der Zeit, vielleicht auch weil sie nicht im Stande war, die Last der in diesen Raum hinabgeworfenen Todten zu tragen, geborsten und ein Bündel Leichname, ineinander verschlungen, war aus der Oeffnung hinausgestürzt und zeigte sich jetzt drohend über unserm Haupte, als wollte ein Schwarm Todter mit Gier auf uns Lebende herfallen. Der Anblick war zum Entsetzen, besonders war ein Arm erschreckend, der aus der Höhe herablangte. An der Wand, die der Fackel gegenüberstand, war ein in Tücher gehüllter Körper in eben der Weise aufgestellt, wie jene erste beschriebene Mumie, allein da die Figur verhüllt war, konnte man von ihrem Aeußern nicht urtheilen, sie erschien wie eine alte gebeugte Frau, die eben im Begriff war, auf ihre Krücken gestützt, mühsam sich fortzubewegen. Ihr zu Füßen lag ein Gerippe, das der Zufall in eine Lage gebracht hatte, daß es scheinen konnte, als sähe sich der Todte unwillig und verwundert nach uns um. Ein Gewölbe enthielt auch eine Anzahl Särge, die noch nicht ganz aus ihren Fugen gewichen waren, und an denen noch einzelne Schilder und Embleme prangten.

Ein Herr unserer Gesellschaft entfernte sich gegen den ausdrücklichen Befehl unseres Führers in einen Gang hinein, der niedriger wie die andern gewölbt war und an dessen äußerm Bogen, eine Tafel befestigt war. Kaum hatte er einige Schritte gethan, als der Boden unter ihm zu weichen begann, und er mit einem Schrei zurücksprang. Es hatte sich ein Stein gelöst, der jetzt mit dumpfem Gepolrer in das untere Gewölbe rollte. Wäre dem Verwegenen der Rettungssprung nicht geglückt, so hätte er sein Grab in der Tiefe finden können, denn in die unterste Katakombe, die vermauert war, gab es kein Mittel einzudringen. Unsere kleine Gesellschaft war nicht wenig außer Fassung gesetzt, als der Führer uns diese, glücklich abgewandte Gefahr erklärte. Eine andre, nicht minder unheilbringende Situation ist die, wo das Licht durch Unvorsichtigkeit, oder durch einen Luftzug erfaßt, erlischt, allein dem ist vorgebeugt, indem der zweite Führer, der zurückbleibt, durch den Hülferuf zu erreichen ist, und seine Fackel mitbringt. Es ist nur einmal vorgekommen, daß das Licht erlöscht ist, doch von einem Sturz in die Tiefe wußte der Führer doch schon ein paar Beispiele zu erzählen.

Eine Stunde ungefähr brachten wir in diesem Reiche des Todes zu, alsdann war es uns ein Bedürfniß, wieder an die Oberwelt hinaufzusteigen. Ein düsteres Gewölbe der Kirche erschien uns nach diesem Anblick wie ein lichter Tempel, und eine Weile dauerte es, ehe wir uns überzeugten, daß es hier keine finstern Winkel gab, aus denen hervor Schrecknisse lauerten. Wir nahmen vom Geschlechte früherer Jahrhunderte Abschied und stiegen zu der Sonne unserer Tage empor, des schönen Lichtes uns freuend, das seine Strahlen über unsere Häupter, auf denen noch kein Staub der Gruft lag, hingleiten ließ. Schillers Vers kam unwillkürlich vor den betrachtenden Geist: „Dort unten aber ists fürchterlich! Und nimmer begehre der Mensch zu schauen, was die Götter gnädig bedecken mit Nacht und Grauen.“
v. S.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: St. Stehphanskirche