« 10. Stunde Hermann von Bezzel
Einsegnungs-Unterricht 1909
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Einsegnung
am 25. Juli 1909.


 

 Hoherpriester ohne Tadel,
Held vom höchsten Seelenadel,
Licht und Herrlichkeit entfalten.
Segnen heißt Dein hohes Walten.
Segnend trittst Du mir entgegen
Und ich bitt um diesen Segen
Und den Ruhm an meinem Grabe,
Daß ich Dich geliebet habe.









Gnade, Friede und Barmherzigkeit sei mit euch allen. Amen.


Text: Der 3. Glaubensartikel.
 In dem Herrn Christo geliebte Schwestern! Es ist immerhin eine Gnadenfrist, wenn der Herr uns aus den Tälern, von denen wir sehnlich zu den Bergen emporblicken, auf solche Höhen führt, wie der heutige Tag eine in eurem Leben bezeichnen soll. Schwachheit, Angst und Verdruß, die Not der Lern- und Probejahre, Enttäuschungen und Enttäuschtsein, das liegt in dieser Weihestunde zu euren Füßen und wie ein kurzer Traum hinter euch. Er hat euch eine freundliche Stunde der Gnade geschenkt, in der voraufgehenden Woche noch einmal euch in seine Treue und ihre Größe Einblick tun lassen, und indem ihr heute auf einer von ihm gegebenen und gegönnten Höhe weilt, sprecht ihr, das weiß und glaube ich, aus einem Munde: „Hier ist gut sein, hier laßt uns Hütten bauen!“ Dazu tut sich der Himmel auf über denen, die Jesum suchen. Längst vergangen geglaubte Feierstunden und feiernde Christen treten zu euch im Geist, vollendete Väter, geliebte Christen, Heilige die ihr einst sahet und dann missen mußtet, alle die kommen heute segnend, glückwünschend im Geist zu euch. – Aber ihr wißt es so gut wie wir, daß die Feierstunden nicht den eigentlichen Inhalt des Lebens schon bieten und bilden können und dürfen und daß die Seele in eine falsche Ruhe käme, wenn ihr solche Feierstunden beständig blieben. Jesus treibt von Berg zu Tal zu gehen. Der Meister hat seine Jünger wieder an| das zu Füßen des Berges wohnende und seufzende Elend gewiesen, und was die Berge bieten, müssen die Täler bewahren, und der höchste Gnadenschatz, den man in Verklärungsstunden bekommt und am dämmernden Tage nicht verliert, heißt: Glaube.

 Diesen Glauben an den heil. Geist Gottes, der da zur rechten Zeit Feierstunden und Arbeitstage schenkt, der die Arbeit nicht gibt, ohne daß ihr die Stille folgt und die Stille nicht schenkt, ohne daß sie in Arbeit sich bewähre, wünsche und erbitte ich euch in dieser Stunde. Glaubet an den heiligen Geist! Glaubet an die Heimat bei ihm und an das Heimweh durch ihn!

 Glaubet an den heiligen Geist! Dieser heilige Geist will euch in dem Wort eures Gottes heimisch machen, daß ihr nicht durch allerlei wundersame Lehre im Besitz dieses Wortes gekränkt und geirrt werdet, sondern daß eures Geistes Verlangen nach Gewißheit und sein wandelloses Zeugnis der Wahrheit sich begegnen, sich begegnen in jedem Wort, das aus dem Munde Gottes geht. Als Kinder der evangelischen Kirche dürft ihr euch in diesem Gottesgarten die Plätze und die traulichen Orte heraussuchen, da euch der Herr am nächsten kam und blieb. Ihr könnt da eine Verheißung und dort eine Zusage, da ein Einzelgespräch und dort einen Gnadenzuspruch für alle in eure Seele nehmen und auf euer Leben beziehen und der heilige Geist segnet beides und spricht: Wohne und bleibe, hier ist gut sein! Wenn ich denken müßte, meine teuren Schülerinnen, daß ihr gegen das einzig Gewisse und ewig Wahre Mißtrauen einmal fassen und von dem mit Blut und Tränen eroberten Erbe eurer Väter lassen könntet, dann wäre mir das Scheiden noch schwerer. Aber ich weiß und traue es dem heiligen Geiste, traue es auch dem von ihm geheiligten Geist eures Lebens, daß er euch in alle Wahrheit leitet und ihr euch in sie leiten laßt und im Gotteswort die Heimat findet. Das ist das Gotteswort, das weiterhin Gemeinschaft bildend wirkt. Durch all den Streit, der euer nicht schont und durch all die Zweifel, vor denen wir euch nicht absperren können noch wollen, geht die Gemeinschaft wirkende Tätigkeit des heil. Geistes unter allen denen, die da sprechen: Mir ist’s um Dein Wort zu tun. Längst Heimgegangene, die wir nach ihrem irdischen, müden Teil draußen geborgen haben, teure Christen, ehrwürdige Väter, hohe Gestalten und kleine Leute zumal treten zu euch und bekennen: „Wenn sein Wort nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend.“ Aus diesen erlauchten Lebensbekenntnissen und den Geständnissen derer, die mit euch arbeiten, bildet sich eine spürbar sichtliche Gemeinde derer, die| das Wort lieb haben und bewahren. Ich glaube eine heilige Kirche, die bei all ihrer Zerrissenheit und Unwürdigkeit und Armut ein Kleinod hochhält und um dieses Erbe feilscht. Ich glaube an den heiligen Geist, der die Gemeinschaft der Armen auf ein armes Wort erbaut, durch ein geringes Wort erhält, mit einem unscheinbaren Wort verklärt. Und indem sich diese Gemeinschaft zusammenschließt, findet die eine Seele das, die andre ein anderes groß zu rühmen an diesem Wort, hoch zu halten von dieser Rede, alles so alt bewährt, alles so neu verklärt, alles so in Vergangenheit durch Kampf und Streit erprobt, alles für die Gegenwart so sieghaft freudig, so stolz und froh und kühn. Ich glaube eine heilige, christliche Kirche, in der mir der heilige Geist, so arm und unwohnlich sie erscheint, doch ein heimisches Räumlein bereitet hat, da ich den blauen Himmel mit all seinen Sternen über mir und den Gruß des Friedens aus der Heimat um mich und das Gebet meines hohenpriesterlichen Hausherrn vor mir sehe. Ich glaube an den heiligen Geist, der mir die Heimat gewährt. Und ihr glaubt weiter, daß alle die Gegensätze, die euer geliebtes Mutterhaus umziehen, dem ihr wahrhaftig nicht nur äußerlich eingegliedert werden sollt, in dem einen vollstimmigen Chore sich ausgleichen und ausklingen, in dem Kyrie der Tiefe, in dem Halleluja aus der Höhe: der Du trägst die Sünde der Welt, erbarme Dich über uns; Lob sei Dir ewig, o Jesu! – Ich glaube eine Gemeinschaft der Heiligen, die dieses Mutterhaus in aller Unvollkommenheit stückwerkmäßig und arm, doch darstellen will, weil immer wieder zum Kreuz die Zuflucht geht, wenn die Not hochkommt und vom Kreuz die Arbeit geht, weil dort die größte Arbeit geschah. In dieser Gemeinschaft der Heiligen, liebe Schwestern, werdet heimisch. Wenn euch auf Erden etwas höher erscheint, als die Darstellung des Gottesgedankens im heil. Geist, dem eure Kirche und euer Mutterhaus dient, dann seid ihr nicht mehr auf dem rechten Weg. Und wenn eine Diakonissin, eine Dienerin Jesu, die Er nicht nur durch das Sein des Dienstes, sondern auch durch das Sosein gnädig geführt hat, gegen das Sosein geschichtlich gewordener, geschichtlich verfestigter Gnaden mit Mißtrauen sich wappnet, so hat sie die Pflicht zu lösen, was innerlich los ist und zu scheiden, was Gott nicht mehr verbindet. Auch wenn über euer geliebtes Mutterhaus trübe Tage einmal kommen – und es sind immer trübe Tage gewesen – hält er euch, daß ihr um so inniger euch aneinander schließt und um so treuer euch die Hand reicht und um so herzlicher für euch betet, hoffend glaubt und Glauben wirkend, denn ihr habt eine Gemeinschaft der Heiligen. – Die Kritik zieht wie eine Kälte herauf durch die zerbrochenen Fenster und all die erkältende| mäkelnde Art hat nie etwas getaugt. Bleibt bei eurer mütterlichen Freundin, nehmt sie auch in ihren Fehlern zu gute, betet, daß ihre Fehler in Barmherzigkeit weggetan und ihre Armut verklärt werde. Das wird ein größerer Dienst sein, als wenn ihr seitab schmälend und schmähend steht und laßt Zion verfallen und seine Mauern versinken; und seht nicht trüb darein, wenn die Stürme kommen!

 Was aber, geliebte Christen, läßt die Heimat, die der heil. Geist gibt, in tröstenden Worten, in Gnade und Güte so sonderlich wert erscheinen? Das Volk, das darinnen wohnt, wird Vergebung der Sünden haben. Das kann ich euch, ein Diener meiner teuren evangelisch-lutherischen Kirche, als die einzig gewiß bleibende und große, selige starke Erfahrung bezeugen und wills bezeugen mit getrostem Mut, bis mein Mund sich schließt. Keine Kirche treibt den heimatlichen Artikel vom Frieden des Kreuzes, vom Segen der Erlösung, von dem Trost des hohepriesterlichen Fürbitters treuer, ernster, reiner, als eure Kirche. Da wird die Heimat erst groß, wenn sie dem Irrgänger verzeiht. Dem verlorenen Sohn ist das Vaterhaus am teuersten geworden, da er es wiederfand und statt des Fluches des Vaters Tränen sah. Da werden alle, alle, die müde sich geweint, sündig, sich gesorgt, töricht sich zerarbeitet haben, getröstet. Er sieht entgegen, Er geht entgegen, Er spricht, daß uns die Augen übergehen in solcher Huld: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Ihr sollt an der Heimat ergötzt sein. Glaubt an die Heimat des heil. Geistes, der das Wort euch erklärt, die Gemeinschaft euch erwirkt und aus lauter Güte Trennendes, Scheidendes, sündig Vereinzelndes vergibt.

 Aber – und das sei das Zweite, was ich kurz euch ans Herz lege – glaubt an das Heimweh des heil. Geistes. So viel ich weiß, ist in der ganzen heiligen Schrift nur ein Wort des heiligen Geistes gesagt und dieses einzige Wort steht im letzten Kapitel der Offb. St. Johannis, der Geist spricht: „Komm!“ Mitten im Weltgebrause und im Rauschen der Ströme der Leugnung und Verneinung, in all der Angst und stürmischen Zeit geht der heilige Geist als ein Fremdling, der die Heimat bereitet und als ein Gast, der in der Nacht den Morgen herbeisehnt, durch die Welt und täglich hört die Seele, die ihn liebt in seufzender Kreatur, in der Angst der Kirche, in der zerissenen Zeit, im Mißklang der Gebete, im Aufschrei der Getäuschten den Schmerzensruf: „Komm, Herr Jesu.“ Wenn der werte heilige Geist kein anderes Anliegen hat, als daß er, den zu verklären er gekommen ist, aus der verklärten Unsichtbarkeit hervortreten lasse und seine Welt, seine Kirche verkläre, und wenn der werte heilige Geist kein anderes| Anliegen stündlich emporsendet als: Brich den Himmel entzwei! Der Du den Weg der Niedrigkeit auf Erden fandest, solltest Du nicht den Weg der Herrlichkeit zu ihr brechen? welch anderen Wunsch dürftet ihr haben, geliebte Schwestern und Schülerinnen, als das weltferne und weltmächtige, weltlose und doch welttreue Gebet: „Amen, ja komm Herr Jesu, komme bald.“ –

 Das Heimweh hat dem Mann im Auge geglänzt, daß er ein Held ward, und die Gewißheit, daß hinter ihm der große Streiter Jesus Christus steht, hat auch den Zagen in schwerer Stunde beherzt gemacht. Heimweh ist nicht des Weibes Schwäche, sondern des Mannes Ehre. Heimweh entkräftet nicht, sondern es stärkt. Ich glaube, sprecht ihr dem heiligen Geiste im Heimweh nach, Auferstehung des Fleisches. Teure Menschen, liebe Freunde, edle Mitschwestern, die da draußen ruhen, werden von diesem Heimweh umspannt. Ueber ein Kleines und wir kommen euch nach. Die Wolke der Zeugen so goldenfarben, so menschlich nah, wird von diesem Heimweh umwoben: Wach auf du Geist der ersten Zeugen! Wie könnten evangelische Diakonissen in ihrer höchsten Feierstunde ihres teuren Vaters Luther vergessen, sich des Mannes schämen, der sie beten und glauben gelehrt hat! Gerade in unsern Tagen der Entzweiung, da niemand mehr des anderen Sprache versteht, trösten wir uns mit der Auferstehung der Gerechten, mit der Wiederkehr der großen Zeugen, mit dem Eintritt der Sieghaften in unser Ringen. Wir glauben wohl manchmal, daß in der letzten seligen Stille uns die verklärten Heere der Märtyrer und Propheten spürbar umgeben. Und wie könnt ihr Töchter eines mit einer armen und doch reichen Geschichte gesegneten Mutterhauses der väterlichen Namen vergessen, die jetzt im Heiligtum verklärt sind! Ich glaube ein ewiges Leben. So blickt ihr im Heimweh weiter in die Zeit, da euch nicht mehr Menschen ein Ehrenkleid umlegen, sondern der Herr selber das mühsam bereitete Hochzeitskleid, an dem Er seit eurer Taufe gewirkt und gewoben hat, euch gibt. Ihr schaut die kurze Spanne des Weges nicht sorglich, sondern freudig an; über ein Kleines und mein Freund kommt vom Himmel prächtig, von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig, mein Licht wird hell, mein Stern geht auf. –

 Dann ist das Leid überwunden, die Sünde ausgeträumt, die Sorge vorbei; dann ist das Weh des Scheidens dazu da gewesen, daß man um so näher dem Herrn Christus käme; dann kann man die Führungen und Fügungen seines Lebens im Lichte der Verklärung ansehen: der meine Sünden vergibt, der heilet meine Gebrechen. – Aus diesem Heimweh heraus tretet nun wieder in die Welt. Sagt den Kranken von dem Arzte Jesus; bezeugt den Gefährdeten von dem Wandrer, der auf dem Wege| die Schrift öffnet; teilt euren gefallenen Genossinnen draußen auf der Heerstraße mit, daß Er von Sünderinnen sich salben läßt; neigt und beugt euch zu euren armen Kindern in Lehre und Liebe, zeigt ihnen, daß ihnen das Herz und das Auge aufgeht, Jesum, ihren Freund! Wandert durch die Welt als sonnenfrohe Leute, die von der Sonne beglänzt, nach ihrem Lichte verlangen. Mit dem Heimweh wird die Heimat am Ende erlangt, der sie euch hier bereitet hat, wird sie euch dort nicht verweigern, und die Gnade geben, daß ihr eine Seele, irgend ein anderes getröstetes Leben mitbringt.

 Dir aber, Gemeinde Jesu und seiner armen Kirche, überantworte und vertraue ich diese 35 Diakonissen als eine letzte Gabe einer ernsten Arbeit. Was ich an ihnen tun sollte, ist nicht geschehen. Ob geschehen ist, was ich an ihnen tun konnte, weiß mein Herr. Daß ich etwas Gutes an ihnen und an Dir tun wollte, das magst du glauben. Nimm diese 35 in Dein Gebet in Deine Fürsorge und Treue. Laßt euch auch dieses Stück Jerusalem am Herzen sein. Der Herr Jesus aber, der seines armen Wesens Schönheit vom Kreuze her uns gegönnt hat und die Armut seiner Schönheit uns gelassen hat, verleihe aus Gnaden, daß wir alle von der Wahrheit seiner Schöne in ihre vollkommene Wirklichkeit eintauchen. Meine Augen sollen sehen den König in seiner Schöne und wenn wir sie aufheben, sei niemand als Er allein. Amen.



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