Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine gute Wache
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 591–592
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[591] Eine gute Wache. Die Wachen in Gravenstein in Schleswig waren unangenehm, hauptsächlich durch die große Zahl von Spionen, die täglich aus dem ganzen Sundewitt dahin, als dem Hauptquartiere des Prinzen Friedrich Carl, gebracht wurden.

Es war schon Abend und finster, als wir nach einem ziemlich anstrengenden Marsch, vom Norden kommend, in genannten Ort einrückten und ich wider Erwarten zur Wache commandirt wurde. Welcher Soldat kennt nicht das Mißbehagen, das uns erfaßt, wenn man todmüde auf ein gutes Strohlager rechnen kann und das Wort: „Auf Wache“ alle diese herrlichen Aussichten zerstört! Doch gern oder ungern, der Soldat darf nicht fragen warum, er muß eben schweigend gehorchen.

Nach vielem Suchen fand ich endlich mein Wachtlocal und mit ihm ein gut Dutzend unfreiwilliger Gäste, Herren und Knechte, feine und niedere Leute, welche zu große Anhänglichkeit an das liebe Dänenthum und zu großer Eifer, ihm zu nützen, in diese Lage gebracht hatte. Mein Vorgänger [592] rückte ab und tröstete mich noch, als er meinen Mißmuth bemerkte, beim Ade mit den Worten, es sei dies hier eine ganz köstliche Wache, da Tante Trina mit wahrhaft mütterlicher Liebe für die Militärs sorge.

Doch mir wollte dieser Trost in meiner schlechten Laune eben nicht recht helfen. Ich saß, den Kopf in die Hand gestützt, die Wachinstruction studirend, am Tisch m meiner Stube, als es an die Thür klopfte und auf mein freilich nicht freundlich betontes Herein eine Matrone erschien. Ich war überrascht, „Tante Trina“ dachte ich unwillkürlich. Doch zu langem Denken ließ mir mein unbekanntes vis-à-vis nicht Zeit, mit ungemein gefälliger Bewegung, trotz ihrer nicht unbedeutenden Leibesstärke, näherte sie sich mir auf einige Schritte.

„Guten Abend, Herr … seien Sie mir nur ja nicht böse, daß ich zu so später Stunde noch zu Ihnen hereinkomme, aber Sie sind doch wohl recht müde und matt, und da habe ich denn gemeint, es würde ein freundlich gebotener Löffel Suppe so ganz unwillkommen nicht sein.“

Der Gedanke an mein unfreundlich Herein, an die Mißmuthsfalten auf meiner Stirn, gegenüber dieser herzigen freundlichen Frau – das Alles machte mich momentan so verwirrt, daß ich nichts zu sagen vermochte, als: „habe ich wohl die Ehre, Madame vom Hause …“

„Bitte, bitte,“ unterbrach sie mich rasch, „ich werde hier die Tante Trina genannt und mag es gern leiden, daß auch Sie bei diesem Namen bleiben. Ach guter Gott, wie angegriffen Sie armer junger Mensch aussehen, kommen Sie geschwind herüber zu meinem Bruder, so,“ und dabei ging mir die liebenswürdigste aller Frauen, Tante Trina, voraus.

Ich aber mußte unwillkürlich an eine liebe Frau in der fernen Heimath denken, an meine alte Mutter! Tante Trina mochte wohl schon lang ihr halb Jahrhundert durchlebt haben, denn die reichen Haare ihres schöngeformten Kopfes wetteiferten an Weiße mit dem kleinen einfachen Häubchen, das sie halb bedeckte. Die vielen Falten ihres Gesichtes verunzierten dasselbe nicht, sondern gaben ihm, neben einer unendlichen Gutmüthigkeit, einen ganz eigenen fesselnden Reiz, so zwar, daß man gern lange hineinblicken mochte m diese ruhigen Züge und die lebhaften blauen Augen.

Tante Trina eilte mir also voran in die Stube des Bruders, eines Greises in Mitte der Sechziger, der bei unserm Eintritte sich von seinem Sorgenstuhle mit hoher Rücklehne und weichen Seitenpolstern erhob, die Pfeife wegstellte und mir, beide Hände entgegenstreckend, ein herzliches „Willkommen“ zurief. Keine fünf Minuten währte es, und ich fühlte mich heimisch und behaglich unter den lieben alten Leuten, so heimisch, wie im Elternhause. Die Bedürfnisse des Magens waren befriedigt, wir griffen zu den Pfeifen. Bald brannte das duftige Kraut von Latakia im Thonkopf, und Empfindungen ganz eigener Art erfüllten mich, wenn ich dabei an meinen Vorpostenkanaster dachte.

Vater Petersen, so hieß Tante Trina’s Bruder, hatte als Schiffscapitain sich bis zu Anfang der fünfziger Jahre auf dem Wasser umhergeschaukelt, dann aber das Seeleben aufgegeben, um mit Schwester Trina in Ruhe und Gemüthlichkeit von seinen Ersparnissen zu leben. „Meine Schwester und ich,“ sagte er, „wir haben keinen uns näherstehenden Menschen mehr auf Erden, wir haben gut und reichlich zu leben, um dann noch ein schön Theil zu guten Zwecken verwenden oder, wo es gerade kneift, zuspringen zu können, und da giebt’s ja in diesem Kriege recht oft die beste Gelegenheit.“

Nun waren wir aus dem Kriegsthema und hatten somit reichlichen Stoff zur Unterhaltung, die Vater Petersen in seiner geraden schleswigschen Weise prächtig zu führen wußte. Von großem Interesse für mich war seine Erzählung von dem Rückzüge der Dänen aus der Danewirke nach Düppel. „Tag und Nacht,“ erzählte er, „zogen die dänischen Truppen in wilder Eile hier durch. Mein Neffe, der nach dem Verlust seiner Eltern mein Adoptivsohn geworden, stand beim … Infanterie-Bataillon, das zum größten Theil aus Schleswigern unter ausschließlich dänischen Officieren formirt war. Es war am Vormittag eines recht unfreundlichen Tages mit rauhem Nordost und schneidendem Schneetreiben, als das Bataillon hier einrückte. Mein Neffe war nicht dabei, im gezwungenen Kampfe gegen seine deutschen Brüder hatte ihn die Kugel getroffen, seine Cameraden brachten mir die Kunde und die letzten Grüße.“

„Der arme liebe Junge!“ fügte Tante Trina bei und stand auf, um sich am Fenster etwas zu schaffen zu machen.

Mir aber war’s, als hörte ich durch die mit zitternder Stimme gesprochenen Worte etwas wie Schluchzen.

„Die Truppen hatten kaum zwei Stunden hier gerastet,“ erzählte Vater Petersen weiter, „als der Befehl zum Weiterrücken gegeben wurde. Sie gehorchten, aber sie litten nicht, daß die Bataillonsmusik den ‚tappern Landsoldaten‘ spielte, sondern forderten laut und stürmisch ‚Schleswig-Holstein meerumschlungen‘. Alles Drohen der Officiere half nichts, die Musik, überschrieen, mußte schweigen, und unter dem Gesang des geliebten Marsches rückten die Armen ab. Ich habe nicht erfahren, wie der dänische Haß diese Meuterei, wie die Officiere es zähneknirschend nannten, bestraft haben mag.“

Da wurde ich gerufen, um das Contingent meiner Gefangenen durch zwei neue Individuen, abermals einen Pastor sammt Küster, ich glaube, von Broacker waren sie, zu vermehren. Ich wünschte dem liebenswürdigen Geschwisterpaar aus vollem Herzen gute Nacht, sie sagten: „auf Wiedersehen morgen früh.“ Ihr Wunsch hat sich leider nicht erfüllt; vor Anbruch des Morgens wurde das Bataillon, zu welchem ich gehörte, alarmirt und rückte wieder nach Norden an den Alsen-Sund in die Nähe von Sandberg.

Ich habe die lieben Leute nie wieder gesehen, rufe ihnen aber hiermit durch die weitwandernde Gartenlaube, die auch in Schleswig fast an jedem Heerde heimisch ist, meine herzlichen dankbaren Grüße zu.