Eine erinnerungsreiche Sommerfrische

Textdaten
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Autor: Julius Keßler
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Titel: Eine erinnerungsreiche Sommerfrische
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 474–478
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[474–475]

Ilmenau und Umgebungen.
Nach der Natur aufgenommen und auf Holz gezeichnet von Herm. Heubner in Leipzig.

Schmücke. Markt-Platz. I[LME]NAU. Camerberg u. Manebach. Gr. Hermannstein.
Kickelhahn. Schneekopf.
Gabelbachhäuschen. Fridolin (Grenzhammer. Rabenthal. Aufgang zum Gabelbach.

[476]

Eine erinnerungsreiche Sommerfrische.

Mit Abbildungen.

Amnuthig Thal, du immergrüner Hain,
Mein Herz begrüßt euch wieder auf das Beste!
Entfaltet mir die schwerbehangnen Aeste,
Nehm’ freundlich mich in eure Schatten ein.
Erquickt von euren Höhn, am Tag der Lieb’ und Lust,
Mit frischer Luft und Balsam meine Brust! …

Wo am südöstlichen Abhänge des Thüringer Waldes die Ilm nach ungefähr zweistündigem Laufe aus dem Gebirge heraustritt in das System seiner Vorberge, dehnt sich, auf der einen Seite durch die Höhenzüge des Hochgebirgs, auf der andern durch sanft abfallende Hügelketten umgrenzt, viertelstundenweit[WS 1] eine Thalsenkung, deren Oberfläche aus duftigen Wiesenmatten und fruchtbaren Feldern gebildet wird, zwischen denen hie und da ein glatter Wasserspiegel aufschaut. Mitten hindurch wandert das muntere Gebirgskind, die Ilm, die ihrer Jugend ungeachtet schon wacker schafft, wie das Klappern verschiedener Triebwerke verkündet. Dort wuchs nach und nach ein nettes Städtchen heran, welches sich im Halbkreis um den vorspringenden Höhenzug der Sturmhaide anschmiegt und dort die liebliche Aue der Ilm beherrscht: die Bergstadt Ilmenau.

Alljährlich um die Pfingstzeit, wenn der lachende Frühling dem grämlichen Winter das Schneekleid vom Leibe gerissen hat und das Gebirge zugänglich geworden, da beginnt der Strom der Wanderlustigen sich durch die Gegend zu ergießen, und späterhin, wenn die Blumen der Au am vollsten blühen, wenn das duftige Gras in Schwaden fällt und die Aehren schwerer und schwerer an den Fruchthalmen nicken, da erhöht sich die gewöhnliche Einwohnerzahl des Städtchens von Dreitausend und einigen Hunderten um tausend und mehr Personen. Was zieht sie herbei? Es ist der landschaftliche Reiz der Gegend, die herrliche Luft und das köstliche Quellwasser, es ist die Classicität des Platzes, an den sich heilige Erinnerungen knüpfen.

Ja, nach welcher Himmelsgegend wir auch wandern – so lange uns der Wald umfängt und die Höhen des Bergrückens tragen, ist’s überall schön, und Alles muthet uns herzerquickend an. Schauen wir uns vom Habichtsfang, einer Höhe bei Oberpörlitz, um. Zu unseren Füßen breitet sich die Aue. Kühn und gewaltig erhebt sich darüber hin der massige Gebirgsstock des Kickelhahns. Die höchste Höhe, mit einem steinernen, 1854 erbauten Aussichtsthurme bekrönt, ruht monumental auf einem ausgedehnten Unterbau von Bergen, aus denen sich verschiedene Kuppen in gefälligen Linien abheben. Coulissenartig schiebt sich Hang an Hang in die Thäler herab, bis der fernere Zug des Gebirges dem Blicke Halt gebietet.

Nach Nordost und Ost hin gleitet das Auge über ein Gewimmel bewaldeter Hügel hinweg in fruchtbare Fluren. Freundliche Orte grüßen herüber, und die Contouren eines Bergzuges in bläulichem Fernduft schließen das Bild ab. Es hat Natur

– „hier Berg an Berg gereiht.
Die Hügel dann bequem hinabgebildet,
Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet.
Da grünt’s und wächst’s –“

Und in Bergen und Wäldern drinnen, welch ein Reichthum großartiger und lieblicher Punkte und Gestaltungen! Steige vom vielbesuchten Gabelbach aus mit dem Thurmwart Kilian Merten, dem bewährten Kenner Thüringer Berge und Fluren, auf den Kickelhahnsthurm und laß dein Auge in weite Fernen schweifen, lagere dich am Fuße des großen Hermannstein, dem Lieblingsaufenthalte Goethe’s, dringe tief hinein in den dichten Gebirgswald, wohin die weit in der Runde gebahnten glatten Pfade nicht mehr reichen, wo das leise Sausen und Anschwellen jenes alten geheimnisvollen Liedes, das der Wind in den Baumgipfeln singt, nur durch fern herüberklingende Axtschläge der Holzhauer unterbrochen wird, durchwandere das Ilmthal an dem Rabenthal vorüber bis Stützerbach hinauf oder rechtsab in dem kerngesunden Walde hinaus bis zur überall gekannten Schmücke mit dem prächtigen Schneekopf, oder gehe der Schorte, die sich beim Grenzhammer mit der Ilm vereinigt, entgegen, belausche das Reh, das sich in einsamer Gebirgsschlucht langsam über die saftige Bergwiese hinäst: du wirst Bilder und Stimmungen finden, die dich in hohem Grade befriedigen, die dir wahrhaften Genuß verschaffen.

Und welche Luft weht hier durch Berg und Thal! Wie frisch und rein sprudeln diese Quellen! Wenn ich die Thatsache anführe, daß der Druck der Luftsäule auf den Menschen beispielsweise am Meere 30000 Pfund, in Berlin 29800 Pfund, in Ilmenau nur 27800 Pfund beträgt, so wird man leicht begreifen, wie bei so bedeutender Entlastung die menschlichen Organe hier ihren Dienst leichter und freier verrichten können. Dazu kommt der außerordentliche Ozongehalt dieser Luft, der den Verbrennungsproceß des Blutes so wesentlich befördert und so auf die natürlichste Weise die Reinigung des Blutes herbeiführt. Eine Sommerfrische in diesen Bergen hat schon vielfache Wunder gethan; hat sich der Acten- und Bücherstaub noch so dick angesetzt – hier muß er nach und nach herab. In Verbindung mit jenen natürlichsten aller Heilmittel sind zweckmäßig eingerichtete Badeanstalten bestrebt, Gesunden und Kranken Erfrischung der erschlafften Glieder oder Linderung und Heilung der Leiden zu verschaffen.

Weiter aber, welche Erinnerungen haften an diesem Boden!

„Meine Ufer sind arm; doch höret die leisere Welle,
Führet der Strom sie vorbei, manches unsterbliche Lied.“

Mit diesen Worten führte Schiller die Ilm unter seinen Flüssen ein, und Goethe ließ in dem berühmten Maskenzuge, der am 18. December 1818 zu Ehren der damaligen Kaiserin-Mutter von Rußland in Weimar veranstaltet wurde, die Ilm auftreten und verkünden:

„Droben hoch an meiner Quelle
Ist so manches Lied entstanden,
Das ich mit bedächtiger Schnelle
Hingeflößt nach allen Landen.“

Die Zeit, in welcher so manches unsterbliche Lied hoch an der Ilmquelle entstand, beginnt mit dem Jahre 1776, und der Dichter war Goethe selbst. Bald nach seiner Ankunft in Weimar kam er mit seinem fürstlichen Freunde Karl August nach Ilmenau. Nachdem der Herzog sich überzeugt hatte, wie schädlich die Hegung des Wildes nicht allein dem Ackerbau, sondern auch der Forstcultur werden müsse, und die Verringerung des Wildstandes beschlossen worden, ging es an’s Jagen, und als die Reihen der Hirsche und Rehe genügsam gelichtet waren, an ernstere Arbeiten, namentlich an die Wiederherstellung des gänzlich niederliegenden Bergbaues.

In diese Zeit fällt die Entstehung des Gedichtes „Dem Schicksal“, welches Goethe mit folgenden Zeilen an [Johann Caspar Lavater|Lavater]] schickte: „Hier ein paar Zeilen meines Gefühles, aus dem Thüringer Walde geschrieben den 3. August, Morgens unter dem Zeichnen.“ In jener ursprünglichen Gestalt lauteten die ersten Verse des Gedichtes:

„Was weiß ich, was mir hier gefällt,
In dieser engen, kleinen Welt
Mit leisem Zauberband mich hält!
Mein Karl[1] und ich vergessen hier,
Wie seltsam uns ein tiefer Schicksal leitet;
Und ach! ich fühl’s, im Stillen werden wir
Zu neuen Scenen vorbereitet“ etc.

Um sich vom Zustande des lange verlassenen Grubenwerkes zu überzeugen, nahmen damals Karl August und Goethe eine Besichtigung desselben vor, wobei der Erstere beinahe das Leben verlor. Im Schachte brach eine Leitersprosse, und Karl August, der im Eifer vorangestiegen war, stürzte hinab in die Tiefe. Ohnmächtig wurde er hinaufgefördert und in’s Forsthaus getragen. Ein Husar jagte nach Jena, um Professor Loder zu holen. Inzwischen wurde vergeblich nach dem Ilmenauer Arzte und Feldscheer geschickt; beide waren gerade auswärts; nur ein junger Gehülfe des Letzteren wurde herbeigebracht. Dieser legte den ersten Verband so trefflich an, daß Loder bald wieder abreisen und den hohen Kranken der ferneren Behandlung des jungen Menschen anvertrauen konnte. Karl August wies dem Gehülfen die Mittel zum Studiren an; dieser aber schrieb eine [477] berühmte Bandagenlehre und starb in hohem Alter und hohen Ehren in Berlin. Es war Professor Bernstein.

Während jenes Aufenthalts in der Ilmenauer Gegend wohnten die Beiden vorzugsweise in Stützerbach in dem ehemals Gundelach’schen, jetzt Ephraim Greiner’schen Wohnhause, bisweilen auch in Ilmenau selbst. In das Jahr 1777 fallen bereits die ersten Anfänge von „Wilhelm Meister’s Lehrjahren“, an welchem Werke Goethe, freilich mit großen Unterbrechungen, an zwanzig Jahre gearbeitet hat. Vieles davon wurde in Ilmenau geschrieben; ja, man darf mit Bestimmtheit annehmen, daß manche Begebenheit des Romans und manche Scenerie hier erlebt, erschaut und von hier entlehnt wurde. Die dicke Eiche, deren gelegentlich des Rücktransports der entführten Kaufmannstochter Erwähnung geschieht, ist es nicht der mächtige Baum, der auf der Höhe zwischen Ilmenau und Martinrode stand? Vor einer Reihe von Jahren ist er den Stürmen erlegen. Noch jetzt erschaut man den Stumpf der riesigen Pflanzenleiche, auf Mauerwerk dürftig aufgebahrt, an dem Platze, wo der Baum den Wettern länger als tausend Jahre Trotz geboten hatte; durch das Luftrevier aber, wo schon in grauer Vorzeit ihr Blätterwerk spielte, zieht jetzt ein schwanker Draht hin, der Leiter des elektrischen Funkens. – Der Vorgarten zur Amtsfrohnveste, die Porcellanfabrik auf der Sturmhaide, die heutzutage noch herrschende Liebhaberei der Fabrikarbeiter in der Gegend, Theater zu spielen, ein am 2. Mai 1776 in Ilmenau stattgefundener Brand, welcher sechs Häuser vernichtete, der Marktplatz mit zwei gegenüberliegenden Wirthshäusern und manche andere Momente deuten darauf hin, daß Goethe hier nachgezeichnet hat.

Letzterwähnte Wirthshäuser anlangend (jetzt Sonne und Adler), so coquettirte von dem Fenster des einen aus Philine mit Wilhelm, welcher vor der Thür des andern Blumen kaufte. Auf dem Markte vor dem einen Wirthshause producirten sich die Seiltänzer, sollte Mignon den Eiertanz tanzen. Das unglückliche italische Kind! Wie viele Bilder, Scenen und Gedichte des großen Meisters lassen sich auf Ilmenau und dessen Umgebungen zurückführen, die Wenige so genau kannten wie der Dichter des Faust und der Iphigenie!

Am 6. September 1780 treffen wir Goethe auf dem Kickelhahn. An demselben Tage schreibt er unter Andern an die Freundin Charlotte von Stein: „Es ist ganz reiner Himmel, und ich gehe, des Sonnenunterganges mich zu freuen. Die Aussicht ist groß, aber einfach. – Die Sonne ist nieder. Die Gegend ist so rein und ruhig wie eine große schöne Seele, wenn sie sich am wohlsten befindet. Wenn nicht hie und da einige Vapeurs von den Meilern aufstiegen, wäre die ganze Scene unbeweglich.“

Während dieses seines Aufenthaltes mag auch die nächtliche Scene im Gebirge vorgekommen sein, welche er in dem Gedichte „Ilmenau“ für Karl August’s Geburtstag, 3. September 1783, beschrieben hat. Die Gartenlaube hat diese Scene bereits im Jahrgang 1861 durch die kundige Hand Diezmann’s und durch eine prächtige Xylographie des Thüringer Malers H. von Oer verewigt, und bedarf es daher keiner weitern Schilderung.

Und nun der Abend des 7. September 1783: Goethe, vom Fenster des einsamen Bretterhäuschens aus dem Kickelhahn hinabträumend in die Wälder! Plötzlich zuckt er auf, als habe er etwas gefunden. Rasch wirft er es mit Bleistift auf das erste beste Brettstück neben dem Fenster, und fortan war dort zu lesen das herrliche Nachtlied „Ueber allen Gipfeln etc.“ (vergl. Nr. 40 der Gartenlaube von 1872). Nachträglich zu jenem Artikel sei mir verstattet hier zu bemerken, daß die Thür zu dem Zimmer, in welchem Goethe das Nachtlied schrieb, noch existirt. Dieselbe wird schon seit einer Reihe von Jahren und heute noch, nachdem sie wandelbar und durch eine neue ersetzt worden, von Kilian Merten aus dem Gabelbach aufbewahrt.

Außer auf dem Kickelhahn hielt sich Goethe vorzugsweise gern auf dem Schwalbenstein, oberhalb des Manebacher Grundes, auf. Zu jener Zeit stand dort auf dem vorspringenden Felsen ein Bretterhäuschen, in welchem Goethe, wie er selbst zu Bergrath Mahr geäußert, den ersten Plan zur Iphigenie gefaßt hat. Hier schrieb er auch: „Schwalbenstein bei Ilmenau. Sereno die, quieta mente (hellen Himmels, froher Seele) schrieb ich, nach einer Wahl von drei Jahren, den vierten Act meiner Iphigenia an einem Tage.“ Es war dies am 19. März 1779; am 28. März war die ganze Dichtung beendigt.

Damals war es, daß die Männer des „lustigen Weimars“ oft und gern in den Wäldern Ilmenaus verkehrten. Seckendorf, Knebel, Herr von Stein, der Gatte der vielgenannten Freundin Goethe’s, Einsiedel, Jean Paul, Herder und Andere verlebten im Orte und auf den Bergen stille und zu Zeiten auch vielbewegte Tage, wenn der ewig heitere und gut aufgelegte Fürst und Freund Karl August dort eintraf. Einige Jahre später siedelte dann Corona Schröter, die schöne und liebenswürdige Sängerin, und nach ihr auch L. v. Knebel nach Ilmenau über.

Im Jahre 1813 lebte Goethe, wie er an Knebel schreibt, „sieben sehr vergnügte Tage“ in Ilmenau. Von da an ließ er sich viele Jahre nicht mehr hier sehen. Nur einmal noch kam er; es war bekanntlich zu seinem Geburtstage, den 28. August 1831. Er glaubte „die diesmal sehr gesteigerte Feier“ dieses Tages in der Nähe von Weimar nicht bestehen zu können und verfügte sich deshalb mit seinen beiden Enkeln nach Ilmenau, um die Geister der Vergangenheit durch die Gegenwart der herankommenden auf eine gesetzte und gefaßte Weise zu begrüßen. In Gesellschaft des vor mehreren Jahren hier verstorbenen Bergrath Mahr fuhr er hinauf auf den Kickelhahn, erfreute sich an dem herrlichen Walde und der prachtvollen Aussicht und schritt dann zu Fuße auf den Berggipfel hinauf, wo er noch das kleine Waldhaus in der Nähe wußte. Als er hier in dem oberen Zimmerraume angekommen war, äußerte er zu Mahr:

„Ich habe in früherer Zeit in dieser Stube mit meinem Bedienten im Sommer acht Tage gewohnt und damals einen Vers an die Wand geschrieben. Ich möchte ihn nochmals sehen.“ Er las: „Ueber allen Gipfeln ist Ruh“ und – wie wir bereits früher einmal erzählten – Thränen flossen ihm über die Wangen, und in sanftwehmüthigem Tone wiederholte er: „Ja, warte nur, balde ruhest du auch.“

Schweigend blickte er dann lange über die waldigen Höhen hin, und als er sich endlich zum Gehen wandte, gedachte er wiederholt seines „guten Großherzogs“, der ihm drei Jahre vorher in’s Jenseits vorangegangenen Karl August. – Diezmann, dessen „Weimar-Album“ ich dies entnehme, fährt fort: „Sechs Tage blieb er in Ilmenau, wo er am Geburtstage durch eine Morgenmusik, Abends durch einen Auszug der Bergknappen mit ihren Grubenlichtern und eine Aufführung des ‚Bergmann und Bauer‘ erfreut wurde. Mit besonderem Interesse erkundigte er sich auch, ob das kleine Haus auf dem Schwalbensteine noch stehe, in welchem er einen Theil seiner ‚Iphigenie‘ geschrieben.“

Wenn aus dem Gesagten schon genugsam hervorgeht, wie lieb und theuer Karl August und Goethe Ilmenau geworden war, wo sich das zwischen Beiden schon früher angeknüpfte Freundschaftsbündniß durch den engsten persönlichen Verkehr zu einer Intimität steigerte, die für die ganze Menschheit zu unermeßlichem Segen gedeihen sollte, so darf eine Scene nicht unerwähnt bleiben, worin Karl August selbst hiervon das rührendste Zeugniß abgab. Es war früh vor sechs Uhr am 3. September 1825, dem fünfzigjährigen Regierungsjubiläum dieses unvergleichlichen Fürsten, als Goethe, der Erste der Glückwünschenden, im römischen Hause zu Weimar zu dem Jubilar eintrat. Karl August erfaßte die Hände des Dichters, der vor tiefer Bewegung nur die Worte hervorbringen konnte: „Bis zum letzten Hauche beisammen!“ Der Fürst gedachte der schönen fernen Jugendzeit und tief ergriffen rief er aus: „O achtzehn Jahre und Ilmenau!“

Solche Erinnerungen sind wohl zu pflegen, und gern beschreitet man die Stätten, an welche sie sich knüpfen. Aber der Thüringer Wald und namentlich Ilmenau mit seinen Umgebungen müssen wohl außer diesen klassischen Erinnerungen auch einen eigenthümlichen wohlthuenden Reiz auf empfängliche Gemüther üben, denn Thatsache ist es, daß viele Reisende, wenn sie die Herrlichkeiten des Meeres und der Alpen gesehen, stets wieder auf die Thüringer Berge zurückkehren, weil es ihnen hier „doch am wohlsten sei“. – Ich selbst kannte einen viel gereisten jungen Mann, der diesem Reize nicht widerstehen konnte. Im Drange seiner Jugendlust war er, nachdem er ganz Deutschland gesehen, durch die lachenden Fluren Südfrankreichs bis zu den Wasserfällen der Pyrenäen gezogen, hatte von Nizzas Höhen [478] hinaus in das blitzende Meer geschaut und die Olivenhaine Corsicas durchwandert, um dann an den Schlössern und Schluchten des Bosporus und des goldenen Horns vorüber seine Schritte nach dem Morgenlande zu lenken, bis er durch die versunkene Culturwelt Kleinasiens hinab nach dem erinnerungsreichen Jerusalem zog, das er nur verließ, um weiter nach Aegyptens vielbewunderter Wüstenwelt zu schiffen. Mit lebhaften Farben malt er in seinen hinterlassenen Tagebüchern die sonnengluthige Schönheit des Südens und den berauschenden Eindruck der orientalischen Ruinenwelt, aber immer und immer kehrt am Schlusse seiner Schilderungen der rührende Wunsch wieder: „Wie gerne gäbe ich alle die Herrlichkeiten hin für einen einzigen Sonnenuntergang auf dem Kickelhahn!“ – Was muß es nur sein, was diesen kleinen Bergen im Herzen von Deutschland einen so frisch erquickenden ewig neuen Reiz verleiht?

Und nun, Reiselustiger, schaue Dir die beigegebenen einfachen Bilder an! Es sind reizende Skizzen, treu aufgefaßt und mit kunstfertigem Stifte durchgeführt. Aber – Freund Heubner verzeihe mir – die Originalien sind doch noch viel schöner!
Julius Keßler.
  1. Karl August.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage lückenhaft; ergänzt aus GDZ Göttingen