Eine Freistätte des Glaubens

Textdaten
<<< >>>
Autor: M. von Humbracht
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine Freistätte des Glaubens
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 172–174
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Burg Ronneburg
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[172]
Eine Freistätte des Glaubens.


Daß zwischen den Höhen des Taunus und des Vogelsbergs und zwischen Main und Lahn das Hügelland der Wetterau sich ausbreitet, weiß Jedermann; aber daß der kühnste ihrer Hügel eine Burg trägt, welche über ein Jahrhundert lang eine gemeinsame Freistätte der Verfolgten jedes Glaubens und der Ausgestoßensten aller Völker war, und daß in dieser Burg noch heute Zeugen aus jenen Tagen leben, das scheint über die Wetterau hinaus nur Wenigen bekannt geworden zu sein.

Oder kennt Jemand irgendwo, in allen Ländern, eine zweite Burg, in deren weiten an Herrenpracht verödeten Flügelbauten hier ganze Geschlechter armer, vom Wahn gehetzter Juden, dort viele Familien von den aus Frankreich vertriebenen Hugenotten, und wieder in einem andern Schloßtheile Horden von Zigeunern und in noch einem andern die Flüchtlinge von Salzburg und von unterdrückten Herrnhuter-Gemeinden zu gleicher Zeit friedlich nebeneinander gewohnt, während von der Welt geflohene und die Welt fliehende Alchymisten und Astrologen in den gemiedenen Thürmen gehaust?

Dies Alles ist geschehen auf der Ronneburg, einem jetzt großherzoglich hessischen Bergschlosse im Landgericht Büdingen, so lange dieselbe unter dem vielverzweigten Dynastenstamme der Isenburger stand, deren mediatisirtem Gebiete sie noch dermalen angehört. Die Burg erhebt sich auf ihrem Basaltkegel an der südlichsten Grenze der darmstädtischen Provinz Oberhessen, etwa anderthalb Meilen südwestlich von Büdingen; wer von Windecken nach Wächtersbach eine Luftreise in gerader Linie machte, würde über ihre Thürme dahinfahren. Vom Thale aus betrachtet, erscheint sie noch heute als ein wohlerhaltenes Denkmal uralter Zeit; erst wenn wir ihre Höfe betreten, sehen wir, wie weit ihr Verfall vorgeschritten ist. Ehe uns aber der Leser auf dem gewagten Gang durch ihre Räume begleitet, lassen wir ihre denkwürdige Geschichte an uns vorübergehen.

Die Ronneburg gehörte ursprünglich einem Rittergeschlechte gleiches Namens und kam nach dessen Aussterben in verschiedene Hände, endlich, im letzten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts, an die Isenburger. Wohl erst, nachdem diese sich in Büdingen, Wächtersbach ec. ihre Residenzen gegründet und das Schloß mit seinen weiten Räumen unbewohnt stand, jedenfalls aber in sehr früher Zeit wurde es seiner unvergleichlich schönen Bestimmung übergeben. Die ältesten Schützlinge der Burg sind die Juden, über welche gerade im nahen Frankfurt am Main stets die entsetzlichsten Verfolgungen ergangen waren. Als der „schwarze Tod“ in den Jahren 1348 und 1349 wohl fünfundzwanzig Millionen Menschen in Europa wegraffte, brachen bekanntlich jene scheußlichen Judenverfolgungen aus, die auf ein Abschlachten des ganzen israelitischen Volks auszugehen schienen und noch über hundert Jahre in einzelnen Gegenden Deutschlands nachwirkten. Mögen aus den früheren Bedrängnissen nur einzelne Familien in der Ronneburg Zuflucht gefunden haben, so öffnete sich 1614 nach einer neuen großen Judenverfolgung in Frankfurt a. M. die Zugbrücke derselben für ganze Schaaren, von denen viele zurückblieben, auch als ihnen Frankfurt seine Judengasse wieder erschloß.

Die Zigeuner mögen viel später, als die Juden, in der Ronneburg Herberge gesucht haben; sie erschienen bekanntlich erst gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in den Main- und Rheingegenden, verstießen aber durch ihr Vagabundenleben wohl erst nach dem dreißigjährigen Kriege gegen die Reichspolizeiordnungen.

Zwischen Juden und Zigeunern fanden Alchymisten und Astrologen, die sich verfolgenden Augen zu entziehen Ursache hatten, den Weg zu den Gemächern der hohen Thürme, in welchen sie ungestört ihr geheimnißvolles Unwesen weiter treiben konnten.

Wollen wir nun auch annehmen, daß solche wunderliche Bevölkerung der Burg nur in Folge eines hochobrigkeitlichen Augenzudrückens im Stillen geduldet worden sei, – was immerhin die Genehmigung erleuchteter oder gutherziger Landesherren voraussetzt, so wird der klare Grundsatz der Glaubensfreiheit an das Thor der Ronneburg geschrieben durch einen Fürsten, der sehr hoch über seiner Zeit gestanden haben muß: durch den Grafen Casimir von Isenburg-Büdingen. Er zuerst öffnete die Hallen der Burg auch den um ihres Glaubens willen verfolgten christlichen Secten. Es thut uns leid, über die Persönlichkeit dieses Edlen vor der Hand nicht Weiteres mittheilen zu können; seine That verdient, daß die Gegenwart ihm mit dem Kranze wahrhafter Humanität, der so selten erworben wird, das Haupt schmücke.

Offenbar war der hochherzige Entschluß des Grafen veranlaßt worden durch die Aufhebung des Edicts von Nantes (1685), denn aus dem Frankreich Ludwig’s des Vierzehnten kamen die ersten christlichen Glaubensflüchtlinge auf die Burg. Diese reformirten „Refugiés“ richteten sofort einen Saal für ihren einfachen Gottesdienst her, und so wurden zuerst die Gebete nach den Formen des alten und des neuen Bundes unter einem Dache laut, denn auch die Juden feierten ungestört ihren Jehovah nach ihrer Weise.

Nach den französischen Reformirten zogen viele Familien der aus Salzburg vertriebenen Protestanten in die Ronneburg ein, und auch sie fanden Raum zum Wohnen und zum Beten, denn es waltete ein beständiger Zu- und Abfluß von Bewohnern der Ronneburg; Manche hatten nur den ersten Schutz hier gesucht und zogen später weiter zu festen Ansiedelungen, Viele fanden in den Thälern der Wetterau ihre zweite Heimath, wohl nur die Aermsten nisteten sich fest ein in den zimmerreichen Gebäuden, immer aber war im Jahre 1736 noch Raum genug für einen neuen Zuzug, welchen Graf Zinzendorf, der Gründer und Beschützer der Herrnhuter-Gemeinden, in die Ronneburg führte. Mit seiner heimischen Landesregierung und Geistlichkeit in Conflict gerathen und ausgewiesen, hatte er sich zu der alten Glaubensfreistatt in der Wetterau gewandt und hier Schutz gefunden.

Mit der Uebersiedlung in die einsam stille Wetterau verband Graf Nikolaus von Zinzendorf wohl nicht allein die Absicht, neue Anhänger zu gewinnen für die alte Lehre der Mährischen Brüder, sondern die Häupter der Separatisten und Inspirirten, Rock, Gruber, Groß, mit denen Zinzendorf seit lange in freundschaftlichsten Beziehungen gestanden, wünschten, daß er ihren Glauben in seinem Cultus sich ansähe und ihre Lehren prüfe. Hatte Zinzendorf die Absicht, seine Lehren in der Wetterau zu verbreiten, so konnte er dazu keine geeignetere Stätte finden, als die Ronneburg, wo finsterer Fanatismus und das mystische Gewebe der Inspiration schon anfingen dunkle Schatten über die Separatistengemeinden zu werfen, die bei ihrem Entstehen sich auf so einfach schönen Bau gegründet hatten.

Es war im Sommer 1736, als Graf Zinzendorf mit Weib und Kind, mit einem Theil der ihm gefolgten Herrnhuter-Gemeinde, auf die Ronneburg kam. Dort, wo die ersten, die israelitischen Heimathlosen und Bedrückten sich in den Häusern des ersten Burghofes und in dem einen der vier Flügel des „inneren“ Schloßhofes angesiedelt hatten und wo neben ihnen, in den andern Flügeln des Vierecks von hohen Gebäuden, sich die Inspirirten, die sich „Streiter Christi“ nannten, niedergelassen, die laut wider Taufe und Abendmahl eiferten, und wo wieder die strengen und fanatischen Separatisten sich gegen alle Gemeinschaft mit Welt und Menschen wehrten und dagegen abschlossen – diesen verschiedenen Glaubenssecten gegenüber nahmen die Mährischen Brüder Besitz von dem Hauptflügel der Burg, und schon am nächsten Tage ihres Einzugs hielt diese kleine Herrnhutergemeinde ihren einfach schlichten Gottesdienst in der alten weiten Ritterhalle des Erdgeschosses und der jubelnd klare Ton ihrer Lobgesänge lockte selbst die Insassen der Ronneburger Thürme in den kleinen Burghof, wo bereits in dicht gedrängten Massen aufmerksam lauschend alle diejenigen standen, die in so anderer Weise zu Gott beteten; wo jene Bewohner der Ronneburg sich aufhorchend zusammengeschaart, die jeden Gottesdienst für überflüssig erachteten und bis dahin Spott mit dem getrieben hatten, was Hunderten der da Versammelten ihr Heiligstes und Höchstes war, um dessenwillen sie Heimath und Vaterland verlassen, um dessenwillen sie freudigen Herzens gelitten und geduldet!

Und nun ist es an der Zeit, die von einer solchen Vergangenheit geweiheten Räume selbst zu betreten. Ich habe bereits angedeutet, daß von Weitem die Ronneburg noch heute einen grandiosen Eindruck macht, und selbst vom Fuße ihres Berges aus gesehen, nahe vor „Haus Ronneburg“, von jener kleinen Brücke aus, die unsere Illustration zeigt, erhält sich nicht nur dieser Eindruck, [173] er steigert sich beim vollen Anblick all’ der Baulichkeiten, dieser Thürme, dieser starken, langen Mauern. Zugleich bietet die Ronneburg von jener Stelle aus ein wundervolles Landschaftsbild im Farbenschmuck der Berge und der Bäume, wie denn überhaupt ihre Lage sie zu einer Zierde der Wetterau erhebt.

Je höher wir den Berg hinansteigen, desto mehr tritt jedoch der begonnene Verfall der Burg vor Augen. Bringt uns die Biegung des Pfades auf die andere Seite der Veste, so stehen wir wohl unwillkürlich still. Ueberrascht richtet sich der Blick empor auf das große, alte Ritterschloß mit seinem hohen Glockenthurm, das hier von keiner Ringmauer mehr umzogen ist, und mit seinem mächtigen Unterbau von Quadern in langen Flügeln und Etagen hoch aufsteigt über grünen Rasenwall. Aber zugleich erkennen wir an den fensterlosen Luken in dem Thurme, an

Die Ronneburg.

den mit rohen Bretern oft nur schlecht verwahrten Fenstern beider Flügel die begonnene Zerstörung des mächtigen Baues. Haben wir über die geländerlose Brücke den ersten Hof der Burg betreten, so liegt die volle Ruine vor uns. Ueber Schutthaufen steigen wir an eingesunkenen Mauern hin, um Inschriften alter Denksteine zu entziffern; in der Nähe eines ganz verfallenen Thurmes mit schuttbedeckter Wendeltreppe ist aus den verwitterten Stufen ein Baum gewachsen, das einzige Lebenszeichen der Natur in diesem einst so lebensvollen Hofraume.

Wir folgten unserer Führerin, der Frau des Thorwarts, von da durch einen gewölbten Gang, in welchem ein achtzig Klafter tiefer Brunnen in abgeschlossenem Raume liegt, in den zweiten Hof, der jenes Viereck von Flügeln enthält, in denen die Herrnhuter, die Separatisten, Inspirirten und Juden wohnten.

Die Sonne schien licht und freundlich in den engen Raum dieses zweiten Hofes. Die hohen, sich dicht aneinander schließenden Gebäude zeigen sich hier so wohlerhalten, daß man glauben könnte, sich in einer renovirten oder mindestens nicht so alten Burg zu befinden. Wir betraten das Innere. Unser erster Blick fiel auf eine Steintafel mit der Inschrift, welche uns in den ungelenken Versen jener Zeit sagt, daß der Saal, vor welchem sie steht, im Jahre 1570 erbaut worden sei. Dies war der Betsaal der Separatisten und hier soll auch Calvin gepredigt haben. Er ist noch ebenso wohlerhalten, wie die weite Halle im Hauptflügel, in der die Mährischen Brüder ihren Gottesdienst hielten; letztere ist gewölbt und die Bogen ruhen auf mächtigen Säulen.

Trotz der Abmahnungen unserer Führerin und der oft augenscheinlichen Gefährlichkeit der Gänge drangen wir immer weiter in das Innere der Burg, in ihre verschiedenen Flügel vor. Wir sahen lange Reihen sich wie Zellen aneinander fügender Räume, die an ihre ehemalige Bestimmung erinnerten, suchten aber vergeblich in diesen Hunderten von Gemächern nach einem Stück Möbel, einem Bilde irgend einer Reliquie früherer Zeit! Nichts, auch gar nichts der Art ist auf der Ronneburg zu finden; in allen Sälen, allen Stuben, allen Kammern, und wir waren wirklich in allen!

Unzählige Male schrie unsre Führerin uns zu: „Um Gotteswillen, da dürfen Sie nicht hin!“ – und citirte pflichtschuldigst alle obrigkeitlichen Weisungen, die sie erhalten, wo noch Jemand gehen dürfe. Wir fanden immer irgendwo ein unverschlossenes Thor, ein Thürchen, das der Verfall gebildet hatte und wo man also neben dem Gesetz hindurchschlüpfen konnte. Oft genug mußten wir dem Gesetze Recht geben, wenn wir in Gesellschaft von Steinen, Kalk und Mörtel aus einem Trümmerhaufen hervorkrochen; wir gestanden dann, daß die Isenburger Baucommission sehr recht gethan, dort den Eintritt zu verbieten, und fügten stets die auf unserer Erfahrung basirende Warnung hinzu: „Halten Sie Jeden fest, der hier leichtsinnig sein Leben auf’s Spiel setzen will.“ Aber uns selbst hielt kein Hinderniß zurück. Ja, wir sparten der armen Frau selbst nicht ihren höchsten Schrecken [174] über unser letztes Wagniß, das Besteigen einer geländerlosen, von Schutt bedeckten Altane, von wo aus nur ein kühner Sprung dazu gehörte, um über einen weiten Mauerspalt auch in den Thurm zu gelangen, in welchem jener alte Alchymist und Sterndeuter sich hingeflüchtet hatte, der sich unter dem Namen „Peter Euler“ vor den Verfolgungen der „Rosenkreuzer“ einst hierher geflüchtet. Er soll da lange Jahre geschützt gelebt haben, stand der Annahme jener Zeiten zufolge „mit Geistern“ im Bunde und suchte jenes Lebenselixir herzustellen, das den Tod zu bannen bestimmt war, ein Versuch, mit dem sich noch der berüchtigte Graf Cagliostro beschäftigte und der einen Theil seiner mystischen Betrügereien am Hofe von Versailles bildete.

Nach dieser Altane, die allerdings wenig Schutz gegen rasches und schlimmes Hinabkommen auf die Steine des Burghofes bot, rief uns die glücklich verehlichte Führerin nach: „Ist denn Keiner von Ihnen verheirathet oder verliebt?“ – Dieser prächtige Zuruf vermochte alle meine Begleiter zum Rückzuge, nur mir Soldatenkinde hatte er nichts an. Ich wagte den Sprung und er trug mich glücklich über Schutt und Trümmer in’s Thurmgemach des grauen Mystikers! – Hat der gute Mann an der Stätte den Tod zu bannen gesucht, so ist er jetzt dort leicht zu finden, wenn jene letzten Stufen noch aus ihren letzten Fugen gehn! Ich gestehe offen, daß beim Anblick verschiedener dunkler Glasscherben, die zwischen Schutt und Steinen lagen, mich weniger der Gedanke beschäftigte, ob sie die interessanten Ueberreste der Phiolen wären, in denen sich die Ingredienzien zum Lebenselixir befunden, als die besorgte Frage, ob das Hinab- wohl so gelingen würde, wie das Heraufkommen. Wie war aber jeder Nebengedanke hin und verschwunden bei der Aussicht von dem Thurm! –

Ringsum die Berge, welche die Wetterau umschließen, bald noch im Vordergrund, belaubt, bebaut, im Schmuck der bunten Farben, wie der Herbst sie giebt, – und bald im blauen Duft der Ferne sich verlierend, verwehend mit dem Horizont und seinen Wolken; hier Thäler groß und klein, da weit und offen, – in ihren Tiefen malerisch gelegne Dörfer, Häuser und Hütten. – Zur Linken der Wald- und Bergesgrund „Marienborns“, aus dessen Grün einst Klosterglocken schallten und wo dann späterhin die stillen Herrnhuter weilten; – rechts auf dem Abhang einer andern Hügelkette, umgrenzt von höherem Bergeszuge, des „Haages“ kleine Kirche, jetzt so öd’ und verlassen. Zu ihren Füßen schmiegte einst sich Haus an Haus, die erste Colonie der Mährischen Brüder in der Wetterau, das altbekannte „Herrnhaag“ – das wie mit Zauberschlag emporgestiegen aus der Erde, um rascher als gedacht dem Loos des Irdischen anheim zu fallen.

Doch – der Sprung zurück mußte endlich versucht werden, und – er gelang, wobei ich allerdings die Versicherung nicht unterdrücke, daß ich mich schwerlich noch einmal hinauf wage. Mit freundlichen Vorwürfen von meiner Begleitung überschüttet, lief ich der letzten und für mein aufgeregtes Gemüth für die unvergleichliche Freistattehre der Burg ergreifendsten Erscheinung fast in die Arme. Klingt es nicht wie ein Märchen, daß von den vielen Hunderten der alten Flüchtlings- und Wandergäste der Burg gerade vom ältesten, vom jüdischen Stamme derselben noch heute zwei Wesen übrig sind? Die ganze jetzige Bevölkerung der Ronneburg besteht nämlich außer der Thorwartfamilie aus zwei alten Jüdinnen, von denen die eine in einem kleinen Hause des ersten Hofs wohnt, die andere aber in jenem Flügel des innern Hofraums, den einst die Kinder Israel hier oben inne hatten, nun ganz allein haust.

Die jüngere der beiden Jüdinnen, eine Jungfrau von weit über sechszig Jahren, hat ein liebes, ansprechendes, gutes und sehr intelligentes Gesicht, ist geistig aufgeweckt und geistig auch noch jung, denn klar und sicher sprach sie uns von Allem, was sie erlebt, – an jener interessanten Stätte gesehen und gehört hatte. Ihr Bild wird mir unvergessen bleiben, wie sie, dasitzend auf der verfallenen Brustwehr, sich in Erinnerungen verlor an längst vergangene Zeiten. Sie wußte Alles von der Ronneburg, was wir aus schriftlichen Quellen geschöpft oder aus mündlichen Uebertragungen gehört, und gut verstand sie es, alle ihre Aussagen und Erzählungen an der interessanten Stätte wirksam zu erläutern. Ihre gebildete Ausdrucksweise, ihr klares Urtheil und ein selten treues Gedächtniß nöthigten uns Allen Staunen und Bewunderung ab, und fort und fort entzückte uns bei ihrem Wort die schlichte Einfachheit des ganzen Wesens, der Ernst, die Wahrheit ihres Blickes und jenes liebe glückliche Lächeln, mit dem sie die alte Burg anschaute, – so oft sie hier oder dorthin deutete, bei ihren Erzählungen.

Sie war auf der Ronneburg geboren und erzogen, und schon ihre Eltern und Vorfahren hatten da gelebt; – sie war fast nie in die Welt hinaus gekommen und doch vertraut mit deren Form, mit jener feinen Schattirung guten Tons und bessrer Sitte, die nun einmal immer das bevorzugte Erbtheil Derer ist, die ihr Gemüth gebildet haben. Ich fand durch diese arme einfache Frau eine Anschauung auf das Schönste bestätigt, die ich aus den Erfahrungen meines Lebens, im Verkehr mit den Menschen gewonnen habe: daß die echten Perlen des Geistes und Herzens oft in der unscheinbarsten Schale liegen und nur der reichen Fassung der Kunst und eines verfeinerten Geschmacks bedürfen, um ihren wahren Werth hell hervortreten zu lassen.

Die andere Jüdin, eine alte Wittwe in der nationalen Tracht, die Frauen jenes Stammes vorgeschrieben ist, mag eine ebenso interessante Quelle für die Ronneburg sein. Wir erfuhren nichts durch sie, da wir sie in Wahrheit Alle fürchteten, wie sie dort auf der Burg überhaupt gefürchtet zu sein schien. – Sie sah aus wie ein abgeschiedener Geist, und Leben war bei ihr nur in dem unstät blickenden dunkeln Auge zu finden. – Ich bin nicht furchtsam, wär’ auch gerne reich, – doch nicht um Schätze möchte ich mit der Alten eine Stunde in den ausgestorbenen Räumen der Ronneburg allein sein, wo sie als Letzte ihrer Art haust.

M. von Humbracht.