Textdaten
<<< >>>
Autor: G. Pinto
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Lincoln Mexicos
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 174–176
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Benito Juárez
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[174]
Der Lincoln Mexicos.[1]


Der durch seinen zähen Widerstand gegen die französische Usurpation bekannte Präsident der Republik Mexico, Benito Juarez, ist der Sohn unbemittelter Eltern, zapotekischer Indianer aus einem kleinen Dorfe, welches im Gebirge, der sogenannten Sierra de Oajaca, unterhalb der Präfectur Ixtlan auf einem kleinen Felsplateau liegt. Als kleiner Knabe ward er von seinem Vater in die Hauptstadt des Staates, Oajaca, in ein bemitteltes Haus gebracht, wie es daselbst häufig geschieht, um gegen Kleidung, Nahrung und Elementarunterricht kleine häusliche Dienste zu verrichten. Meistens wurde er als Laufbursche benutzt, bis er ein Alter erreichte, wo er als Ladendiener ausgedehntere Beschäftigungen für baaren Lohn besorgen konnte. Der kleine Benito zeigte sich als gutgearteter, intelligenter und lernbegieriger Knabe, weshalb ihn denn sein Schutzherr, ein reicher und in der Stadt sehr angesehener, der liberalen Partei angehöriger Indianer, Don José Hernandez, in das Colleg gab und später im National-Institut die Rechte studiren ließ, der nämlichen Anstalt, an welcher er nach beendigten Studien Lehrer der Rechtswissenschaft ward.

Oajaca hat sich vom Beginn der Republik an durch die Bildung und das schnelle Anwachsen der liberalen Partei ausgezeichnet, und nirgends im Lande sind die Parteikämpfe häufiger, heftiger und leidenschaftlicher gewesen und hat die liberale Partei so bald die Oberherrschaft errungen, wie hier. Don José Hernandez war zum Obersten des ersten Bataillons der Nationalgarden gewählt, welches in Oajaca errichtet ward, und stand bei der liberalen Partei wegen seines Eifers und seiner Uneigennützigkeit in großem Ansehen. So war es natürlich, daß der heranwachsende Benito bei ihm dessen Principien in sich aufnahm und in Fleisch und Blut verwandelte. Die Zapoteken, deren Stamm er angehört, zeichnen sich vor den meisten Indianern durch Intelligenz, Rechtlichkeit und festen Charakter aus, und diese Eigenschaft besitzt auch Don Benito Juarez in vollem Maße, was selbst seine erbittertsten Feinde, die [175] ihm seine liberalen Gesinnungen zum Verbrechen machen, offen anerkennen.

Als er seine Studien beendet hatte, widmete er sich neben seinem Lehramte der Advocatur, wozu er durch die erworbene Würde eines Licentiaten berechtigt war, und erwarb sich bald durch seine Kenntnisse, Eifer und strenge Rechtlichkeit großen Ruf nicht allein in der Stadt Oajaca, sondern auch in weitern Kreisen. Durch seine festen und wohldurchdachten Principien ward er der liberalen Partei ein werthes und wichtiges Mitglied, weshalb er denn auch zum Gouverneur des Staates Oajaca gewählt ward. Sein Ansehen und guter Ruf bewirkten, daß er sich mit Donna Margarita Mazo, einer Creolin aus einer der alten Familien, verheirathen konnte, die es sonst unter ihrer Würde hielten, ihre Töchter an Indianer zu geben. Nie ist der Staat Oajaca besser verwaltet worden, als durch Juarez; überall wurden Mißbräuche abgeschafft, die Rechtspflege gebessert, der Gewerbfleiß geweckt und befördert, Wege gebaut, so daß man nun mit Wagen fahren konnte, wo früher nur Maulthiere mit großer Gefahr zu passiren vermochten; die Finanzen wurden geordnet, die Beamten regelmäßig bezahlt und zu ihren Pflichten streng angehalten etc.

Es konnte demnach nicht fehlen, daß Juarez im ganzen Lande bekannt und geachtet wurde, weshalb er denn auch, der Constitution von 1857 gemäß, zum Präsidenten des höchsten Nationalgerichtshofes durch directe Wahl gewählt ward, während Don Ignacio Commonfort die Stimme sofort für die Präsidentur der Republik erhielt. Dieser ernannte Juarez zu seinem Justizminister, und als solcher sollte er bald eine glänzende Probe seiner politischen Grundsätze und seiner Achtung vor dem Gesetze ablegen. Als Commonfort nämlich im December 1858 seinen unglücklichen Staatsstreich machte, der die Constitution aufhob, trat ihm sein Minister Juarez derart entgegen, daß er denselben gefangen setzte. Nach kurzer Zeit aber ward er gewahr, daß er von der liberalen Partei ganz verlassen wurde, die Klerikalen sich der Situation zu bemächtigen drohten und daß er einen groben Fehler mit seinem Verbrechen begangen hatte. Er entließ Juarez nicht allein seiner Haft, sondern übergab ihm als dem Präsidenten des höchsten Tribunals die Präsidentschaft, wie es die Constitution vorschrieb, die er wieder herstellte, und ging außer Landes mit dem traurigen Bewußtsein, sein Vaterland in einen neuen blutigen Bürgerkrieg verwickelt zu haben. Seitdem ist Juarez Präsident der Republik, zuerst interimistischer und vom Jahre 1862 gewählter, constitutioneller.

Selten hat ein Staatsoberhaupt die Regierung unter schwierigern und unglücklicheren Verhältnissen übernommen, nie so vielem Unglücke die Spitze bieten müssen, keiner seinem Vaterlande so treu seine Kräfte und seine Ruhe, mit Gefahr seines Lebens gewidmet wie Juarez. Es ist nicht unsere Absicht hier seine Geschichte als Präsident der Republik Mexico zu schreiben, sondern nur eine Skizze seiner Persönlichkeit zu entwerfen. Er ist etwas unter mittlerer Größe, wie Alle seiner Race proportionirt gebaut, etwas zum Embonpoint geneigt. Die Hautfarbe ist die seines Stammes, heller als die anderer Indianer, sein Gesicht hat den Typus der Zapoteken, schmale Stirn, starke Backenknochen, scharfe gebogene unten breite Nase, etwas großen, mit schönen Zähnen versehenen Mund, um den ein freundlicher Zug gelagert ist, der ihn selbst bei den ernstesten Geschäften nicht verläßt. Das Auge zeigt viel Intelligenz, ist außerordentlich lebhaft und sprechend, schwarz unter schwarzen Brauen. Das glänzend schwarze, schlichte Haar ist mit nur wenigem Weiß untermischt. Seine Stimme hat etwas Weiches, fast Klagendes, ist aber klangvoll und wohltönend; die Aussprache sehr klar und deutlich. Sein Anzug besteht gewöhnlich im einfachen Ueberrock, seidner Weste und farbigem Beinkleid, nur bei besondern Veranlassungen trägt er den schwarzen Leibrock. Das ist das Aeußere des Mannes, der durch seine Standhaftigkeit und sein Vertrauen in die Gerechtigkeit der Sache seines Vaterlandes den schweren Kampf gegen die Politik und das wohldisciplinirte Heer des französischen Kaisers und dessen Alliirte, die Pfaffen, aufgenommen, unterhalten und endlich siegreich durchgeführt hat.

Juarez ist im persönlichen Umgange äußerst liebenswürdig, einfach, geduldig, ja von einer kindlichen Bescheidenheit, dabei von schneller Auffassungsgabe, und nur in den feurigen Augen zeigt sich ein gewisser Affect, wobei die Gesichtszüge stets ruhig und freundlich bleiben. Ich habe öfters Gelegenheit gefunden, lange Unterredungen mit ihm unter vier Augen und in Gesellschaft zu haben und nie eine Veränderung in seinem Wesen wahrgenommen. Im brieflichen Verkehr ist er kurz, gemessen und nur den fraglichen Gegenstand besprechend, und selbst wo er streng tadelt, ist er höflich, ohne zu verletzen. Auch die ernsteste Unterhaltung pflegt er durch Scherz zu würzen, wie folgendes Beispiel zeigt.

Es war in den Tagen, als sein Minister Doblado in Orizaba mit den Bevollmächtigten der Alliirten unterhandelte und es zur Gewißheit wurde, daß jener ihn zu verrathen trachtete, wo ich mit Juarez über eine den Staat Mexico betreffende Angelegenheit zu conferiren hatte; bei dieser Gelegenheit hatte ich auch Klage über Doblado zu führen, und, so fügte es sich, daß ich dessen Verrath erwähnte.

„Und wissen Sie denn, was Doblado in der Soledad gethan hat?“ fragte ich.

„Ich weiß Alles.“

„Und daß er trachtet Sie zu verdrängen und sich mit Hülfe der Intervention zum Präsidenten zu machen?“

„Auch das weiß ich.“

„Und Sie behalten ihn als Minister?“

„Sie wissen, daß man hier zu Lande beim Typhus dem Kranken als Hausmittel eine Kröte auf den Magen bindet; es ist das sehr widerlich, soll aber ein probates Mittel sein. Doblado,“ dabei legte er seine Hand lächelnd auf mein Knie, „Doblado ist meine Kröte.“

Und wirklich war er ihm gegen seinen Willen durch die Umstände von den Moderirten aufgedrungen; ich mußte mit ihm über das treffende Bild lachen.

„Aber fürchten Sie seinen Verrath und Ehrgeiz nicht?“ frug ich von Neuem.

„No, Señor; den ersten nicht, weil ich ihn kenne, den letzteren nicht, weil die Zeit für Mexico vorüber ist, wo der Ehrgeiz einer Person zum Ziele führt. Doblado wird das Schicksal seiner Vorgänger theilen, die ein ungegründetes Renommée erhoben hat und die, auf der Höhe angekommen, sich in ihrer Nullität zeigen mußten, wo denn der usurpirte Name zu nichte wurde. Fürchten Sie deshalb nichts, Doblado kann uns nichts schaden; er untergräbt sich selbst und zeigt der Welt, was er wirklich ist.“

Dieses Beispiel zeigt zur Genüge, mit welcher Freiheit man sich ihm gegenüber auslassen kann und wie sehr es das Interesse lohnt, welches man an ihm nimmt.

Im Jahre 1859, als die Hauptstadt noch in den Händen der von den europäischen Mächten als Regierung anerkannten Aufständischen war und Juarez in Veracruz residirte, besuchte ich ihn eines Abends, wozu er mich freundlich aufgefordert hatte. Unten im Eingange des Hauses befand sich eine Wache von etwa fünfzehn Mann mit einem Officiere; ich frug diesen, ob der Präsident zu Hause und sichtbar sei, und erhielt den Bescheid, er sei allein und ich möge nur hinaufgehen. Auf dem Vorplatze traf ich eine Dame, die ich wieder nach dem Präsidenten frug, und diese wies mich an eine Thür, wo ich ihn finden würde. Auf mein bescheidenes Anklopfen erfolgte ein ruhiges „entra“; ich trat in ein kleines luftiges Zimmer, dessen nach zwei Seiten gehende Balconthüren geöffnet waren und die frische Seebrise einließen; auf einem Lehnstuhle saß Juarez mit einem Buche in der Hand, das er sogleich auf den nebenstehenden Tisch legte, als er sich auf meinen Gruß nach mir umdrehte und mich erkannte. Er kam mir ein paar Schritte entgegen, reichte mir die Hand und hieß mich neben sich auf das Sopha setzen. Wir plauderten über allerlei Gegenstände, wobei mir seine rasche Auffassungsgabe besonders auffiel; wir kamen auch auf Oajaca zu sprechen und er frug mich, ob ich die Sierra kenne. Da ich es bejahte, sagte er:

„Kennen Sie auch das kleine Dorf San Pedro unterhalb Ixtlan?“

„Si, Señor.“

„Das ist mein Geburtsort, da bin ich geboren;“ dabei glänzten seine lebhaften Augen vor Freude. Wir hatten nun einen Gegenstand gleicher Jugenderinnerungen, denn auch ich hatte mehrere Jahre in jener Gegend zugebracht. Wie liebenswürdig und natürlich erschien seine Theilnahme an dem, was ich ihm aus jener Zeit erzählte! Wir wurden durch das Eintreten derselben Dame unterbrochen, die mich zu ihm gewiesen; er stellte mich ihr als seiner Frau vor und fügte dann hinzu:

„Setze Dich, Margarita, wir plaudern nur und zwar soeben von meinem Geburtsorte (mi tierra), den der Herr auch kennt, und von Oajaca.“

[176] Nun drehte sich die Unterhaltung um die uns bekannten Familien jener Stadt, was dem liebenswürdigen Ehepaare viel Vergnügen zu machen schien, bis andere Personen eintraten, darunter der damalige Minister des Auswärtigen, Don Melchor Ocampo, der Gouverneur von Veracruz, Don Manuel Zamora, und Don Francisco Zarrate, der Gouverneur des Castells San Juan de Ulloa, wodurch die Unterhaltung auf andere Gegenstände überging.

Es ist schwer das Alter Juarez’ nach seinem Aussehen zu bestimmen, da bekanntlich die Indianer spät altern; aber nach seinen Aeußerungen und andern Umständen zu schließen mag er jetzt über die Mitte der Fünfzig hinaus sein.

Man hat ihn den Lincoln Mexico’s genannt und wirklich bieten sich manche Analogien zwischen Beiden dar, doch darf man sicher Juarez das Prioritätsrecht hinsichtlich der Befreiung seines Vaterlandes von der Schmach geistiger Sclaverei vindiciren; denn die dazu führenden Reformgesetze gab er bereits während seiner Dictatur 1859 bis 1861. Sie sind sein und seiner Freunde Werk, er gab sie während des Bürgerkrieges, und der Congreß von 1861, der seine Regierungsacte zu prüfen hatte, sanctionirte sie ohne Veränderung und fast ohne Debatte. Sie bestehen im Wesentlichen in der Einführung der Religions- und Cultusfreiheit, Nationalisirung der Kirchengüter, Aufhebung der Klöster, vollkommener Trennung der Kirche von Staat und Schule, Einführung der Civilehe und der Lehrfreiheit, Uebertragung der Kirchhöfe an die Civilbehörden, Verbot der Erwerbung und des Besitzes von Grundeigenthum für kirchliche Körperschaften, des Tragens aller klerikalen Abzeichen, der Processionen und des Viaticums auf den Straßen, Abschaffung des politischen und gerichtlichen Eides, sowie des Paßwesens und der Sicherheitskarten der Fremden mit ihren lästigen Anhängseln. Alle diese Gesetze, obgleich implicite in der Constitution von 1857 enthalten und logische Folgen derselben, wären schwerlich so bald durch einen Congreß zu Stande gekommen; aber da sie nur auf dictatorischem, legalem Wege gegeben waren, sanctionirte sie der Congreß ohne Weiteres. Juarez ist freilich nicht ermordet wie Lincoln, oft genug jedoch ist er in drohendster Lebensgefahr gewesen, gegen die er sich nicht durch die geringste äußere Schutzwehr gesichert hat. In seiner bescheidenen Privatwohnung in der Hauptstadt hatte er nicht einmal eine Schildwache an der Hausthür. Das Pfaffenthum im Verbande mit dem stehenden Heere zu besiegen und deren innerste Verschanzungen, d. i. ihre Privilegien und Prärogativen, von Grund aus zu zerstören, war in Mexico kein leichteres Werk, als die Aufhebung der Sclaverei in den Südstaaten der nordamerikanischen Union, und die unparteiische Geschichte wird Juarez den verdienten Platz unter den hervorragenden Männern dieses Jahrhunderts anweisen; jedenfalls steht er Lincoln an Verdienst um sein Vaterland und die Würde der Menschheit nicht nach.

Kann es Wunder nehmen, daß Beide die Feindschaft des französischen Kaisers genossen, der in Mexico und in Rom das Pfaffenthum, in Nordamerika die Sclavenjunker unterstützte? Diese Sünde an der geistigen und körperlichen Freiheit wird sich schwer rächen.

Als Puebla von den Franzosen belagert wurde, sagte mir Juarez eines Tages: „Sie werden Puebla nehmen, sie werden Mexico nehmen, sie werden die meisten Städte im Lande besetzen, aber sie werden das Land nicht haben und am Ende werden wir siegen. Dieses Attentat gegen die Republik kann Napoleon theuer zu stehen kommen, denn die Franzosen können es nie gutheißen.“

Ein großer Theil dieser Prophezeiung hat sich bereits erfüllt; in der Zukunft liegt das Uebrige.
G. Pinto.

  1. Der Verfasser des obenstehenden interessanten Artikels hat sechszehn Jahre lang in Mexico gelebt und dort in sehr nahen Beziehungen zu Juarez gestanden. Zugleich verdanken wir ihm ein photographisches Originalportrait des letztern, welches wir in einer der nächsten Nummern unsers Blattes im Holzschnitte nachbilden werden.
    D. Red.