Eine Charakteristik Anzengrubers

Textdaten
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Titel: Eine Charakteristik Anzengrubers
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 323
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[323] Eine Charakteristik Anzengrubers. In seinen persönlichen Erinnerungen an berühmte und beliebte Zeitgenossen, welche er unter der freundlichen Flagge „Gute Kameraden“ erscheinen läßt (Wien, A. Hartleben), hat P. K. Rosegger Charakterköpfe von zwölf österreichischen Autoren entworfen, die außerdem durch Bildnisse derselben ergänzt werden. Mit besonderer Vorliebe hat er darin seinen ihm am nächsten stehenden Freund Ludwig Anzengruber gezeichnet, der ja auch von dieser Schriftstellergruppe bei weitem der bedeutendste ist. Rosegger hegt für ihn große Bewunderung; gleichwohl ist seine Darstellung sehr unparteiisch, und diejenigen, welche dem Wiener Volksschriftsteller etwas am Zeuge flicken möchten, können aus den naiven Schilderungen des Steiermärkers diesen oder jenen Zug zu ihren Gunsten verwenden. Die Thatsache, daß Anzengruber niemals unter Bauern gelebt, daß er sich seine markigen Volksgestalten im Zimmer erdacht hat, hebt Rosegger mehrfach hervor: „Kenner des Volkes sagen, daß der Bauer im Grunde anders sei, wie Anzengruber ihn schildert; ich will das gerade nicht so behaupten. Im Bauernvolk giebt es, wie überall, die mannigfachsten Leute, gewiß auch solche, wie sie unser Dichter darzustellen liebte. Es geht überhaupt nicht an, zu sagen: So ist der Bauer und so ist er nicht. Auch der Bauer ist in erster Linie Mensch und als solcher eigentlich unerklärbar und unerschöpflich; das äußere Gehaben des Bauers ist so wenig verläßlich als das des Salonmenschen; es will bisweilen gerade das Gegentheil zeigen von dem, was Kern und Natur ist. Wer den Bauer bloß beim Lodenrock packt, der hat ihn noch nicht; er muß ihm näher an den Leib rücken, und ich glaube, Anzengruber hat es daran zumeist nicht fehlen lassen.“

Was Anzengrubers Persönlichkeit betrifft, so giebt Rosegger auch hierüber manche Aufklärungen, die uns das Bild des Freundes schärfer zeichnen als manche früheren Darsteller. Anzengruber war eine knorrige, etwas unbehilflich schwerfällige Gestalt. Seine starkgeröthete Gesichtsfarbe, seine scharfgebogene charakteristische Nase, seine hohe Stirn, sein blondes nach rückwärts wallendes Haar, sein röthlicher langer Vollbart, seine falben Augenwimpern gaben ihm fast das Ansehen eines teutonischen Recken, aber auf diesem urgermanischen Gesicht saß ein Zwicker. In seinen Absichten und Entschlüssen zeigte er sich stets entschieden, fremden Einwand kühl ablehnend; und doch war er leichter zu bewegen, zu überzeugen, als es den Anschein hatte; spröde und trocken war nur seine Schale; sein Kern war mild und weich. Gar nicht einverstanden war er mit unseren sozialen Zuständen. Das Mißverhältniß zwischen Verdienst und Lohn hat Anzengruber nur zu sehr an sich selber empfinden müssen. Viele Jahre nach dem ersten ruhmreichen Auftreten seines „Pfarrers von Kirchfeld“ und anderer seiner großen Dramen schrieb er an Rosegger: „Ich habe nun neun Jahre Schriftstellerthum hinter mir, aber nicht die Stellung errungen, die mir erlaubte, ohne Frage nach dem augenblicklichen Erfolg aus dem Vollen heraus producieren zu dürfen. Ich werde diese Stellung voraussichtlich nie oder erst dann erringen, wenn meine Jahre nicht mehr die sind, welche eine solche Produktion aus dem Vollen zulassen.“ Er kannte keine Ueberschwänglichkeit; er blieb ernst und ruhig, mochte ihn die Volksgunst heben oder fallen lassen. Das gab ihm eine Männlichkeit und Würde, welche unbeschreiblich für ihn einnahm. Unrecht geschah ihm oft, vertheidigt hat er sich fast nie. Er arbeitete nicht leicht, hatte aber die Gabe, bei einem festgefaßten Stoffe jahrelang zu verweilen, ihn ausreifen zu lassen. Er schuf eben mehr mit dem Verstand und war nicht so sehr auf flüchtige Gemüthsstimmung angewiesen. In ihm lebte eine starke Kraft, die nur etwas schwer beweglich war.