Ein neues Lied vom braven Mann

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Titel: Ein neues Lied vom braven Mann
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 624
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[624] Ein neues Lied vom braven Mann. In den ersten Jahren seiner Regierung hielt sich der große Karl August von Weimar oft längere Zeit des Jahres in Ilmenau auf, theils der Jagd wegen, theils auch um durch seine öftere Anwesenheit dem dortigen Bergbau mehr Leben und Aufschwung zu geben.

Eines Tages war die Ilm dort nach einem starken Gewitterregen hoch angeschwollen und ging von Stunde zu Stunde höher und höher. Da wurde dem Herzoge, der eben von der Jagd zurückgekehrt war und sich mit Goethe, Knebel und den andern Cavalieren seines Gefolges zur Tafel gesetzt hatte, die Meldung gemacht, daß am jenseitigen Ufer der Ilm eine Bauerfrau mit ihrem Säugling auf dem Arme dem Ertrinken nahe sei, da wegen des hohen und reißenden Wassers der Armen Niemand die erflehte Hülfe bringen könne. Der Diener hatte noch nicht ausgesprochen, als der junge Fürst von der Tafel aufsprang, sich ein Pferd satteln ließ und ohne alle Begleitung nach dem Orte der Gefahr dahinflog.

Das Wasser war mittlerweile so hoch gestiegen, daß es der armen Frau bis unter die Arme ging. Sie hielt sich mit der einen Hand an dem Aste eines Erlenbaumes fest, mit der andern ihren Säugling, den sie über sich zwischen zwei Aeste desselben Baumes eingeschoben hatte, und harrte der Hülfe von Gott, da ein Mensch sie ihr nicht mehr bringen zu können schien.

Sie wurde ihr indeß gebracht. Karl August war an dem bezeichneten Orte am diesseitigen Ufer der Ilm angekommen, wo eine große Menge gaffender und klagender Menschen sich eingefunden hatte. Sein Entschluß war schnell gefaßt. Der Kraft und Geschicklichkeit seines edeln Rosses vertrauend, stürzt sich der Hochherzige in die wild dahinbrausende, reißende Fluth, erreicht nach vielem Kampfe und unter eigener Lebensgefahr glücklich das jenseitige Ufer, läßt sich von der durch Todesangst und Schreien schon ganz erschöpften Mutter den Säugling in seine Arme geben und rettet ihn glücklich an das Ufer, wo er ihn der Vorsorge der anwesenden Frauen übergab. Jedoch „dem Kinde muß die Mutter wiedergegeben werden.“ Ein neuer Sprung in die Fluthen, neuer, noch anstrengenderer Kampf, jedoch auch neuer Sieg. Der Herzog brachte nach vieler Mühe die Unglückliche vor sich auf das Pferd und gelangte auch dieses Mal glücklich zurück an das Ufer, wo eben die Ortspolizeibehörde angekommen war, um zur Rettung der Verunglückten die geeignetsten Maßregeln einzuleiten. Ihr trug er die weitere Sorge für die Geretteten auf, ließ ein ansehnliches Geldgeschenk zurück und war, ehe noch eine halbe Stunde verlaufen, wieder in dem Kreise der Seinen, mit denen er sich unter anmuthigen Scherzen über das bestandene Abenteuer wieder zur Tafel setzte und in dem Bewußtsein, eine edle That vollbracht zu haben, den übrigen Theil des Tages heiter und froh vollbrachte.