Ein guter Bürger (Die Gartenlaube 1865)

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Titel: Ein guter Bürger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 363-366
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch Ein guter Bürger in Jg. 1879, Heft 25
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Ein guter Bürger.

Fragt ein Fremder bei dieser oder jener Einrichtung, der einen oder der andern Anstalt, dem oder jenem großartigen Unternehmen, die seit einer Reihe von Jahren in Köln zum öffentlichen Wohl in’s Leben gerufen worden sind, nach Urheber oder Theilhaber solcher verdienstlicher Werke, immer wird ihm ein Name vor Allen mit Stolz genannt werden, als der eines Mannes, welchem das moderne Köln vor vielen Andern zu Dank verpflichtet ist, der Name Classen-Kappelmann. Unsere Leser am Rhein wissen Alle, was ihnen dieser Name bedeutet, ihnen brauchen wir nicht erst zu sagen, daß Herr Classen-Kappelmann, den das Vertrauen seiner jetzigen Mitbürger zum Stadtverordneten erwählte, wie so viele ausgezeichnete Männer, seine Erfolge sich selbst verdankt, ein „selbstgemachter Mann“, wie dies erst in letzter Nummer der Gartenlaube von Abraham Lincoln gerühmt wurde.

Als Sohn eines Kleinbürgers in dem rheinischen Städtchen Sinzig kam er mit sechszehn Jahren nach Köln, wurde Ladengehülfe in einem Manufactur-Geschäfte und schwang sich von diesem bescheidenen Posten auf zu einem namhaften Industriellen der Hauptstadt des Rheinlandes – lediglich durch eigene Kraft. Und mit seiner Privatthätigkeit ging die öffentliche stets Hand in Hand. Er wollte ein guter Bürger werden, nicht mehr, nicht weniger. Welch bescheidener Wunsch – und doch, welches hohe ehrenvolle Ziel – um so höher, um so ehrenvoller, als es so selten angestrebt wird in unserer selbstsüchtigen Zeit!

Um zu erfahren, wie sehr die Bedeutung des Mannes anerkannt wird, auch weit über die Grenzen seiner Heimath, um einen Ueberblick über seine universelle Thätigkeit zu gewinnen, brauchen wir nur einen Tag bei ihm zu verleben.

Auf dem Schilde an seinem einfachen Hause lesen wir die Inschrift „Wollspinnerei und Tricotfabrik“; im Uebrigen kennzeichnet sich die Fronte durch Schaufenster als den Eingang zu einem Manufacturwaarenladen. Wir treten ein, müssen aber eine unendliche Reihe von Waaren-Repositorien passiren – das Haus ist die Verbindung zweier Straßen und das längste der ganzen Stadt. Endlich gelangen wir an die Pulte, das letzte in der Reihe dient dem Chef des Hauses. Der verwunderte Blick unsers Begleiters verräth eine Enttäuschung; einen so schlichten kleinen Mann, im grauen Rock, mit dessen melirter Farbe das graue krause Haar an Unscheinbarkeit wetteifert, hatte er zu finden nicht erwartet. Erst als wir eine Zeitlang im Cabinet neben ihm gesessen haben und des Mannes klare und bestimmte, wenngleich ungemein milde Redeweise dem Gaste imponirt hat, erst da verzeiht er ihm seine gänzliche Schmucklosigkeit. Nun läßt der Fremde den Wunsch durchblicken, die eigenthümliche Industrie des Hauses kennen zu lernen, und der Hausherr erbietet sich sofort uns zu den Tricot-Stühlen zu führen. Im Moment aber meldet sich eine Deputation aus Brüssel, die Abgesandten einer großen belgischen Handels-Compagnie treten ein und besprechen den Plan eines Ankaufes der Kölner Gaswerke um den Preis etlicher Millionen mit dem Hausherrn. „Hat er darüber zu verfügen?“ fragt erstaunt unser Fremder. „Keineswegs,“ antworten wir, „er hat im Stadtrath Sitz und Stimme, gleich seinen dreißig Collegen. Aber Herr Classen ist der alleinige Reformator des großen Gas-Instituts, er hat seit fünfzehn Jahren das Monopol der englischen Compagnie bekämpft, seiner Thätigkeit in Schrift und Rede verdanken es die Bürger, wenn sie das Licht für den halben Preis gegen früher geliefert erhalten.“ „Was veranlaßte ihn zu dieser Agitation?“ „Das Interesse Aller; er selbst ist nur kleiner Gas-Consument, denn sein großes Etablissement, die Wollspinnerei, liegt entfernt von Köln und hat seine besondere Gasanstalt.“ – Die Belgier entfernen sich, wir stehen an der Treppe zu den Fabrik-Räumen. Da erscheinen in der Thür vier Männergestalten, sehr improvisirt angethan mit ihren Sonntagsröcken; es sind Karrenfuhrleute, sie klagen über den Neubau eines Festungsthores und bitten den Herrn Stadtrath um eine Beschwerdeschrift an die Commandantur. Mit freundlichen Worten seine Verwendung versprechend, verabschiedet er die Leute, nun sind wir glücklich oben, nun beginnt die hier dutzendweise aufgestellte, höchst complicirte Tricot-Maschine unsern Gast zu interessiren – da gesellt sich wieder ein Besucher zu uns und redet unsern Führer französisch an. Alsbald hören wir, daß er ein Ingenieur ist, welcher den neuesten Plan zur Anlage einer künstlichen Wasserleitung entworfen. „Sieben Jahre lang kämpft und streitet Herr Classen für ein eben so gemeinnütziges wie besonders in dem engen Köln nothwendiges Institut, bisher noch ohne praktischen Erfolg; sieben Jahre lang vergebens, und bemerken Sie, spricht er nicht mit einer Wärme, als sei er frisch in den Kampf eingetreten?“

Noch auf der Treppe hören wir eine neue Anmeldung, die Namen klingen jüdisch und der Hausherr erzählt, daß der Vorstand der israelitischen Gemeinde sich an ihn gewendet, um eine [364] schnöde Benachtheiligung im Budget der Stadt bei der Dotirung ihrer israelitischen Schule abzuwehren. Es hilft nichts, auch diese Audienz wird abgehalten, bevor es dem Herrn des Hauses gestattet ist, sich zur Erholung mit uns in’s Wohnzimmer zurückzuziehen.

Kölns Dank an Classen-Kappelmann.
Nach dem Böttcherchen Oelgemälde: „Heuernte am Rhein“ in Holz geschnitten von Brend’amour

Unsere Unterhaltung ist eben von Sinzig auf die Ahr, die dort mündet, gekommen und auf den rothen Ahrwein, den wir zum Frühstück von der hübschen und liebenswürdigen Hausfrau credenzt erhalten. Aber noch keine Ruhe, wiederum Gäste und diesmal sind sie der Situation besonders angepaßt – junge Bursche, vier Mann hoch, erscheinen in der Thür, der Bestand des allgemeinen Turnvereins; sie sind willkommen zum Frühstück, oder besser das Frühstück ist ihnen willkommen! Daß sie Etwas wollen, ahnt unser Fremdling schon mit Bestimmtbeit; freilich, eine neue Turnhalle auf städtische Kosten wollen sie, und Herr Classen, der von jeher ihre Sache so eifrig betrieben, als sei er sechszehn und nicht sechsundvierzig Jahre alt, verspricht ihnen eine Interpellation in der nächsten Stadtverordnetensitzung.

Nicht weniger als drei schriftliche Einladungen laufen ein, während wir mit den Turnern uns unterhalten: zur regelmäßigen [365] Sitzung der Handelskammer, zur ordentlichen Generalversammlung der Actionäre der Industrie-Ausstellung und zur außerordentlichen Versammlung des Handelsvereins.

„Wer sich nur verdreifachen könnte, um an einem und demselben Abend überall dabei zu sein!“ bemerkt ein Hausgenosse und flüstert uns zu: „zwei der Versammlungen besucht er sicher, er weiß es so einzutheilen.“

Gegen Mittag besteigen wir den Wagen, der uns hinaus auf’s Dorf führt, wo das Landgut und die Wollspinnerei sich befinden. Trotz der heute gewiß besonders knapp bemessenen Zeit findet der Fabrikant neben der Erledigung seiner kaufmännischen Arbeiten doch noch Muße, ein Stündchen in seinem Garten zuzubringen; denn er ist mit Begeisterung Landwirth, cultivirt persönlich alle möglichen neuen Erscheinungen auf dem Gebiete des Garten- und Ackerbaues und liefert den meistens schwerfälligen Bauern in seinem Versuchsgarten Beweise von der Nützlichkeit des Fortschritts.

Daß ihn seine Kinder, deren reiche Schaar in seinen jüngsten hier vertreten ist, mit allerlei Anliegen im Garten behelligen, stört den zärtlichen Papa nicht; er ist auch hier an Unterbrechungen längst gewöhnt. Seit die Bauern wissen, daß er zweimal wöchentlich [366] regelmäßig auf’s Land kommt, mißbrauchen sie nicht selten seine unverwüstliche Geduld und holen von ihm gratis den Rath, den sie einem Advocaten würden bezahlen müssen.

Wir haben die Fabrik gesehen, passiren die Nebengebäude und finden die eigens angelegte Gasanstalt. Unser Begleiter ergeht sich bei dieser Gelegenheit in Lobsprüchen über Herrn Classen’s neueste Schrift, welche die Gasanstalten in ganz Deutschland vergleichend behandelt. Ein Commis seines Comptoirs erzählt dabei, daß die Kosten und Auslagen für diese mühsame Arbeit den Ertrag des Absatzes bei Weitem übersteigen. „Verleiden ihm dergleichen Opfer nicht seine Thätigkeit?“ fragt der Fremde. „Keineswegs, und zwar deshalb nicht, weil er bei seinen Arbeiten niemals an sich selbst gedacht hat. Treten Sie einmal hier in’s Privatcomptoir; auf dem Schreibtische liegt ein voluminöses Manuskript gegen die Rheinische Eisenbahn, welche trotz ihres Vertrages sich weigert, den Güterbahnhof am Freihafen anzulegen. Die Geldmänner von Köln, diese kleine aber mächtige Partei, werden in ihren Privatinteressen energisch bekämpft. Würde diese vielvermögende Sippe von einem einzelnen Manne, noch dazu von einem solchen, der sich selbst nur zu den Kaufleuten aus dem Mittelstand rechnet, angegriffen werden, wenn der einzelne Mann seinen Vortheil im Auge hätte?“

Dies Privatissimum, diese bescheidene Clause ist die Werkstatt für größere literarische Arbeiten. Wie wir selbst gesehen haben, bleibt auf dem Hauptcomptoir in der Stadt keine Muße; hier auf dem Lande wird sie den andern Beschäftigungen abgekargt. Das Pult hier zeigt außer einer Menge von Arbeiten politischen Inhalts, Correspondenzen mit den auswärtigen Freunden der Fortschrittspartei, Concepten zu Reden für Volksversammlungen etc. eine Denkschrift für den deutschen Handelstag, Correspondenzen für die „Rheinische Zeitung“, deren eifriger Mitarbeiter Herr Classen ist; ferner eine Abhandlung über die Bankfrage und alle möglichen Materialien für die Handelskammer und den Handelsverein. Mögen auch mancherlei tüchtige Männer an der Spitze aller dieser Corporationen stehen, dem Collegen Classen überlassen sie großmüthig die Arbeit und er schafft und wirkt statt Aller für Alle.

An der Gartenpforte harrt indeß der Wagen, der uns heimführen soll; warum zögert der Fabrikherr, nachdem wir ihn längst Abschied von der Familie nehmen sahen? Er empfängt nachträglich noch die Gratulationen zu seinem Namensfeste, das kürzlich stattgefunden hat. Die Arbeiter hängen sehr an ihm – er ist der Begründer des Wohlstandes aller, insbesondere aber sind mehrere Posten in seiner Fabrik mit Leuten besetzt, die ihm ihre Erhebung aus schwerem Unglück verdanken. Wie das geschehen, erfahren wir freilich nimmer, weiß es doch der Eine vor dem Andern nicht.

Die Rückkehr zur Stadt ist erfolgt. Es bleiben noch zwei Stunden vor dem Beginn der oben erwähnten Sitzungen, und in dieser kurzen Zeit geschieht die vollständige Buchung der heutigen Geschäftsresultate, die Revision der Correspondenz, die Instruction an die Commis für die Abendpost, die Bestellungen an den Werkmeister für den folgenden Tag, und meistens bleibt noch Zeit zum Lesen der neuesten Blätter und Tagesberichte übrig.

Welches Geheimniß setzt den Mann in den Stand, das Alles in einer Zeit zu leisten, die bei Andern kaum zur Conception eines Briefes ausreicht? Wir glauben, sein Geheimniß heißt Talent zur Organisation und Seelenruhe. Aufregung, Ueberstürzung, nervöse Hast u. dergl. kennt seine gesunde, durch außerordentlich rationelle Pflege befestigte Natur nicht. Ein Gleichmuth von seltener Festigkeit hält auch dann noch vor, wenn der beste Philosoph die Geduld verlieren würde; die stets harmonische Stimmung seines Innern hält jene Dissonanzen fern, die nur zu oft die geistige Thätigkeit lähmen und bei sehr vielen Menschen das Haupthinderniß rascher Arbeit sind.

Wenn nun endlich der späte Abend ihm Ruhe gönnt; wenn er im großen Kreise seiner Familie, so groß, weil das Geschäftspersonal meist aus Verwandten besteht, weilt, mittheilend, hörend oder lesend: so braucht nur irgend eine Nachricht von Bedeutung aufzutauchen, um ihn zu veranlassen, daß er sogleich wieder seine Wirksamkeit aufnimmt. Denn er hat seit lange die Initiative im politischen Leben der Stadt und der Provinz, mit allen Bestrebungen der Fortschrittspartei ist sein Name verknüpft. Das Mandat für das Haus der Abgeordneten wurde ihm mehrmal von seinen Mitbürgern entgegen gebracht; er mußte ablehnen, weil er zu Hause nicht zu entbehren war. Und in der That, wer sollte ihn ersetzen?

Weil er für Alle lebt, traten alle gern ein, als es galt, ihm eine Freude zu machen. Eine große Anzahl Kölnischer Bürger vereinigte sich zu einem Geschenk an den Unersetzlichen, das nicht zarter gewählt, nicht sinniger gedacht und trefflicher hätte ausgeführt werden können. Es war ein ländliches Gemälde, welches man für die Wohnstube des Gefeierten bestimmte, dasselbe Bild, das der umstehende Holzschnitt in kräftigen Zügen wiedergiebt, eine Ernte am Rhein, in der Heimath des Verehrten. Im Hintergrunde der heiteren, sonnenerleuchteten Scene sehen wir die schöne romanische Kirche zu Sinzig; die hübsche Tracht der Landleute vom Mittelrhein, das Paar Lastthiere vor dem Heuwagen etc. kennzeichnen Land und Sitte.

Gemälde als Ehrengeschenke zu geben, zumal wenn es nicht Portraits der zu Beschenkenden sind, ist wenig hergebracht; Pocale mit Inschriften, Service, Leuchter, Tafelaufsätze etc. sind an der Tagesordnung – haben aber auch eben deswegen keine besondere Bedeutung. Köln wollte seinen verdienten Bürger nicht in gleicher Weise beschenken, wie man jedem Schützenkönig, jedem abgedankten Landrath oder Polizeicommissar zu huldigen pflegt.

Der Schöpfer des Bildes ist Ihren Lesern längst näher bekannt; im Jahrgang 1861 Nummer 41 der Gartenlaube steht ein Lebensabriß des Malers Christian Böttcher von Düsseldorf. Er wurde auserkoren, weil ein schönes Gemälde von ihm, „rheinische Sommernacht“, im Museum zu Köln den allgemeinsten Beifall fand. Als das Bild bei feierlicher Gelegenheit enthüllt und überreicht wurde, erkannte man allgemein der Ausführung den ersten Preis zu, selbst vor dem „Abend am Rhein“, dem berühmtesten Werke desselben Meisters. Das kam daher, weil der Künstler beim Schaffen des Bildes die Liebe und Verehrung der Geber theilte. Er hatte die Liste der Contribuenten gesehen – viele Hundert Handwerker und Arbeiter standen darauf, der geringste Mann neben dem Vermögenden – und bei der Uebergabe des Bildes konnte der Maler sagen, es sei der schönste Auftrag, der ihm je zu Theil geworden.