Ein abschreckendes Beispiel der „guten alten Zeit“

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Titel: Ein abschreckendes Beispiel der „guten alten Zeit“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 516–518
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: „Eselsritt“ als mittelalterliche Ehrenstrafe
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Ein abschreckendes Beispiel der „guten alten Zeit“.

Daß unsere Altvordern an dem Uebel der Nervenschwäche stark gelitten hätten, wird schwerlich Jemand behaupten wollen. Braucht man doch nur einen Blick zu werfen in jene zum Theil noch jetzt wohlerhaltenen Folterkammern mancher deutschen Städte – die von Nürnberg dürfte unseres Wissens die reichhaltigste sein –, um sich von dem absoluten Ungrunde jener Annahme ein für allemal zu überzeugen. Daumenschrauben, Eiserne Jungfrau, Streckleitern und wie die Marterwerkzeuge alle heißen mochten, waren die Hülfsmittel, deren die hochnothpeinliche Strafjustiz damaliger Zeit sich bediente, um wirkliche oder vermeintliche Verbrecher zu einem „Geständnisse“ zu bewegen. Ein wahrer Schauder ergreift uns Kinder eines erleuchteteren und menschenfreundlicheren Jahrhunderts beim bloßen Anblick jener Folterkammern, und freier athmen wir auf, sobald wir den düsteren und unheimlichen Gemächern, in denen unser Ohr noch heute das Angstgestöhn unmenschlich Gequälter zu vernehmen glaubt, den Rücken gekehrt haben.

Es mag paradox klingen, aber es ist darum nicht minder wahr: ein Stück von Humor – dieses köstlichen, wenn schon kaum definirbaren Angebindes, durch welches die Vorsehung das Germanenthum vor allen übrigen Rassen ausgezeichnet hat – ein Stück davon zieht sich wie ein roter Faden auch durch die sonst so barbarische Strafrechtspflege des deutschen Mittelalters hindurch. So enthalten denn die Folterkammern hier und da auch so manche seltsame Sächelchen, die offenbar ganz und gar nicht auf die Erzeugung körperlicher Schmerzen berechnet waren, sondern die dem düstern Antlitz der gestrengen Frau Themis einen gewissen unverkennbar humoristischen Zug einfügten.

So findet sich z. B. in manchen Folterkammern ein wunderliches Geräth vor, welches etwa wie eine Tonne aussieht, außen mit bunten Bildern bemalt und auf der oberen Seite mit einem Loche versehen ist, groß genug, um einen menschlichen Kopf hindurchzustecken. Dieses Instrument hieß „der Schandmantel“ und war vorzugsweise bestimmt, bösen Weibern, die sich an ihren Eheherren vergriffen hatten, zur Strafe um Hals und Schultern gelegt zu werden. Sonntags mußten die Unglücklichen, mit diesem Umwurf angethan, zum Gespött der ganzen Gemeinde an der Kirchenthür stehen.

Uebrigens galt dieser Schandmantel noch für eine verhältnißmäßig gelinde Strafe; häufig ahndete man körperliche Mißhandlungen, mit welchen eine böse Sieben sich gegen ihren Ehemann vergangen halte, ungleich empfindlicher.

Eine solche härtere Bestrafung gewaltthätiger Eheweiber bildete namentlich der sogenannte „Eselsritt“, eine Execution, die wir unseren Lesern gleichzeitig im Bilde veranschaulichen. Es war dies ein sehr weitverbreiteter Brauch, und noch bis zum Jahre 1604 bestand derselbe z. B. in St. Goar am Rhein. Hier erhielt der Besitzer der Gröndelbacher Mühle alljährlich zwei Klafter Holz gegen die Verpflichtung, den Esel zu stellen, auf welchem die Weiber, „so ihren Mann geschlagen“, rücklings durch die Stadt reiten mußten, während der Amtsdiener auf öffentlicher Straße das betreffende Urtheil vorlas, nachdem der Tambour mit seiner Trommel dem Manne des Gesetzes das nöthige Gehör verschafft hatte. Dann zog die Menge johlend und schreiend, von den Stadtknechten nur mit Mühe von Angriffen auf die ohnedies hart genug Bestrafte zurückgehalten, durch alle Straßen und Gassen des Ortes bis zum Gefängniß zurück.

Auch in Darmstadt und den umliegenden Katzenellnbogen’schen Besitzungen begegnet uns diese Sitte des Eselsrittes noch bis in’s siebenzehnte Jahrhundert hinein. Hier hatten die Herren von Frankenstein auf Bessungen ein förmliches „Eselslehen“, das heißt das vererbliche Recht, gegen angemessene Vergütung den Esel zu der betreffenden Execution zu liefern. Zugleich aber tritt uns hier dieser Brauch noch mit einer scharfsinnigen Unterscheidung, wir möchten sagen: mit einer feineren Nüance, entgegen. Hatte nämlich die Frau ihren Mann, sozusagen, in offener, ehrlicher Rauferei „untergekriegt“, so mußte letzterer den Esel am Zügel führen; hatte dagegen die Frau ihren Eheherrn hinterrücks überfallen, so übernahm der Frankensteiner Bote diese Führerschaft.

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Bestrafung des häuslichen Unfriedens im Mittelalter.
Nach dem Oelgemälde von Graf Woldemar Reichenbach.

[518] Uebrigens harrte auch der Ehemänner, wenn sie ihre Frauen allzu hart geschlagen hatten, die wohlverdiente Strafe. In solchen Fällen trat in den früheren Jahrhunderten des Mittelalters eine Art Gottesgericht in Kraft, eine höchst eigenthümliche Art von Zweikampf, wie wir dies in dem Artikel „Altfränkisches Eherecht und Kampfgericht“, im Jahrgang 1869, (Seite 357) in Wort und Bild dargestellt haben. Zur Ehre unserer Vorfahren muß gesagt werden, daß das Fortbestehen jener Unsitte über das zwölfte oder höchstens das dreizehnte Jahrhundert hinaus kaum nachzuweisen sein dürfte.

Um jedoch nochmals auf den eigentlichen Fall unserer Darstellung, den, wo eine Frau ihren Mann geschlagen hatte, zurückzukommen, so galt solche That unsern Altvordern von jeher als ein ganz besonderer Gräuel. Ein solcher Mann erschien der gesammten Gemeinde gewissermaßen als ehrlos, und oft genug zwang man ihn, sammt seiner bestraften Ehehälfte den bisherigen Wohnort zu verlassen und sich anderswo ein neues Domicil zu suchen.

Es ist gewiß erfreulicher, aus dem Leben unserer Vorfahren Edles und noch heute Erhebendes dem Auge der Gegenwart vorzuführen, und es geschieht dies ja, so oft sich uns die Gelegenheit dazu bietet; es hieße aber der Wahrheit schlecht dienen, suchten wir aus Verherrlichungssucht der Lichtseiten jener Tage über die Schatten derselben den Mantel der Vergessenheit zu breiten. Was wir oben geschildert haben, erscheint wohl unserem Auge roh und unmenschlich, aber es hat bestanden, diese Bestrafungsweise befriedigte lange Zeit das Gerechtigkeitsgefühl des gesammten Volkes, und doch waren die Menschen damals nicht schlechter, als heute, geschahen so gute, edle und große Thaten, wie heute. Es war deutsches Volk, von gesundem Kern, nur die Schale war rauher. Die naturwüchsigen Aeußerungen jenes Rechtsgefühls in voller Wahrheit dargestellt zu haben, ist ein Verdienst unseres Künstlers; er läßt uns eine Volksscene der „guten alten Zeit“ in ihrer vollsten Lebendigkeit belauschen, aber ohne in uns den Wunsch ihrer Wiederkehr anzuregen. Solche Bilder sind gar wohl geeignet, durch Vergleichung alter und neuer Zustände manche Unzufriedenheit zu mildern und trotz all der Schatten, welche über vielen unserer Verhältnisse liegen, doch mit der Gegenwart zu versöhnen.