Altfränkisches Eherecht und Kampfgericht

Textdaten
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Autor: Heinrich Vocke
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Titel: Altfränkisches Eherecht und Kampfgericht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 357–358
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[357] 
Altfränkisches Eherecht und Kampfgericht.

Es giebt nichts Verkehrteres und Herabwürdigenderes als die Vorurtheile, welche gegen unsere Vorfahren gang und gäbe sind. Man hört sie als rohe Barbaren mit den absonderlichsten Einrichtungen schildern. Gerade das Gegentheil lehrt die Geschichte. Als die Deutschen das römische Reich in Trümmer schlugen, wurden sie das Culturvolk für die ganze Welt. Jene Franken, die in Flandern saßen, brachten mit ihrem Handel deutsche Gesittung in alle Slavenlande östlich von Lübeck und Magdeburg bis in die russischen Ostsee-Provinzen und durch alle österreichischen Lande, Böhmen, Mähren und Ungarn eingeschlossen.

Kampf zwischen Mann und Frau.
Nach einer alten Zeichnung.

Fränkisches (und burgundisches) Recht galt durch ganz Frankreich, lombardisches im ganzen nördlichen Italien, gothisches auf der pyrenäischen Halbinsel. Die englische Cultur beruht auf den Einrichtungen der den Franken nächst verwandten Angelsachsen und der Normannen, welche das fränkische Recht aus Frankreich mitbrachten. – Alle Handelsstädte und Handelsvölker des Mittelalters und der neueren Zeit hatten deutsches Eherecht. Sprache und Recht sind nationale Grundpfeiler. Auch wo das germanische Element über die Sprache nicht Herr wurde, zeigt das Gelten deutschen Rechtes darauf hin, daß germanische Gesittung selbst da die Oberhand gewonnen, wo sie sich Romanischem anbequemt hat. Aber das deutsche Eherecht gehört ganz besonders zu diesen alten fränkischen Ehren.

Das deutsche Eherecht beruht auf dem Grundgedanken, daß die Ehegatten sich näher sind als die Blutsverwandten, selbst die leiblichen Kinder; namentlich gestalten sich die Vermögens- und Lebensverhältnisse mit der Verheirathung für immer und so fest, daß sie selbst den Tod des einen Ehegatten überdauern. Letztere Bestimmung verdankt ihre Entstehung der zartsinnigen Annahme, daß der Zurückbleibende, wenn der Tod des anderen Ehegatten ihn aus dem erheirateten Besitze triebe, selten im Stande sein würde, aus eigenen Kräften sich in dem nämlichen Vermögensstande zu erhalten oder ihn neu zu schaffen. Dieser Grundgedanke geht Hand in Hand mit der hohen Achtung vor den Frauen, die den ältesten Deutschen nachgerühmt wird; der Vortheil, welchen Handel und Gewerbe daraus zogen, erhob ihn zum Eherecht aller Handeltreibenden. So stellte die Gesittung und die praktische Begabung, welche den angeblichen Barbaren inwohnte, sie an die Spitze der Cultur der ganzen Welt. Die von Jahr zu Jahr mehr aufgeschlossenen Rechtsquellen unserer Vorfahren zeigen in allen Einrichtungen den gesunden Verstand, der mit einfachen Mitteln auf das Praktische gerade losgeht, und wir können dies sogar an ein paar veralteten Einrichtungen sehen, die in der Regel dazu benutzt werden, die Germanen als Barbaren zu verdächtigen. Wir gehen damit zugleich zur Betrachtung unserer Illustration über.

Fremdartig dünken uns Brauch und Tracht auf dem beigegebenen Bilde, das aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammt, in der Kleidung aber auf das elfte zurückweist. Die Inschrift lautet: "Da steht, wie Mann und Frau mit einander kämpfen sollen. Und sie stehen hier in dem Anfang. Da steht die Frau frei und will schlagen und hat einen Stein in dem Schleier (ihrem Brusttuch), der wiegt vier bis fünf Pfund. So steht er in der Gruben bis an die Mitte hin, und ist der Kolben so lang als ihr der Schleier von der Hand.“ Nach dem Augsburger Stadtrecht von 1276 und der Würzburger Kampfgerichtsordnung von 1447 führte der Mann einen ellenlangen Stecken, der vorne zwei Mannsdaumen dick war, während die Frau aus einem zwei Fäuste längeren Haselstabe, einem Stein von einem Pfund, ihrem Brusttuch und einem Lederriemen einen sogenannten Todtschläger zusammengebunden hatte.

Wann war nun dieser Kampf zulässig? Selbstverständlich nicht zwischen Ehegatten, sondern nur ausnahmsweise, wenn ein Missethäter auf die gesetzlich zulässige Weise nicht überführt werden konnte. Unsere Vorfahren hielten, wie wir gesehen haben, im Interesse der Gerechtigkeit es für nöthig, die stärksten Garantieen für das Leben zu geben und es nur bei untrüglichen Beweise abzuerkennen. Sie gestatteten daher dem Beschuldigten oder dem, [358] welcher sich von einem Gerüchte (Inzicht, Bezichtigung) freischwören wollte, den Reinigungseid auf den Reliquien eines Heiligen. Der Staat hatte zur Beschränkung des bei allen Urvölkern, auch bei den Deutschen früher geltenden Rechts der Privatrache und zur Herstellung der Rechtsordnung es übernommen, den Beleidigten Genugtuung zu verschaffen. Erklärte das Gericht, wegen Beweismangels mangels dies nicht zu vermögen, so lebte nach damaliger Ansicht das Recht des Beleidigten, Rache zu üben, wieder auf. Wenn daher der Beschuldigte die Finger auf den Reliquienkasten legte, um durch seinen Schwur jede Strafe zu vereiteln, so konnte der Beleidigte und wer sonst zu Klage berechtigt war, nach fränkischem Rechte auch ein Weib, dies hindern, namentlich wenn ihr der Beschuldigte die Mädchen- oder Frauenehre gewaltsam genommen hatte. Sie trat hinzu und stieß ihm die Schwurfinger weg. Damit übernahm sie die Privatrache, freilich mit Gefahr ihres Lebens. Denn wie es ihr gelingen konnte und, nach den vorhandenen Aufzeichnungen, auch mitunter gelungen ist, ihren Gegner todtzuschlagen, oder den Wehrlosgemachten als der That überführt enthaupten zu lassen, oder ihm den Preis der Lösung zu bestimmen, so mußte sie, wenn sie wehrlos gemacht wurde, auch unter seinen Streichen oder, wenn es der Sieger verlangte, wegen Landzwangs, d. h. falscher Anklage auf Leben und Tod, nach Urtheilsspruch des Gerichtes sterben. In der Grube, in welcher der Beschuldigte gegen sie gekämpft, wurde sie lebendig begraben. Nur insofern sah man im Ausgange des Kampfes ein Gottesurtheil, nicht wenn einer im Kampfe wirklich fiel. Darüber, ob der Sieg immer dem materiellen Rechte entspräche, machte man sich keine Illusionen. Aber die Menschen, deren Einsicht unzulänglich ist, müssen sich häufig mit formellem Rechte begnügen. Darum entschloß man sich zu der Annahme, daß Gott den Ausgang, wenn nicht selbst bewirkt, doch zugelassen habe. Immer war es besser, wenn das blutige Ende zwischen zwei Personen und im Gerichte vorfiel, als wenn außergerichtliche Privatrache auf Mord, Brand und Hinterlist sann und Dritte in’s Unglück zog. Als um 1250 die Gottesurtheile ganz abkamen, behielt man den gerichtlichen Zweikampf als ein letztes Auskunftsmittel noch immer bei, – nicht in den Städten, wo er damals allmählich abgeschafft wurde, selten im Centgerichte, häufiger in den Landgerichten, vor welchen die Adeligen zu Recht standen. Auch früher wurde nämlich, selbst bei peinlicher Anklage, der nicht überführte Beklagte zum Kampfe nicht gezwungen, sondern vermied ihn durch Eingeständniß; er verlor dann nicht das Leben, sondern die Hand oder in der Regel statt ihrer eine Geldsumme.

In noch milderer Weise gebrauchte man im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert die Anforderung zum Kampfgerichte gegen Adelige, die auf ihren Schlössern den gewöhnlichen Gerichten trotzten, oder den Urtheilsvollzug hinderten. Man wollte dann nicht ein Todesurtheil gegen sie erwirken, sondern sie nur zwingen, sich einem ordentlichen Verfahren und dem Urtheilsvollzuge des Landgerichtes zu unterwerfen. Wer im Kampfe unterlag und das Leben nicht dabei verlor, hatte nur seinen Anspruch, nicht sein Leben verwirkt. Es war ein rohes, trügerisches, aber doch ein letztes, sehr wirksames Mittel, die Raublust und Zügellosigkeit der Adeligen niederzukämpfen. Denn wenn sie sich auch aus Fürst und Gericht nichts machten, fürchteten sie doch die sonst unausbleibliche Kampfacht, den Vorwurf der Feigheit und damit die Verachtung aller Standesgenossen, und stellten sich lieber zum gütlichen Austrag oder zum Kampfe in gerichtlichen Formen.

Der Kern dieser Formen hat sich merkwürdig in den Duellgebräuchen der Studenten bis in neuere Zeit erhalten. Wie man sich dreimal zum Zweikampf bestimmen lassen darf, bis man bei Vermeidung des Verrufes sich stellen muß, so dreimalige Ladung zum Kampfgericht. Der Kläger trat vollständig gerüstet vor das Gericht, schlug mit dem Kolben, der fränkischen uralten Handwaffe, die bis zum Hammer der Steinzeit hinausreichen mag, an seinen Schild und rief. „Unter meinem Schild und unter meinem Hut mit meinem Kolben heische ich Dich für, nach Kampfrecht, nach Frankenrecht, nach des Landes Recht um die That, die Du begangen. Jehst (bejahst) Du mir sie, das ist mir lieb, leugnest Du mir, so will ich das weisen mit meinem Kolben auf Dein Haupt nach Kampfrecht.“

Wie jetzt, so konnte man früher eine sechswöchentliche Frist zur Einübung in der ungewohnten Waffe begehren (Lerntage). Die Waffe und Kleidung des Gegners wurden besehen, die Sonne gleich ausgetheilt, den Zuschauern Stillschweigen geboten. Nur die Secundanten durften sprechen; waren sie auf beiden Seiten einig, so gingen sie das Gericht (jetzt den Unparteiischen) nicht an. Der Waffengang begann mit dreimaligem Commando; ein Hieb vorher oder ein Hieb nach dem Haltrufe war bei Verlust des Sieges verboten. Bei Störungen und Unregelmäßigkeiten sprangen die Secundanten ein und fingen mit Stangen die Hiebe auf. Eine solche Pause wurde nicht gezählt. Dagegen hatte jeder Kämpfer das Recht, zweimal Halt zu rufen. Rief er's zum dritten Male, so hatte er "die dritte Stange“ d. h. den Sieg verloren; ebenso wenn ihm seine Waffe dreimal zu Boden fiel, oder wenn er über den Kampfplatz zurückwich. Statt eines Secundanten hatte Jeder vier; einen Fürsprecher, der allein das Wort führte; einen Grieswärtel (von Gries = Sand), der ihm auf den innern Kampfplatz folgte und die Stange dazwischenhielt (unterschoß); einen Warner oder Kämpfer, der ihm Beirath im Fechten gab, aber während des Kampfes außerhalb der Schranken, nur bis zum ersten glücklichen Gang und durch Winke und Zeichen; einen Lußner oder Erinnerer d. h. Aufpasser innerhalb des Kreises, welcher aber nur durch den Warner oder Fürsprecher zu dem Kämpfer reden durfte.

Die Kleidung bestand in Hosen, Rock und Hut aus einem Stück von grauem Wollenzeug, mit Riemen genäht, auf welches vorn und hinten ein Kreuz von weißem Leder befestigt war. Der Schild war von Holz und Leder mit weißer Leinwand überzogen und mit einem rothen Kreuze geschmückt; der Kolben von Holz am Feuer gehärtet. Vor dem Kampf tranken Beide St. Johanniswein, um böse Künste zu vereiteln. Beim Kampf zwischen Mann und Frau wurde der Schild weggelassen und der Mann durch Stellung, Unbeweglichkeit, schwächere Waffen und den Verlust eines Kolbens, so oft er durch einen Fehlhieb die Erde berührte, so wehrlos gemacht, daß nur ein außerordentlich sicherer Fechter noch ein Uebergewicht über daß Weib hatte.

Die Zeiten des gerichtlichen Zweikampfes liegen glücklicherweise hinter uns. Immer aber ist der Bericht davon ein Denkmal mal deutscher Frauen. Welchen Muth, welche Kraft und Körpergewandtheit konnte man bei ihnen voraussetzen, daß man sie zum Kampfe gegen Männer, mit so roher, zur Abwehr gar nicht geeigneter Angriffs-Waffe und ohne alle Schutzmittel ließ! Was für Söhne müsten solche Frauen geboren und erzogen haben!

     Donauwörth.

Heinrich Vocke.