Ein Wort zum Wehren und Klären
[233] Ein Wort zum Wehren und Klären. Durch ein harmloses Gelegenheitsgedicht, „Eine Weihe“ betitelt, welches ich dem Erstgeborenen meines Freundes Häckel (Professor der Zoologie und Anatomie in Jena) gewidmet und die Gartenlaube der Veröffentlichung werth gehalten hatte, ist ein Theil der orthodoxen Geistlichkeit und ihres Anhanges dermaßen in Harnisch gerathen, daß er über mich, meine Dichtung und das Blatt, welches „sich erfrecht“, so etwas aufzunehmen, in wahren Zorn und Zeter ausbricht. In einem halben Dutzend frommer Kirchenblätter wie in einer reichen Zahl von Zuschriften, die bald an die Redaction der Gartenlaube, bald an mich gerichtet sind, fährt der heilige Glaubenseifer noch täglich fort, sich Luft zu machen, und verursacht mir und meinen gleichgesinnten Freunden ein Ergötzen, das ich kaum beschreiben kann. Wollte ich mit einer hübschen Blumenlese daraus dieses Blatt schmücken, so würde ich auch wohl dem verehrten Leser ein vergnügtes Viertelstündchen bereiten, doch fürchte ich, Solches dürfte zu weit führen.
Ich begnüge mich denn, nur einige Angriffspunkte hier zu beleuchten, von denen ich annehmen darf, daß sie auch von allgemeinem Interesse sein werden. Interessant schon ist es, anzusehen, wie vollkommen blind der orthodoxe Eifer macht. Alle nämlich kommen darin überein, ich wolle die Welt mit einem neuen Taufformulare beglücken, was mir im Traume nicht eingefallen ist.
Ich habe, wie gesagt, Nichts als ein echtes Gelegenheitsgedicht verfaßt, in welchem ich versuche, einen Weiheact voll Schönheit und Sinnigkeit zu schildern, so recht geschaffen für das Kind eines freisinnigen Naturforschers, insbesondere für den Sohn Häckel’s, des begeisterten und berühmten Kämpfers und Weiterbilders der großen tiefsinnigen Ideen eines Geoffroy St. Hilaire, Lamarck, Goethe und vor Allem Darwin’s. Ja, um falschen Auffassungen von vorn herein vorzubeugen, stehen die Worte der Widmung „ausgedacht und dargebracht dem Erstgebornen seines lieben Ernst Häckel“ mit gesperrter Schrift gleich darüber. Aber das hilft Alles nicht. Wollen oder können die Orthodoxen es nicht fassen, genug, ich soll eine neue Taufe einführen wollen. –
Vor Allem hat man sich natürlich an dem rein Aeußerlichen gestoßen, daß ich nämlich über den jungen Erdenbürger einen Becher Weins ausgießen lasse. – Ich kann indessen versichern, dabei an das sogenannte Reinigungsbad der christlichen Taufe kaum gedacht zu haben, wohl aber [234] daran, daß der Wein schon im classischen Alterthum das schöne Symbol von Glück, Naturkraft und Natufreude war. Darum fand ich es schön und sinnvoll, auch den Kleinen unter den Worten:
„Einst werde zu Theil dir im Ueberfluß
Des Daseins hochherrlicher Vollgenuß!“
damit überströmen zu lassen. Wird doch auch die Schiffstaufe mit glückbedeutendem Weine vollzogen. Nur das Christenthum hat den Kelch mit Wein zum schauerlichen Symbol des Bluttrunks gemacht.
Fern vor allem war mir der auch nur leiseste Gedanke einer frivolen Verspottung der christlichen Taufe, wie mich deren Einige beschuldigen möchten. Ich bin wahrlich der Allerletzte, welcher den Stab bricht über irgend eine Religionshandlung, sie gehöre dem Heiden-, dem Juden-, dem Christenthum, dem Islam oder dem Buddhaismus an, wenn sie nur nicht durch Unsittlichkeit oder Unschönheit mein Gefühl verletzt. Solchen Hochmuth haben allein die Orthodoxen jener verschiedenen Religionen, die da glauben, daß nur sie in der Wahrheit wandeln, während unsere große Partei in allererster Linie die volle Gleichberechtigung jeder ehrlichen Religionsäußerung auf ihre Fahne schreibt.
In Bezug auf die Anfangsverse meines Gedichtes schelten mich Einige jener lichtscheuen Schaar geradezu einen Sonnenanbeter. Es heißt dort:
„Das ist die Sonne, die hohe, die helle,
Des Lichts und der Wärme erhabene Quelle etc.
Freue Dich ihrer, strebe zum Licht,
Sonst verdienst Du sie nicht.“
Freilich, wenn das schon Sonnenanbetung ist, dann treibe ich allerdings solche, denn ich freue mich ihrer wirklich und strebe zum Licht.
Andere sahen in der ganzen Dichtung sogar den „crassesten Götzendienst“. Für diese habe ich gar keine Antwort. Wieder Andere finden nur eine Gotteslästerung in dem Worte „Allmutter Erde“. Diesen sage ich einfach: Wenn Ihr keine dichterische Sprache verstehen könnt, müßt Ihr auch keine Gedichte lesen und noch weniger sie beurtheilen. Nach Einem soll ich dem Christenthume feind sein aus purem Schönheitsfanatismus. Da ich nun unter Schönheit nicht blos die äußere, die der Formen, Farben und Verhältnisse verstehe, sondern auch die innere, die sittliche und geistige Schönheit, so danke ich diesem Herrn auf’s Wärmste für solch schmeichelhaftes Compliment, das ich mit stolzer Freude annehmen würde, wenn ich es schon dürfte. Wie aber aus solchem Schönheitsfanatismus eine Feindschaft mit dem Christenthume gefolgert werden kann, verstehe ich nicht. Das ewig Wahre und Herrliche des Christenthums, sein ethischer Kern nämlich, wird jedem Schönheitsfanatiker heilig sein, auch wenn das Unschöne und Widersinnige mancher Dogmen ihn abstoßen sollte.
Am meisten habe ich wohl das Herz eines Herrn E. Sulze empört, dessen Organ, „Die Leuchte“, in Chemnitz erscheint, und dem mein Gedicht Anlaß giebt, eine ganze Nummer jenes Blattes mit Taufbetrachtungen zu füllen. Es ist geradezu unbegreiflich, wie ein vernünftiger Mensch die so einfache und klare Sprache meiner Dichtung so gänzlich mißverstehen kann. Wo ist Natur- und Menschenvergötterung darin, wie er mich deren beschuldigt? – Wo sieht es aus, als ob „das Kind der Sonne übergeben würde“? – Wo ist ein Leser, der bei meinen Worten in Bezug auf die Erde:
„Sie sollst Du erforschen, sie sollst Du erschließen,
Strebe und streife,
Schwelge und schweife,
Dringe hinein,
Sie sei Dein, sie sei Dein –“
nicht sofort ebenso an die geistige Beherrschung wie an die materielle gedacht hat? – Wo endlich ist Jemand, der da glaubt, ich habe bei den Worten:
„Einst werde zu Theil Dir in Ueberfluß
Des Daseins hochherrlicher Vollgenuß“
in frivoler Weise nur an materielle Genüsse gedacht, wie mir Herr Sulze zutraut? Doch genug von Diesem! Daß solche Kirchenlichter eine Tageshelle, wie die sonnenfreudige Gartenlaube sie liebt, nicht gut vertragen können, ist ja bekannt, denn schön und feierlich strahlen sie nur, wenn rings eine mystische Dämmerung herrscht. –
Daß man von verschiedenen Seiten das Gedicht selbst fade, unschön und langweilig gefunden hat, berührt mich noch weniger. Das ist eben Geschmackssache. Auch ich habe jede orthodoxe Predigt und jedes fromme Gedicht nicht immer übermäßig interessant und geistvoll finden können.
Zuschriften und Zustimmungen von nah und fern, von bekannter und unbekannter, genannter und ungenannter Hand beruhigen mich über meine Dichtung vollkommen und sagen mir sogar zu meiner hohen Herzensfreude, wie Vielen ich damit aus tiefster Seele ein wahrhaft lösendes Wort gesprochen habe.
Meine Dichtung stellt als unser Aller Aufgabe und Ziel „der Menschheit Vollendung“ hin. Giebt es ein höheres für uns, so nenne man mir’s; ich werde dankbar dafür sein.
Eines aber rufe ich hiermit dem ganzen orthodoxen Clerus und seinem Anhange zu: So Jemand in meiner Dichtung auch nur einen einzigen Gedanken nachweist, der mit dem Geiste des Christenthums im Widerspruche steht, bin ich sofort bereit, Alles zu widerrufen.
Rechtenfleth, im März 1874.