Ein Winterbild
(1889.)
Septembermild, o Jahr, gingst du zur Rüste.
Es stockte nicht vor Frost das warme Blut;
Vom Bodensee bis zu des Nordmeers Küste
Floß frei von Eis der Bäche rasche Fluth.
Und frierend sich, die gerne thätig sind;
Es rührten emsig sich die fleiß’gen Hände
Und schafften rüstig Brot für Weib und Kind.
Mit lauen Lüften ging das Jahr zu Ende
Doch feindlich immer ist die Jahreswende
Und eisig plötzlich wehte es von Ost.
In Fesseln waren Bach und Fluß geschlagen,
Die munter rinnenden, in einer Nacht,
Die wie bisher zu schwingen man gedacht.
Ein schlimmer Wechsel für der Arbeit Schaaren!
Und starke Männer seufzen weit und breit,
Ziehst du herauf mit Rauhfrost in den Haaren,
Denn mit der Arbeit mangelt es an Brot,
Und tückisch klopft mit ihrem Knochenfinger
An ihrer Hütte Thür die bleiche Noth.
Es macht sich geltend, wenn der Nordwind schnaubt,
Daß Brot und Mehl seit letzter Ernte theuer,
Daß ihr durch Zölle sie emporgeschraubt.
An unsern Grenzen lagern schwere Frachten –
Indessen wir sie fern zu halten trachten!
Das fremde Korn, wir lassen’s nicht herein!
Und wenn die junge Saat im Felde leidet,
Weil sie kein Schnee mit warmer Hülle deckt –
Die unser Geld in Gütern wir gesteckt.
Im Gegentheil, wir würden Amen! sagen,
Da es „gesunde Preise“ uns verspricht.
Das Volk? Mein Gott, das Volk kann viel ertragen
So scheint es dem, der seine Zeit verlungert
Und, sanft gelangweilt, in Berlin flanirt.
Doch wenn man auch allmälig nur verhungert
Und sich unmerklich aus der Welt verliert –
Dies Mühn und Ringen um ein Leichentuch?
Wer knirschte nicht der besten aller Welten
Mit fahlen Lippen einen Abschiedsfluch?
Doch leider, leider hat es einen Magen
Und der ist radikal und konsequent.
Der lässt kein X je für ein U sich machen,
Der ist in seiner Art ein großes Licht –
Und er vergißt vor allen Dingen nicht.
Glaubt mir, er wird den Sachverhalt erfassen,
Den dieser Winter kurz und klar ihm bot –
„Jenseits der Grenzen fremdes Korn in Massen,
Das wird euch bei der nächsten Wahl entreißen
Im Reichstag manchen wohlgewärmten Sitz –
Des Magens Knurren wird dem Volk beweisen
Im Wahlkampf mehr als eurer Redner Witz.
Anmerkungen (Wikisource)
Ebenfalls abgedruckt in:
- Der Wahre Jacob 1889 Nr.66 Seite 522