Textdaten
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Autor: J. Braun
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Titel: Ein Tag in Arkadien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 144–146
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Tag in Arkadien.

Von J. Braun.0 Mit Abbildungen von A. Schmidhammer.


Ein eigenartiger Zauber umgiebt die Münchener Künstlerfeste. Andere deutsche Städte haben ja auch ihre kostümierten Künstlerbälle, wenn aber einmal die Münchener Künstlerschaft sich zu einem ihrer großen Feste zusammenschließt, so ist das etwas Besonderes, das als solches weit über den Bannkreis der alten Frauentürme hinaus empfunden wird – das lebende Kunstwerk eines Abends, seinen Schöpfern so teuer wie ihre bleibenden Werke, und der augenblicklich begeisternden Wirkung auf Tausende sicher.

Im kleinsten Kreise entsteht der Gedanke dazu, die nächsten fassen ihn auf und bilden weiter daran. Die Pläne gewinnen Gestalt, die Losung wird ausgegeben, und nun ergreift die fröhliche Bewegung mit ihrem Wellenschlag immer weitere Kreise, beschäftigt wochenlang die ganze Stadt, zieht fremde Gäste herbei, ruft eine ganze Festindustrie ins Leben, und kaum irgendwo wird für den leider allzu vergänglichen Zweck so viel dauernde Mühe und ernsthafte künstlerische Arbeit willig drangegeben. Alle Teilnehmer empfinden es wie eine Art Schöpferfreude, so durch die eigene Person mitzuwirken in dem lebendigen Bild, das nur durch feinsinniges Zusammenhalten entstehen kann und durch die größte Treue in allem Detail einen so überzeugenden Eindruck von Lebenswahrheit hervorbringt.

Die Ältesten erzählen noch von dem herrlichen Dürerfest im Jahre 1840, das Gottfried Keller im „Grünen Heinrich“ poetisch verklärt uns überliefert hat. Im Jahre 1861 trat, von Meister Schwinds Zauberstab geweckt, unsere ganze Märchenwelt mit ihren schönsten Gestalten ins Leben; das Renaissancefest von 1876 gab der Freude am Wiederaufblühen deutscher Vergangenheit seinen malerischen Ausdruck. Einmal war es „die Herrschaft des Winters“, wobei alles, was dieser an lebensfrohen Erscheinungen mit sich führt, im Festzug erschien – zum Schluß unter einem mächtigen Christbaum Defreggers Kinder, schlafend, von den schönsten Weihnachtsengeln bewacht. Andere Feste voll Schwung und Phantasie folgten, und in diesem Jahre hieß das leitende Wort: [145] „Ein Tag in Arkadien“. Vorgeschrieben war das antike Gewand für den Saal und die unteren drei Ränge.

Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0145 1.jpg

Bacchus verjagt die Erinnyen.

Im Künstlerhaus konnte man erfahren, wie das gemeint war. Die Maler hatten Zeichnungen von Kostümen gemacht und Schnitte anfertigen lassen; sie waren jeden Abend dort anwesend, um Rat und Auskunft zu erteilen. Große Figuren standen fertig gekleidet da; die Putzmacherinnen hatten lernen müssen, ganz unmoderne dichte Kränze zu winden; die Friseure, den ohnehin beliebten Knoten in unwahrscheinlichem Maße auf- und auszubauen; aus geringem Material entstand Goldschmuck in guten antiken Formen; selbst die Maskenzeichen waren eine Art von griechischem Gewand, um den Gesamteindruck nicht zu stören. Stoffe und Sandalen gab es zu kaufen, – es war ein Leben und Treiben dort, daß mancher seine in weiser Sparsamkeit begründeten Entschlüsse vergaß, um doch mitzuthun.

Bekanntlich befinden sich die beiden Münchner Theater, das große Schauspiel- und Opernhaus und das Residenztheater, unter einem Dach, ein kurzer Verbindungsgang führt von einer Bühne zur andern, und beide zusammen bieten einen Festraum, wie man ihn in Deutschland wohl nicht zum zweitenmal findet. Er wurde durch Emanuel Seidl mit unvergleichlichem Geschmack dem hellenischen Schönheitsfest angepaßt. Riesenhafte vergoldete Eichenkränze schwebten baldachinartig über dem Zuschauerraum, dessen weite lichtüberflutete Ränge, dicht bevölkert von festlichen Gestalten aller Art, einen glänzenden Rahmen bildeten für alles, was sich im Saal und auf der Bühne abspielen sollte. Das Handinhandgehen der Theaterleitung mit den Künstlern ist bei solchen Gelegenheiten in München von jeher selbstverständlich und war auch diesmal eine mächtige Bürgschaft für das Gelingen des Abends. Der Intendant v. Possart hatte selbst das Einstudieren des Festspiels übernommen.

Mit vielem Geschmack hatte der Dichter desselben, Maler Benno Becker, das Hauptgewicht mehr auf malerische und musikalische Stimmung als auf das Ausspinnen allegorischer Gedanken gelegt, die erfahrungsgemäß im Festtreiben meist zu kurz kommen. Die ungemein wirkungsvolle Musik ist von M. Schillings, dem Komponisten der „Ingwelde“. Franz v. Lenbach, der Präsident der Künstlergenossenschaft, hatte den Entwurf gemacht für Aufbau und Umwandlung der Bühne zu einem in Terrassen ansteigenden griechischen Festplatz mit Tempeln, Götterbildern, Cypressenhainen und der die Bergeshöhe krönenden Akropolis. Das hochragende goldene Standbild der Athene Promachos hatte der Meister selbst gemalt, und noch während der Hauptprobe sah man ihn, den großen Anstreicherpinsel als Scepter in der Hand, seine letzten Befehle geben.

Fanfarenklänge leiteten am Abend des 15. Februar das Festspiel ein, während sich das Haus bis aufs letzte Plätzchen gefüllt hatte – atemlose Erwartung. Der Vorhang hebt sich, und man gewahrt, in tiefer Dämmerung, die Erinnyen mit dem Schlangenhaar, Masken von großartiger Scheußlichkeit, auf den vordersten Stufen lagernd. Da tritt Bacchus (der jugendliche Heldendarsteller des Hoftheaters, Lützenkirchen) hervor und jagt sie mit zürnenden Worten weg, in die Nacht zurück. Dann wendet er sich zum Publikum und fordert alle auf, nach Hellas zu folgen:

„Ich lade bei der Schönheit euch zu Gast,
Und herrlich soll mein süßer Zauber blüh’n.
Vergrabt in Lethes Fluten die Erinn’rung
An alles Schlimme, das da draußen droht,
Und tretet frei ins Reich der Schatten ein,
Denn Schatten steigen auf versunk’ner Völker.
Die Zeit, die rastlos sonst nach vorne stürzt,
Hält ein und wendet gar den Fuß zurück,
Jahrtausende mit flücht’gem Schritt durcheilend.
Und dem entzückten Blick steigt neu empor
Der Griechen Land in seiner Marmorpracht.
Auch sie, die starben – die Unsterblichen,
Zu neuem Leben ringen sie sich auf,
Von des Olympos Höh’n, vom Grund des Meers,
Vom stillen Hades und vom Erdenrand
Wallt Gott und Mensch in dies arkadisch Thal.“

So soll heute das goldene Zeitalter wieder aufblühen und die Freude alle Herzen regieren. Dann schreitet er die Stufen empor und verschwindet in seinem Tempel.

Nun naht ein festlicher Zug, junge Krieger und Frauen gruppieren sich um die Säule und auf den halbrunden Marmorbänken im Vordergrund. „Schönes Volk“ nennt das Programm diese Abteilung, und wahrhaftig, sie verdient den Namen redlich. Künstlersfrauen und andere Damen der Gesellschaft sind dabei, Lenbachs reizendes lichtblondes Töchterlein mitten darunter; die Sängerinnen des Hoftheaters sammeln sich in der weinumrankten Pergola, welche die Bühne nach vorn abschließt, und stimmen ein Tanzlied an; zugleich bewegt sich ein Zug von Tänzerinnen in weißen Schleiergewändern die Stufen herab und beginnt den anmutigsten Reigen, während oben vor einem Tempelchen andere Mädchen ihre Kränze und Vasen als Opfergaben darbringen.

Da tritt Bacchus oben aus dem Tempel und spricht zu seinem Volke.

„Evoë! Ihr Seligen seid mir gegrüßt!
Genießt die Stunde, denn nicht ewig lacht
Das Blau; zu bald nur webt die Wetterwolke
Den grauen Schleier, der das Licht begräbt.
Genießt die Stunde, daß am grauen Tag
Ein Wiederschein verfloss’ner Freude noch
Sein wärmend Rot in eure Herzen gieß’.
Zu euch spricht Bakchos, Sproß des großen Zeus!“

ruft er, indem er die Toga abwirft.

Das Volk jubelt ihm zu, und er fährt fort:

„Evoë! Der Tag ist mein, ich schenk’ ihn euch!
Füllt ihn mit Lust und brausendem Entzücken!
Jauchzt auf, daß sich des Waldes Gott verwundert
Ob des Getöses, das den Hain durchhallt!
Jauchzt auf, daß ihr das Echo tausendstimmig
Vom Schlafe weckt und außer Atem bringt,
Daß auch des ärgsten Griesgrams Lippen sich
Zum langentwöhnten Lachen wieder runden!“

[146] Da eilen die Bacchanten herein, schwingen ihre Kränze und Tamburine und singen ihm in mächtigem Chor entgegen. „Evoë, Evoë!“ hallt es wieder.

Mit klangvoll freudigen Worten heißt Bacchus alles Volk hinausstürmen in die Lande:

„Ich leite euch mit meiner wilden Schar,
Bacchanten, Faune, Nymphen, strömt herbei,
Durchrast in schönem Wahnsinn die Gelände!
Die Welt soll selig sein am Bakchostag!“

Da heben ihn die Faune auf einen reichgeschmückten Thron und tragen ihn auf ihren Schultern die Stufen hinab, mitten in den Zuschauerraum hinein.

Das war der Höhepunkt, als der festliche Zug dahin wogte, voll hinreißender Fröhlichkeit, die rechts und links zündete. Kränze und Blumen flogen von oben herab und wieder empor, Winken, Zuruf, Musik – „Evoë, Evoë!“ von allen Seiten, und lauter Rhythmus und Harmonie in den dahinschreitenden Gruppen, die dem tollen Bacchantenvolk in Ziegenfell und Weingerank folgten, und über allen thronend des Bacchus jugendliche Lichtgestalt mit hochgeschwungenem Thyrsus, dem mit Epheu und Weinreben umwundenen Stab.

Von der Bühne stiegen immer neue Erscheinungen nieder, die anmutige Schar der Priesterinnen, die Philosophen, Diogenes mit der Laterne voran; die bösen Buben von Korinth waren auch dabei.

Orpheus und Euridyke, zwei lichte Idealgestalten, zogen vorbei mit ihrem thrakischen Gefolge, dessen Gewänder erstaunlich getreu den alten Vasenmalereien nachgebildet waren.

Dann kamen die Semiten des Altertums: Assyrer in steifen Prachtgewändern mit dem feierlichen Kopfschmuck trugen und geleiteten das köstlich dargestellte goldene Kalb; ein Zug jüdischer Harfen- und Cymbelnspielerinnen in langen, buntgestickten Mänteln wirkte höchst eigenartig, ebenso wie die ägyptische Gesellschaft, deren Kostüm und Kopfschmuck, bis ins kleinste getreu, in ihrer sanften Farbenpracht wirkliche Kunstwerke waren.

Auch der „Schwarze Walfisch zu Askalon“ hatte Mittel und Wege gefunden, sich in Lebensgröße anzuschließen, begleitet von dem schwarzen „Hausknecht aus Nubierland“, die Sphinx und die delphische Pythia waren erschienen – wer nennt sie alle!

Man müßte Farbe und Klang in Worte umwandeln können, wollte man erzählen, wie das alles wirkte, durcheinanderwogte und sich seines Lebens freute. Es war etwas von bacchischem Jubel übergeströmt in die Gäste; die Françaisen wurden zu wirklichem Tanz; wo sich ein besonders verehrtes Haupt zeigte, tönte ihm „Evoë, Evoë!“ entgegen, die Faune trieben sich fidel und keck überall herum; die Bühne bevölkerte sich immer neu mit wechselnden Gruppen.

Im Residenztheater, wohin man an dem Festabend durch einen Laubgang aus goldenem Eichengezweig gelangte, wurde getafelt, alle Logen waren zu kleinen Speisezimmern umgeschaffen, aus denen mit Blumen und Sektgläsern herunter gegrüßt wurde. Weise Männer stiegen ins Bierstübel zu einem ruhigen Trunk hinab; die Neugierigen drängten zur Pythia hinein, um ein Orakel zu holen, und kamen lachend aus dem Zelt, denn statt dunkle Weisheit zu spenden, hatte die Pythia auf die Frage der Sphinx: „Warum müssen in Griechenland die Frauen besser gewesen sein als heutzutage?“ erwidert: „Weil von der einzigen Xanthippe gar so viel Aufhebens gemacht wird“ – oder, nach dem Unterschied zwischen Catilina und dem heutigen Fest gefragt, die Antwort gegeben: „Catilina war ein schändlicher Abenteurer und das Künstlerfest ist ein schändlich teurer Abend.“

Dies Letztere hatte leider seine Richtigkeit; der Eintrittsobolus ins arkadische Gefilde war für Münchner Begriffe ziemlich hoch bemessen, aber es ging eben nicht anders: die Herstellung dieses wundervollen Architekturbildes erforderte bedeutende Mittel, und der Ueberschuß kommt der Künstler-Witwen- und Waisenkasse zugute.

Die Bedenklichen hatten geringen Besuch und außerdem noch ein allgemeines Fiasko prophezeit, da moderne brillentragende Menschen doch ins antike Gewand nicht passen. Aber gerade das Gegenteil ergab sich: es war erstaunlich, wie dies Kostüm „steht“, wie es die natürliche Bewegung freigiebt und die Körperlinien harmonisch begleitet, statt sie willkürlich zu unterbrechen. Die Schönen waren noch schöner, die Unbedeutenden gewannen an Reiz und Anmut, die Alten an Würde, und die Jünglinge kamen wohl am allerbesten weg.

Unser Maler hat den Augenblick erfaßt, da der Zug über die Stufen der Bühne hinabwogt, während vom Residenztheater her die übrigen Gruppen des Festzugs sich anschließen und die Scene füllen. Weiter giebt er uns (S. 145) das Anfangsbild des Festspiels, Bacchus mit den Erinnyen, dann hier unten drei zierliche Tänzerinnen aus dem Reigen und (S. 145) allerlei andere Typen, wie sie sich am Abend selbst oder des andern Tags im Skizzenbuch zusammenfanden: den Faun mit den spitzen Ohren und Hörnchen und der künstlich verlängerten Nase, den ägyptischen Frauenkopf mit dem seltsamen helmartigen Haarschmuck, von dem zu beiden Seiten Flügel herabhängen, den Griechenjüngling mit „Weinlaub im Haar“ und den Assyrer mit dem gestreiften Kopftuch.

Auch an Humor in der Kostümierung fehlte es nicht ganz. Da schritt ein Krieger in seiner metallnen Rüstung stolz dahin; wenn man ihn etwas näher besah, so erkannte man, daß der Schild aus einer Thürmatte verfertigt war, auf der ein vergoldeter Topfdeckel als Zierat saß, während der kriegerische Kopfputz aus einem Metallreif mit zwei herabhängenden Bierkrugdeckeln aus Zinn bestand.

Prinzregent Luitpold war in der Königsloge erschienen; fast alle jüngeren Mitglieder des Königlichen Hauses nahmen im Maskenzeichen am Feste teil. Die Mitwirkenden des Festspiels trennten sich mit der Parole „Morgen wieder“, denn es kam noch ein Nachspiel dieses wundervollen arkadischen Abends, worin die erhöhte Stimmung von gestern noch fort- und ausklang vor einem zweiten tausendköpfigen Publikum, welchem diesmal, um allen den Eindruck zu gönnen, das ganze Theater zu bescheidenem Preise geöffnet war.

Wieder strahlte die Bühne in vieltönigem elektrischen Licht, es hob sich der zierliche Dionysustempel mit seinem schönen Götterbilde aus der Rosen- und Cypressenpracht heraus wie ein Böcklinsches Bild. Und so wie auf diesem wandelten bekränzte schlanke Frauengestalten die Treppen empor, saßen auf der Mauerbrüstung und sahen dem Reigen zu, der auch am zweiten Abend wieder seine Zauberkreise zog.

In der Pergola standen und saßen diesmal die Würdenträger des Komitees im Scharlachgewand mit den langen goldenen Heroldsstäben, Seidl, Stuck, Pixis, v. Thiersch, v. Miller u. a.; plötzlich, nachdem eben noch Lenbachs hochragende Gestalt hier und dort winkend und ordnend zwischen den Gruppen gewirkt, erstarrte alles zum leblosen Bild – in der Hofloge stand die große Camera, um Aufnahmen zu machen. Dann begann das Licht auf der Bühne milder zu werden, die Gruppen ordneten sich feierlicher und ein Sänger mit der Harfe sprach zu sanfter Musik einen kurzen Epilog: Dank und Huldigung an Pallas Athene, die Schützerin der Kunst. Während die Bühne in rosige Dämmerung versank, strahlte oben die goldene Athene noch in hellem Licht, und dann fiel der Vorhang.

Versunken war der hellenische Schönheitstraum und das Fest zu Ende.

„Aber ging es leuchtend nieder,
Leuchtet’s lange noch zurück.“