Textdaten
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Autor: Ferdinand Stolle
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Titel: Ein Stündchen auf dem Monde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 120–122
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Stündchen auf dem Monde.

Von Ferd. Stolle.

Eine duftende Juninacht. Ringsum träumen die Blumen – schlaftrunken tönen die eilf Glockenschläge der Dorfkirche durch die Kirchhoflinden – tiefe Ruhe –

„Da im östlichen Bereiche
Ahn’ ich Mondenglanz und Glut –
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Fluth.
Durch bewegte Schattenspiele
Zittert Luna’s Zauberschein
Und durch’s Auge schleicht die Kühl
Sänftigend in’s Herz hinein.“

Der Vollmond ist aufgegangen und steht in Sabbathstille über den Waldbergen. Heilige Blume der Nacht, soll ich dich astronomisch zergliedern, deine Phasen, deine Finsternisse, deine siderische, tropische, synodische, anomalistische und draconitische Bahn, deine Perturbationen, die den Astronomen so viel Kopfzerbrechen verursachen? – nein, das gehört in wissenschaftliche Lehrbücher – erfreuen wir uns deines milden Glanzes und versetzen wir uns lieber selbst in diesen Glanz, um zu sehen, ob es bei dir wirklich so lieblich und sanft aussieht, wie es dein freundlicher Anblick erwarten läßt – scheuen wir die funfzigtausend Meilen nicht, folgen wir dem Lichtstrahl, der uns in wenigen Secunden zu dir bringt.

Da sind wir! – aber als Geister, denn mit unserm an Beefsteak und bairisch Bier gewöhnten Erdenmantel oder Körper, würden wir, wie wir später sehen werden, keine fünf Minuten auf dem Monde auszuhalten vermögen. Wir streifen darum als Geister, aber mit menschlichen Augen, wissensdurstig über die wunderbaren Formen und Bildungen der Mondoberfläche, die da ganz verschieden sind von denen der Erde. Da fallen uns vor allen Dingen weite, meilengroße, kreisförmige Wälle in die Augen, deren Boden fast immer unter dem Niveau der sie umgebenden Ebene gelegen und in deren Innern sich zuweilen Berge erheben. Die Wissenschaft theilt diese wunderbaren, seltsamen Gebilde in Wallebenen, Ringgebirge, Krater und Gruben. Die Wallebenen sind die größten Gebilde dieser Art und haben einen Durchmesser von zehn bis dreißig Meilen. Diese Wallebenen sind unstreitig die ältesten Gebilde der Mondoberfläche; sie zeigen nicht mehr ihre ursprüngliche Form, sondern nur Reste derselben, versteckt und verdrückt durch spätere Bildungsformen. Die Ringgebirge haben einen Durchmesser von zwei bis zehn Meilen. Sie sind kreisförmiger als die Wallebenen und ihre Zahl ist sehr groß. Noch weit zahlreicher als die Ringgebirge sind die sogenannten Krater und Gruben. Es sind dies runde Einsenkungen, die von keinem sichtbaren Walle umgeben sind. Der Durchmesser dieser Gebilde ist weniger als zwei Meilen und geht herab bis auf hundert Fuß und darunter. Ihre Anzahl ist fürwahr unermeßlich. Mit einem Fernrohre von fünf Fuß Brennweite zählt man ihrer von Erden aus bereits 15 bis 20,000. Hier ist aber besonders zu bemerken, daß diese sogenannten Mondkrater wegen dieses Namens ja nicht mit den Kratern unsrer feuerspeienden Berge zu vergleichen sind, aus welchen Flammen brechen, Lava, Rauch und Asche hervorquellen. Feuerspeiende Berge kann es auf dem Monde überhaupt schon deshalb nicht geben, weil es daselbst kein Feuer giebt. Das warum werden wir sogleich erfahren. Jetzt zu den seltsamen Gebilden der Mondoberfläche zurück. Eine andere Art solcher Mondformen sind die sogenannten Rillen, sehr schmale lange, gradlaufende oder auch gebogene Vertiefungen, ähnlich den Erddurchschnitten unserer Eisenbahnen. Diese Rillen gehen oft durch kleine Krater oder hart an ihnen vorüber und endigen gewöhnlich auf einer erhabenen Ebene. Oft sind sie von Bergen dicht begrenzt und ziehen an deren steilen Wänden entlang. Nie aber laufen sie quer über dieselben hin. Solcher Rillen zählt man an die Neunzig. Manche sind nur zwei bis drei Meilen, die meisten zehn bis fünfzehn, einige fünfundzwanzig [121] bis dreißig Meilen lang. Ihre größte Breite beträgt 2000 Fuß. Außerdem sind viele Gegenden des Mondes außerordentlich gebirgig und diese Mondberge sind im Verhältniß viel höher und steiler als die Berge unsrer Erde. Am häufigsten erscheinen diese siderischen Gebirge in neben einander gelagerten breiten Massen mit tief eingeschnittenen oder auch ganz hindurchgehenden Querthälern. Es sind dies die sogenannten Massengebirge. Die Thäler werden sehr leicht grubenähnlich; die Berggipfel erscheinen meist dom- oder kuppelförmig, seltner kegelförmig. Hier und da zeigen sich auch einfache Reihen von Bergen oder Bergketten mit einzelnen Gipfeln und kleinen Ausläufern. – Ebenso räthselhaft und wunderbar wie die erwähnten Mondbildungen zeigen sich die großen Strahlensysteme des Mondes, worunter besonders die sieben großen Ringgebirge gehören. Sie werden von radienartigen Lichtstreifen weit und breit umgeben. Diese Streifen fangen gewöhnlich erst in einiger Entfernung vom Walle des Ringgebirges an; von da aus ziehen sie dreißig, fünfzig, ja über hundert Meilen gerade fort und zwar ohne allen Unterschied quer über Ebenen, Bergketten, einzelne Berge, Krater, Rillen, kurz über alle Mondgebilde, ohne im Geringsten durch sie gestört zu werden. Erhöhungen sind diese Lichtstreifen nicht, denn sie folgen weder dem Laufe, noch den Krümmungen der Gebirge.

Die Oberfläche den Mondes ist also mit Erhöhungen und Vertiefungen der mannigfachsten Art gleichsam übersäet. Wie sieht es aber außerdem auf dieser Mondfläche aus? Wo sind die blauen Meere und Seen, die grünen Wälder und Wiesen, die üppige Vegetation, der blaue Himmel mit seinen Morgen- und Abendröthen, seinen Donnerwolken und Regenbogen, seinen Gewitterstürmen und Frühlingsregen? – Von alle dem, theure Erdenlandsleute, ist auf jener so sanft über den Waldbergen leuchtenden Kugel keine Spur zu finden. Auf dem Monde giebt es nichts von dem, was wir Wasser, Feuer, Regen, Wolken, Morgen- und Abendroth nennen und aus dem ganz einfachen Grunde, weil unser getreuer Begleiter vom Schöpfer mit keiner solchen Luftschicht umgeben worden ist, die wir Atmosphäre nennen. Ja, nach den sorgfältigsten Beobachtungen, die darüber angestellt worden sind, hat der Mond entweder gar keine oder höchstens eine nur so äußerst dünne Atmosphäre, daß kein Mensch, kein Thier darin Athem holen, kein Feuer brennen, keine Pflanzen leben und gedeihen könnte.

Was für Erscheinungen hat diese Atmosphärenlosigkeit des Mondes anderweit zu Folge? Neben dem grellsten Sonnenlicht unmittelbar grabesdunkle Nacht. Keine Dämmerung, keine erquickende, tagverkündende Morgenröthe geht dem Sonnenaufgange voran. Auf die finsterste, höchstens durch Erd- und Sternenlicht erhellte Nacht, folgt der blendendste Tag, welcher einen halben Monat währt, denn so lange braucht scheinbar die Sonne auf dem Monde von einem Untergange zum andern. Sie braucht allein 68 Minuten, um völlig aufzugehen, während sie über den Erdenhorizont binnen 21/2 Minuten hervortritt. In ihrem eintönigen Laufe wird sie nie von Wolken verdunkelt, kein Gewitter rollt über den Mondhimmel, kein goldner Blitz leuchtet durch die Mondnacht. Und welch ein Sonnenlauf! Nicht wie auf Erden zieht Phöbus seinen Flammenwagen durch den blauen, himmlischen Dom – für den Mondbewohner rückt eine glühende Scheibe unendlich langsam über einen tiefschwarzen Himmel, an welchem auch am Tage die Erde, Planeten und Fixsterne leuchten. Kaum ist nach zwei Wochen der letzte Sonnenfunken am Mondhorizont verschwunden, bricht auch sogleich die tiefste und ebenso lange Nacht herein.

Also sehnen wir uns aus unsrer blüthenduftenden Juninacht nicht thörig hinauf nach dem sanftleuchtenden Gestirne. Es ist für uns Erdenbürger in unsrer Gartenlaube schöner, als dort oben auf jenen Ringgebirgen, Kratern und Rillen; und gleichwohl wie mancher Sterbliche, wie mancher Naturforscher und Astronom würde nicht mit Geld die Stunde aufwiegen, die ihm vergönnt wäre, vom Monde aus die Erde zu betrachten.

Da schwebt sie im himmlischen Raume unsre Mutter, der prächtige Erdball, vierzehnmal im Umfange größer als uns die sanfte Luna erscheint; da bewegen sich ihre Ländermassen, Meere, Wälder, Gebirge, Städte; denn wenn wir unsre Fernröhre auf dem Monde aufzustellen vermöchten, würden wir Städte und Ortschaften, bedeutende Feuersbrünste und Schlachten wohl zu erkennen vermögen. Alle vierundzwanzig Stunden wälzt sich die Riesenkugel um ihre Achse. Seht, da tritt so eben das gewaltige Afrika in schönster Sonnenbeleuchtung hervor. Ha, welch ein Anblick! Wie viele Räthsel über diesen unnahbaren und unbekannten Erdtheil lösen sich. Seht, welche unwirthbare Steppen, welche Ströme, Bergketten, Städte, Seen und Wälder. Wir lernen in einer Stunde Afrika besser kennen, als es alle irdischen Erdbeschreibungen uns zu lehren im Stande sind. Jetzt erscheint das noch unbekanntere Australien. Neue ungeahnte Entdeckungen. Ha, welch neuer himmlischer Glanz! Die Sonne spiegelt sich im Weltmeer! Ein Königreich für eine Stunde auf dem Monde!

Wenn man unsre großen Astronomen Struve, Mädler, Archelander, Galle, Leverier, d’Arrest, Hind, Airy, Adams, Herschel und allen den andern hochverdienten Himmelskundigen die Wahl lassen wollte, ob sie die himmlische Stunde auf der uns sichtbaren Mondseite verbringen wollten oder auf der andern, so würden sie alle über Hals über Kopf nach der uns unsichtbaren Mondhalbkugel eilen, und hier ihre Frauenhofer aufstellen als auf einer der großartigsten Sternwarte im ganzen Sonnensysteme.

Eine Lieblingsfrage der guten Menschenkinder ist: Ob der Mond wohl bewohnt ist? Je nun, wenn die Frager unter der Mondbewohnerschaft solche Geschöpfe, wie sie auf Erden leben, verstehen, kann man die Frage getrost verneinen: wenigstens begreifen wir nicht, wie solche Geschöpfe auf dem Monde sehen, hören, riechen, schmecken, wie sie überhaupt athmen könnten. Daraus aber auf eine völlige Unbewohntheit des Mondes zu schließen, wäre sehr gewagt. Wir haben freilich keine Vorstellung, wie ein Wesen beschaffen sein müsse, um in solcher Natur zu leben. Dies ist unserm Herrn Schöpfer seine Sache. Hätte er z. B. keine Fische geschaffen, würden wir uns vergeblich den Kopf zerbrechen, wie ein Thier beschaffen sein müsse, um im Wasser zu leben. Gott, der auf Erden selbst den Wassertropfen mit lebenden Wesen angefüllt hat, wird wahrscheinlich auch für Mondbewohner gesorgt haben. Wie sie beschaffen, wissen wir freilich nicht. Trösten wir uns aber, daß es den Mondbewohnern, falls sie ebenso geistreiche Leute sind wie die Erdenbürger, hinsichtlich unserer Erde nicht besser ergehen dürfte. Setzen wir den Fall, der Mondbewohner betrachtet die Erde durch ein Fernrohr, so wird er eine Menge Dinge erblicken, die er sich schlechterdings nicht zu deuten vermag, für welche ihm jeder Begriff fehlt. Da der Mond keine Wolken hat, so würde er nicht wissen, was er aus den seltsamen Gebilden machen soll, welche bald ganze Theile der Erde verhüllen und bedecken, bald sich mannigfach verändern, bald wie lebende Wesen eine von der Bewegung der Erde ganz unabhängige Bewegung haben, bald wieder spurlos verschwinden. Da der Mond kein Wasser hat, so kann sich sein Bewohner unmöglich jene in vollkommenster Ebene und Glätte erscheinenden Stellen der Erde, welche ihm als unsere Meere bald in dieser, bald in jener Farbe erscheinen, die ihm bald das Bild der Sonne, bald den eigenen Wohnort als leuchtenden Punkt zurückspiegeln, erklären. Der Mondbewohner sieht das Geäder unserer Flüsse, aber sein eigener Planet zeigt ihm nichts ähnliches. Was sie sind, kann ihm nie klar werden. Er bemerkt die halbjährlich abwechselnde Schnee und Pflanzendecke als lebhaften Farbenwechsel. Wie soll er sich diese Erscheinung deuten, da der Mond keinen Wechsel der Jahreszeiten, keinen Schnee, kein Wald- und Wiesengrün und keine Blumen hat?

Wenn nun aber dem Mondbewohner alle Anschauungen und Begriffe für die wichtigsten irdischen Verhältnisse. welche das ganze Leben des Menschen bedingen, durchaus fehlen, mit welchem Rechte wollen wir uns denn die Fähigkeit zuschreiben, Begriffe und Anschauungen für die physischen Verhältnisse des Mondes? Weichen denn diese nicht genau ebensoviel von den irdischen ab, als letztere von jenen? Es ist die Selbstliebe der Erdbewohner, bemerkt sehr richtig ein deutscher Astronom, durch welche sie sich gern überreden, sie ständen auf einer Stufe, auf welcher sie den Schlüssel zu allen Naturverhältnissen besäßen, während die Bewohner anderer Weltkörper freilich unsere irdischen Verhältnisse nicht begreifen würden. Wer sagt uns denn, daß hier die Gattung der denkenden Wesen im Stande ist, sich zu universelleren Anschauungen zu erheben, als die auf anderen Weltkörpern etwa vorhandenen? Wer da meint, unsere irdischen Verhältnisse und Organisationen, mit geringen Abänderungen, auf irgend einem andern Weltkörper wieder zu finden, verräth eine beschränkte Naturansicht. Es ist wohl möglich, daß der gesammten Organisation auf allen Körpern unseres Sonnensystemn ein allgemeiner Urtypus zu Grunde [122] liegt, wie wir solchen auch in der tellurischen Organisation vom Infusionsthierchen bis zum Menschen zu entdecken vermögen. Allein, wenn wir schon auf der Erde sehen, wie ungemein verschieden sich derselbe vom Korallenthiere bis zum Käfer, vom Fische bis zum Menschen darstellt und ausbildet, wer will dann wohl wagen, wissenschaftlich nachzuweisen, wie sich der allgemeine Urtypus auf andern Planeten und Monden dargestellt und ausgebildet hat!



Dies unserm Aufsatze beigegebene Mondbild zeigt den Mond zwei Tage nach dem Neumond, also im Zunehmen begriffen. Wir erblicken einen Theil der Mondscheibe vom Sonnenlichte erhellt, während der übrige Theil dunkel abschattet. Dieselbe Erscheinung bietet auch bei reiner, klarer Luft und namentlich in südlichen Gegenden die Mondscheibe einige Tage vor und nach dem Neumonde. Aber wir erklärt sich dieses Phänomen? Woher jene, wenn auch nur schwache Erleuchtung desjenigen Theiles der Mondscheibe, der von den Strahlen der Sonne nicht berührt wird? Es ist die Beleuchtung des Mondes durch unsere Erde. Unser eigenes Erdlicht erblicken wir auf jener dunkeln Mondfläche. Also das doppelt gebrochene Sonnenlicht. Da die Erde den Mond vierzehnmal stärker beleuchtet als dieser die Erde, so ist es uns möglich, dieses Erdlicht zu erkennen. Uebrigens zeigt sich dieses Licht im Herbste des Morgens stärker als im Frühlinge des Abends. Im ersteren Falle sind nämlich dem Monde Asien und das östliche Afrika zugekehrt; im anderen der atlantische Ocean und ein Theil von Amerika. Da nun das Land entschieden mehr Licht zurückwirft als das Wasser, so erklärt sich die bald stärkere, bald schwächere Beleuchtung.

Schließlich noch ein Bauernsprüchwort, wodurch man sogleich erkennen kann, ob die Mondessichel im Zu- oder Abnehmen begriffen ist: „Kann man die Mondsichel in die rechte Hand nehmen, so ist es zunehmender, braucht man aber die linke Hand dazu, ist es abnehmender Mond.“