Der Kriegsschraubendampfer Wellington

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der Kriegsschraubendampfer Wellington
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 118–120
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Kriegsschraubendampfer Wellington.

Der Kriegsschraubendampfer Wellington (Durchschnitt).

Zu dem Kampfe, der sich zwischen den europäischen Westmächten und dem Kaiserthume Rußland zu dieser Stunde zu entspinnen droht, erscheint die Kriegskunst zum ersten Male mit Gewaltmitteln auf dem Schauplatze, wie sie noch nie in bisherigen Kämpfen vorgekommen. Wir meinen die mächtigen Kriegsdampfflotten, und unter diesen wieder die riesigen Schraubendampfer, welche jetzt die Meere durchfurchen, und bei der Schnelligkeit und Stärke ihres Angriffs kaum ein Widerstandsmittel denkbar erscheinen lassen. Die elementarischen Gefahren des Meeres sind durch diese Dampfcolosse so ziemlich besiegt.

Als erste Seemacht der Welt ist es auch hinsichtlich der Kriegsdampfer England, das alle übrigen Staaten hinter sich zurückgelassen und bei Erbauung derselben in jüngster Zeit Größenverhältnisse erreicht hat, wie deren die Schiffsbaufahrt noch nie hervorgebracht. Der seit Kurzem die Wogen bestreichende Schraubendampfer Wellington ist unter diesen Seeungeheuern das größte.

[119] Wir würden allzu weit in die Geschichte des Dampfes oder auch nur der Dampfschifffahrt eingehen müssen, wenn wir einer stufenweisen Machtentwicklung folgen wollten. Aller frühern Versuche nicht zu gedenken, liegt schon von dem Amerikaner Fulton, der 1807 zuerst erfolgreich die Dampfschiffe einführte, bis zur Erbauung des Wellington eine Reihe so mächtiger Fortschritte dazwischen, daß es an den nöthigen Ruhepunkten gebricht, um sich ein klares Bild zu verschaffen, wie der Dampf allmälig alle bestehenden Verhältnisse umgestaltete. Als Hauptmomente in seiner neuern Geschichte sind die Ueberschiffung des atlantischen Oceans, 1819 zum ersten Male durch einen amerikanischen Dampfer, und die Anwendung der archimedischen Schraube als forttreibende Kraft zu betrachten. Letzteres System feierte mit dem Wellington vorläufig seinen größten Triumph.

Die Idee, einen andern Mechanismus an die Stelle der bei den Dampfschiffen üblichen Ruderräder zu setzen, beschäftigte schon in erster Zeit die Männer von Fach. Man hatte die leichte Zerbrechlichkeit der Ruderräder alsbald erkannt, man hatte gefunden, daß bei nur zwei Rädern eine gleichmäßige Bewegung nicht immer erzielt werden konnte. Bei den Kriegsdampfern zeigten sich noch größere Nachtheile. Die Ruder und ihre Kasten beschränkten nicht unwesentlich die altherkömmliche Breitseite der Schiffe, wodurch ein kostbarer Raum verloren ging, außerdem konnte aber auch im Kampfe ein einziger Kanonenschuß die Ruderräder zerstören und damit das ganze Schiff unfähig zum Manövriren machen und der Gewalt des Feindes Preis geben. Um dem abzuhelfen, mußte ein Mechanismus gefunden werden, der so kräftig wie die Ruderräder, dabei weniger zerbrechlich und durch Zusammendrängung in einen möglichst beschränkten Raum gegen alle feindliche Schüsse geschützt erschien.

Zu diesem Mechanismus eignete sich nichts so gut als die archimedische Schraube, so genannt nach ihrem Erfinder, dem Griechen Archimedes, der im dritten Jahrhundert v. Chr. lebte. An mehrfachen Versuchen, sie anzuwenden, fehlte es nicht, doch erst dem Schweden Ericsson gelang es, eine eigenthümliche Anordnung auszudenken, durch welche die Zukunft der Schraube als bewegende Kraft praktisch gesichert wurde. Die Amerikaner Ogden und Stockton riefen hierauf in Verbindung mit Ericsson die regelmäßige Schraubenschifffahrt in’s Leben.

Wir glauben die Leser der Gartenlaube mit einer in Einzelnheiten eingehenden Erklärung des Schraubensystems verschonen zu sollen, denn wir müßten uns dabei technischer Ausdrücke bedienen und, um verstanden zu werden, Vorkenntnisse in der Mechanik und dem Maschinenwesen voraussetzen, welche der größere Theil des Publikums nicht besitzt. Daher genüge nur die Angabe, daß die archimedische Schraube (wie auch unsere Abbildung des Wellington zeigt) in der Mittellinie des Schiffs dicht am Hintersteven über einer Fortsetzung des Kiels unter dem Wasser liegt und ihre Umdrehung durch einen langen von der Dampfmaschine in Rotation gesetzten Wellbaum erhält. Die Schraube selbst, welche entweder von geschmiedetem Eisen oder von Kupfer ist, bildet nur einen nicht ganz vollständigen Umgang, der aus mehreren (bis sechs) Blättern besteht, welche in einem Winkel von 28 Grad zu einander stehen. Die Schraube dreht sich in der Längenrichtung des Schiffes, und ähnlich wie eine gewöhnliche Schraube in Holz eingebohrt wird, bohrt sich die archimedische Schraube durch das Wasser vorwärts und setzt so das Schiff in Bewegung. Wir hoffen mit letzterer kurzen Erklärung dem Leser noch am deutlichsten geworden zu sein und werfen nun einen näheren Blick auf unsere Abbildung des Wellington.

Der Herzog von Wellington ist ein Schraubendampfer erster Klasse von 131 Kanonen, 1000 Mann Besatzung und 4209 Tonnen [120] Last; seine Länge beträgt 280 Fuß, seine Breite 60 Fuß, die vordere Tiefe 57 und die Hintere 65 Fuß, so daß er mithin über 1 Million Kubikfuß Inhalt hat. Die Buchstaben A–B auf unserer Abbildung bezeichnen das Oberdeck. Von dem Grenzgeländer a bis zu der Treppe b reicht das erhöht liegende Spiegeldeck, der Ort, von welchem aus der Admiral seine Signale und Befehle ertheilt; im Kampfe unterhalten auch die Seesoldaten von hier aus das Kleingewehrfeuer. Die Admirals- und Capitänszimmer nebst andern Offizierzimmern liegen unter dem Spiegeldeck. Der Raum von der Treppe b bis zum Hauptmast c heißt das Halbdeck und kann in gewisser Weise als der Paradeplatz des Schiffes bezeichnet werden; von hieraus erfolgen die auf Führung des Schiffs bezüglichen Befehle. Zwischen dem Hauptmaste c und dem Fockmaste d lagern Nothmaste, Lärmwaffen und dergleichen. Der Theil vom Fockmast bis zur Spitze des Schiffs wird Vorderdeck genannt, und ist mit den tüchtigsten Seeleuten bemannt. Von dem Oberdeck führen mehrere Leitern auf das Hauptdeck C–D herunter; f ist die Cajüte des Befehlshabers, g das Speisezimmer des Admirals, an welches der Salon u. s. w. stößt; hieran reiht sich in derselben Ausdehnung wie auf dem Oberdeck das Halbdeck, während der ganze übrige Theil des Hauptdecks Gallerie genannt wird; h ist das große Wasserfaß für den täglichen Gebrauch, i die Küche. Das Mitteldeck E enthält im hintern Theile unter I das Speisezimmer der Offiziere und deren Cajüten zwischen den Kanonen: m ist die Schiffswinde, womit der 101 Centner schwere Anker aus dem Grunde gezogen wird; n das Krankenzimmer und o die Apotheke. Auf diesem Decke hält sich vorzugsweise die Militärmannschaft auf. Die Buchstaben G–H deuten das gewölbte oder Kanonendeck an, auf welchem sich das schwerste Geschütz befindet. Hier wohnt der größte Theil der Schiffsmannschaft, zwischen den Kanonen stehen die Eßtische, an den Balken oben sind die Hängematten befestigt; p ist die Constablercajüte. Das Unterdeck I–K endlich liegt 2 Fuß unter dem Wasserspiegel und ist daher finster: der Vorrath und die Bagage des Schiffes ist daselbst zusammengedrängt; q ist das Zimmer des Proviantmeisters, r ein größerer Raum zum Aufenthalt für die Seecadetten, an welchen sich t und u allerlei Vorratskammern reihen; v ist die Pulverkammer, in welcher die größten Vorsichtsmaßregeln getroffen sind, so daß sie im Fall der Gefahr augenblicklich unter Wasser gesetzt werden kann, ohne daß deshalb das Pulver verdorben würde, da sich Alles in streng hermetisch verschlossenen Zinkbüchsen befindet; y ist das Wassermagazin, das aus Ständern von je 100 Tonnen Inhalt besteht, für den Wein ist hier ebenfalls ein Plätzchen; in den Kammern z liegt Salz und anderer trockener Proviant aufgespeichert; und sind die zur Heizung der Maschine bestimmten Räumlichkeiten, und an sie stößt zuletzt das Brotmagazin.

So ausgerüstet, durchschneidet der Wellington mit seinen 131 Kanonen die Wogen des Meeres mit Dampf und mit Segeln, in seinen Eingeweiden voller Unheil und Verderben. Gegenwärtig ist er das Admiralsschiff des Admirals Napier, der bekanntlich zum Befehlshaber der nach der Ostsee bestimmten Flotte ernannt worden ist. Die englische Admiralität beabsichtigt dem Wellington eine Reihe ebenbürtiger Genossen an die Seite zu stellen, und man geht sogar damit um, noch weit größere Verhältnisse zu erzielen. Allein schon ein halbes Dutzend Schiffe wie der Wellington würden genügen, um den festesten Hafenplatz der Welt mit allen Wällen, Dämmen und Mauern von granitnen Quadern binnen wenigen Stunden in einen rauchenden Aschenhaufen zu verwandeln. Bringen wir außerdem mit in Anschlag, daß die riesenhaften Handelsschraubendampfer, wie sie bisher nur englische Gesellschaften besitzen, daß z. B. der Himmalaya in eilf Tagen 3000 Mann Soldaten nach Constantinopel führen könnte, so sehen wir für künftige Zeit das ganze herkömmliche Kriegssystem über den Haufen geworfen und die seitherige Leichtigkeit in Vertheidigung der Küsten hat aufgehört zu existiren. Wie feuerschwangere Gewitterwolken kreuzen die colossalen Schraubendampfer umher, um jeden Augenblick sich über die bedrohte Stätte zu entladen und zur wahrhaftigen ultima ratio zu werden.