Textdaten
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Autor: R. Herzberg
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Titel: Ein Project
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 544
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vgl. Eine neue Völkerbrücke, 1866
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[544] Ein Project. Nachdem zahlreiche unterseeische Telegraphenkabel die durch Meere getrennten Länder durch Gedankenbrücken verbunden haben, nachdem sogar die Herstellung einer directen telegraphischen Verbindung der alten und neuen Welt selbst dem gemeinsten Menschenverstande kein Hirngespinnst mehr zu sein scheint, fängt man an, die Welt auf neue Wunder der Technik vorzubereiten. Eine mächtige Brücke ist über den Niagara geschlagen – warum soll nicht eine mächtigere Frankreich mit England verbinden? ein Tunnel durch die harten Felsenmassen des Mont-Cenis schreitet seiner Vollendung entgegen – warum soll es unmöglich sein, einen unterseeischen Eisentunnel durch die beweglichen Wassermassen des Canals zu legen? Die Landenge von Suez wird durchstochen und so die Landenge in eine Meerenge verwandelt – warum soll das zwischen Dover und Calais eingeengte Meer nicht durch eine Brücke in eine Landenge verwandelt werden können? Bereits liegt dem englischen Parlamente ein Dutzend Pläne zur Prüfung vor; englische und französische Ingenieure wetteifern in Großartigkeit und Kühnheit der Entwürfe und – der Kostenanschläge. Die Kosten sind für die Ausführung eines der Projecte, welches sogar nicht einmal das vortheilhafteste zu sein scheint, auf nur 583 Millionen Thaler veranschlagt worden. Bedenkt man hierbei, daß in den allermeisten Fällen die hinterher verausgabten Summen fast die Höhe des vorausberechneten Anschlags erreichen, so ergiebt sich die runde Summe von tausend Millionen Thaler für den Bau einer Brücke. Eine kleine Rechnung zeigt, daß in diesem Falle jeder laufende Fuß der neuen Brückenanlage sich auf circa 6000 Thaler berechnet – sicherlich der höchste Preis, welchen je eine Brückenanlage gekostet hat. Andere der vorliegenden Projecte sind allerdings weniger kostspielig; es findet sich unter ihnen ein 43-, ein 54-, ein 67-, ein 80- und ein 100-Millionen Project. Man sieht, alle Preisabstufungen sind vertreten, und es dürfte wahrlich nicht unangemessen sein, ebensoviel für einen großen Fortschritt in der Vereinigung der Völker zu verausgaben, als manche Entzweiung derselben – abgesehen von dem schwer zu schätzenden Verlust an Menschenleben – schon gekostet hat.

Bei der Lösung des Problems einer Eisenbahnverbindung zwischen Dover und Calais stellen sich zunächst zwei mögliche Wege dar, welche zum Ziele führen können: eine Verbindung der beiden Küsten über dem Wasser durch eine Riesenbrücke, welche jedoch nach einem der gewöhnlichen, nur der Großartigkeit des Unternehmens gemäß modificirten Systeme erbaut werden würde; oder eine Verbindung unter dem Wasser durch einen Tunnel. Der erstere Weg, die Erbauung einer Mammuthbrücke, ist von einem Engländer verfolgt worden. Derselbe projectirt 190 obeliskenförmige Pfeiler, aus großen zusammenverbundenen und verankerten Gebirgsstücken gebildet, als kleine Inseln aus dem Meere hervorragend, mit auf ihnen ruhenden Thürmen von 100 Fuß Durchmesser und 260 Fuß Höhe. Auf diesen Thürmen ruht dann die eigentliche Röhrenbrücke, welche für sich selbst wieder eine Höhe von 50 Fuß hat und für die Schienengeleise 30 Fuß Breite darbietet. Man denke sich diese kolossalen Durchfahrtsöffnungen von 260 Fuß Höhe und etwa 800 Fuß Breite, welche eine ganze Anzahl der größten Kriegsschiffe zugleich passiren lassen! Man versetze sich auf ein Schiff, welches in der Mitte des Canals eben vor diesem Riesenbau angelangt ist; die unabsehbare Reihe der Brückenöffnungen, nach beiden Seiten hin immer kleiner werdend und endlich am Horizont verschwindend; das elektrische Glockenspiel verkündet mitten auf dem Meere, daß der Zug in Dover eben abgelassen wird; bald zeigt ein in fernster Ferne aussteigender Rauch den nahenden Zug an; der Zug braust heran, braust vorüber, und bald ist auch der Rauch der Locomotive wieder verschwunden.

Dieser englische Urheber steht vereinzelt mit seinem Brückenproject; die andern elf Ingenieure wollen dasselbe Ziel durch Tunnels theils mitten im Wasser, theils am Boden des Meeres, theils, ähnlich dem Tunnel unter der Themse, unterhalb des Seebettes erreichen. Merkwürdiger Weise sind sämmtliche drei Urheber des Planes eines unterhalb des Seebettes angelegten Tunnels Franzosen; die englischen Techniker scheinen sich der immensen Schwierigkeiten, welche sich der Vollendung des Themsetunnels entgegensetzten, noch zu lebhaft zu erinnern, um diesen Plan in ungeheuer vergrößertem Maßstabe für ausführbar zu halten. Das Project von Moustome de Gamond, schon im Jahre 1856 bis 57 entstanden, ist schon früher einer Commission ausgezeichneter Ingenieure zur Prüfung vorgelegt und als ausführbar befunden worden. Es besteht in der Bildung von dreizehn in einer Reihe zwischen den beiden Küsten liegenden Inseln durch Ausschüttung verschiedener Materialien in das Meer; in jeder dieser Inseln soll dann ein senkrechter weiter Schacht bis unter den Meeresboden geführt, und von diesen nun leicht zugänglichen Stellen ans sollen dann die eigentlichen Tunnelarbeiten in gewohnter Weise nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin begonnen und vollendet werden. – Ein vierter Franzose will einen gewöhnlichen Wasserbau auf dem Boden des Meeres ausführen, d. h. einen aus Steinen gewölbten Tunnel mit Hülfe von vierzig Taucherschiffen eigener Erfindung und 1500 arbeitenden Matrosen erbauen.

Die übrigen sieben Urheber, nämlich zwei Franzosen und fünf Engländer, kommen darin überein, daß die Eisenbahnverbindung am zweckmäßigsten durch eine Reihe luft- und wasserdicht aneinander befestigter und in das Meer versenkter eiserner Röhren geschehe; doch wie dies auszuführen sei, darin weichen auch diese von einander ab. Nach dem schon anfangs erwähnten Tausend-Millionen-Project soll sich ein einundzwanzig englische Meilen langes Rohr von Eisenblech oder Gußeisen von der Höhe der Küsten in sanft abfallender schiefer Ebene hinabsenken nach dem Meeresboden in der Mitte zwischen Dover und Calais; eine am Lande stehende große Dampfmaschine soll den Eisenbahnzug die schiefe Ebene heraufbefördern. Ein anderer Constructeur will das eiserne Riesenrohr in einer gewissen Tiefe unter dem Wasser schwebend erhalten; da das mit Luft gefüllte Rohr das Bestreben hat, auf der Oberfläche des Wassers zu schwimmen, so sollen schwere Ankergewichte dasselbe mittels Binden in der Tiefe des Wassers zurückhalten. Endlich ist auch noch die am wenigsten abenteuerlich erscheinende Idee ausgeführt worden, ein schmiedeeisernes Rohr bis auf das Seebett hinab zu versenken und es dort durch schwere Felsstücke oder mit Steinen angefüllte Kästen, welche ebenfalls versenkt werden, festzuhalten. Ein dermaßen über dem Rohre aufgeschütteter Damm würde dann, Dank den durch Ebbe und Fluth bewirkten Strömungen, mit Seesalz durchdrungen werden und bald eine feste, zusammenhängende Masse bilden. Die Röhrenmündungen werden durch besondere Erdtunnels mit den Landstationen verbunden.

So sind denn alle Möglichkeiten der Construction erschöpft worden. Es liegt mir nicht ob, eine Kritik der verschiedenen Projecte zu geben; ich wollte nur auf eine neue unübertroffene geistige Kühnheit im Entwerfen industrieller Anlagen aufmerksam machen. Vielleicht ist es einem künftigen Geschlecht vergönnt, das mit Augen zu schauen, was wir jetzt als ein Wundermärchen zurückzuweisen so leicht geneigt sind.

Dr. R. Herzberg.