Ein Meister am Werk
Die einmüthige Erhebung der Nation im Jahre 1870 und die Errungenschaften des Krieges durch ein großartiges Denkmal aller Zeit vor Augen zu führen, ist wohl nichts Minderes, als eine nationale Pflicht. In Tausenden von Gemeinden rüstete man sich, je nach Kraft und Mitteln, der großen Zeit Wahrzeichen aufzurichten, und es war natürlich, daß diese tiefgehende Pietät auch einen nationalen Gesammtausdruck finden mußte.
Der Minister Graf zu Eulenburg war es, der diesem in der Luft liegenden Gedanken zuerst Form und Ausdruck gab. Er berief im Herbst 1871 eine Anzahl von Vertrauensmännern aus allen Parteien nach Wiesbaden, trug ihnen die Angelegenheit vor und fand einmüthige Sympathien dafür, sodaß man unverweilt beschloß, dem Gedanken die That folgen zu lassen.
Zunächst bildete sich ein großes Comité, meist aus Koryphäen des Reichstages, welches die Nation um Aufbringung der auf 250,000 Thaler festgesetzten Bausumme mit dem glücklichsten Erfolg anrief. Durch Festlichkeiten in Vereinen und durch Einzelgaben war der Betrag, der für das große beabsichtigte Werk gewiß auch ein bescheidener zu nennen ist, sehr bald gedeckt.
Der geschäftsführende Ausschuß unter dem Vorsitz des Grafen zu Eulenburg und unter der geschäftlichen Leitung des Regierungsrathes Sartorius zu Wiesbaden erließ ein Preisausschreiben, welches den erfreulichsten Erfolg hatte. Die eingegangenen 26 architektonischen und 11 plastischen Entwürfe zeigten, daß in deutschen Landen so mancher Berufene war, aber nur Wenige konnten die Auserwählten sein. Prämiirt wurden die Entwürfe der Architekten A. Pieper und H. Eggert und der des Bildhauers Johannes Schilling.
Sämmtliche drei Entwürfe gingen jedoch über die veranschlagte Bausumme voraussichtlich weit hinaus. Die nun erfolgende beschränkte Concurrenz hatte abermals einen hohen intellectuellen Erfolg, der jedoch ohne praktische Nachwirkung blieb, weil sich die Schöpferkraft der prämiirten drei Meister noch immer nicht in die gegebenen Schranken hatte finden können; Genius und Geld haben sich eben zu allen Zeiten übel mit einander vertragen.
Man betraute nun den siegreichen Vertreter der plastischen Kunst allein mit einem dritten Entwurf. In sehr kurzer Zeit konnte Professor Schilling diesen dem Comité vorlegen, und wenn sich das Volkswort „Aller guten Dinge sind drei“ je einmal bestätigte, so war es hier der Fall. Der Entwurf war der einfachste, der billigste, doch zweifellos dabei der imposanteste. Nach seiner Genehmigung führte die „Gartenlaube“ den Entwurf des hochaufstrebenden Riesendenkmals im Jahrgang 1874 (Seite 533) dem deutschen Volke zum ersten Male vor Augen, und alle Kundgebungen darüber sprachen nur von Wohlgefallen.
Jetzt ist der Meister im vollen Werke begriffen, und gewiß ist es an der Zeit, daß wir ihn einmal bei der Arbeit aufsuchen. Deutschland hat wohl auch ein gewisses Anrecht, etwas Näheres über den Mann selbst zu hören, in dessen Hände es die künstlerische Versinnlichung der Wiedergeburt seines nationalen Hausrechtes legte. Leider fließen die Nachrichten über sein Leben nur spärlich – ihm ist das Werk Alles und die Person Nebensache.
Schilling wurde am 23. Juni in Mittweida, unfern dem romantischen Zschopaufluß, geboren, doch blieb die rührige sächsische Mittelstadt ohne Einfluß auf ihn, da sein Vater mit dem zweijährigen Knaben dauernd nach Dresden übersiedelte. Früh schon regte sich ein lebhafter Schaffensdrang in ihm, der durch die Kunstschätze in der Stadt, die man mit Recht das nordische
[413][414] Florenz nennt, reiche Nahrung und Anregung fand; 1842 nahm ihn die Kunstakademie unter ihre Schüler auf, und zwei Jahre später trat er in das Atelier des großen Rietschel ein, an dessen genialen Schöpfungen er fünf Jahre lang mitwirken und Geist und Sinne erheben und durchbilden durfte. Hierauf finden wir ihn zwei Jahre bei Prof. Drake in Berlin und einige Zeit bei Prof. Hähnel in Dresden. Zwei Medaillons (Jupiter und Venus) trugen dem sechsundzwanzigjährigen jungen Künstler ein Reisestipendium nach Italien ein.
Wie unser Dichterkönig auf seiner Römerfahrt die Classicität der Griechen und Lateiner in sich umbildete, in sich germanisirte, so verschmolz auch Schilling die formelle Hoheit der Antike mit seiner germanischen Tiefe. Seine Gebilde zeigen zumeist eine glückliche Vereinigung dieser großen Culturwurzeln; sie sind schön in den Formen, maßvoll im Charakterausdruck und dazu deutsch vertieft, verinnerlicht, vergeistigt.
Im Jahre 1858 errichtete der überaus thätige Künstler sein eigenes Atelier in Dresden und gründete sich einen glücklichen Hausstand. Die reichen Hoffnungen, die man schon frühzeitig auf sein Talent gesetzt, fanden ihre erste schlagende Bestätigung in der Schöpfung jener populär gewordenen vier Gruppen, welche die Freitreppe der Brühl’schen Terrasse zu Dresden schmücken und Morgen, Mittag, Abend und Nacht darstellen. Auf der Kunstausstellung zu Wien 1869 trugen sie ihm den ersten Preis ein.
Siegreiche Concurrenzen, Ernennungen und Auszeichnungen von Staatswegen und von gelehrten Corporationen folgten nun rasch aufeinander. Von seinen Schöpfungen seien nur das Rietschel-Denkmal in Dresden, das Kaiser Max-Denkmal in Triest, das Schiller-Denkmal in Wien und das ergreifende Kriegerdenkmal in Hamburg genannt.
1874 wurden zwischen dem Comité für das Niederwalddenkmal und dem Meister die Contracte abgeschlossen, und seit dieser Zeit schafft er mit etwa zwanzig Jüngern ununterbrochen an dem Riesenwerke.
Sein Atelier, an der Eliasstraße gelegen, hält der Meister – eine stattliche, breitschultrige Figur von ausgeprägtestem germanischem Typus – für Jeden offen, der sich für seine Schöpfungen interessirt, und so trifft man denn die aneinandergereihten Baulichkeiten, deren sich mehr und mehr erweiternder Umfang schon von der wachsenden Bedeutung seines Meißels erzählt, selten ohne Besucher.
Gleich beim Eintritt in das Atelier treffen wir auf die liebliche Figur der Mosel, die den Arm vorstreckt, um vom alten Rhein das Wachthorn und den Wachtdienst zu übernehmen. Das geographische Resultat des Krieges konnte wohl kaum zarter angedeutet werden. Ohne jeglichen Triumph giebt hier der Meister seinem Volke nur eine permanente Mahnung, die Augen offen zu halten.
Im Nebenraum modelliren mehrere Jünger an dem großen Relief, welches das Postament des Denkmals zieren soll. Dasselbe stellt bekanntlich in 133 lebensgroßen Figuren, von denen die reichere Hälfte portraitgetreu werden soll, den Ausmarsch des deutsche Heeres dar. Im Mittelpunkte dieses Reliefs, das ein großartiges Denkmal für sich bildet, hält der Kaiser zu Pferde; sein Auge schaut wie fragend in die ungewisse Ferne, als wolle es die Schleier der Zukunft durchdringen, und doch blickt es zugleich klar und ruhig, wie im Vertrauen auf das angetastete heilige Recht. Die ganze Haltung der Figur zeigt überhaupt viel wohlthuende Ruhe für den bewegten Moment. Dem Kaiser zur Seite sollen die deutschen Fürsten gruppirt werden, die ihre Heeresmacht mit ausgesendet haben und zum Theil selbst mit ausgezogen sind, ihr Leben einzusetzen.
Der Künstler ist von dem Gedanken ausgegangen, in diesem Relief das Lied „Die Wacht am Rhein“, das auch in Granit am Denkmal eingegraben werden soll, lebendig darzustellen. Dem Ausdruck dieser Idee dienen auch die Kolossalfiguren an den Ecken des Postaments, der „Krieg“ und der „Friede“; sie sollen die Worte: „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“ und „Lieb Vaterland, magst ruhig sein!“ verkörpern, während der Fries selbst die Wehrkraft Deutschlands in ihrer Gipfelung darstellt. Vor dem Kaiser steht der eherne Kanzler mit der papiernen Herausforderung Napoleon’s in der Hand, und neben ihm senkt Moltke sein durchgeistigtes Antlitz auf seine Kriegspläne nieder.
Zu einer sich anschließenden Gruppe vereinigen sich die Heerführer Prinz Friedrich Karl und Kronprinz Albert. Etwas weiter nach rechts steht der Großherzog von Mecklenburg, und mehr isolirt General Vogel von Falckenstein – sämmlich prächtige, fein durchdachte Gestalten. Auf der entgegensetzten Seite begrüßt der deutsche Kronprinz die baierischen Generäle von der Tann und von Hartmann, und neben ihnen nimmt die charaktervolle, energische Gestalt des Generals von Werder, des Löwen von Belfort, das Auge gefangen. Den Vordergrund schließen rechts und links vordringende Colonnen mit ihrem Kriegsgeräth ab. An diese Hauptgruppen reihen sich die Gruppen aller Corpsführer und Divisionsgenerale mit ihren Stabschefs an, die sämmlich portraitgetreu werden sollen.
Alle Hast, alle phrasenhafte Begeisterung ist von dem Relief ausgeschlossen, in keiner Bewegung wird bramarbasirt, aber in jedem Zuge, in jedem Gliede liegt eine ernste Geschäftigkeit, ein Aufgehen in der Pflicht, ein ruhiges Zusammengreifen und Einsetzen aller Kraft für die Lebensinteressen der Nation. Mit Freuden gewahrt man, daß der Meister es vermocht, ohne wehende Fahnen, ohne gezogene Schwerter und sonstige billige Mittel seinem kriegerischen Tableau so viel, so reiches Leben zu geben, eine so große Wirkung zu erreichen. Das sind keine im Voraus siegestrunkene Schaaren; das sind Männer, die alle Lebenskraft der Pflicht hingeben, aber die Entscheidung einer höheren Macht überlassen, die, nach Cromwell, auf Gott vertrauen – aber dabei ihr Pulver trocken halten.
Die Thonmodelle des Reliefs, das eminente Arbeit verursacht, sind etwa zu einem Dritttheil fertig.
Einen Saal für sich beansprucht die Figur des Krieges (S. Abbildung Seite 421), in welcher der Meister alle kriegerische Leidenschaft – dieselbe auf neutrales Gebiet verlegend – verkörperte. Gewaltig stößt der riesenhafte Jüngling in’s Horn, um zur Erhebung aufzufordern, und leidenschaftlich umklammert er das gesenkte Schwert; jede Muskel ist gespannt, jede Fiber erregt – er ist der Krieg an sich. Seine Gegenfigur, der Friede, ist in der Ausführung begriffen.
In einem eigens dazu errichteten Gebäude (S. Abbildung Seite 420) erhebt sich die zehn Meter hohe Germania, die Hauptfigur des Denkmals. Kopfschüttelnd nähert man sich dem Kolosse und findet sich erst allmählich in seine Riesenverhältnisse, deren Auffassung bis vor Kurzem noch durch allerhand Tauwerk und Baugerüste erschwert war.
Die Idee, eine Nation in einer Frauengestalt zu verkörpern, ist durch allzu häufige Benutzung ein wenig vulgär geworden. Namentlich sind die vielen Germanien mit dem „vorgestreckten Leib“ und der unhistorischen, megärenhaften Exaltirtheit geeignet, Einem die an sich berechtigte Idee zu verleiden. Schilling’s Germania aber zeigt, was echt künstlerische Intuition aus dem landläufigsten Gedanken machen kann, wie sie ihn auf’s Neue zu geistiger Hoheit und Herrlichkeit zu erheben vermag, wie sie ihn auferstehen läßt in jungfräulicher Wiedergeburt.
Milde, Hoheit, Kraft und Ruhe spricht aus Haltung und Zügen dieser Germania. Sie ist ganz das königliche Weib, das ohne jeglichen Hohn die Angreifer niedergeworfen hat, und das nun als Wahrzeichen der höchsten Errungenschaft die Kaiserkrone emporhebt.
Vom Scheitel der Germania bis herab zum Grundstein des Postaments ist nicht der leiseste Anklang von Chauvinismus, von dem auch Deutschland nicht freigeblieben war, keine Spur von beleidigendem Triumph, von Demüthigung des Gegners, der uns zu demüthigen dachte; dieses Denkmal ist ein monumentales Geschichtswerk der lautersten Wahrheit, in der schonendsten Sprache geschrieben; es ist die besonnenste Constatirung einer nationalen Riesenthat in Stein und Erz.
Noch ist ein Theil der Kosten ungedeckt – die ausgeworfene Summe mußte überschritten werden, da landschaftliche Gründe die Vergrößerung des Denkmals bis auf eine Gesammthöhe von 34 Meter forderten – aber im Vertrauen auf die Opferkraft des deutschen Volks, die sich bei der Wilhelmsspende erst wieder bewährt, schaffen Comité, Künstler, Bauleute und Erzgießer unbesorgt weiter, und sie werden sich nicht täuschen, ist ja die fehlende Summe von 350,000 Mark für ein Volk von 42 Millionen eine relativ geringe. Kriegervereine, höhere Schulanstalten und [415] Gesangvereine sind ja auch schon in Thätigkeit, die Kosten für den Erzguß des großen Reliefs und der beiden Figuren „Krieg“ und „Friede“ aufzubringen.
Möchte doch das nationale Werk durch reichliche Spenden für dasselbe aus allen deutschen Gauen thunlichst schnell gefördert und es so ermöglicht werden, daß unser hochbetagter Kaiser, dessen Lebenskraft im Vorjahre so schwere Proben bestanden, das Riesendenkmal inmitten der deutschen Fürsten, seiner Paladine und Heerführer noch selbst enthüllen könne. Herr Regierungsrath Sartorius in Wiesbaden nimmt die Spenden in Empfang. Den Meister aber können wir nicht besser ehren, als dadurch, daß wir zu eigner Wohlfahrt seine erzgewordenen Gedanken lebendig in uns erhalten für alle Zeit.