Textdaten
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Autor: Amely Bölte
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Titel: Ein Kapitel für die Frauen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 100–101
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Kapitel für die Frauen.

Von Amely Bölte.

Im Verlaufe der letzten fünfzig Jahre sind wir dahin gekommen, das weibliche Geschlecht nur für den Salon zu bilden. So wie die Erziehung ein größeres Gemeingut zu werden anfing, wollte man auch die Frauen nicht davon ausschließen und sie durch eine Entwicklung ihrer Geisteskräfte eine höhere Stufe der Kultur erreichen lassen; doch wies man sie vorzugsweise darauf an, dem Schönen zu huldigen. Man hieß sie Talente ausbilden, um dadurch ihre Freude an ausgebildeten Talenten zu erhöhen, weil das Verständniß einer Sache unsern Genuß stets steigert; indem man sie aber mit solchen Blüthen schmückte, lehrte man sie auch durch diesen Schmuck gefallen zu wollen und eröffnete damit ihrer Eitelkeit eine ganz neue Sphäre. Die romantische Schule lieh dieser Hinneigung nun noch den Schmelz der Empfindsamkeit, bis die Anhängerinnen eines Jean Paul es dahin brachten, nur von Blumenduft und Weihrauch leben zu wollen. Der Ernst des Lebens hieß ihnen trockene Prosa, jeden bunten Flitter desselben bezeichneten sie mit dem Worte Poesie, sie träumten nur von überschwenglicher Liebe und setzten die Hauptaufgabe des Lebens darin, angebetet zu werden. Kein Mann konnte sich ihnen nahen, ohne daß ihr Auge auf seinem Gesichte den Ausdruck der Empfindungen suchte, die sie einzuflößen begehrten, und in einsamer Stunde nahmen sie dann sogleich ihr Blümchen Wunderhold zur Hand und zupften: „Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich, er liebt mich nicht;“ und so fort, bis sie das gewünschte Resultat gezupft hatten.

Die romantische Schule lebte sich aus, die Männer wuchsen in eine andere Richtung hinüber; – aber die Frauen blieben stehen. Gehen wir in eine Leihbibliothek und sehen die Masse von Romanen aus weiblicher Feder durch, so werden wir finden, daß Liebe und immer wieder Liebe das große Thema ist, welches sie behandeln. Die Schriftstellerinnen sind die Repräsentantinnen ihres Geschlechtes, die dem Worte leihen, was die Andern im meistens Stillen empfinden und sinnen, und der Tadel, der den Männern in diesen Werken zugetheilt wird, daß sie nicht genug, nicht hingebend, nicht aufopfernd lieben, findet ein Echo in aller Herzen. Daß die Frauen nicht, gleich den Männern, jener neuen Zeitrichtung huldigten, die sich eines gesunderen Sinnes rühmt, der die Erde, die er unter seinen Füssen tritt, als seine große Mutter achtet, das ist wohl lediglich ihrem Erziehungssysteme zuzuschreiben.

Die gewöhnliche Phrase ist, daß man in heutiger Zeit schon viel von einem Mädchen erwarte, sie müsse Musik verstehen, müsse Sprachen treiben und in manchen kleinen Künsten erfahren sein. Dies nennt man die Erfordernisse einer guten Erziehung, und ein recht gebildetes Mädchen wird jene geheißen, die diesen Standpunkt erreicht hat. Man thut ihr damit Unrecht. Bildung kann bestehen ohne Sprachen und ohne Talente. Bildung geht dem innern Menschen an, wie dieser den Gang seiner Gedanken geschult und geregelt hat, so hat er sich gebildet. Bildung ist also im eigentlichen Sinne des Wortes Selbsterziehung, und diese erfordert stille Stunden, erfordert ein Insichgehen, ein Rechten mit sich selbst, eine Wachsamkeit über die Gedanken wie über die Thaten, eine strenge Prüfung, ob man an jedem Tage den Ansprüchen genügt, die man an sich machen konnte. – Will man zugleich den Schönheitssinn entwickeln, so muß dies die Bildung fördern; denn alle Sittlichkeit ist schön, und jedes Leben, das seinem großen Entzwecke entspricht, ist ein schönes.

Jedes menschliche Individuum muß zuerst sich selbst als den Zweck seines Lebens ansehen, denn nur, indem Jeder sich bemüht das Höchste, das seine Natur erreichen kann, aus sich zu machen, wird die ganze Menschheit auf ihrem Wege zu einer vollkommeneren Existenz gefördert. Die zweite Beziehung gilt erst den Personen, die unsern nächsten Lebenskreis ausmachen. Der Frauen Sphäre ist das Haus; die Pflege und Erziehung der Kinder liegt ihnen ob, sie mögen verheirathet oder unverheirathet sein. In der Erfüllung dieser Pflichten haben sie die Aufgabe ihres Lebens zu suchen. Kleine Sorgen und kleine Mühen treten ihnen überall entgegen, und werden für sie ein Quell der schönsten Freuden, sobald sie sich derselben im rechten Sinne unterziehen. Die Arbeit zu finden, die uns Befriedigung gewährt, die uns neben der eigenen Billigung auch den Beifall Anderer verspricht, das ist eigentlich das einzige dauernde Glück. Das System unserer jetzigen Erziehung hat den Frauen mehr oder minder diese Genugthuung geraubt, und damit die Basis der Selbstachtung unter ihren Füßen fortgezogen. Die Mütter haben sich eingeredet, daß ein Mädchen, wenn es erwachsen in die Gesellschaft trete, Aufsehen erregen müsse, um so den Männern zu gefallen. Aus diesem Grunde wird die ganze schöne Jugendzeit damit verbracht, sie in Dingen zu unterweisen, die in keiner Mädchenerziehung die Hauptsache sein sollten. Der Mann, der sie zur Gattin wählt, ist nicht immer ein Freund der Musik, weniger noch wird er mit ihr fremde Sprachen reden, wohl aber kann es ihn glücklich machen, wenn sie sinnig auf seine Interessen eingeht, wenn sie seinem Hause mit Umsicht vorsteht, so daß seine Einnahme, wie klein oder wie groß diese sei, für ihre beiderseitigen Bedürfnisse ausreicht. Dieser Punkt ist wohl der schwierigste in jedem neuorganisirten Haushalte und einer ernsten Betrachtung werth.

Der Mann erwirbt das Geld; der Frau fällt das Detail der Ausgaben anheim, sie hat zu überlegen, wie viel sie hier und wie viel dort verwenden kann, damit der ganze Haushalt verhältnißmäßig organisirt sei. Das Glück einer Ehe beruht vielfach auf diesem Talente, oder scheitert an demselben. Der Luxus unserer Lebensweise ist leider unendlich gestiegen, und fast täglich steigern sich unsere Ansprüche! Die Einnahme unserer Staatsdiener ist dagegen, was sie vor fünfzig Jahren war, und auch in andern Lebensstellungen erblicken wir dasselbe Verhältniß. Die Wohnung einer Familie muß jetzt bedeutend größer sein, wie ehemals; es dürfen Gesellschaftszimmer nicht darin fehlen, und die Hausrenten steigern sich mit jedem Jahre. Die Erziehung der Kinder ist viel kostspieliger geworden, die Töchter und auch die Söhne müssen Privatunterricht haben, und sogar die Bücherrechnung ist am Ende jedes Jahres eine Summe. Wo sonst eine Dienerin gehalten wurde, da findet man jetzt zwei und unter zehn Müttern nährt kaum eine noch ihr Kind. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Toilette der Frau, die in demselben Verhältniß zur Einnahme steht, wie das Cigarrenrauchen des Mannes. Keine Frau kann jetzt mehr ohne bunte seidene Kleider ausgehen, und [101] weiße Glacé-Handschuhe und Batist-Schnupftücher, von denen unsere Großmütter nichts wußten, gehören zu Nothwendigkeiten des Lebens. – Fällt es nun einem Manne ein, einen Hausstand zu gründen unter Bedingungen, wie es sein Großvater ohne Bedenken gethan, so steht ihm häusliches Elend bevor, wo jener im Wohlstand lebte. Denn wie könnte es auch anders sein, da die Einnahme ja nur dieselbe geblieben ist, während alle Ausgaben sich verdoppelt haben. Ersparnisse, die unsere Großmütter weise in Anwendung brachten, können wir von unsern talentvollen jungen Damen nicht erwarten. Die Wäsche, die in den Haushaltungen nach altem Schnitte, von der Mutter und den Töchtern geplättet wurde, wird fremden Händen übergeben; denn den Dunst ertragen die Nerven unserer heutigen Damenwelt nicht. Ihre Kleider selbst zu machen, haben sie nicht gelernt, dazu wird eine Nähterin gehalten. Die feinen Hemden des Hausherrn werden in einem Laden gekauft, während es der Stolz unserer Mütter war, dieselben mit eigener Hand recht sauber anzufertigen, und wie sorgsam mußte dann in der Wäsche damit verfahren werden! Die Kinder werden von einer Dienerin angekleidet und spazieren geführt, wobei sie rohe Sitten und eine schlechte Sprache lernen; die Mutter aber konnte selbst diese Pflicht nicht übernehmen. Auch ihre Talente, das Einzige, was die Erziehung ihr gab, sucht sie nicht zu verwerthen; denn die Musik ist nach und nach liegen geblieben, die Sprachen hat sie vergessen und aus Liebe zu ihren Kindern kann sie nun nicht wieder rückwärts lernen.

Jahre vergehen, der Schmuck der ersten Jugend ist dahin, und dieselbe Frau, die wir als Mädchen talentvoll nannten, erscheint uns jetzt entsetzlich langweilig, und nur geeignet, mit Klatschereien und fadem Geschwätz die Stunden auszufüllen, die sie ihrem Vergnügen widmen will. Ihr Geist hat keine Nahrung gesucht, weil ihre Erziehung ihr kein Bedürfniß der Art eingeflößt, und aus Langeweile suchte sie mitunter ein Buch, das aber nur ein Liebesroman sein durfte, der ihr nichts zu denken gab. Unter der Leitung einer solchen Mutter wächst nun eine neue Generation empor.

Ein anderer schwarzer Punkt in diesem häuslichen Bilde ist noch die Armuth, die hier verborgen mit giftigem Zahne tödtet. Der Schein soll gerettet werden, man hat eine Position in der Welt zu vertreten. So wird der Entschluß gefaßt, heimlich zu entbehren, und was man sich auf diese Art versagt, das zehrt am Lebensblute. Die Ausgaben für den Tisch werden beschränkt, die Kinder erhalten die angemessene Nahrung nicht, gutes kräftiges Fleisch wird selten gereicht, und lebenslängliches Siechthum ist oft Folge dieser traurigen Oekonomie. An ein frisches fröhliches Gedeihen des physischen Menschen ist dabei nicht zu denken, und der moralische gewinnt wahrlich ebenso wenig. Diese Kargheit in Allem, dies ewige Rechnen und Berechnen thut der jungen Seele so weh, es beugt sie und erdrückt sie. Einen Freund mit heimführen, damit er am Tische der Familie mit genieße, was es giebt, das darf der Sohn nie wagen; denn es soll ja ein heiliges Geheimniß bleiben, was man hier vorgesetzt findet. An eine Handlung des Wohlwollens der Menschenliebe, darf nicht gedacht werden, es sei denn, daß der Schein sie fordere.

Die Töchter wollen auf einen Ball gehen, und haben keine Kleider. Sie sticken heimlich für einen Laden, und benutzen den Ertrag, um dafür den bunten Flitter zu erstehen, mit dem sie in der Gesellschaft glänzen wollen. Wüßte dort Jemand, wie sie diesen Putz erworben, sie würden vor Scham in die Erde sinken; aber man weiß es nicht, und so tanzen sie mit dieser Lüge im Herzen der Welt einen Cotillon vor. Vielleicht fällt es einem jungen Manne gerade heute ein, sich zu verlieben und seine Hand zu bieten; wie kann das Mädchen da anders handeln, als froh die Gelegenheit ergreifen, die sie dem Aelternhause entführt, wo sie gleichsam eine Last ist. Gottlob, ein eigener Herd! seufzt sie, und findet an demselben die ganze Kette von stillen Sorgen wieder, die sie zurückzulassen begehrte. Dies sind die Folgen unserer heutigen Mädchenerziehung.

Wer nicht in sich schaut, der schaut auch nicht um sich, der übersieht den Kreis seiner nächsten Pflichten nicht, und ermangelt des Muthes, um sie mit starkem Willen zu erfüllen.