Ein Künstlerleben (Alexandre Calame)

Textdaten
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Autor: Eugen Peschier
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Titel: Ein Künstlerleben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 75–77
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Künstlerleben.
Von Eugen Peschier.

Vor einiger Zeit sah ich in einem illustrirten Blatte zwei Abbildungen, deren Zusammenstellung einen eigenthümlichen Eindruck auf mich machte. Rechts Dorfbewohner aus dem Canton Tessin, bemüht, einen vom Schneesturm verschütteten Leichnam aus seinem eisigen Grabe zu befreien; links eine der blutigen Scenen aus dem polnischen Aufstande. Dort also eine ganze Gemeinde Tag und Nacht mit fieberhaftem Eifer grabend, um einen Unglücklichen an’s Licht fördern, während dieser schon längst der goldenen Sonne die Augen verschlossen hatte – und hier eine jener gräßlichen Metzeleien, wo Hunderte und Tausende hingeopfert, zu Dutzenden in’s gemeinsame Grab geworfen werden und noch glücklich sind, wenn im Spitale über dem Schmerzensbette eine Nummer den Namen ersetzt, nach dem Niemand fragt. Es liegt etwas tief Ergreifendes in diesem Gegensatze. Wie sonderbar ist nicht nur das Menschenloos, sondern auch menschliche Theilnahme vertheilt! Es mag allerdings oft die Größe des Verlustes den Schmerz erdrücken und nicht zur Besinnung kommen lassen; nach und nach zersplittert sich dieser, eine neue Woge des Lebens geht darüber hin und das Unglück ist vergessen, ehe man sich desselben recht bewußt geworden, während der einzelne Schlag viel tragischer wirkt, weil er, den eigenen Erlebnissen näher gerückt, um so leichter Furcht und Mitleiden weckt. Aber im Großen und Ganzen liegt doch viel Ungerechtes und Launenhaftes in der Theilnahme; das Zufällige, Blitzartige hat zu viel Einfluß, und selten denkt die Menge den großen Räthseln des Menschenlebens nach, die sich ruhig entfalten und ruhig lösen.

Dieser Eindruck wurde mehrere Wochen darauf wieder lebbaft in mir wach. An einem Sonntag des vergangenen Jahres bewegte sich ein endloser Leichenzug durch die Straßen Genfs. Die Freimaurer trugen einen Bruder, die Feuerwehrmänner einen Cameraden zu Grabe, der auf dem Schlachtfelde gefallen, d. h. vom Giebel eines brennenden Hauses zerschmettert unter die entsetzte Menge gestürzt war. Mit schmerzlicher Theilnahme erfuhr man, daß der Verunglückte ein junger Bildschnitzer gewesen, der sich vom Packknecht durch riesigen Fleiß zu großer Geschicklichkeit in seiner Kunst emporgeschwungen hatte. Die früh gebrochene Kraft wurde in’s Grab gesenkt, während in der Nähe des Friedhofs der Expreßzug in die weite Welt, in das volle Menschenleben hineinbrauste. Wie gesagt, fast alle Bürger der Stadt folgten dem Sarge. Vierzehn Tage zuvor, gleichfalls an einem Ruhetage, warf ein kleines, ganz kleines Häuflein Männer die schwere Scholle auf den Sarg eines Mannes, der auch in den besten Jahren seines Lebens der Kunst und dem Vaterlande entrissen wurde. Ja, dem Vaterlande, und darin finde ich das Ungerechte dieses kleinlichen Ignorirens, denn Alexander Calame – er war der von Wenigen zur letzten Ruhestatt Geleitete – war nicht blos ein großer, sondern vor Allem ein nationaler Künstler. Während man überall im Auslande um den Tod Calame’s trauert, erwiesen ihm in der Heimath nur wenige Freunde und des Anstandes halber einige Vertreter des Kunstvereins die letzte Ehre.

Die nachstehende Lebensskizze des Künstlers wird begreiflich machen, warum ich diese lange Einleitung vorausschickte. Ich bemerke aber zum voraus, daß ich keine fesselnden Episoden, keine spannenden Anekdoten mitzutheilen habe; still und anspruchslos, wie die Leichenfeier, war das Leben des Malers gewesen. Aber Eines wird aus dem Lebensbilde hervorgehen: was es kostet, um zu erreichen, was köstlich ist – und wie leicht der äußerlich Glückliche verkannt wird. Am liebsten freilich hätte ich den Leser in das prachtvolle Atelier Calame’s geführt, um dort das Bild des Künstlers in die verwaiste Stätte zurückzurufen, allein die Achtung vor dem Schmerze der Hinterbliebenen verbietet’s, neugierig an die noch immer geschlossene Thür zu klopfen; aber in eine andere Werkstätte werden wir eintreten, in die große erhabene Alpenwelt, deren Majestät und ewige Schönheit im Kampf der Elemente und in der Sabbathruhe der Pinsel Calame’s uns so wunderbar vor Augen zaubert. Aus den Fenstern seines Ateliers schweifte sein Blick über den See, welcher die Schönheit des Himmels ein- und ausathmet; mit der Sehnsucht, welche die Wasser in unserer Seele wecken, folgte er dem Wogenschlag bis zu den duftigen Linien des Jura; durch das düstre Rhonethal eilte die Phantasie über den Gemmipaß in jene Riesenwelt, wo Calame’s Kunst ihr Heiligthum und ihre Heimath fand.

Der Vater des Künstlers, ein armer Maurermeister, stammte aus dem Canton Neuenburg und vererbte seinem Sohne die zwei Haupttugenden seiner Heimath: Muth und Ausdauer. Beim Bau eines Hauses am Genfer See verunglückt, hinterließ er seiner Wittwe nichts, als das einzige Kind, Alexander, das den 28. Mai 1810 in Vevey geboren war. Der Knabe folgte der Mutter nach Genf und trat im vierzehnten Jahre in das Bankgeschäft des Herrn Diodati als Handelslehrling; seine hübsche Handschrift genügte und empfahl ihn für die Wahl dieses Berufs. Allein in der Hand, die so zierlich schrieb, zuckte ein neckischer Kobold. Während der Lehrling am Pulte saß und eifrig zu rechnen schien, verwandelten sich die Schnörkel, mit welchen die jungen Handelsbeflissenen gern die monotone Regelmäßigkeit ihrer Schrift zu verschönen suchen, in wundervolle Arabesken; die gleichförmigen Striche fügten sich aneinander zu allerliebsten Zeichnungen, die Nullen wurden zu zierlichen Elfen, die um die Blumen tanzten, und so füllte der Knabe jedes Blättchen mit den Gebilden seiner Phantasie. Sein Chef entdeckte den Frevel, und nun stellt man sich wohl irgend eine Krämerseele vor, einen ausgetrockneten Zahlenmenschen, der dem Knaben tüchtig die Moral liest, ihm einprägt, wie die Null die lieblichste Form, Schwarz auf Weiß die solideste Farbe und ein Wechsel auf eine gute Firma mehr werth sei, als ein unsicherer Wechsel auf den Geschmack und die Gunst des Publicums. Aber Herr Diodati dachte anders; er schenkte dem begabten Zeichner eine Farbenschachtel, nicht wie man sie Kindern zum Klecksen giebt, sondern gute werthvolle Farben.

Im Besitze seines Schatzes geht Alexander, obgleich er noch nie im Leben einen Pinsel in die Hand genommen hatte, an einem Bilderladen vorüber, sieht am Schaufenster einige colorirte Schweizeransichten und tritt ohne Weiteres ein, um den Händler zu fragen, ob er nichts auszumalen habe. Dieser giebt halb zweifelnd, halb überzeugt von dem glänzenden Auge des Knaben und dem zuversichtlichen Tone desselben einige Zeichnungen zum Coloriren her. Calame eilt nach Hause, arbeitet zwei Wochen lang ohne Lehrer und unermüdet die Nächte hindurch, bringt dem erstaunten Auftraggeber die bestellte Arbeit zurück und erhält ein glänzendes Goldstück. Voll Jubel über den Erfolg, mit der unbeschreiblichen Freude, welche der Arme empfindet, wenn er den ersten Lohn seiner Arbeit in Händen hat, stürzt der Knabe nach Hause und wirft mit Freudenthränen der armen Mutter das Geld in den Schooß. Diese Pietät für die Mutter hat Calame sein Leben lang bewahrt; die Liebe zu ihr verwob sich mit der Liebe zur Kunst und beide trieben ihn zu rastloser Arbeit. Der edle Diodati erlaubte ihm, einen Theil der Nachmittagsstunden zur Ausbildung seines Talentes [76] zu verwenden. Diday, der berühmte Genfer Landschaftsmaler, der mit Calame die Palme theilt, nahm den Jüngling in sein Atelier, und hier machte der Schüler so überraschende Fortschritte, daß sein Gönner auch den letzten Zweifel an der glänzenden Zukunft des jungen Künstlers aufgab und ihn selbst bewog, der kaufmännischen Laufbahn völlig zu entsagen. Schon nach zwei Jahren verließ Calame Diday’s Werkstatt als ebenbürtiger Rivale seines Meisters. Damals schon fanden seine Bilder schnell ihre Liebhaber und gute Preise.

Alexander Calame.

Im Jahre 1837 stellte er sieben Oelgemälde im Genfer Museum aus, welche trotz des Wortspiels eines eifersüchtigen Künstlers, der dieselben „Calamitäten“ nannte, großes Aufsehen erregten. Schon vor diesem Erfolge hatte sich Calame mit einem liebenswürdigen Mädchen verheirathet, und nun war sein Leben getheilt zwischen dem Heerde friedlicher Häuslichkeit und der doppelten Werkstätte seines genialen Schaffens: der Alpenwelt, wo er seine großartigen Eindrücke sammelte, und dem Atelier, wo er die Bilder schuf, die nun die Museen und Galerien zweier Welten schmücken. Obgleich seine ersten Versuche ebensoviele glänzende Siege waren, machte er unablässige Studien für sich und seine Schüler, die aus ganz Europa und selbst über den Ocean herüber nach Genf strömten. Mit ihnen und einigen Herzensfreunden durchwanderte er jeden Sommer die Schweiz und kannte diese bald so genau, daß er jedes Plätzchen wußte, wo er diese oder jene Studie für einen Baumstamm, eine Gletscherform oder den Wuchs einer seltenen Pflanze zu suchen hatte.

Vor Diday hatten die Künstler höchstens am Fuße des Gebirgs die Motive zu ihren Bildern gesucht, erst jener stieg in die mittlere Zone, in die Gebirgsthäler, auf die Alpenpässe, und dort machte auch Calame als Diday’s Schüler in den ersten Jahren seiner Meisterschaft Halt. Das Hauptbild Calame’s aus der mittleren Zone der Alpenwelt, welches zuerst seinen europäischen Ruf gründete, ist „der Sturm auf der Handeck.“

Wer kennt nicht die Handeck, mit dem prachtvollen Wassersturze der Aare auf dem vielbetretenen Pfade zur Grimsel? Ein Felsen – einige Tannen – ein Bergstrom – das ist Alles, und doch macht das Bild einen unbeschreiblichen Eindruck. Es graut einem vor diesem Kampf der Elemente, der schon ausgetobt hat, dessen zerstörende Wuth sich aber an den Opfern offenbart. Die Tannen sind so wundervoll plastisch gemalt, daß man glaubt, man brauche nur hineinzutreten in ihr Dickicht, allein man bebt davor zurück, man hört die vom Sturm gepeitschten Bäume seufzen und stöhnen und leidet mit den zerbrochenen Aesten, die wie jammernd am Boden liegen. Und der Felsen! Calame’s Felsen sind keine glatten oder eckigen Gebilde, die mit dem Roth der Alpenrosen übertüncht werden. Nein, seine Felsen erzählen die Geschichte von Jahrtausenden; sie tragen die Spuren des Wildwassers, das sie übertost, der Quelle, die sie tropfenweise ausgehöhlt; die Spur der Lawine, des Blitzstrahls, des nistenden Mooses, der üppig wuchernden Baumflechte; man glaubt den Sturm zu hören, der sich heulend an ihnen bricht. Und doch verläßt die Seele befriedigt dieses Schauspiel, weil die Kunst, die das Einzelne zur allgemeinen Weihe ruft, über die Schrecken und die Unordnung der Elemente triumphirt hat und im Herzen des Beschauers die Ahnung des siegreichen Menschengenius weckt.

Wie aber hat Calame diese Naturwahrheit so unnachahmlich getroffen? Etwa zufällig durch flüchtiges Beschauen mittels des Fernrohrs aus den Fenstern des schützenden Hotels? Nein, in sein dünnes Plaid gehüllt eilte er hinaus in den markdurchdringenden Nebel, in die eisigen Regen- und Hagelschauer, in den wüthenden Schneesturm, um dem Herzschlag der Natur zu lauschen, der Natur in’s Angesicht zu schauen. Einer seiner nächsten Freunde erzählte mir vor drei Jahren, als Calame schon von Krankheit gebeugt nur noch mühsam Athem holte, als er bereits eine Million besaß und seit Jahren auf dem Gipfel des Ruhmes stand, sei er einen ganzen Tag am Fuße eines nackten Felsens in der verzehrenden Gluth der Augustsonne vor einem Bache stehen geblieben, um die Farbe der Steine im Sonnenglanze zu studiren. Wie seine Ausdauer, so war auch sein Muth und seine Wahrheitsliebe in der Kunst. Calame hatte für eine Pariser Ausstellung einige Eichen im Sturm gemalt. Das Original befindet sich jetzt im städtischen Museum in Leipzig. Zwei Bekannte besuchten den Künstler, um das vollendete Werk zu bewundern. Sie fanden den Freund in fieberhafter Aufregung. Seit drei Nächten hatte er kein Auge geschlossen. „Es fehlt etwas an dem Bilde, ich weiß aber nicht was; helft mir, saget mir wo es fehlt!“ ruft Calame den Eintretenden zu und eilt nach dem Atelier zu seinen Schülern.

„Ich weiß, was fehlt,“ sagt der Eine leise zu dem Andern, „die Eiche, die auf dem Vorderplan lang hingestreckt am Boden liegt, wundervoll als Detail, stört die Harmonie des Ganzen.“

In diesem Augenblicke tritt Calame in den Salon. „Was hast Du gesagt? Du weißt etwas, sprich.“

Zögernd rückt Töpffer – denn er war’s, der bekannte Verfasser der „Genfer Novellen“, der die Bemerkung gemacht hatte – mit seiner Vermuthung heraus.

„Das ist’s, das ist’s!“ jubelt Calame, nimmt das Radirmesser und im Nu ist die prachtvolle Eiche vom Bilde entfernt. Es waren nur noch einige Tage bis zum letzten Termin der Einschickung. In dieser kurzen Zeit malt der Künstler einen einfachen Vordergrund, und das Meisterwerk wird mit der goldenen Medaille belohnt. Eben diese Treue im Detail, diese meisterhafte Ausführung des Vordergrundes, welche die französische Schule achselzuckend [77] lobt oder gar tadelt, zeichnet sämmtliche Werke des Meisters aus. Der Maler blieb indeß nicht in der mittleren Bergzone stehen, er eroberte der Kunst die dritte und höchste Zone der Alpenwelt, und hier feierte der Genius Calame’s seine höchsten Triumphe. Das Chaos der nackten Gipfel, der felsigen Einöden, der schauerlichen Abgründe, der Eisklüfte dieser Zone, die da aufhört, wo der Himmel beginnt, diese übermenschliche Natur hat Calame menschlich erfaßt und künstlerisch verklärt.

Das erste Meisterwerk, das diesen Charakter trägt, ist der Monte-Rosa. Das Original befindet sich im Besitze des Professors de la Rive in Genf, in größerem Maßstabe ausgeführt in den Museen von Neuenburg und von Leipzig, und viele der Leser werden es am letztern Orte zu bewundern Gelegenheit gehabt haben. Es ist aufgenommen in der Nähe des Randahgletschers über dem Sanct Niclasthal. Im Vordergrunde eine düstere Wasserfläche – eine verlorene Weide, öde Hügel, tiefmelancholische Einsamkeit – hinten die Monte-Rosakette im herrlichsten Morgenalpenglühen. Wir stehen in ehrfurchtsvollem Bangen vor der höchsten Majestät der Alpenwelt. Dieser wunderbare Glanz der Schneegipfel, zum Theil von rosigem Lichte übergossen und darüber der tief-, fast schwarzblaue Himmel; der träumerische Duft, der über dem Abgrund schwebt und die weite Ferne des Hintergrunds so unnachahmlich zeigt; die stille Luft; das Schweigen der Einsamkeit; die göttliche Ruhe lassen die Seele ahnen, daß über dieser Schöpfung der Odem des Geistes webt, der einst über den Wassern schwebte.

Wahrlich, wer so malte, der muß ein einfaches, kindliches, frommes Gemüth gehabt haben! Mit kindlicher Liebe an seiner Mutter hängend, bald und glücklich verheirathet, frühe kränkelnd, von Natur ernst gestimmt, liebte Calame die Kunst und die Künstler, aber nicht das gewöhnliche bunte, laute Künstlertreiben, und das wurde ihm vielfach verargt. Wie er seine eigene Mutter geliebt, so legte er seinen beiden Kindern die Mutter an’s Herz fast selbst mit kindlichem Flehen.

Man hat Calame oft der Habsucht, des Geizes und der Härte geziehen. Er hinterläßt allerdings mehr als eine Million; dies genügt Manchen, um den Stein auf ihn zu werfen. Allein nicht Calame machte, sondern die Käufer boten die Preise. „Gut,“ sagen die Beschränkten seiner Feinde, „aber warum, malte er fort, als er ruhen und Andern den Verdienst lassen sollte?“ Die einfache Antwort ist: Calame mußte malen; das künstlerische Schaffen war seine Lebensbedingung. Er wurde von einem unstillbaren Arbeitfieber verzehrt. Als er einst mit einem Freunde reiste, wollte ihn dieser zu seiner Erholung nach München führen. Allein der Künstler kehrte unterwegs wieder um. „Gieb mir meinen Pinsel wieder,“ ruft er schmerzlich aus und opfert die Kunstschätze an der Isar, um einen verborgenen Winkel in Graubündten aufzusuchen, den einzigen Ort, wo er eine gewisse Studie machen zu können hoffte. Oft, wenn ihn seine Freunde zur Ruhe zwangen, bat er sie flehentlich, ihn arbeiten zu lassen; „die innerliche Unruhe bringt mich um; die Arbeit allein verschafft mir Ruhe und Frieden.“ Wenn er den Pinsel weglegte, griff er zum Buche. Seine Briefe und Aufsätze bekunden seine wissenschaftliche Bildung und seine tiefe Kennitniß der Kunst und Kunstgeschichte. Um sich dann und wann einmal auszuspannen, zeichnete er Hunderte von Heften für seine Schüler, Studien und Vorlagen vom einfachen Strich bis zum feinsten Baumschlag, die durch die ganze Welt als Hauptbildungsmittel für den angehenden Landschafter verbreitet sind und von denen jedes einzelne Blatt ein kleines Cabinetsstück ist.

Auch sonst sorgte er väterlich für seine Schüler. Sehr vielen derselben erließ er nicht nur das Lehrgeld, sondern bezahlte noch Wohnung und Kost für sie. Wie Viele haben ihm wohl dafür gedankt? Wie Viele mögen eingestimmt haben in die Vorwürfe neidischer Kunstgenossen! Die stillen Wohlthaten Calame’s sind meist unbekannt. Nur einen Zug will ich erzählen. Als er in Brüssel war, erfuhr er, daß einer seiner Geschäftsfreunde, ein Kunsthändler, in dieser Stadt gestorben sei und Frau und Kinder hinterlasse. Der Verstorbene schuldete ihm ein paar Tausend Franken. Wäre Calame der Geizhals gewesen, für den man ihn ausgiebt, so hätte er die Bilder verkaufen lassen, welche der Kunsthändler im Hause hatte. Statt dessen schenkte er den Hinterlassenen die Schuld und zweitausend fünfhundert Francs baar dazu. Nein, nicht aus Geiz, aus Habsucht, wie man behaupten wollte, arbeitete Calame so rastlos, sondern weil er mußte. Die Anzahl seiner Werke – Oelgemälde, Lithographieen, radirte Kupferstiche – ist ungeheuer. Man glaubt kaum, daß ein einziger Mensch es vermochte, ein solches Riesenpensum zu vollenden, von dem jedes einzelne Stück den Stempel der Vollendung trägt.

Außer den schon genannten Hauptwerken Calame’s, „der Sturm auf der Handeck“, „der Monte-Rosa“, „die Eichen im Sturm“, nenne ich noch den „Vierwaldstättersee“ (im Museum zu Basel und im Besitz des Kaisers der Franzosen) und „die vier Jahreszeiten“ (in der Galerie des Kaisers von Rußland).

Schon früher war Calame in Italien gewesen, der Aufenthalt im Lande der Schönheit und Poesie hat ihn aber nur zu einem Hauptbild begeistert, „die Ruinen von Pästum“ im städtischen Museum zu Leipzig. Im letzten Herbste kehrte er noch einmal nach Italien zurück, nicht um nach neuen Motiven aus der südlichen Landschaft zu suchen, sondern um die weichere Luft des Mittags einzuathmen, die seiner müden, kranken Brust so noth that. Die Arbeit, die mit den Studien verbundenen Strapazen hatten seinen zarten Organismus frühzeitig angegriffen. In Mentone bei Nizza, in dem reizend gelegenen Curorte des Fürstenthums Monaco, schloß, am 17. März des vorigen Jahres, der Künstler die müden Augen – oder vielmehr das müde Auge, denn jetzt, nachdem wir die Fülle und Vollkommenheit seiner Werke bewundert, erwähnen wir noch das Wunderbarste – Calame hatte von der Geburt an nur ein Auge dem Lichte erschlossen, und dieses eine Auge drang in alle Höhen und Tiefen, erfaßte die gewaltigsten Massen und die zartesten Linien, das blendendste Weiß und die lieblichsten Farbenspiele und erblindete doch nicht, obgleich ihm der Künstler mehr zumuthete, als mancher strebsame Meister seinen beiden Augen zumal. – Das giebt auch dem Ausdrucke auf unserem Bilde das eigenthümlich Starre des Blicks. Wir erwähnen hier noch, daß die Photographie, nach welcher der Zeichner der Gartenlaube das vorstehende Bild gezeichnet, von der Familie und den Freunden des Künstlers als das ähnlichste Portrait Calame’s gerühmt wird. Die in Mentone aufgenommene Photographie erscheint den Genfern ziemlich fremd, da sich der Leidende erst im Süden, um den Hals zu schützen, den vollen Bart wachsen ließ. Das Portrait, welches die Illustrirte Zeitung enthielt, ist allerdings idealer, hat aber fast mehr Aehnlichkeit mit Mazzini, als mit Calame, so wie er uns noch vor der Seele steht.

Calame wollte in der Heimath begraben sein, die er, obschon sie ihm nicht einmal das Ehrenbürgerrecht schenkte, während er seine Brust mit den Medaillen und Orden vieler Staaten hätte schmücken können, so heiß geliebt und so viel verherrlicht hatte. Seine Leiche wurde nach Genf gebracht und hier, wie schon bemerkt, von einem kleinen Häuflein bestattet.