Die nordamerikanischen Oelprinzen

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Titel: Die nordamerikanischen Oelprinzen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 79 und 80
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über die Ölmagnaten und ihr Leben in Nordamerika
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[79] Die nordamerikanischen Oelprinzen. Schon seit Jahrtausenden ist das Petroleum, auch Steinöl, Naphta, Seneca-Oel, Erdöl oder Kohlenöl genannt, bekannt. Die ältesten Quellen desselben, von denen man weiß, befinden sich am Caspischen Meere bei Baku, wo die Flammen der Oelquellen ewig brannten – das ewige Feuer der Parsen – und die Bewohner der Nachbarschaft es zur Beleuchtung ihrer Häuser und Tempel gebrauchten. Außerdem haben noch Ostindien, in Europa die Gegend von Parma und Modena, die von Neuchatel und Tegernsee, Bezières in Frankreich, Sicilien und andere Orte Oelquellen aufzuweisen. Auch in Nordamerika sind die Oelquellen nicht erst eine Entdeckung [80] der Neuzeit. Im Lande der Seneca-Indianer, im Staate Pennsylvanien, waren schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Quellen bekannt, welche ein Oel lieferten, das als Medicin gegen viele Krankheitsfälle benutzt wurde und noch jetzt in fast allen Apotheken unter dem Namen „Seneca-Oel“ verkauft wird. Auch in Westvirginien, in der Nähe von Salzquellen in der Grafschaft Braxton, wurde im Anfang dieses Jahrhunderts vermittelst wollener Decken Oel von kleinen Teichen und Bächen geschöpft und als Brennöl in den Handel gebracht. Aber die eigentliche gewerbliche Ausbeutung der amerikanischen Quellen datirt erst vom Jahre 1859. In diesem Jahre wurde von einem gewissen Mr. Drake aus Neu-England die erste „Pennsylvania Red Oil-Company“ in’s Leben gerufen, und das erste Bohrloch getrieben, welches aus einer Tiefe von nur neunundsechzig Fuß vierhundert Gallonen Oel täglich lieferte. Diese Quelle war in der Nachbarschaft von Titusville gelegen und bildet noch jetzt den Mittelpunkt der pennsylvanischen Oelregion. In ihrer Nachbarschaft sind verschiedene Quellen gebohrt, welche jetzt seit Monaten aus einer Tiefe von sechshundert Fuß von hundert bis eintausendfünfhundert Faß Oel täglich zu Tage fördern. Die berühmten Maple-Greve und Neble-Well, von denen letztere eine zeitlang fünftausend Faß täglich ergab, also eine Menge, hinreichend um eine viergängige Mahlmühle Tag und Nacht zu treiben, sind nur wenige Meilen von dem ersten Drake’schen Brunnen entfernt. Titusville selbst, sowie das benachbarte Meadville und Franklin, noch vor wenigen Jahren unbekannte und unbedeutende Flecken, sind rasch zu wohlhabenden volkreichen Städten herangewachsen, wo es von Oel-Speculanten, Landaufkäufern und Ingenieuren der zahlreichen Actiengesellschaften wimmelt, und Häuser, wie Grundstücke fabelhafte Preise bringen. Oil-City am Oil-Creek, obschon schwer zugänglich wegen der bodenlosen Wege, ist das eigentliche Eldorado der neuen Oelritter (Oil Conquistadores). Die ganze Gegend an beiden Ufern des kleinen Flusses ist im eigentlichen Sinne des Wortes mit einem Wald von Bohrgerüsten bedeckt, an welchen Hunderte von transportablen Dampfmaschinen arbeiten und ein solches Getöse, Gestöhne, Pfeifen und Heulen durch die wilde Umgegend erschallen lassen, daß man glaubt, man befinde sich mitten in einer ungeheuren Maschinenfabrik. Bauernhöfe, die noch vor einem oder zwei Jahren für eintausend oder zweitausend Dollars feil waren, werden dort für mehr als hunderttausend Dollars verkauft, und es fehlt nicht an Beispielen, daß einzelne Morgen gut gelegenen Landes mit dreißigtausend Dollars und mehr bezahlt wurden. In den schmalen, zerrissenen Thälern, in Mitten eines unergründlichen Kothes, sind die ursprünglichen Stammsitze der neuen Petroleum-Aristokratie. Selbst auf die Gefahr hin, bei einigen Ihrer Leser einen Anfall von Petroleumfieber zu erregen, will ich hier die Geschichte einiger der reichsten Petroleum Prinzen erzählen, was um so leichter ist, als man nicht wie bei den europäischen Rittergeschlechtern in das graue Alterthum dunkler Zeiten zurückzugehen braucht, um die Annalen dieser pilzartig aufgeschossenen Goldfürsten zu beschreiben. Die größte und geachtetste, wenn auch nicht reichste Familie in der Pennsylvanischen Oelregion ist holländischer Abkunft, wie der Name „Hann Jan Heedekooper“ beweist. Der Vater des jetzigen Stammherrn kam im Anfang dieses Jahrhunderts als Verwalter und Agent einer Amsterdamer Land Compagnie nach Pennsylvanien und kaufte von dieser Gesellschaft, als sie sich auflöste, einige tausend Acker Landes um den Preis von einem Schilling pro Acker. Diese Ländereien, vor etwa vier jahren zwanzig- bis dreißigtausend Thaler werth, werden jetzt sehr niedrig auf sechs Millionen geschätzt. Sie lieferten im Jahre 1861 (bis 1. November) den Eigenthümern nach Abzug aller Kosten einen Reinertrag von vierhundertachtzigtausend Dollars!

Reicher an Einkommen, als diese alte Familie, ist ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren, John Steele mit Namen. Er war vor fünf Jahren ein armer Waisenknabe und wurde 1860 von einer alten kinderlosen Bauernwittwe, Mrs. Mac Clintosh, adoptirt. Diese Wittwe, damals, wie die Amerikaner sich ausdrücken, etwa viertausend Thaler werth, besaß eine große wüste Farm am Oil-Creek, auf welcher, um mich so auszudrücken, aus jeder Pore Oel schwitzte. Vor etwa einem Jahre kam die alte Oelmutter dem Feuer ihrer Küche zu nahe: ihre petroleumgetränkten Kleider fingen die Flammen und in wenigen Minuten war sie und ihr Haus ein Haufen Asche. Auch die Wiesen um den Bauernhof geriethen bei der Gelegenheit theilweise in Brand, und die Verbreitung des Feuers über die ganze Farm konnte nur mit Mühe verhindert werden. Der junge Johnie (Hansel) wie er von seinen Freunden genannt wird, erbte das Gut. Sein jetziges Einkommen aus Oelquellen und vermiethetem Oelland beläuft sich auf viele hunderttausend Thaler jährlich! Seit einigen Monaten lebt Prinz Johnie hier in New York, in dem großen Marmorpalast des St. Nicolaus Hotels am Broadway und sucht, umgeben von einer Schaar von jungen Freunden und alten Gaunern, sein Geld „klein“ zu machen. Er lebt in amerikanischem Hochstyle und „very fast“, d. h. er trinkt des Morgens viel Brandy, Whisky, Toddy und andere angenehme Getränke, fährt Nachmittags vierspännig im Centralpark und verbringt die Abende in den Theaterlogen, bei den Sängern und in den Wirthschaften mit hübschen Kellnerinnen am Broadway.

Reicher noch als dieser junge Oelprinz ist ein Dr. Egbert, von deutscher Abkunft. Vor drei Jahren war er noch so mittellos, daß er für dreihundert Thaler ausgepfändet wurde. Jetzt erfreut er sich eines täglichen Einkommens von dreitausend Thalern und lebt wie Monte Christo in seiner Diamanten Grotte. Ein anderer Dorfarzt, Dr. Brewer, machte in zwei Jahren ein Vermögen von einer Million und zog sich bescheiden aus der kothigen Petrolia in die grünen Berge seiner Heimath, Vermont, zurück.

Auch einige unserer deutschen Landsleute haben im Oellande ihr Glück gemacht. Ein gewisser Rind, Besitzer der ölreichen Rindfarm, ist ein wahrer Petroleum Rothschild; ein anderer, um auch kleinere Beispiele zu erzählen, namens Peter Haas, aus dem Hessischen gebürtig, welcher noch im Jahre 1861 als Wagenknecht im Quartiermeisteramt unter dem Schreiber dieser Zeilen diente, kehrte 1862 aus dem Kriege zurück und kaufte mit den Ersparnissen seines Soldes eine kleine Farm, worauf er früher gearbeitet hatte. Vor fünf Wochen verkaufte er sein Eigenthum an eine Actien-Gesellschaft für die nette runde Summe von zweihundertundfünfzigtausend Dollars baar und einer Leibrente von fünftausend Thalern. Er heirathete eine deutsche Nähmamsell und lebt jetzt als vergnügter Rentier in der Nähe von Philadelphia. Daß unter solchen Verhältnissen auch manche komische und lächerliche Scenen erlebt werden, ist zu natürlich. Ich will eine Anekdote, deren genaue Wahrheit ich bestens verbürgen kann, hier auftischen. Die Tochter eines armen pennsylvanischen Bäuerleins, Namens Dick Fuß, war verlobt mit dem Sohne eines Bauern in der Nachbarschaft und die Hochzeit stand vor der Thür. Da findet ihr Vater beim Graben eines Brunnens eine reiche Oelquelle. Grete, die Braut, eilt in fliegender Hast zum Hause ihres Geliebten, aber nicht, wie eine sentimentale deutsche Jungfrau es gethan haben würde, um in seine Arme zu stürzen und ihm die glücklioche Mähr mitzutheilen; nein, mit den Worten: „Franz, mein Schatz, wir können nicht heirathen, mein Vater stieß auf Oel!“ war die Heirath abgebrochen, und wenige Tage darauf reiste sie nach Philadelphia, um in einem Damen-Institut Sitte und Manier zu erlernen und sich für die Carriere in der großen Welt vorzubereiten. Vielleicht gelingt es dem armen Franz auch, „auf Oel zu stoßen“, dann mag er als würdiger Oelritter vor seiner Petroleum Braut erscheinen und in ihren Augen Gnade finden.

Damit der Leser sich einen nur annähernden Begriff von der ungeheuren Summe machen könne, welche der Petroleumhandel in Umlauf setzt, mögen hier einige Vergleiche dienen. Der Werth des im verflossenen Jahre gewonnene Petroleums ist um einige Millionen größer, als die gesammten Staatseinnahmen der vier deutschen Königreiche Baiern, Würtemberg, Sachsen und Hannover zusammengenommen; ist größer als der Werth des ganzen Seehandels (Einfuhr und Ausfuhr) vom Kaiserthum Oesterreich und nur um ein weniges geringer, als der Werth aller Waaren, welche England durchschnittlich in einem Jahre nach den Hansestädten und dem Zollverein sendet. Er würde, auf reines Gold reducirt, einen Werth von einhundert fünfundzwanzigtausend Pfund-Goldes repräsentiren! Und doch ist die Entwickelung der Oelproduction erst in ihrer Kindheit. Daß die plötzliche Aufdeckung so ungeheurer, bisher verborgener Schätze eine maßlose Aufregung bei allen unternehmenden Menschen, welche davon unmittelbar berührt oder auch nur in Kenntniß gesetzt wurden, hervorrufen mußte, ist ganz natürlich, auch abgesehen davon, daß kein Volk so leicht erregbar oder so sehr dem „Excitement“, wie man es hier nennt, ergeben ist, wie die speculationsfähigen und wanderlustigen Bewohner der großen nordamerikanischen Republik. Trotz des schrecklichen Bürgerkrieges, dessen Flammen auch die Grenzen der Oelregion belecken, wandte sich die Speculation mit aller Heftigkeit eines wahren Fieberparoxysmus diesem neuen Oel-Eldorado zu. Im Verlauf der letzten vier Monate wurden in New York, Philadelphia und Pittsburgh nicht weniger als dreihundert und dreizehn Actien-Compagnien mit einem Nominal-Capital von nicht weniger als zweihundertfünfzehn und einer halben Million Dollars in’s Leben gerufen; eine eigene Oelbörse, „Petroleum Exchange“, wurde in New-York neben der Geldbörse erbaut und eröffnet; das Finanzviertel New-Yorks, die berühmte Wallstreet, Broadstreet und Nachbarschaft, wurden mit Petroleumcomptoirs so übersät, daß die Miethen auf das Doppelte stiegen; eine Sündfluth von Actien wurde ausgeschüttet und die Spalten unserer colossalen Tagesblätter sind so voll von Petroleumanzeigen, daß die größeren Journale, wie der Herald, um Platz für andere Dinge zu behalten, den Preis der Insertion von zwanzig auf vierzig Cents (fünfzehn Silbergroschen) pro Zeile erhöhen mußten.

Eine eigene Petroleum-Zeitung, „The Petroleum Gazette and Recorder“ (wovon ich der geehrten Redaction dieses Blattes eine Nummer beilege, weil ich sonst befürchten muß, daß einige obengemachten Angaben als Fabeln angesehen werden dürften), wurde als Specialorgan des Petroleum-Interesses in’s Leben gerufen; zahllose Patente für neue verbesserte Bohrinstrumente und Bohrmethoden, für eine neue Art von „impenetrable barrels“ (luftdichten Fässern), für neue Systeme von Lampen, für Heizung von Dampfmaschinen auf Schiffen vermittelst Petroleum, für Gaserzeugung aus Petroleum, für Raffinirmethoden, Anilinfarben-Fabriken, Seifen und Wagenschmieren, ja sogar für eine neue Art von Parfümerie setzten die ganze Industrie- und Handelswelt in Bewegung. Gleichzeitig bildeten sich in den kleinen Dörfern und Städtchen der ausgedehnten Oelregion Comptoire und Compagnien für Oelland-Ankauf, Advocatenvereine für Untersuchung der Besitztitel, verbunden mit Garantie-Actien-Gesellschaften, und endlich Capitalisten-Gesellschaften für die Beleuchtung großer auswärtiger Städte, wie Havanna, Rio Janeiro, Marseille, St. Petersburg, wo Steinkohlen so hohe Preise haben, daß man das Gaslicht viel billiger aus Petroleum, als aus Kohlen herstellen kann.

Wie durch einen Zauberstab aus den schmutzigen, schlüpfrigen Oelquellen Pennsylvaniens an’s Tageslicht gerufen, entstand plötzlich eine neue Geldaristokratie und „Oel-Prinzen“ und „Oel-Prinzessinen“ fuhren jetzt in glänzenden Equipagen durch unsere Straßen und Parks, mit ihren Schätzen und Einkünften weit überragend die alte Patricier-Aristokratie der „Knickerbocker“ so heißen die alten, meistens holländischen Familien, deren Besitz in städtischem Grundeigenthum besteht), der „Codfish-Aristokratie“ (der Handelsparvenus) und der neuen „Shoddy-“ oder „Lumpen-Aristokratie“, welche ihre Millionen durch Kriegslieferungen erworben haben. Aladdin’s Lampe, die langverlorene, welche wahrscheinlich von der Prinzessin Sheherazade mit Petroleum gefüllt war, ist wiedergefunden, und glücklich sind Alle, welche im goldenen Lichte ihrer Oelflamme wandern.