Ein Gnadengesuch
[20] Ein Gnadengesuch. (Mit Illustration S. 12 und 13.) Heiterer
Sonnenschein fällt in die mit aller üppigen Pracht des Rokoko ausgestatteten
Gemächer des Fürstenschlosses, einladend grüßen die schattigen Laubhallen
des ausgedehnten Parkes zu den hohen schimmernden Fenstern des Schlosses
hinauf und ein glückliches Fürstenpaar rüstet sich, dem Winken und Locken
der strahlenden Natur zu folgen. Ein Diener nimmt schützende Tücher
auf den Arm und in die Hand die allmorgendliche duftende Blumengabe
des jungen Fürsten an seine Gemahlin – dann schreitet das glückliche
Paar mit kleinem Gefolge heiter plaudernd die Treppe hinab zu dem
bereits harrenden Wagen. Doch was ist das? Am Fuße der breiten,
teppichbelegten Treppe kniet eine alte Dame, silberweiß ist ihr Haar, tiefschwarz
die Kleidung. Ihr zur Seite steht eine leicht gebeugte, doch
blühende Frauengestalt und etwas zurück schüchtern ein Knabe. Flehend
faltet die Greisin die Hände, bittend richtet sich ihr Blick auf den vor ihr
stehenden Fürsten, um ihren Mund zuckt ein herber Schmerz. Sie vermag
kein Wort zu sprechen, es ist ihr, als ob die Zunge gelähmt sei. Da
erklärt das Schriftstück in der Hand des Kammerherrn, was die ergreifende
Scene zu bedeuten hat. Ein Gnadengesuch! Für den Sohn bittet die
Mutter, für den Gatten ihrer Begleiterin, für den Vater des Knaben.
Und dann findet sie auch Worte, glühende Worte der Mutterliebe und
der Verzweiflung. Theilnehmend, von sichtlichem Wohlwollen getragen,
ruht der Blick des Fürsten auf der edlen Bittstellerin, und aus den Zügen
seiner Gemahlin spricht inniges Mitgefühl. Er kann dem Gesuch nicht
augenblicklich willfahren, er muß untersuchen und dann entscheiden. Doch
die Gnade liegt in seiner Hand und sie walten zu lassen, wenn es irgend
geht, ist sein fester Entschluß. Er sagte es der gebeugten Greisin, und
zagend, hoffend mag sie das Schloß verlassen. **