Textdaten
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Autor: E. K.
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Titel: Ein Cypressenkranz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 460
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[460] Ein Cypressenkranz. Vor einigen Tagen haben sie in Leipzig einen Mann hinausgetragen, dem viel Liebe in das offene Grab folgte. Der Mann war kein Held, kein Redner, keine politische Capacität und hatte weder Amt noch Würden, aber im ganzen deutschen Land und auch drüben in der Schweiz, in Frankreich und England und Amerika war er gekannt und genannt und Mancher, der noch jetzt da draußen der fernen Heimath denkt, wird das Andenken dieses Wackern segnen. Wo es galt eine Thränn zu trocknen, ein unverschuldetes Unglück zu mildern mit Gaben der Liebe, wo der Armuth beizuspringen war mit Herz und Handeln, da war „Vater Werner“ da, wie sie ihn überall nannten, der Wirth zum „Goldnen Hahn“ in Leipzig, der einfache Mann mit dem weichen Herzen, der so Vielen – Vielen ein Retter in der Noth ward. Zu keiner Zeit aber hat er mehr geholfen, als in den Jahren 1849 bis 1850, wo aus allen Herren Ländern die Flüchtlinge durch Leipzig zogen, fort nach der Fremde, nach Frankreich, England oder der Schweiz – da draußen, wo sie keinen „Vater Werner“ mehr fanden.

Ach, Vater Werner! Von ihm wissen, außer den Vielen in Leipzig, denen er geholfen, von ihm wissen alle die zu erzählen, die damals der Sturm durch Leipzig fort aus dem Vaterlande nach der Fremde jagte, zu ihm kamen sie alle, aus Preußen, Oesterreich, Sachsen und Schleswig-Holstein die ihrer Noth kein Ende, in ihren Börsen keinen Groschen fanden, und er hat sie sämmtlich aufgenommen, sämmtlich beherbergt und gepflegt ohne Unterschied des Standes und der Person. Für ihn war das Unglück der Freipaß, die beste Empfehlung, auf die er mehr gab, als auf gespickte Börsen. Und wie oft er auch in Anspruch genommen, wie viele auch kamen – er ist nie ermüdet, nie unwillig geworden und hat keinen abgewiesen.

Wenn dann der Abend kam und der Flüchtling müde und matt sein Lager gesucht, wenn draußen bei den Pferden und Knechten Alles besorgt war, dann und wann mit einigen kleinen Donnerwettern, dann setzte sich Vater Werner wohl auch an den Tisch zu seinen Stammgästen und erzählte von der Noth seines Schützlings und wie wieder einer arm und dürftig die Heimath verlassen müsse. Dabei schob er mit sehr verständlicher Miene den Teller hin und – sammelte. Was dann noch fehlte, legte er später heimlich aus seiner Tasche hinzu und am andern Morgen, wenn der Heimathlose mit dankenden Worten Abschied nehmen wollte, da rief ihn Vater Werner zu sich in seinen Comptoirverschlag, der in der Wirthsstube stand, und füllte ihm das Beutelchen erst mit dem „Gelde von gestern Abend“ und dann die Reisetasche mit einem „Fläschchen Guten“ und dem Besten, was seine Hausfrau in der Küche hatte. Wie dann der Glückliche auch seinen Gefühlen Worte verleihen wollte, er brach immer kurz ab mit den Worten: „Schon gut, schon gut – geleit’ Euch Gott und grüßt mir die Andern da draußen.“ –

Ja, es wäre eben nicht so viel Jammer und Elend in der Welt, wenn Jeder seinen Kräften gemäß so unermüdlich und reichlich, so uneigennützig und rasch gäbe, wir es Vater Werner gethan sein ganzes Leben hindurch, der doch kein reicher Mann war. So oft auch ein Hülferuf erscholl, so oft Einer kam, den das Elend zu Boden drückte, er gab immer, ganz im Stillen und ohne daß er davon sprach, aber immer reichlich und nicht selten mit Aufopferung.

„Sehen Sie,“ rief er voller Grimm, als ich eines Tages zu ihm kam und wieder für Einen bettelte, „sehen Sie, da war ich vor einigen Tagen in einer Gesellschaft, da wurden von Verschiedenen schöne Reden gehalten, wie wir für die Unglücklichen Alles opfern müßten, Geld und Gut und Alles, was wir haben. Und dabei soffen diese Leute Champagner, Champagner sage ich Ihnen, zehn, zwölf Flaschen, während unsere Brüder draußen kaum das liebe Brod haben. Und solche Kerls nennen sich Liberale!“

Vater Werner hatte Recht! Die Zeiten des Sturmes sind nun längst vorüber, schon seit Jahren traten keine Flüchtlinge mehr an das Comptoirgitter des Wirthszimmers, und Viele von denen da draußen, die damals flüchtig durch Leipzig zogen, sind wieder in die geliebte Heimath zurückgekehrt, aber Vater Werner ist sich immer gleich geblieben und wo es zu helfen gab in den nächsten Kreisen, da gab er mit vollen Händen oft reichlicher, als es seine Verhältnisse gestatteten, obwohl es ihm zu verschiedenen Malen auf die nichtswürdigste Weise gedankt wurde. Er gab, weil ihm das Geben Bedürfniß, weil ihm Wohlthun Herzenssache war.

Deshalb den Hut ab vor dem einfachen braven Manne und einen Kranz auf sein frisches Grab. Keiner von jenen Helden, die mit hohlen Phrasen und schönen Reden bei Versammlungen und hinter Flaschenbergen brilliren, war er einer jener Männer im einfachen Bürgerkleide, die so wenig sprechen und doch so kräftig handeln, ein Mensch im schönsten Sinne des Wortes, der sich mitten im Trubel eines thätigen Geschäftslebens ein fühlend Herz für das Elend und den Jammer des Lebens erhalten und dessen schönste Freude es war, ganz im Stillen Thränen zu trocknen, wo er sie fand. Solcher schlichter wackern Bürgersleute laufen heutzutage nicht viele auf der Straßn herum, und deshalb nochmals den Hut ab vor dem einfachen Wirth im Goldnen Hahn zu Leipzig, – einen frischen Kranz für Vater Werner!
E. K.