Ein Brief
Ein Brief.
Gedankenlos, mit lässig matter Hand
Kramt sie wie ordnend unter altem Tand:
Verblichne Bänder und glanzlose Orden
Von manchem Ball, farblose Blumen, Borden,
Des Rock zu kurz, des Leibchen jetzt zu weit.
Ist’s denn so lange, dass dies Prachtgewand,
Die stolzen Glieder schmückend, sie umspannt,
Verrauschten doppelt schnell die hellen Zeiten,
Und sie begrüssen dumpf und duftig-schwül,
Gleich Schläfern halberwacht auf weichem Pfühl? –
Fast teilnahmslos bewegt sie nur das Haupt
Und schaut ins Leere lange, wie beraubt
Auch all das Zeug mit ungewissen Fragen.
»Dahinter liegt so vieles wie ein Traum!«
So spricht sie ruhig, rührt die Lippen kaum,
Doch blähen zaghaft-langsam sich die Nüstern;
Und schaut und sucht, woher die Welle schwebt,
Der Wohlgeruch, der ihr entgegenwebt …
Mit einemmal, wie sie das Kleid berührt,
Mit Aug’ und Fingern tastend es durchspürt,
Sie sucht … und flüstert dann mit kühlem Lachen:
»Ei sieh! … Da in der Tasche steckt ein Brief,
Verschlossen noch … Die Lettern kraus und schief,
Doch deutlich ist mein Name da zu lesen.
Gewiss! … ich war doch nur ein einzigmal
In diesem Kleid auf einem Maskenball.
Ah!! … aus dem Briefe … weht die schwüle Luft! …
Wer gab ihn damals mir?! … Maiglöckchenduft?? …
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Loge rechts 6.
»Du bist nicht schön – doch wie mit Zauberkraft
Kein Wimperzucken hat es dir gestanden,
Wenn oftmals wir im Lärm der Welt uns fanden.
O, spotte nicht, weil dieser erste Brief
Auf einem Ball von Schmerzen spricht, die tief, –
Hab nur Geduld, ich bin kein greinend Kind,
Und du vermagst es, ernst und klug zu denken.
Hör auf dies Wort, denn es ist frei von Ränken! –
Was mir in Herz und Hirn unrastend bohrt,
Du bist nicht froh – aus deinen Zügen spricht
Oft eine Trauer, die den Mut zerbricht:
Ob deiner Starrheit stumm dich anzuklagen,
Um deiner Schwermut dunklen Born zu fragen.
Gleich andern Weibern öde Possen machst.
Du bist nicht jung – und es umweht dich kalt,
Oft, wenn du rückwärts schaust, wirst jäh du alt.
Ich würde zweifeln, sprächst du mir von Liebe,
Und du nie sagtest, dass du mich nur liebst,
Dass kein Atom von dir du andern giebst.
Du bist nicht gut! – Doch nicht das, was du bist,
Das, was vielleicht in dir gestorben ist,
Das macht mich krank vor sehnsuchtsvollem Grauen.
Die Seele will’ ich, der die Macht entstammt,
Dass sie geheimnisvolles Leid entflammt,
Das Mitleid! – das mich drängt, dich zu umfassen
Mit dir zu flüchten in ein fernes Land,
Mit dir zu sterben fremd und unbekannt.
Werd’ nur nicht müde dieses Bleigekritzels
Inmitten all des Weihrauchs, des Gewitzels
Wie findest Lust du, solchen Kram zu necken?
Erbarme dich! erkenn’ den Herzensklang,
Der zu dir ruft, so wahrheitsvoll, so bang!
In jener Loge wart’ ich fiebernd dein.
Die Maske, die dir schnell das Blatt wird reichen,
Sie harret nicht auf Antwort oder Zeichen.
Die Larve schützt – poch an die Logenthür,
Nimm meinen Arm, wir schreiten für und für. –
Und nichts gemahnet je dich an mein Sein;
Ich will für alle, alle Zeit dich meiden.
Dein müdes Herz sei stets bewahrt von Leiden,
Wie ich sie schweigend bis zur Stunde litt …
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Denk nicht an Wahnsinn, glaube an den Zug,
Der stärker ist als Satzung – Menschentrug,
Und sage dir: Er suchet meine Seele! –
Ich baue weltfern dir ein Heimathaus,
Unseliges Weib! o komm und ruhe aus! – – –«
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»Maiglöckchenduft? … Wer war der Mann?«
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