Verschiedene: Die zehnte Muse | |
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Schiesst tief ins Wellenthal der Bug
Des tapfern Boots auf seinem Zug,
Verfolgt von den Blicken der Bangenden hier;
Atemlos spähen sie starr und stier.
Noch hängt am Tauwerk oben der Gast.
Harro nun entert die Wanten empor,
Holt selbst ihn herunter, der fast erfror.
Doch er lebt, und sie rudern mit ihm zurück –
Sie kommen! Im Boote, von Gischt umblinkt,
Erhebt sich Harro am Steuer und winkt;
Und ehe der Kiel berührt den Grund,
Legt er zum Rufe die Hand an den Mund
»Mutter, ich bring’ ihn! s’ ist Uwe, dein Sohn!«
Ein Brief.
Gedankenlos, mit lässig matter Hand
Kramt sie wie ordnend unter altem Tand:
Verblichne Bänder und glanzlose Orden
Von manchem Ball, farblose Blumen, Borden,
Des Rock zu kurz, des Leibchen jetzt zu weit.
Ist’s denn so lange, dass dies Prachtgewand,
Die stolzen Glieder schmückend, sie umspannt,
Verrauschten doppelt schnell die hellen Zeiten,
Und sie begrüssen dumpf und duftig-schwül,
Gleich Schläfern halberwacht auf weichem Pfühl? –
Fast teilnahmslos bewegt sie nur das Haupt
Und schaut ins Leere lange, wie beraubt
Auch all das Zeug mit ungewissen Fragen.
»Dahinter liegt so vieles wie ein Traum!«
So spricht sie ruhig, rührt die Lippen kaum,
Doch blähen zaghaft-langsam sich die Nüstern;
Und schaut und sucht, woher die Welle schwebt,
Der Wohlgeruch, der ihr entgegenwebt …
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/319&oldid=- (Version vom 31.7.2018)