Ein Blatt des Gedenkens an die Wittwe Jean Paul’s

Textdaten
<<< >>>
Autor: Georg Horn
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Blatt des Gedenkens an die Wittwe Jean Paul’s
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 550–552
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[550]

Ein Blatt des Gedenkens an die Wittwe Jean Paul’s.

An einem Nachmittage in den ersten Tagen des Februar 1860 versammelte sich, vor dem Leichenhause des Münchner Friedhofes eine kleine Zahl von Männern, um einer Frau das Grabesgeleite zu geben, die das beneidenswerthe Erdenloos betroffen hatte, einst die Gattin Jean Paul Friedrich Richter’s zu heißen.

Unter der kleinen Zahl von Leidtragenden waren nur wenig künstlerische und literarische Namen vertreten, an denen München in neuester Zeit doch nicht arm ist, nur der alte Vogel v. Vogelstein und Riehl waren zu bemerken. Die Uebrigen glänzten durch ihre Abwesenheit. Der protestantische Geistliche hielt eine lange Rede, in welcher er nebenbei zu bemerken beliebte, daß die Verstorbene die Gattin eines berühmten Mannes gewesen sei, dazu heulte ein eisiger Wind über das öde, offene Grab hin – die Zuhörer fröstelten – es war ein recht trauriges, in Rückblick auf das reiche Leben der Verblichenen unwürdiges Begräbniß.

Der Verfasser dieser Zeilen war nicht nur unter den Anwesenden, sondern auch unter den aus vollem Herzen Leidtragenden. Seine Gedanken gingen von diesem einsamen Grabe nach einem anderen, weit von diesem entfernten, am Fuße des Fichtelgebirges gelegenen, nach dem Grabe auf dem Baireuther Kirchhofe, das Jean Paul und seinen Sohn umschließt. Er hätte so gern seinen Gefühlen und Erinnerungen an dieser Stätte einen Ausdruck gegeben, aber allen den Anwesenden stand bereits die Furcht vor Erkältung auf den Mienen geschrieben, und Erkältung ist in München bekanntlich eine sehr gefährliche Sache.

Wo der Schwerpunkt unseres Wirkens war, da sollte auch die Stätte unserer Ruhe sein, und so hätte die Wittwe Jean Paul’s ihr letztes Plätzchen auf dem schönen Kirchhofe in Baireuth finden müssen, an der Seite ihres Gatten und ihres Sohnes, in der Umgebung der Gräber theurer Freunde, die um Jean Paul’s Ruhestätte gleichsam Grabeswacht hielten. Wie frei und heiter ist der Baireuther Kirchhof gelegen, wie still und traulich ist dieses grüne Plätzchen, Jean Paul’s Grab, das noch von den Eschen des Grabes der Freundin beschattet wird! wie eng und dumpfig dagegen ist das Münchener campo santo, wie öde und schaurig hier das Grab! Eine Frau wie die Wittwe Jean Paul’s, die, ausgestattet mit feinem Verstande und hoher geistiger Selbstständigkeit, ihre einzige und ganze Bedeutung in der Unterordnung unter einen höheren Geist findet, ist in der That bedeutend und wäre schon für sich selbst unseres Interesses würdig, auch ohne den Strahlenglanz, mit dem ein Dichterhaupt auch das ihrige umzogen hat.

Aus dem geistig regen Berlin, aus glänzenden Verhältnissen war sie im ersten Jahre dieses Jahrhunderts dem Dichter in die Einsamkeit und Einfachheit seines Lebens gefolgt. Jean Paul war in seiner Jugend eine Gefahr für alle Frauenherzen. Groß und schlank von Gestalt, hatte er einen Kopf von echt germanischer Schönheit: ein großes, tiefes blaues Auge, eine gewölbte Stirn, blondes in’s Bräunliche spielendes gewelltes Haar und dazu etwas Unsagbares in seiner Stimme, das, vereint mit hoher Begeisterungsfähigkeit, die Herzen Aller bezwang. Von seinem ersten Erscheinen in Weimar 1796 an bis zu seiner zweiten Anwesenheit in Berlin 1801 war sein Leben ein immerwährender Triumphzug durch die Herzen der Frauen zu nennen. Sie zogen ihm nach wie einem anderen Rattenfänger von Hameln. Er hatte heiße Liebeskämpfe zu bestehen mit Charlotte von Kalb, Emilie von Berlepsch, mit Caroline von F., einer Hofdame der Herzogin von Hildburghausen. Glänzend und genialisch erfüllten sie seine Phantasie – aber nicht sein Herz, dieses war nur einer aufbehalten, Carolinen, der Tochter des Geheimen Obertribunalraths Meyer in Berlin.

Nach einem längeren Aufenthalte am Hofe der Herzogin von Hildburghausen, einer der vier Schwestern auf dem Throne, an die er die Widmung des Titan gerichtet hatte, nach einer neuen Herzenstäuschung mit der erwähnten Hofdame, war der bereits in der Mitte der dreißiger Jahre stehende Dichter damals nach Berlin gekommen, und hier, auf der Grenze zweier Jahrhunderte, auf der Höhe seines Schaffens und seines Ruhmes, sollte er durch ein Zusammentreffen von Umständen, welches wir kurzsichtige Menschen Zufall nennen, diejenige finden, welche alle Ansprüche an das Weib seines Herzens und seiner Wahl zu erfüllen versprach. Der gelehrte Kriegsrath Zöllner hatte zu Ehren des Dichters ein großes Gartenfest veranstaltet. Es war jene social unschuldige Zeit, wo ein preußischer Minister einen deutschen Dichter noch zur Tafel einlud, und Jean Paul hatte beim Minister von Alvensleben gegessen, so daß er um einige Stunden später, als die Gesellschaft geladen war, in dem Gesellschaftslocal eintraf. Nur noch ein Platz am Ende der Tafel war leer, an der Seite Carolinens, den der Dichter denn auch sofort einnahm und den ganzen Abend nicht mehr verließ, so sehr hatte ihn seine Nachbarin durch ihre mädchenhafte Anmuth, die Einfachheit und Feinheit ihrer Manieren, durch Geist, Bildung, Reinheit der Gesinnung, Verehrung alles Schönen und Großen, vor Allem aber durch jenes selbstlose, unbegrenzte Wohlwollen für alle Menschen, welches er bei den Frauen bisher gesucht, aber nicht gefunden hatte, zu fesseln gewußt. Dieser Abend hatte für sein Herz entschieden, doch erklärte er sich bestimmt erst nach einem halben Jahre in einem Briefe an den Vater.

Ein Dichter auch im Leben, feierte er im Wonnemonate seine Hochzeit, zu welcher ihm die Königin Louise von Preußen durch den Herzog Georg von Mecklenburg, ihren Bruder, ein silbernes Theeservice überreichen ließ.

Ueber diese erste Begegnung Jean Paul’s mit seiner Gattin war lange Zeit eine andere Lesart in Umlauf, die romantischer klang als jene. Nach dieser hätte Jean Paul, eingeladen bei Carolinens Vater, der sich für literarische Bestrebungen lebhaft interessirte, sich nach Tisch in ein Zimmer zurückgezogen und sei dort eingeschlafen: Caroline sei ohne Vorwissen durch ein Geschäft in das Zimmer gerathen, hätte den schlafenden schönen Dichter erblickt und sich nicht enthalten können, auf seine Lippen einen Kuß zu drücken. Jean Paul sei erwacht, aufgesprungen und dem tief beschämten Mädchen mit den Worten nachgeeilt: Sie müssen meine Frau werden! An der ganzen Geschichte ist aber kein Wort wahr. Dieselbe war nach der Versicherung der Gattin Jean Paul’s die böswillige Erfindung eines neidischen Mädchens, das sich auf Jean Paul Hoffnung gemacht hatte.

Als vorläufiger Wohnort des jungen Paares war Meiningen bestimmt, wo Einsamkeit und die freundlichen Beziehungen des Dichtern zum Herzog einen ebenso angenehmen als poetisch fruchtreichen Aufenthalt versprachen. Auf dem Wege dahin stellte der neugebackene Legationsrath, welchen Titel Richter kurz vor seiner Verheirathung von dem Herzog von Hildburghausen erhalten hatte, die junge Frau dem Dichterhofe in Weimar vor. Sie fand durch Natürlichkeit, Anmuth und Geist, namentlich in den Kreisen von Herder, Wieland, Knebel und Einsiedel, großen Beifall, auch die Herzogin Amalie zeichnete sie besonders aus und versprach bei dem ersten freudigen Familienereignisse die Pathenstelle zu übernehmen. Nur Goethe und Schiller mit ihren geläuterten Schönheitsidealen verhielten sich diesmal gegen den formlosen Dichter und dessen Frau mit auffallender Zurückhaltung, und auf der andern Seite war die junge Frau in ihrem sittlichen Gefühle um keinen Preis zu bewegen, Goethe’s Haus zu betreten, wo bereits Fräulein Vulpius ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Ihre Bekanntschaft mit Goethe beschränkte sich daher auf ein flüchtiges Begegnen am dritten Orte. Noch schlimmer war es ihr mit Schiller ergangen, den sie im Theater bei einer Vorstellung des Wallenstein und auch nur aus der Ferne gesehen hatte.

Der Aufenthalt in Meiningen währte trotz der Bitten des [551] Herzogs und der Anerbietungen des Präsidenten von Heim nur zwei Jahre. Von Meiningen wurde für ein Jahr der Wohnsitz nach Coburg, immer näher an Baireuth, verlegt, bis dann die Übersiedelung nach dem Ziele der Sehnsucht Jean Paul’s, nach dessen geliebtem sonnigen Marienthale am Südabhange des Fichtelgebirges, nach Baireuth, vollständig geschah. Hier übte die Verstorbene fast durch ein halbes Jahrhundert, still und verborgen vor der Welt, jene hohen Tugenden, welche ihr bis an’s Lebensende die Achtung und Verehrung aller derer erworben haben, welche das Glück hatten, auf ihrem Lebenswege ihr zu begegnen. Wenn auch Manche finden wollen, daß im Aeußern Baireuth, natürlich reducirt, mit Berlin eine auffallende Aehnlichkeit habe, so läßt sich das weniger von der Gesellschaft sagen, obwohl es damals in dieser Richtung noch besser war, als heute. Wir wollen damit nur andeuten, wie schwer es jeder anderen Frau mit weniger Genügsamkeit und Lebensklugheit geworden wäre, sich in die neuen, oft kleinlichen gesellschaftlichen Verhältnisse zu finden. Aber der Liebe wird Alles leicht. Die junge Gattin und Mutter war mit ihrem Herzen ganz in die Herzen ihres Gatten und ihrer drei Kinder hineingewachsen. Sie war für Jean Paul die leise, die unsichtbare Hand, die vor ihm her Alles aus dem Wege räumte, was den hohen Schwung seines Geistes hätte hemmen können. Sie war ihm Natalie und Lenette zugleich, Natalie, mit der er von den höchsten Dingen reden konnte, Lenette, die ihm die saftigsten Braten vorsetzte. Sie allein hatte seine hieroglyphischen Charaktere, die er Schrift nannte, entziffern können. Was er Tags über geschrieben hatte, ging Abends zum Copiren in ihre Hände über. War auf diese Weise ein Werk beendigt, so wurde es von beiden Seiten einer genauen Durchsicht unterzogen und ein Heft angelegt, in welches die Ergänzungen mit dem Zeichen eines Quadrates und einer Zahl eingetragen wurden, während eine bloße Einschaltung nur mit einem Halbmonde bezeichnet war. Die Folge einer zweiten Durchsicht war ein zweites Heft, welches zur Aufnahme der Ergänzungen jener Ergänzungen bestimmt war. Daher dieses Einschaltungssystem, dieser endlose Periodenbau in den Werken des Dichters, der übrigens an seinen Erzeugnissen außerordentlich feilte und nicht das kleinste Billet ohne eine originelle Wendung des Gedankens schreiben konnte.

Auf diese Weise hatte die Gattin alle von 1801–1818 erschienenen Werke copirt, später übernahm die älteste Tochter diese Beschäftigung, nicht ohne Gefahr für ihre eigne geistige Selbständigkeit. Aller Geist ist egoistisch, und Jean Paul war ein so mächtiger, daß er ganz unbewußt keine geistige Eigenart neben sich bestehen ließ. So mußte sich auch die Gattin allmählich von dem mächtigen Magnete anziehen lassen und nahm unwillkürlich seine Sym- und Antipathien an. Namentlich war dies in literarischer Beziehung der Fall. Herder und später die Romantiker standen ihrem Gefühl und Geschmacke näher, als Goethe und Schiller; nächst jenen waren ihr Sterne, Swift, Smolett lieb, von denen sie noch in späteren Jahren die durchlesenen Handexemplare Jean Paul’s besaß. Von dem regen Bildungseifer der Frau möchte am deutlichsten der Umstand sprechen, daß die fast siebenzigjährige noch englischen Unterricht nahm.

Alle Humoristen lieben eine gute Küche, und bei Jean Paul war dies in den Jahren seiner Ehe um so mehr der Fall, als er früher die Genüsse des Lebens hatte entbehren müssen. Wie er in seinem ganzen Leben die Beziehungen zu seiner Jugend festhielt, so liebte er auch die Speisen in der Art, wie sie seine Mutter einst zubereitet hatte. Nicht ohne Mühe gelang es der jungen Frau, dieses Geheimniß der Zubereitung zu ergründen. Ihr zarter Sinn wußte seinen Neigungen und Liebhabereien in jeder Weise entgegenzukommen. So fehlte am Martinitage nie eine fette Gans auf dem Tische. Jedes der Kirchenfeste hatte sein eigenes Gebäck, und Weihnachten durfte die Stolle um keinen Preis fehlen, und die Stolle mußte aus Hof sein. „Natürlich aber buk ich sie selbst, und die größte Lust hatte ich, wenn er beim Essen derselben meinte, in Hof habe man doch einen eigenthümlichen Vortheil in der Bereitung des Backwerkes.“ Bei diesen Worten lächelte sie und freute sich in späten Tagen noch über diese ökonomische Mystifikation.

Der Tod des einzigen einundzwanzigjährigen Sohnes hatte ihrem liebenden Mutterherzen eine tiefe Wunde geschlagen, und dazu mußte sie ihren eigenen ungeheueren Schmerz in die Brust zurückdrängen, um den des Vaters zu mildern. Max Richter war das Opfer des Ruhmes seines Vaters, er wollte in dessen Fußstapfen treten, verzweifelte an seiner Kraft und rieb sich innerlich selbst auf. Die Mutter liebte diesen an Körper und Geist gleich hoffnungsvollen Sohn, wie nur je eine Mutter ein Kind geliebt hat. Noch am Ende ihrer Tage war das Andenken an diesen Sohn der nie versiechende Thränenquell ihres Herzens. Oft traf der Verfasser sie lesend in den Briefen des Sohnes oder denen des damaligen Prorectors der Universität Heidelberg, des Hofraths Schwarz, der über den strebenden, ringenden Jüngling für das Mutterherz wahre Dithyramben geschrieben hatte.

Wenn man bisher von Jean Paul’s Privatleben sprach, legte man den Beziehungen zu einer Frau eine Bedeutung bei, die jedenfalls übertrieben ist. Frau Rollwenzel, die Wirthin am Wege nach Eremitage, war eine ganz gute, biedere Frau, die vortreffliche Kuchen buk und eine Stärke in der Bereitung von Karpfen besaß, aber eine Frau, an welche den Dichter lediglich die Gewohnheit fesselte und vielleicht auch eine kleine Dosis von Eigenliebe, deren Reiz gerade in der Bewunderung einer Frau auf dieser niedern Stufe der Gesellschaft lag. Frau Rollwenzel weinte stets, wenn ihr der Dichter seine Producte vorlas. Ja, aber sicherlich hat sie nicht verstanden, was er ihr las, und gewiß hätte ein ehrenfester Leichensermon des kräftigen Pfarrers von St. Johannis bei ihr dieselbe Wirkung gethan.

Von innigeren Beziehungen, die man hier und da hatte durchschimmern lassen, konnte nicht die Rede sein. Wenn wir auch zugeben, daß die Ehe Jean Paul’s nicht ohne jene Conflicte blieb, die jeder tiefere, geistige Inhalt dieses heiligen Verhältnisses bedingt, Conflicte, die um so tiefer sein werden, je bedeutender zwei Naturen, so war doch seine Gesinnung zu rein, sein Begriff von der Ehe zu erhaben, als daß er sich in dieser Beziehung je hätte etwas zu Schulden kommen lassen. Das eheliche Band zwischen Beiden war durch ein geistiges Band gefestet und verklärt. Seine Liebe und Verehrung für die Gattin war am Ende dieser Ehe dieselbe wie im Anfang geblieben, und mit Recht konnte sie nach dem Tode des Gatten an eine befreundete Dame schreiben: „Ich möchte mein Leben mit keinem andern vertauschen. Ich habe in jeder Beziehung das Höchste genossen.“ Daher sie auch nach dem Heimgange ihres Mannes in Briefen an befreundete und distinguirte Personen sich mit einem gewissen Stolz in ihrer prächtigen Handschrift als die Wittwe Jean Paul’s unterschrieb.

Nach dem Tode des Gatten war es einsam um sie geworden. Die beiden Töchter folgten dem Zuge ihres Herzens und der Bestimmung ihrer Gatten nach München. Die ältere hatte den früheren Maler und späteren Kunstschriftsteller Ernst Förster geheirathet, die jüngere einen bairischen Officier. Von den Freunden des Hauses waren die einen von Baireuth weggezogen, wie Hofrath Langermann, der einem Rufe nach Berlin folgte, ferner ein Sohn Herder’s, andere starben Einer nach dem Andern hin, wie die Familie des Präsidenten von Welden, Emanuel Osmund, der katholische Geistliche Oestreicher. – „Oft kommt es mir vor, als wäre ich auch schon gestorben,“ pflegte sie oft zu äußern.

Vom Jahre 1825 bis 1850 führte sie in Baireuth jenes stille Wittwenleben, von dem wir nachher sprechen werben. Ein zweimaliger Aufenthalt in München und eine Reise nach Berlin, waren die einzigen Unterbrechungen. In Berlin begegnete man der seltenen Frau mit besonderer Aufmerksamkeit, besonders von Seiten der Frau von Paalzow und der Prinzessin Wilhelm, welche der Wittwe des Verfassers der Levana mit ihrer jüngsten Tochter, der späteren Königin von Baiern, auf dem Arme entgegenkam.

Eine freudige Botschaft war für die Ueberlebende der Entschluß König Ludwig’s, Jean Paul auf dem Gymnasiumsplatze in Baireuth eine Statue zu errichten, und diese Enthüllungsfeierlichkeiten waren die glänzenden Herbstlichter ihres Lebens. „Anfangs,“ äußerte sie, „war es mir, als ob ein Schwert durch meine Seele dränge, wenn ich an dem Standbild vorüberging – später verlor sich zwar das Gefühl, aber wenn ich es heute noch vermeiden kann, vorüberzugehen, vermeide ich es doch.“

Man muß es den Baireuthern zum Lobe nachsagen, daß sie die Ehre, die Wittwe Jean Paul’s in ihren Mauern zu haben, wohl zu schätzen wußten. Von Seite der Gesellschaft war „die Frau Legationsräthin“ der Gegenstand zarter und steter Auszeichnung, von den niederen Schichten wurde der „Jean Paulin“ als einem Wesen höherer Art begegnet. Voll pietätvoller Rücksicht benahm sich vorzüglich die Familie des Banquier Schwabacher gegen sie, indem sie von der großen Wohnung, die Jean Paul bei Lebzeiten [552] inne hatte, das Arbeitszimmer und das Wohnzimmer des Dichters zum Nachtheil des größeren Theiles absonderte und der Wittwe überließ, welche noch durch fünfundzwanzig Jahre diese Räume bewohnte. Der Verfasser erinnert sich heute noch des Gefühles der bangen Ehrfurcht, mit welcher er als achtzehnjähriger Mensch diese Räume betrat. Eine kleine Frau, gekleidet in ein graues, dichtes Wollengewand, empfing ihn. Die Gestalt war etwas gebeugt, aber von feinem Anstand und edler Würde gehalten. Der Kopf in der Umrahmung der sehr dichten Garnirung einer fast altmodischen Haube, war der Ausdruck geistiger Frische und herzlicher Güte. Die Wangen behielten merkwürdiger Weise bis in das höchste Alter einen rosigen Anflug, und dieses große, klare, glänzend braune Auge war der thatsächliche Beleg für ihren Ausspruch: „Ich bin der Meinung, daß, je älter, desto glühender man wird.“

Die ganze Einrichtung der Wohnung war einfach und schmucklos und erinnerte an frühere Zeiten. An einer Wand hing in braunpolirtem Rahmen eine größere Zeichnung des verstorbenen Sohnes, dieser gegenüber ein Pastellbild Jean Paul’s aus dessen späteren Jahren, gemalt von Kreul in Nürnberg, und darunter ein Medaillonbild des Obertribunalrathes Meyer. An dieser Wand stand auch das altmodische, mit braunem Wollzeug bezogene Sopha, auf dem der Dichter seinen letzten Athemzug ausgehaucht hatte. Das daneben liegende Arbeitszimmer Jean Paul’s, in dessen Heiligthum einst nur die geistreiche Herzogin von Kurland einzudringen so glücklich war, hatte sich für den Verfasser nur einmal, und zwar bei einer festlichen Gelegenheit, geöffnet. Da war noch der Tisch, an dem der Dichter gearbeitet, das Repositorium, in dessen Fächern die Tagebücher, Collectaneen und Manuscripte lagen, da waren noch die Stiegen für die Kanarienvögel, da hing eine Bleistiftzeichnung, Portrait Jean Paul’s aus seiner Jugend, da waren noch viele theure Reliquien, und ein Blick durch das Fenster fiel auf die dichte grüne Laube des Gartens, in welcher er so oft den Eingebungen seinen Genius gelauscht hatte, und flog weiter nach den lichtblauen Höhen des Fichtelgebirges.

Ein hoher Genuß war es, wenn die Legationsräthin Einen einlud, an ihrer Seite auf dem Sopha Platz zu nehmen, wenn sie vergangene Zeiten und Menschen heraufbeschwor oder irgend ein Thema aus der Geschichte des Tages herausnahm und mit ihrem klaren, sanften, wohltönenden Organ eine Unterhaltung darüber anknüpfte. Sie interessirte sich für alle Erscheinungen des Tages, sei es in Literatur oder Politik. Namentlich hatte sie das Jahr 1848 beschäftigt, und Verfasser konnte sich bei ihrer Furcht vor der Republik hin und wieder eines Lächelns nicht erwehren. „Die Republik,“ behauptete sie, „sei nur eine Staatsform für Branntweintrinker.“ Nach den Ideen und Kreisen, in denen sie sich bewegte, darf eine solche Aeußerung ebensowenig Wunder nehmen, als es unrecht wäre, zu glauben, daß die Vertreterin derselben eine gehorsame Dienerin ihres aristokratischen Umganges gewesen sei.

Wenn Aristokraten hochmüthig waren, und sie die Absicht merkte, war sie es noch mehr, trotz ihres bescheidenen, anspruchslosen Sinnes, der so weit ging, daß sie nie zu bewegen war, zu einem Portrait zu sitzen. So conservativ sie in politischen Dingen war, so freisinnig war sie in religiösen. Ihre religiösen Anschauungen wurzelten in dem seichten Rationalismus ihrer Jugendzeit. Sie halte denselben aber mit einem positiven, geistigen Inhalt zu vertiefen gewußt. Der Grün-Donnerstag war ihr Abendmahlstag. – „Ich nehme das Abendmahl nicht etwa in dem Glauben, daß ich damit den wahren Leib und das wahre Blut Christi erhalte, sondern daß ich durch Erneuerung dieser äußeren Form desto thätiger und wirksamer in der Liebe gegen meine Mitmenschen werde.“ – Bei ihrer Begeisterung für alles Edle war ihr jede Rohheit in Gesinnung oder That auf das Tiefste verhaßt. Es strahlte eine sittliche Würde von ihr aus, die glücklicherweise jede derartige Aeußerung von selbst von ihr ferne hielt. „Es ist ein schlechter Geschmack,“ lautet die Stelle eines ihrer Briefe, „Geschmack am Schlechten zu finden, und schon aus ästhetischem Gefühl sollte man immer gut sein.“ Dabei war ihre Redeweise immer fein und gewählt, und für das Gemeine in der Welt hatte sie keine Worte.

Bewundernswerth war ihr praktischer, ökonomischer Sinn, der dem Baireuther Publicum Anlaß zur Erfindung von allerhand kleinen Anekdoten gab. Die guten Leute konnten nicht begreifen, wie eine Frau, die eine nicht unbedeutende Pension und vielleicht ein Vermögen von 40,000 Thlr. besaß (35,000 Thlr. hatte Reimer in Berlin für das Verlagsrecht sämmtlicher Schriften bezahlt), wie diese mit fast kaum 300 Thalern jährlich sich begnügen konnte. Es ist wahr, daß sie ihre Gäste nicht eben lucullisch bewirthete, aber wer hätte das auch verlangt? Dafür war sie für ihre Familie das Bild werkthätiger, edler, nie ermüdender Liebe. Für ihre Familie strickte, nähte sie den ganzen Tag, für ihre Familie hätte sie selbst darben können, und dem Bitten und Drängen dieser Familie nachgebend, entschloß sie sich im Jahre 1850, Baireuth zu verlassen und nach München in das Haus Förster’s überzusiedeln. „Seit zwei Monaten,“ schrieb sie in einem Briefe aus München vom 25. Juli 1850, „bin ich nun mit aller Habe hier und, indem ich die Bedürfnisse und Wünsche aller Meinigen mit allen Sinnen wahrnehmen und belauschen kann, viel glücklicher, als in Baireuth. Freilich kann ich jetzt weniger mir selbst leben, allein befriedigter, beruhigter, indem ich für diese theuersten Gegenstände meiner Sorge und meiner Liebe das Möglichste zu thun in Nichts gehindert bin. Sie haben mich, entfernt von ihnen, nur immer für sie beschäftigt gesehen, beurtheilen Sie demnach die Aufgaben, die ich mir selber stellte, da ich ihnen nahe bin, und die Bedürfnisse von elf Menschen meinem Auge naheliegen. Auf Welt und Geselligkeit habe ich verzichtet, sogar die brieflichen Mittheilungen an entfernte Freunde und Bekannte sehe ich mich genöthigt zu beschränken, und möchte fast Jeden bitten, mich für todt zu halten, was ja auch so gut sein könnte und hoffentlich nicht mehr ferne sein wird.“

Ehe sie aber dieses Ziel erreichte, sollte ihr der bittre Kelch des Lebens und der Schmerzen noch einmal gereicht werden. Sie sollte noch am Sarge ihrer ältesten Tochter weinen, die im Anfang des Jahres 1853 starb. „Gott hatte dieses reine, nur Liebe ausströmende Herz viel lieber, als mich, und nahm sie, auf dem Höhepunkt ihres Lebens stehend, in seine Vaterarme auf. Bald ihr nachzufolgen, ist mein innigstes Gebet!“

So schrieb sie am Tage nach dem Scheiden dieser Tochter. Sie folgte ihr erst nach sieben Jahren, fast an demselben Tage, nach einem Leben voll Mühe und Liebe im dreiundachtzigsten Lebensjahre.

Georg Horn.