Ein Besuch in einer englischen Baumwollenanstalt

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Besuch in einer englischen Baumwollenanstalt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 781–783
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[781]

Ein Besuch in einer englischen Baumwollenanstalt.

Wir kennen Alle das Wort „Manchester“, aber Viele denken sich kaum etwas Besseres darunter, als unechten, baumwollenen Sammet. Aber die echte Hauptstadt alles Unechten, Gemeinen und Pöbelherrlichen, die Mörderin des Weltfriedens, die unglückseligste Mutter der Schutzzölle, die neronische Beherrscherin der englischen Politik, welche ihretwegen in aller Welt Kunden mit Kanonen erzwingen und erhalten will, die Pflegerin, Erzieherin und Ernährerin der amerikanischen Sclavenarbeit, die Molochs-Göttin, der wir unsere echten, edeln Industrien in Wolle, Leinen, Seide u. s. w. opferten, – dieses echte englische Manchester in Lancashire mit Millionen von verzweifelten Capitalien, Arbeitern und Dampfschloten hinter sich, muß man gesehen und studirt haben, um die furchtbare Bedeutung dieses Wortes ahnen zu können.

Manchester ist der Brennpunkt der England beherrschenden, die ganze Welt unmoralisch und materiell störend beeinflussenden Baumwollen-Interessen, für die unsere Leinweber dem Hungertode preisgegeben wurden, für deren Rechnung wir Alle gewaltsam besteuert werden, um unsere Schutzzollnester, unsere crösusreichen Elberfelder Mucker, unsere nur durch nationale Almosenspenden zu erhaltenden Twistspinner zu ernähren. Und statt uns stattlich und solid in wollene, leinene und seidene Stoffe zu kleiden, müssen wir uns mit gefälschten, künstlich vertheuerten seidenen, wollenen oder leinenen Lügen, mit künstlerisch ausgebildeter Betrügerei oder gar mit der reinen Baumwolle, der Vertreterin alles Pöbelhaften, dem gewaltsam gehätschelten, brutalen Emporkömmling, behelfen. Wenn man alle Fäden und Fasern der Baumwollen-Interessen aus unserer Geschichte, Cultur und Industrie herausziehen könnte, wenn nie eine Flocke auf einer Baumwollenstaude zu etwas Anderem verwendet worden wäre, als wozu die Natur sie bestimmte, mit andern Worten, wenn alle die unberechenbaren Millionen von Capitalien, die Künste, Maschinen- und Arbeitskräfte, die jetzt in der pöbelhaften Baumwolle stecken, zur Ausbildung und Vervollkommnung der edleren Industrien in Wolle, Leinen und Seide u. s. w. ihren natürlichen, unschutzzöllnerischen Weg gefunden hätten – wie schön müßte jetzt die Welt sein? Man denke sich’s ganz im Kleinen und Häuslichen. Jeder Mensch fühlt sich gedemüthigt, gemeiner, sobald er sich in Baumwolle steckt. Unsere Geliebte, unsere Frau und unsere Töchter sehen gemeiner, häßlicher aus, wenn sie Kattunfahnen (noch dazu auf die Käseglocken von Crinolinen gespannt) tragen, statt fließige, feine echte Wollenstoffe oder eigenthümlich lieblich säuselnde Seide.

Nun, so denke man sich wenigstens diese eine Folge der gänzlich gestrichenen Baumwollen-Interessen: unsere Arbeiter würden alle in edleren Industrien arbeiten und freien, durch keinen Schutzzoll geraubten Lohn beziehen, wir würden alle anständiger und schöner bekleidet sein.

So viel einleitungsweise. Genug, um alle in gemeinen Baumwollen-Interessen ergraute Sclaven und Ritter der Industrie zu einem allgemeinen Hohn- und Rachegeschrei zu vereinigen. Dies soll uns nicht irre machen. Wer ruhig geblieben oder es wieder geworden, mag uns getrost in die größte Anstalt begleiten, wo dem modernen Moloch der Industrie mit den gigantischen und vollkommensten Mitteln gehuldigt wird. Einmal in den Wundern der Maschinerie befangen, lassen wir uns hinreißen, als gehörten wir zu den Baumwollen-Enthusiasten erster Classe.

Himmlische Industrie, in deren Interesse sich jetzt die stolzesten Republiken der Welt in Bürgerkriegen zerreißen und nach Tyrannei seufzen, die die stolzesten Baumwollen-Lords zu frommen, demüthigen Gläubigen macht, damit sie den lieben Gott recht inbrünstig um den Sieg und die Verherrlichung der Sklaverei anflehen können!

Kaum sind wir mit der Eisenbahn aus dem dicksten Qualme Manchesters heraus, so schreien die Conducteurs an dem haltenden Zuge entlang: „Heaton Norries!“ Hier stieg ich also mit meinem Freunde und Führer aus, um zunächst eine echte Baumwollen-Industrie-Landschaft von Lancashire zu genießen. Dickes Gemisch von Regen, Nebel und Qualm, so dick und dicht, daß man glauben sollte, man könne sich ruhig darauf setzen. Ein verdrießlicher Wind schlägt dann und wann auf diesen dicken Polster, daß er auseinander weicht und uns eine Viertelminute lang Hunderte von dickqualmenden Krater-Schloten enthüllt. Das ist Stockport, sagt mein Freund. Tief unten vom Eisenbahndamme ein ungeheuer Polster von Qualm, Rauch, Ruß und Regen, zuweilen aufklaffend unter einem trägen Windstoße und einen Wald von dickqualmenden Schloten enthüllend – das ist also Stockport, ein Stück von Manchester und wegen der größten aller Baumwollen Spinnereien eigentlich dessen Vertreter.

Aus dem dicken Polster von Rauch und Dampf ragt dicht an der Eisenbahn ein Schlot über dieses furchtbar begrabene Leben hoch empor und leitet den Blick auf ein riesiges Kubik-Schachbret herab, einen Würfel von Bauwerk, dessen unabsehbare acht Fensterreihen übereinander auf jeder Seite eben an die Quadrate eines Schachbretts erinnern, Ueber 800 Fenster auf jeder Seite, im ganzen Gebäude viel über 10,000. Ein großer leerer Raum auf der einen Seite ist ein niedergerissener Stadttheil, der Platz machen mußte, um eine fünfte Vergrößerung und Erweiterung dieses Ungeheuers von Baumwollen Spinnerei der Herren Kershaw, Leese und Co. aufzunehmen. Aber beinahe die Hälfte der Lancashire-Spinnereien arbeiten entweder blos halbe Zeit oder gar nicht. Alle Wochen werden mehrere Hunderte von Pferde- und Tausende von Menschenkräften ausgespannt, um auf den Sieg der Sclavenhalter und auf Versclavung der Indier zur Baumwollenzucht zu warten. Die mächtigste [782] englische Industrie, die verderblichste für Europa, hängt von der Peitsche, der Knute, der Tyrannei auf der andern Halbkugel ab. –

Die erwähnte fünfte Erweiterung der Kershaw’schen Anstalt ist einstweilen aufgeschoben worden. Gott sei den Millionen von Arbeitern und Capitalien gnädig, deren Heil vom Siege der Sclavenhalter Amerika’s und der englischen Satrapen Indiens abhängt!

Nachdem wir dem Cerberus von Wächter, in einem Käfige am Eingänge wohnend, befriedigende Legitimation gegeben, treten wir ein in die noch voll arbeitende Anstalt, eine ganze Stadt, ein Königreich der Baumwollen-Industrie. Unter Krahnen, schwebenden Balken, auf donnernden, krachenden Boden, zwischen zischenden, puhstenden Legionen von einäugigen Dampfkesseln, durch Labyrinthe von Wegen und Gängen kommen wir endlich in’s Bureau, wo wir mit einem Führer und Erklärer versehen werden.

Zuerst wird vor zwei mysteriösen Maschinen Halt gemacht, in deren Innerem es stürmt und tobt wie ein gefesselter Orkan, der zugleich an allen Wänden seines Kerkers vor Wuth platzen möchte. Das sind die „blowers“ oder Bläser, sagt der Junge vor der einen Maschine. Was thun sie? „Das,“ sagt er, indem er eine tüchtige Handvoll Rohbaumwolle aus dem Ballen reißt und sie, nachdem er uns den Schmutz, die Holzstückchen und Knoten darin gezeigt, seiner Maschine zu fressen giebt. Sie zupft daran etwa wie eine fromme Kuh, der man eine Handvoll Heu vorhält. Es ist rasch verschwunden. Der Junge holt einen ganzen Arm voll baumwollenen Schnee unter der Maschine hervor und behauptet, daß dies die eben verzehrte Handvoll sei. Wir zweifeln, und er zeigt es uns, wie's zugeht. Im Innern wird die Baumwolle mit rasender Kraft und Geschwindigkeit zerzaust und geworfelt, so daß alle fremdartigen Bestandtheile zu Boden fallen.

Nun ist sie reif und rein zum Spinnen, sagen wir. Das ist unser stärkster Irrthum. Es war das erste von mehr als einem Dutzend läuternden Fegfeuern. Die nächsten sehen wir unter den beiden Roh-Bläsern, eine ganze Reihe dumpf zischender und pfauchender Höhlen, in welche der baumwollene Schnee wie ein milchiger Regen herabströmt. Wir sehen in das Innere hinein und finden, daß die Baumwolle gleich am Eingänge von einer furchtbaren Windkraft in die dünnsten Nebel zerblasen wird. Die Kraft geht von einem runden, stehenden Nebel aus, den wir nach Stauung der Maschine als ein Parallelogramm von stählernen Flügeln erkennen. Sie bewegen sich so schnell, daß sie zu einem kaum sichtbaren Nebelfleck verschwinden. Hier werten die Samenkörner und kleineren fremdartigen Bestandtheile vollends abgesondert und durch Ritzen unten zu Boden geschleudert, während die leichtern Baumwollenfasern von Worfelschaufeln unten und deren unsichtbar schnellen Drehungen im Fluge erhalten werden, bis sie am entgegengesetzten Ende wie ein immerwährender Schneesturm herausfliegen, so daß wir im Nu beim Zusehen über und über in chinesische Trauer gekleidet sind und wie lebendige Schneemänner nebeneinander stehen. Gegenüber wird der Baumwollenschnee von „Käfigen“ verschlungen, die ihn auf der andern Seile in wattenartige Bogen gepreßt abliefern. Ein Blick in einen solchen geöffneten Käfig zeigt uns einen Wirrwarr von Freß- und Verdauungsapparaten, so schlingt es, so wurmt und windet es sich darin.

So geht die Baumwolle durch, glaub’ ich, zwölf Reinigungs-, Worfel-, Fächel-, Dresch- und Siebungs-Processe, bis sie zuletzt ruhig, blendend weiß, wunderschön als ein sich sanft senkender Schnee hinsäuselt, aber ohne Flocken, ohne sichtbare Zwischenräume.

Jetzt rollt sich diese gleichsam flüssige Baumwollenmasse auf „Wickel“, große Rollen („laps“), die nun einer ganz andern Armee von Maschinen in einem andern Raume zum Krempeln und Kämmen übergeben werden. Wir fragen nach der Zahl derselben, wie sie auf beiden Seiten wie dicke Bürgermeister aufgestellt sind.

„Achtzig auf der einen, siebenzig auf der andern.“ Sie alle krempeln und kämmen mit einer Präcisison, Einheit und Eleganz mechanischer Kunst, wie sie das beste preußische Regiment auf der Parade nicht nachmachen kann. Die „Wickel“ werden so gestellt, daß die Maschinen selbst sie abwickeln und den ätherischen Wattenpelz gerippten Walzen der Krempel und Kämm-Maschinen übergeben. Diese sind von allen Seiten geschlossen, so daß sie ungesehen im Dunkeln arbeiten. Eine, für unsere Belehrung aufgemacht, zeigt einen großen sich drehenden Cylinder in der Mitte und eine Menge kleinere um ihn herum als Krempelkämme thätig. Kleine Stahldrähte, feiner und dichter als die Borsten in einer Haarbürste, auf diesen Cylindern spielen so gegen den großen mittleren, daß sie die in ihre Zähne gezogene Baumwolle den in entgegengesetzter Richtung eingreifenden Stahlborsten desselben überliefern, so daß sie sich wie ein zarter Reiffrost über denselben verbreitet, nachdem sie von Cylinder zu Cylinder oder Krempelhechel zu Krempelhechel in allen ihren feinsten Fäserchen so glatt gekämmt ist, daß sie wie das beste, gekämmte Haar des Stutzers neben einander liegen. Von dem großen Cylinder nun wird der so glatt gekämmte baumwollene Hauch durch einen rasch und leise entgegengesetzt eingreifenden, zitternd vor und zurück spielenden Kamm wie ein schneeweißer Nebel fortwährend abgehechelt. Dieser Nebel sieht kaum so substantiell aus, wie ein Paff Rauch von der Cigarre, gleichwohl zieht er sich sicher und graciös zu einem lockern, ebenen, glatten Faden zusammen, der fortwährend durch eine Röhre gezogen sich fortbewegt, um durch folgende Maschinen-Operationen erst die Weihe zum glatten, haarartigen, egalen, glänzenden Maschinen-Baumwollenfaden zu erhalten. Die wolkige, abgekämmte Scheibe („silver“) zieht sich also zu einem lockeren Faden zusammen, indem sie sich durch eine Röhre hinunter in einen nässenden Trog bewegt, um von da aus mit sechzehn ganz ähnlichen Scheiben und Fäden zu einem einzigen vereinigt zu werden. Dies geschieht, um die sonst noch möglichen Unebenheiten in den einzelnen Fäden so zu vertheilen, daß an dem hernach daraus gesponnenen Faden keine bemerklich werden, da die Wahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens aller dieser noch möglichen Unebenheiten an einer Stelle wie viele Millionen zu Eins sein würde und deshalb unter vielen Millionen von Meilen Fäden, die täglich gesponnen werden, kaum alle Monate einmal wirklich vorkommt.

Die je sechzehn zu Fäden gewordenen und vereinigten Scheiben wickeln sich wie ein ruhig fließender milchiger Strom um große Walzen, die, wenn bis zu einer gewissen Dicke umwickelt, abgenommen und durch leere ersetzt werden. Die 150 Krempel- und Kämm-Maschinen thun genau dasselbe neben einander, d. h. sie verwandeln den vorher erwähnten Schneesturm in ungedrehte, dicke, talglichtartige, aus je sechzehn Strähnen neben einander gelegte und dann auf Walzen gewickelte Fäden.

Jetzt endlich kommt das Spinnen – noch lange nicht. Die Walzen wandern in das Departement der Zieh-Maschinen. Als die Zeiten, wo Bertha spann, noch nicht vorbei waren und die Spinnstuben noch zur täglichen Winter- und Dorfpoesie gehörten, war die geschickteste und feinste Spinnerin Deutschlands nicht im StaNde, den Faden so regelmäßig und gleichartig auszuziehen, als es hier ein paar Hundert Maschinen einer Spinnerei Tag und Nacht thun, ohne müde zu werden, einzunicken, den Faden zu zerreißen, sich den Wocken stehlen zu lassen und ihn durch Küsse wieder einlösen zu müssen. Hier ruht, hier küßt nichts, hier ist Alles, Alles morgenweit um uns her und acht Stockwerke hoch, Alles, Alles endlos drehende, rollende, walzende, donnernde, von Dampf und Angst, Börsen-Coursen und Kriegsnachrichten gepeitschte, gefühllose, unersättliche, unerbittliche Bewegung.

Die Operationen der Ziehmaschinen zu beschreiben, halte ich kaum für möglich, ohne Zeichnungen und technische Ausdrücke zu brauchen. Sie beruhen auf der Einrichtung, daß je zwei von den sechzehnfachen Fäden von einer sich langsamer bewegenden Walze auf eine sich schneller drehende zu einem 32fachen, aber dünneren ausgezogen werden. Dieses Ausziehen von je 32 und 32, von 64 und 64, 148 und 148 Fäden und so weiter zu je einem wird desto weiter getrieben, je feiner der endlich gesponnene Faden werden soll. Unser Cicerone im Zieh-Departement bemerkte beiläufig, daß man eben nichts besonders Feines spinne und deshalb blos 4608 Fäden zu je einem ausziehe.

Wenn aber dabei einmal einer reißt mitten unter Tausenden, die vor uns hin und zusammenkriechen? Wunder über Wunder! So wie einer reißt, fällt eine Platte an der Stelle hörbar nieder, wodurch vor den Augen des Maschinisten ein Zeichen entsteht, das ihn mahnt, die bestimmte Stelle sofort in Ruhe zu versetzen. Dies geschieht; eines der beaufsichtigenden Mädchen holt das davon gelaufene Stück Faden zurück, legt es an das Ende des zurückgebliebenen, und der Schaden ist schneller geheilt, ehe wir nur bemerken, daß die Maschine still stand. Dieses Ankleben, scheinbar eine gedankenlose Kinderei, ist beiläufig eine solche Kunst, daß man ordentlich Lehrjahre durchmachen muß. Wir versuchten’s unter allgemeinem Gelächter öfter, ohne daß die Fäden nur daran dachten, sich wieder zu vereinigen. Unser Führer bemerkte noch, daß man für den feinsten Twist die Fäden bis zu 60,000 aus- und zusammenziehe, [783] um aus diesen 60,000 eben je einen einfachen, feinsten Faden zu spinnen.

Maschinen zum weiteren und zugleich compacteren Ausziehen – Spindelmaschinen – liefern schon so zusammenhängende, lampendochtähnliche Fäden, daß sie sich auf Spindeln wickeln. Dies geschieht in dem Drossel-Raume, einer Singakademie, wo nicht weniger als 18,000 Drosseln immerwährend Chor singen. Das sind die 18,000 sausend gedrehten Spindeln dicht neben einander in schnurgeraden Linien, von einem Rade gedreht, und dies Rad von einem einzigen Riesenschaft aus, der senkreckt durch alle Etagen hindurchsteigt, alle 250 Pferdekräfte der ganzen Anstalt in sich vereinigt und über Millionen von mechanischen Bewegungen ausdehnt. Durch langsameres Ab- und schnelleres Aufwinden der Spindeln und Spulen werden hier die Fäden endlich zu ihrer erforderlichen Feinheit ausgezogen und dabei für die feinsten Sorten von Twist für Spitzen, z. B. für Nr. 100, bis zum Sechzigtausendfachen ihrer ursprünglichen Einfachheit verdoppelt. Je feiner das Garn oder der Zwirn, desto mehr Doppelung und Ausziehung, weil nur dadurch die möglichen Ungleichheiten bis zum Unentdeckbaren verschwinden. In London kann man in jedem Posamentirladen 100 verschiedene Stärke- und Feinheitsgrade von Nähbaumwolle kaufen.

Obwohl verschiedene Firmen beliebig andere Arten des Numerirens angenommen haben, gilt doch als Regel, daß, je höher die Nummer, desto feiner der Faden. Alle Arten, auf hölzerne Wickel gewunden und so glatt und eben, daß nie ein Faden den andern kreuzt, sind durchaus seidenglänzend, rein wie frisch gefallener Schnee und so egal, daß die feinsten Haare im Malerpinsel nicht glatter sein können. Jede Frau, die mit englischer Nähbaumwolle arbeitet, kann uns dies zeigen und bestätigen.

Wir steigen eine Etage höher, während das ganze Königreich mit Tausenden von Gaslichtern illuminirt wird. Hier verbreitet unser alter Freund, der Hauptschaft, ebenfalls ein unabsehbares spinnendes Leben, aber nicht mit Drosseln, sondern mit „Mauleseln“. Die Spinngestelle zum Ziehen und Drehen des Schußgarns heißen hier eben Maulesel, und wir lassen den Namen gelten, wie Schulze und Müller, ohne nach Ursachen zu fragen. – Es arbeiten immer je zwei Mauleselgestelle mit und gegen einander, ein fahrendes und ein stehendes. Ersteres, auf Eisenschienen hin- und zurückfahrend, zieht die sich drehenden Fäden – immer Hunderte auf einmal – aus und übergiebt sie im Wiederkommen den aufrollenden Spindeln des letzteren. Das geschieht Alles so leicht, sicher und gewissenhaft, daß ein Paar Männer und Jungen im Stande sind, alle etwa reißenden Fäden an je zwei Paaren im Nu wieder anzulegen.

Eine Treppe höher – wieder Drosseln in’s Unabsehbare. Noch eine Treppe höher – Alles voll Maulesel bis in verdämmernde Ferne. Alles Maschinerie von den tiefsten Tiefen bis zu den höchsten Höhen und in jeder Etage unabsehbar. Dazwischen nur einzelne verstreute, mechanische, lautlose, in dem ewigen Gewirr und Gedonner ohne bin unhörbare Menschen, alle gespannt aufpassend und mechanisch zugreisend, wenn die Maschinerie es verlangt, Knaben, Mädchen erhitzt (die feinen Fäden gedeihen nur in hoher Temperatur), alt, nichtssagend, wie Maschinentheile aussehend, Menschen kaum hier und da einzeln und einsam zu entdecken - und doch 1800 Menschen an der Zahl. Ueber 1800 Menschen, deren Seele und Gesundheit hier mit versponnen wird, indem sie Maschinen beaufsichtigen, welche über 120,000 spinnende Hände nicht blos ersetzen, sondern an Feinheit und Meisterschaft der Arbeit unendlich übertreffen.

Endlich ein geschlossener, übersehbarer Raum voll junger Mädchen; aber sie sehen alle so kahl ans wie Puppenköpfe, nur älter, ernster, blässer. Sie beaufsichtigen die allgegenwärtige, uns noch nicht zu Gesicht gekommene Dampfthätigkeit, die hier in zauberhafter Geschwindigkeit das Garn von den vollen Spindeln auf große, dicke Wickel dreht. Wir können hier nicht auf die Unterschiede des von Drosseln und Mauleseln gesponnenen Twistes eingeben; genug, daß erstere das Grund- oder Ketten-, letztere das Einschußgarn liefern. Das so gewickelte Garn marschirt nun dem Webstuhle entgegen und dabei durch verschiedene Processe der Vorbereitung, z. B. durch Kleister und über heiße Walzen, die einen unangenehmen Dampf verbreiten und das Garn trocken und gestärkt entlassen. Dies geht nun in die Hände der geschicktesten und am besten bezahlten Arbeiter, die den Webstuhl „bekleiden“. Sie verdienen 10 bis 15 Thaler wöchentlich.

Der Mechanismus des Webens ist ziemlich bekannt. Nur daß die Maschine viel sicherer, schneller und massenhafter arbeitet, als unsere verhungernden, verschollenen Leineweber. Wir machen nur auf die beiden mechanischen, dampfgetriebenen Hände aufmerksam, welche das Weberschiffchen immerwährend leise, blitzschnell und sicher durch die auf- und abkreuzenden Fäden treiben und so den Einschlag machen.

Nun einen Blick in das Webe-Departement! Wer wird’s uns glauben, wenn wir sagen, wie viel Webstühle derselbe allgegenwärtige, allmächtige Schaft hier bewegt? Glaubt’s oder nicht – es sind 1345 mit 2690 mechanischen Händen für die Webeschiffchen und einer Menge Kinder- und Mädchenhände zum Bedienen. Diese unendlichen Lichter, dieses ewige Klappen, Quirlen, Ziepen und Bumpsen, dieses Sausen und Säuseln, dieses Hereindonnern des Dampfriesen von unten, diese schweigenden, ernsten Kinder dazwischen – welch’ eine Welt, welch’ eine verzauberte, verwunschene Herrlichkeit und Glorie der verfluchten, Menschen beherrschenden, Republiken zerstörenden, Sklaverei heiligenden, Freiheit brandmarkenden, England demoralisirenden, die Welt verrückenden dämonischen Baumwollen-Industrie!

Noch einen Blick in den einsamen, eleganten Kerker des Dampfriesen, der mit jedem Athemzuge, jedem leicht gleitenden Stoße der Kurbel 250 Pferdekräfte durch diese ungeheuere acht Stock hoch über einander gebaute Maschinenstadt so sicher und regelmäßig ausstrahlt, daß unzählige Maschinen auf sein Geheiß pünktlich und präcis worfeln und schaufeln und sieben und Schneestürme von Baumwolle unterhalten, daß diese Schneestürme sich in feine, ruhige Nebel verwandeln, riefe dann zu milchigen Strömen runder Fäden werden, diese Fäden sich bis zum Sechzigtausendfachen in einander und zur Feinheit des Spinnenfadens ausglätten und dehnen, diese Fäden sich in beinahe anderthalbtausend Webstühlen zu glatten Callicoflächen verdichten und aufrollen und Palmerston nöthigen, in der ganzen Welt Kriegsschiffe zu halten und Löcher nach China und Japan hineinzuschießen, Callico und baumwollene Taschentücher hindurchzustecken und den Böllern rund um die Erde zu drohen, die sich dieser Baumwollen-Politik nicht fügen wollen. Wackerer, stolzer, einsamer Dampfriese, du weißt nichts von dem anfangs unschuldigen Milch- und dem nachfolgenden Blutregen, den die Früchte deiner Kraft über die Erde ausschütten. Hättest du aber Bewußtsein, gewiß würdest du dich lieber in deinem eigenen Dampfe ersticken, statt die Verantwortung dafür auf dich zu nehmen. Und wie wär’s, wenn man diese stolze Anhäufung von Technik, Mechanik und Genialität edleren, kleidsameren, nicht durch Sclaverei erpreßten Stoffen zu Gute kommen ließe? Wenn du in Wolle, Seide, Flachs schwelgen könntest? Wenn die Millionen Capital-, Pferde- und Menschenkräfte, die jetzt in dem Fluche Amerikas zittern und schon vor Angst still stehen, dem friedlichen Producte des Schafes, der stillen, dichterischen Arbeit des Seidenwurmes, den Früchten deutscher Flachsfelder zugeflossen wären?

Der Riese schweigt, und auch wir Zwerge können nichts Besseres thun.