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Autor: Henriette von Bissing
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Titel: Vom Hühnerhof
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49–50, S. 778–781, 795–798
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Vom Hühnerhof.

Von Henriette v. Bissing

Wer unsere befiederten Hausthiere nur aus dem Gesichtspunkte ihrer Nutzbarkeit, der Augenlust oder Curiosität betrachtet, der kennt nicht zur Hälfte das Vergnügen, welches der Naturfreund auch auf einem Hühnerhofe zu finden weiß. Während Jener hier nur gefräßige, sich vielfach zankende Geschöpfe sieht, deren besseres oder schlechteres Gedeihen und größere oder geringere Eierproduction er mit dem Kostenaufwande vergleicht, den ihr Unterhalt ihm verursacht, oder wer sich doch nur an ihrer äußeren Gestalt und an der Verschiedenheit der Racen und ihrer Seltenheit ergötzt, faßt Dieser zugleich ihr Seelenleben [779] mit in’s Auge. Er erblickt dann in dem Haushahn das Musterbild eines guten Familienvaters, in der fleißigen und unerschöpflichen Eierlieferantin seines Haushaltes, der Henne, zugleich eine treue, sich selbst verleugnende, mit Geduld und Ausdauer, mit Nachsicht und Zärtlichkeit begabte Mutter, in dem Küchlein das sich unter allen lebenden Geschöpfen verhältnißmäßig am raschesten entwickelnde und eins der reizendsten und possirlichsten, in dem Ei aber eines der größten Wunder der Welt. – Von dem letzt angedeuteten Standpunkte aus aufgefaßt, gebe ich meine Mittheilungen und beginne naturgemäß mit dem Ei.

Die erste Entstehung und Entwickelung desselben zu erklären, überlasse ich den gelehrten Naturforschern, ich halte das schon fertige, in’s irdische Dasein gerufene in der Hand und erblicke eine längliche Kugel, die sich kalt und hart wie ein Stein anfühlt. Allein ich weiß schon, daß diese Kugel inwendig hohl und die innere Seite der Schale mit einer weißen, weichen, ziemlich dicken Haut austapezirt ist, schon zur weichen Decke für das zarte Leben bestimmt, welches sich bald aus dieser kalten, harten Kugel entwickeln wird.

Der Raum, den die glatte Tapete umschließt, ist mit einer durchsichtigen, farblosen Flüssigkeit ausgefüllt, in deren Mitte eine etwas abgeplattete gelbe Kugel schwimmt. Diese Kugel besteht aus einer mehr verdickten Flüssigkeit, die durch eine sehr zarte Haut zusammengehalten wird, an deren einem Ende sich einige feine Blutgefäße und ein kleiner ausgekräuselter Faden zeigen, der seinerseits wieder noch mit einer trüben, schleimigen Masse überzogen ist.

Aus diesem unscheinbaren Fädchen entwickelt sich nun, wenn das Ei unter den gehörigen Wärmegrad gebracht wird, innerhalb des kurzen Zeitraumes von 21 Tagen ein lebendes Wesen, das nicht nur mit allen Sinnen und Lebensorganen, mit Eingeweiden für des Leibes Nahrung und Nothdurft, mit Knochen und Muskeln, mit Fleisch und Blut, sondern auch mit einem Herzen ausgestattet ist, das sich empfänglich zeigt für Freude und Genuß, für Leid und Verdruß. Ja selbst das Kleid bringt das Küchlein sich schon fertig mit auf die Welt, das bestimmt ist, es nicht nur zierlich zu schmücken, sondern auch gegen Nässe und Kälte auf das Beste zu schützen.

Schon am 19. Tage darf man die bebrüteten Eier nur vorsichtig in ein hinlänglich mit warmem Wasser gefülltes Gefäß legen, um sofort zu erfahren, welche unter ihnen lebende Küchlein in sich schließen. Denn diese beginnen alsbald sich zu drehen, auf- und abzuhüpfen, oder tanzend zu kreisen, während die unbefruchteten sich zwar oben schwimmend, aber doch gänzlich still verhalten, die verdorbenen aber sogleich zu Boten sinken. Diese kann man dann getrost wegwerfen, während man gut thut, diejenigen, die sich still verhielten, der Bruthenne doch noch wieder mit unterzulegen; denn oftmals ist ein Küchlein zu schwach, oder verspätet sich mit seinen Bewegungen.

Wenn nun aber die Zeit erfüllt ist, so beginnt das kleine Herz zu pulsiren, der Instinct regt sich unter der zarten Hirnschale, und das Küchlein beginnt mit seinem Schnäbelchen gegen die starken Wände seines Kerkers zu pochen, in welchen es jetzt noch als ein fest in einander verpackter nasser Klumpen ruht, den die Federn in der Gestalt von nassen Zwirnfäden zusammenzuhalten scheinen.

Endlich gelingt es dem noch so schwachen, aber emsig arbeitenden Thierchen, die äußere spröde Schale des Eies zu zersprengen, und es zeigt sich ein kleines Loch, das eine mäßiggroße Linse vollständig bedecken würde. Darunter aber zeigt sich jetzt noch die zähe und deshalb bei weitem schwieriger zu durchstoßende Haut. Indessen scheint es, als ob das Küchlein sich schon des hindurchdringenden Lichtes erfreue; denn obgleich noch gefangen, piept es schon fröhlich, ein Ton, auf den die Gluckhenne mit sichtlichem Stolze und froher Ueberraschung horcht.

Von diesem Augenblicke an beginnt sie sich auch schon ausschließlicher mit dem Ei zu beschäftigen. Mit Schnabel und Flügeln rückt sie dasselbe ihrem Herzen näher und ermuntert das Küchlein durch zärtlich lockendes Glucksen, sich die schwere Arbeit nicht verdrießen zu lassen. Jetzt scheinen die Kräfte desselben auch sichtlich zu wachsen, fort und fort hämmert das Schnäbelchen, und endlich ist das größte Hinderniß überwunden, es wird ein Riß in der Tapete bemerkbar. Nun kommen Flügel und Beinchen dem Schnabel auch bald zu Hülfe. Sie versuchen sich zu dehnen, sie stoßen und drängen, und während die Glucke dafür sorgte, daß die erste Oeffnung nach oben zu liegen kam, hat auch sie dem Küchlein sein schwieriges Unternehmen, so viel als ihr räthlich schien, erleichtert. Plötzlich zerbirst die Schale des Eies in zwei Hälften, nur das junge Leben ist nun völlig entfesselt. Doch nun auch todesmatt, versinkt das Küchlein sogleich in einen festen Schlaf, und schriebe ich ein Märchen nur nicht ein Stück. Naturgeschichte, so könnte ich durch eine Mittheilung dessen, was der Traum, dem Küchlein erzählt, die Leser noch eine Spalte lang unterhalten. Allein heute erzähle ich nur Wahres, Selbsterlebtes und Erforschtes, und so überlassen wir das Küchlein klüglich der höchst nothwendigen Ruhe, die es in wenigen Stunden für die neue Lebensperiode befähigt.

Wenn wir es nun wiedersahen, erkennen wir den nassen Klumpen nicht mehr. Die Augen blicken uns schon groß und verwundert und, obgleich noch etwas träumerisch, doch furchtlos an, und versuchen wir, es auf seine Füßchen zu stellen, vermag es schon, obgleich noch etwas schwankend, sich darauf zu erhalten. Auch sind die Federn nun völlig getrocknet und haben sich in einen weichen Flaum verwandelt, der das Küchlein, wie der schönste, feinste Pelz, vollständig, bis auf Schnabel, Augen und Beinchen einhüllt.

Doch immer noch blickt es matt und müde, starr und träumerisch vor sich hin, und versuchen wir das Schnäbelchen in ein Gefäß mit Milch zu tunken, so sträubt das kleine Geschöpf sich kräftig gegen dieses erste und beste Nahrungsmittel, das wir ihm reichen können. Dennoch haben wir ihm mit diesem Versuche schon den besten Dienst geleistet. Das vorher noch verklebte Schnäbelchen hat sich gelöst. Vielleicht ist auch auf homöopathische Weise etwas Milch auf die Zunge gelangt und hat den Sinn des Geschmacks geweckt, genug, wenn wir nach einigen Stunden das Manöver wiederholen, verschmäht unser Pflegling die Milch schon selten, ja, er hebt schon das Schnäbelchen hoch, um sie auf diese Weise in seine kleine Kehle zu befördern, und stellen wir ihn jetzt auf seine Füßchen, so vermag er nicht nur schon steif darauf zu stehen, sondern auch damit schon einige Schritte in die weite Welt zu thun. Wir müssen nun von Zeit zu Zeit den Versuch wiederholen, bis wir endlich uns und das Küchlein der nächtlichen Ruhe überlassen.

Am nächsten Morgen ist bei dem Küchlein vom Gehen nicht mehr die Rede, nun läuft es schon auf das Graciöseste umher, und wenn wir ihm jetzt hart gekochte und dann wieder zerkrümelte Eier, Grütze oder Brodkrumen hinstreuen, so pickt es schon darnach, und noch im Laufe dieses seines zweiten Lebenstages lernt es, sich ganz allein bei Speis und Trank zu bedienen.

Von diesem Tage an macht es überhaupt wahrhaft reißende Fortschritte in seiner Entwickelung. Als ein dreitägiger Knirps ist es schon muthwillig und neckt Mutter und Geschwister, indem es die erstere in Kamm und Augen zu beißen, den letzteren die zarten Daunen ihres Pelzes auszureißen versucht.

Nach acht Tagen kratzt nur scharrt es schon im Sande und sucht nach Futter so eifrig und geschickt wie die älteste Henne. Auch bemerken wir bei dieser Gelegenheit schon Zeichen der Klugheit und Gehorsam an ihm. Wir sehen es vielleicht mit Begierde über das Futter herfallen, das wir ihm stets reichlich spenden, als sich plötzlich die Henne in den Kopf setzt, dasselbe könne dem Küchlein schädlich sein. Sie läßt darauf einen Warnungsruf erschallen, den die Kleinen sogleich hören und verstehen. Sogleich lassen sie das schon mit dem Schnabel erfaßte Futter wieder fallen und vorsichtig, mit weit vorgestrecktem Halse. Verwunderung und Neugierde blicken lassend, treten sie alsbald davon zurück, es ruhig abwartend, ob die zur Prüfung des Futters herbeischreitende Mutter ihnen die Erlaubniß ertheilen wird, sich dem Genuße desselben hinzugeben. Gewöhnlich ist dies alsbald der Fall, indem die Glucke sich zuerst selbst bedient und dann lockend die gehorsamen Kinder aufmuntert, ihrem Beispiele zu folgen. Oftmals aber habe ich es auch erlebt, daß die Henne ihre junge Kinderschaar zusammenrief und sich so weit als möglich mit ihr von der Stelle entfernte, wo die ihr nicht paßlich scheinende Speise lag. Ob dies allemal seinen Grund in ihrer besseren Erkenntniß hatte, oder sie nur ihre mütterliche Autorität gegenüber meiner herrschaftlichen zeigen wollte, ist mir noch immer zweifelhaft geblieben, obgleich ich öfter dies Letztere glauben mußte.

Wieder einige Tage älter geworden, badet das Küchlein schon im Sande, indem es sich bald platt, bald von der Seite darauf [780] niederwirft und mit Flügeln, Kopf und Beinen dies lockere und doch scharfe Reinigungsmittel, das ihm im Hause hinzuwerfen wir nicht unterlassen dürfen, seiner Haut nahe zu bringen und die gern darauf nistenden Insecten zu vertreiben sucht.

Sechs Wochen lang, zuweilen etwas länger, oft selbst noch kürzere Zeit, sieht das Küchlein sich nun von seiner Mutter auf das Sorglichste gehütet, auf das Zärtlichste und Nachsichtigste verhätschelt; sobald die Henne aber auf’s Neue den Beruf zum Eierlegen in sich verspürt, schwindet fast plötzlich alle Zuneigung für die Küchlein aus ihrem Herzen. Bis heute noch setzte sie sich allabendlich auf das ihr zu diesem Zwecke auf den Fußboden eines sicher verwahrten Raumes bereitete Nest und versammelte die Küchlein lockend unter ihre Flügel. So wie sie größer wurden, wuchs auch die Beschwerde, die sie davon hatte, denn nicht nurr daß ihre

Auf einem norddeutschen Hühnerhofe.

eigene Stellung mit den zusammen gekrümmten Beinen und den ausgedehnten Flügeln für eine ganze Nacht äußerst unbequem war, sondern als die Küchlein zu groß wurden, um überhaupt noch alle Platz unter ihr finden zu können, setzten sich einige ihr gar auf Hals und Rücken. Dennoch ertrug sie Alles mit zärtlicher Nachsicht und Selbstvergessenheit; wo sind diese Gefühle nun so plötzlich hingekommen? An diesem Abende ersteigt sie den ersten besten höheren Gegenstand, den Rand einer Kiste, eines Korbs oder dergleichen, läßt aber dabei freilich noch den lockenden Gluckton vernehmen. Aengstlich schreiend und piepsend sehen die Küchlein diesem ihnen noch ganz neuen und unbegreiflichen Treiben der Mutter zu und versuchen endlich mit mehr oder weniger Geschicklichkeit sich ihr nach zu schwingen, was für das erste Mal nur wenigen gelingt. Die Uebrigen setzen sich endlich ermüdet, dicht neben einander geschaart, auf den alten Ruheplatz, und der Traum dieser ersten selbstständig von ihnen hingebrachten Nacht mag den Unterricht für das Erreichen der Hühnersteige bei ihnen fortsetzen.

In der Regel fährt auch die Glucke noch einige Abende damit fort, oftmals überlässt sie die Küchlein schon am zweiten oder dritten sich selbst und setzt sich so gleichgültig, als hätte sie die mütterliche Periode ihres Lebens mit all ihren Mühen, Sorgen und Freuden gänzlich vergessen, wieder zu Gatten und Nebenbuhlerinnen auf die Hühnersteige. Wollen aber die Küchlein sich auch hier ihr nachschwingen, so beißt sie sie eben so unbarmherzig davon zurück, wie dies die übrigen Hennen thun. Einstweilen, und bis sie sich erst mehr an eine so grausame Behandlung gewöhnt, oder bis sie stärker geworden und sich schon wehren und vertheidigen können, müssen die armen Kleinen nun sehen, wie und wo sie sich für die Nacht unterbringen.

Am nächsten Morgen, bei dem gemeinschaftlichen Frühstücke, erhalten sie einen neuen, fast noch empfindlicheren Beweis von der veränderten Gesinnung ihrer Mutter. Bisher war dieselbe unablässig bemüht, ihnen Futter zu suchen und die besten Bissen davon vorzulegen, und solche von der Mutter dargebrachte Bissen, von dem zärtlichsten Locktone begleitet, munden dem Küchlein ganz besonders gut. Denn wenn jener Ton erschallt, lassen sie das leckerste Mahl, das wir ihnen vorgesetzt, sofort im Stiche, um sich zankend und streitend den Vorrang beim spendenden Schnabel der Mutter abzulaufen, der doch nur einen einzigen Bissen fasten kann.

An diesem Morgen ist auch diese Lust der ersten Kindheit verschwunden. Kein gluckender Laut läßt sich mehr hören, und die Küchlein müssen von nun an nicht nur selbstständig und vereinzelt für ihren Unterhalt sorgen, sondern sich auch hüten, dem Schnabel ihrer unnatürlichen, oder vielmehr nur zu natürlich, Mutter (denn gehorcht die Henne nicht auch hierin dem Gesetz der Natur?) zu nahe zu kommen.

Allmählich entwickeln sich nun aus den Küchlein Hähne und Hennen und in ihnen alle guten und schlimmen Eigenschaften eines Geschlechtes, bei dem, wie überall im Thierreiche, der Stärkere den Schwächern beherrscht.

Daß ich den Haushahn das Musterbild eines guten Familienvaters nannte, will ich jetzt zu beweisen suchen. Wachsam, muthvoll und vorsorglich, zeigt er sich stets als der aufopferndste Beschützer, Versorger und selbst Erzieher der Seinen. Kann er sich ihnen doch auch ausschließlich widmen, da er weder für den Staat noch die Gemeinde Pflichten zu übernehmen hat. Zwar ist der Hahn im geselligen Verkehr mit seinen speciellen Geschlechtsgenossen streitsüchtig und kampfbegierig, allein bei weitem großartiger gesinnt [781] wie die Hennen, verschmäht er es aus kleinlichem Neide den Schwächeren anzufallen, nur Eifersucht und Ehrgeiz oder auch der Zorn über schlechtes Betragen kann ihn dazu veranlassen.

In der Regel ist sein Benehmen voller Mäßigung und Würde und zeugt von Selbstverleugnung und Generosität. Die Sorgfalt und Wachsamkeit eines Familienoberhaupts lassen ihm selbst während der Nachtstunden keine Ruhe. Oftmals schon um Mitternacht ermahnt er durch sein helles Krähen die Seinen, nicht allzu fest zu schlafen, um bei einer etwa sich nahenden Gefahr sich gleich vertheidigen oder doch flüchten zu können. Während des Tages späht er fleißig mit seitwärts gelegtem Haupte in die Luft hinaus, ob auch kein Raubvogel sich zeige, und er ist sicher der Erste, der die raubgierig herbeischleichende Katze, den jagdlustigen Hund wahrnimmt. Ja oftmals bewegt ihn schon der Schatten einer flüchtig vorübereilenden Wolke, seinen Warnungsruf ertönen zu lassen, den all die Seinen, selbst das acht Tage alte Küchlein, nicht sobald vernehmen, als sie auf Flucht und Rettung bedacht sind. Die alten Hennen zeigen bei dieser Gelegenheit freilich den wenigsten Respect vor der Unfehlbarkeit ihres Gebieters. Die Erfahrung hat sie belehrt, daß er oft blinden Lärm schlägt, eine Schwalbe für einen Habicht, eine Wolke für einen Adler gehalten hat. Sie werfen daher erst selbst einen Blick in die Gegend hinaus, von woher die vermeinte Gefahr sich nahen soll, und stellen sich, wenn sie von Hund oder Katze bedroht werden, denselben nicht selten mir gellendem Zankgeschrei muthig entgegen. Die Küchlein hingegen flüchten sich jedesmal ängstlich, wo sich dies am nächsten und besten thun läßt.

Unparteilichkeit ist eine zweite gute Eigenschaft des Haushahns. Er widmet seine Sorgfalt allen Mitgliedern seiner Familie in gleicher großmüthiger Weise. Er füttert Groß und Klein und bedient sich selbst erst dann des Futters, wenn Ueberfluß vorhanden ist. Er vertheidigt alle und sucht die Sitten der Hennen sowohl zu verbessern, als die des Küchleins, das eben ungehorsam sich zeigt.

In der Zuneigung zu seinen Frauen zeigt er sich zwar wie alle Sultane, indem er eine oder die andere derselben zur Favoritin erhebt, und bei dieser Wahl verfährt er oftmals mit demselben unbegreiflichen Geschmack, wie wir das nicht selten die Herren der Schöpfung thun sehen. Allzu sicher darf eine solche Favorithenne sich aber nicht auf diese Schwachheit verrathende Gunst verlassen, oder ihre Launen zu sehr übertreiben, denn obgleich der Hahn, wie gesagt, sehr nachsichtsvoll und verblendet sein kann, erniedrigt er sich doch niemals zum Pantoffelhelden. Am Schlusse meiner Abhandlung werde ich in einer Anekdote aus dem Leben von Hahn und Henne hiervon ein pikantes Beispiel erzählen.

[795] Was die Hennen unter dem Hühnervolke betrifft, so muß ich leider über sie das Urtheil fällen, daß sie nur als Mütter liebenswürdig, als unermüdliche und unerschöpfliche Eierlieferantinnen schätzbar sind. Als Gattinnen zeigen sie sich kaltherzig, launenhaft, anspruchsvoll und nicht selten kokett und leichtsinnig, im geselligen Verkehr mit ihren Gefährtinnen und allen Schwächeren neidisch, ruhmredig und zanksüchtig; und nur im vollkommen gesättigten Zustande setzen sie sich friedlich neben einander. Glücklicherweise sind indessen die Schwächen, die sie als Gattinnen entfalten, nicht unheilbar, wie ich dies später zeigen werde.

Im geselligen Verkehr beneiden sie sich unter einander um nicht weniger denn Alles: um das Futter, die Nester, den Platz auf der nächtlichen Hühnersteige, um den sie sich am Abend in der Regel so lange zanken und sich durch Beißen und Stoßen davon zu verdrängen suchen, bis die Müdigkeit oder der Drohlaut des Hahnes oder gar der Stock in einer drohenden Menschenhand sie bewältigt und zur Ruhe zwingt.

Nur als junge Backfische zeigen sie sich einigermaßen bescheiden und tragen ihre ersten Eier mit schweigender Aengstlichkeit zu Neste. Besäßen sie nun Verstand und Nachdenken, so würden sie dieses Verfahren für ihre ganze Lebenszeit fortsetzen und alsdann manche ruhige Stunde mehr genießen. Allein nur vom Instinct geleitet, fühlen sie sich kaum etwas kräftiger, so werden sie prahlerisch und verkünden nicht selten schon lange vorher dem ganzen Hofe, welch ein wichtiges Geschäft sie verrichten wollen. Mit halb klagend, halb ruhmredig klingendem Tone nähern sie sich auf Umwegen dem Neste und stellen sich, als wäre schon das Ersteigen desselben ein großes und schwieriges Unternehmen. Unterdessen ist sicher schon eine neidische Nebenbuhlerin mit mehr Eile und auf geradem Wege dort angelangt, denn jede Henne glaubt auf das Lieblingsnest ein ausschließliches Eigenthumsrecht zu besitzen. Nun entsteht alsbald ein lebhafter Zank und Streit, und diejenige, die das Nest zuerst occupirte, was in den meisten Fällen doch die ist, die augenblicklich von der Natur darauf hingewiesen, wird erst noch lange Zeit von der anderen durch lautes Gegacker gescholten und beunruhigt. Ihrerseits antwortet sie hierauf in derselben Weise, wenn aber jene ihr nachspringt und sie thätlich zu verdrängen sucht, bleibt ihr nichts Anderes übrig, als sich so tief als möglich [796] niederzuducken, wobei sie einen Ton ähnlich dem eines knurrenden Hundes vernehmen läßt, der wohl beißen möchte, aber durch irgend etwas daran verhindert wird.

In dieser Lage wird sie von ihrer Nebenbuhlerin gerupft und in das unbeschützte Haupt oft blutig gebissen, allein was will sie dagegen beginnen? Sie trägt nun die Folgen ihrer Thorheit und kann nur durch Ausdauer die Feindin ermüden und sie durch Langeweile zum Rückzuge veranlassen, um sie ihrerseits allernächstens in dieselbe Lage zu bringen.

Meine Hennen werden bei solchen Gelegenheiten von mir miterzogen. Nachdem ich der Ruhestörerin ein Ei gezeigt und dasselbe vor ihren Augen in ein leeres Nest gelegt, ergreife ich sie bei den Flügeln und setze sie auf jenes Nest, indem ich ihr ungefähr in folgenden Worten meine Meinung sage: „Mußt Du augenblicklich auch schon Deine Pflicht als meine Eierlieferantin erfüllen, so hast Du nun bequeme Gelegenheit dazu. Ist dies noch nicht der Fall, so schier Dich zum Stalle hinaus und verhalte Dich ruhig.“

Peter als galanter Ehemann.

Und der Leser kann sich überzeugt halten, so gut wie ich, daß meine Hennen mich verstehen, wenn auch nicht wörtlich, was ich ja allerdings nicht behaupten kann, so doch dem Sinne nach, denn in den meisten Fällen folgen sie meinem Befehle auf das Gehorsamste. Oftmals aber ist ihre Wuth auch so groß, daß ich dieselbe nicht anders zu beschwichtigen und abzukühlen weiß, als durch Aussperrung und Schließen des Stalles. Ueberhaupt will ich hier gleich erwähnen, daß alle meine Mittheilungen über das Hühnergeschlecht auf eigenen Erfahrungen und Beobachtungen beruhen und daß ich allerdings meinem liebevollen, aber doch auch zugleich, wenn es nöthig ist, mit Strenge geübten Einflusse manche Resultate des trefflichen Gedeihens und der guten Sitte meiner Hühner zuschreiben darf. Allein wem ist es verwehrt, dieselben Resultate zu erzielen?

Schon vom Ei an beschäftige ich mich mit dem kleinen Geschöpf, das sich einst daraus entwickeln soll. Frisch, von väterlicher wie mütterlicher Seite, eine erwünschte Race versprechend, wähle ich sie mit Sorgfalt, wenn ich einer Henne, die sich dazu bereit zeigt, das Glück und die Mühe der Bebrütung anvertrauen will, und nicht erlaube ich ihr, wie dies oftmals aus Treue, zuweilen auch aus Leichtsinn geschieht, unregelmäßig das Rest zu verlassen oder durch zu langes Ausbleiben die Eier zu erkälten. Nein, täglich einmal, zur bestimmten Stunde hebe ich selbst sie davon ab, nachdem ich ihr reichliches und besonders nahrhaftes Futter bereit gesetzt. Die Eier bedecke ich so lange mit Heu oder Wolle, und nach etwa zehn Minuten halte ich die Glucke dazu an, sich, nachdem ich jene Decke wieder abgenommen, wieder zu setzen.

Auf diese Weise sehe ich zu der bestimmten Zeit aus allen befruchteten Eiern gesunde und kräftige Küchlein zum Vorschein kommen, um deren erste Pflege ich mich, wie schon erwähnt, mit demselben Interesse bemühe, und die mich dann durch ihr schnelles und gutes Gedeihen, die jungen Hennen auch noch durch frühzeitiges und fleißiges Eierlegen, auch in materieller Hinsicht reichlich dafür belohnen.

Vor Jahren stolzirte dort ein Prachtexemplar von Haushahn umher, der durch folgenden Umstand den Namen Peter erhalten hatte. Meine kleine Pflegetochter, die für namenlose Geschöpfe durchaus kein Interesse hatte, studirte die französische Sprache in der „Geschichte Peter’s des Großen“ von Voltaire, als wir uns über einen Namen für das einzige zum Leben begnadigte Hähnchen beriethen, das von einer großen Küchleinschaar übrig geblieben.

Und, ein so kleiner Knirps er noch war und so arm und gering, Peter der Große nahm doch die Pathenstelle bei ihm an, und nicht lange währte es, so hatte er sich deren wahrlich nicht zu schämen, denn aus unserm Peterchen entfaltete sich ein großer schöner Peter, der alle Tugenden besaß, die ich seinem Geschlecht im Allgemeinen nachrühmte, und eigentlich nur einen Fehler.

Peter's Aeußeres zu beschreiben, würde viel Zeit und Raum erfordern, ich erspare es mir und dem Leser, der sich selbst ein Prachtexemplar der echt deutschen Race vorstellen mag. Peter’s Stimme war nicht brüllend und heiser wie die der jetzigen Modehähne, sondern hell und rein wie die einer silbernen Trompete, sein Auftreten und Benehmen voll Mäßigung und Würde.

Leider zeigte er sich nur zu nachsichtsvoll und verblendet gegen eine seiner Hennen, die den zarten Namen Lilly auf ähnliche Weise wie Peter den seinigen empfangen hatte, den sie bei völliger Entwickelung, unserer Ansicht nach, aber so wenig verdiente, wie Peter’s Gunst. Sie war klein und unansehnlich, eine träge und unordentliche Eierlegerin, als Gattin kokett und arrogant, im geselligen Umgange mit den anderen Hennen besonders streitsüchtig. Alle diese übeln Eigenschaften schien aber Peter gar nicht zu bemerken, vielmehr durch Lilly’s schnippisches, kaltherziges und launenhaftes Wesen seine Zuneigung für sie nur gesteigert zu werden.

Zu jener Zeit bewohnten meine Hühner für die Nacht und die Legezeit einen von dem Boden einer Scheuer abgetheilten Raum, auf welchem zu ihrer Bequemlichkeit und zur Erhaltung der Ordnung eine Hühnersteige, mehrere Nester in Gestalt umgestülpter Bienenkörbe und eine Klappe sich befand, durch die das Ausnehmen der Eier bewerkstelligt und eine Oberaufsicht menschlicherseits ermöglicht ward. Von außen führte dicht neben der Scheuerthüre eine leichte Leiter zu diesem Raum hin, in der Thüre befand sich unten ein Loch, gerade groß genug, um den Katzen zu jeder Zeit freie Passage zu gewähren, neben der Thüre im Innern der Scheuer eine Treppe, die zu dem allgemeinen Boden führte, von welchem aus man sich durch die mit einem kleinen Fenster versehene Klappe eine Uebersicht des Hühnerbodens verschaffen konnte. Der untere Raum der Scheuer war mit Brennmaterial, mit Heu und Stroh u. dgl. angefüllt.

Diese Lokalitäten zu beschreiben war nothwendig, wie die Leser sich bald überzeugen werden, denn eines Tages sah ich Lilly, die ich längst in Verdacht hatte, daß sie ihre Eier treulos verschleppe, sich überall vorsichtig umschauend, mich glücklicherweise nicht wahrnehmend, durch das Katzenloch in der Scheuer verschwinden und Peter den freilich mißlingenden Versuch machen, sich ihr auch dorthin nachzuzwängen.

Obgleich ich nun überzeugt war, für den Augenblick durch meine Dazwischenkunft Lilly's unpflichtmäßiges Vorhaben zu verhindern und mithin den Ort ihres geheimen Eiermagazines nicht zu entdecken, öffnete ich nichts destoweniger aus Gründen, die der Leser alsbald, errathen wird, die Thüre und sah Lilly mit ausgerecktem Halse vor einem großen Strohhaufen stehen. Natürlich [797] drehte sie sich sofort mit der unschuldigsten Miene nach mir um, und indem sie sich das Ansehen gab, als sei sie hier auf das Grausamste eingesperrt gewesen, flog sie mit scheltendem Gegacker bei mir vorbei zur Thüre hinaus. Ihrer List stellte ich nun aber die meinige entgegen, indem ich Futter aus einer in der Scheuer befindlichen, den Hühnern wohlbekannten Kiste nahm, und mir nun das Ansehen gebend, als wäre ich nur zu diesem Zwecke in der Scheuer erschienen, streute ich unter liebreichem Zurufen den Hühnern davon in gehöriger Entfernung von der ofterwähnten Thüre hin, und als ich sie auf das Angelegentlichste damit beschäftigt sah, kehrte ich in die Scheuer zurück, überzeugt, daß Lilly nun bald folgen werde. Hier versteckte ich mich so, daß ich den ganzen Raum überschauen, von der Henne aber nicht gesehen werden konnte, fest entschlossen, Lilly’s Veruntreuung endlich auf die Spur zu kommen.

Peter als strafender Ehemann.

Wer auf Entdeckungen ausgeht, muß Festigkeit und Ausdauer besitzen, und daß dies bei mir der Fall ist, kam mir sehr zu Statten. Fast eine halbe Stunde hatte ich schon gewartet, als ich Lilly durch die offen gelassene Thür eintreten, Peter ihr auf dem Fuße folgen sah. Vorsichtig, die Beine eines nach dem andern hochhebend, die Blicke nach allen Richtungen durch die Scheune entsendend, ging sie an verschiedene Orte, und ich überzeugte mich endlich, daß sie hier nicht, wie ich geglaubt, schon ein gefülltes Magazin besaß, sondern mit der Wahl eines Bauplatzes dazu beschäftigt war. Ein Holzhaufen, zwischen den sich etwas Heu und Stroh angesiedelt, schien ihr endlich am besten dazu geeignet. Peter wagte nicht, seine Meinung dabei zu äußern, er schien schon durch Erfahrung belehrt, daß sie bei der herrschsüchtigen und launenhaften Favorite doch nicht von Einfluß sein würde. Unter Klagetönen, als sei schon das Ersteigen des Holzhaufens eine große Last, erkletterte Lilly nun denselben, und nicht lange währte es, so hörte ich sie raschelnde Bewegungen zwischen dem Heu und Stroh anstellen. Dabei vermehrten sich ihre Klagen, und richtig erreichte sie ihren Zweck, Peter’s Mitleid und Theilnahme dadurch zu wecken. War es denn nicht auch ganz erschrecklich, daß eine Henne von ihren Verdiensten, ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit das prosaische Geschäft des Eierlegens besorgen, ja, sich noch dazu mit der Bereitung des Nestes selbst bemühen sollte?

Ja, Peter schien es auch entsetzlich zu sinken, und obgleich er ihr die eine Hälfte ihrer Berufspflichten nicht ersparen konnte, nahm er ihr doch gutmüthig die zweite ab. Mit seinem stattlicheren Körper rundete und weiterte er das Nest, zerrte mit Schnabel und Füßen die überflüssig hervorstehenden Halme weg, und als er endlich vollkommen mit seinen Erfolgen zufrieden war, räumte er der bisher müßig ihm zuschauenden Lilly das Nest ein.

Sie setzte sich, und ohne Peter jetzt weiter zu beachten, schien sie sich emsig ihrem Geschäfte hingeben zu wollen und nur aus Langeweile von Zeit zu Zeit einen noch nicht beseitigten Halm mit dem Schnabel zu ergreifen und kokett hinter sich zu werfen.

Mein erster Zweck war nun erreicht, Lilly wirklich als Eierverschlepperin ertappt, und ich hätte mich entfernen können, wenn nicht Peter’s Benehmen mich noch in meinem Versteck zurück gehalten hätte. Er rührte sich nämlich noch immer nicht von der Stelle. Welche Gründe konnten ihn dazu bewegen? Noch dachte ich hierüber nach und meinte schon, er habe auf einen Dank oder doch irgend ein Beifallszeichen von Seiten seiner Favorite gerechnet, als diese plötzlich mit lautem Gegacker wieder von dem ihrer Ansicht nach wahrscheinlich ihrer durchaus nicht würdigen Neste aufsprang und eiligst vom Holze hernieder flatterte.

Peter schien sich nichts Anderes von ihr versehen zu haben, denn ruhig sah er ihr nach, als sie ihre Wanderung von Neuem antrat. Sie schien überrascht, daß er ihr nicht folge, und indem sie vor einem hohen Haufen Stroh stehen blieb und verlangende Blicke in die Höhe richtete, nahm ihre Stimme einen so schmerzlichen Ausdruck an, als ob sie sich in der höchsten Noth und Rathlosigkeit befände. Seine Treuherzigkeit und Zuneigung überwanden dann auch bald den Verdruß, den er über Lilly’s Verschmähen des von ihm mit so großer Kunst und Mühe ausgearbeiteten Nestes mochte empfunden haben. Genug, er eilte zu ihr und voran schwang er sich mit Kraft und Geschick auf den Strohhaufen. Eine kurze Zeit nur schienen beide sich jetzt näher über die Localilät zu berathen, dann wieder das schon erwähnte Rascheln und Zerren, Ausweiten und Runden von Seite Peter’s, der endlich die feste Ueberzeugung gewonnen zu haben schien, nun ein unübertreffbares Nest hergestellt zu haben. Er wartete dieses Mal Lilly’s Urtheil auch gar nicht erst ab, sondern sobald sie sich auf dem Neste niederließ, kehrte er in die Scheuer zurück und schien sich dort Futter suchen zu wollen.

Schon wollte auch ich mich nun von meinem Lauscherposten entfernen, als ein Rascheln, das vom Neste aus zu meinen Ohren drang, mich zuvor noch einen Blick dorthin werfen ließ, und ich gestehe, daß ich in des armen Peter’s Seele Zorn und Schrecken mit empfand, als ich die launenhafte Lilly abermals stehend erblickte.

Einen Augenblick schien sie erst sehen zu wollen, welchen Eindruck dies auf das Gemüth ihres geduldigen und nur zu gutmüthigen Freundes machen würde; als Peter aber keine Notiz davon zu nehmen schien, hob sie mit triumphirendem Geschrei die Flügel und schwang sich alsdann in vollem Vertrauen aus die Macht ihrer Reize und Peter’s Neigung von dem Stroh hinab auf den Fußboden. Noch immer schien Peter sie nicht zu bemerken, obgleich sie dicht neben ihm stand, und ungewiß, wie sie sich dies ihr neu scheinende Benehmen deuten solle, verweilte sie noch einige Secunden in der Stellung mit aufgelüfteten Flügeln, kann warf sie Kopf und Schweif in die Höhe und tänzelte an ihm vorüber zur Scheuer hinaus. So lange, bis sie neben die Leiter zum Hühnerboden gelangte, blickten Peter und ich ihr nach, und ich glaube, daß er meine Hoffnung theilte, das undankbare und treulose Geschöpf sei bessern Sinnes geworden und wolle ihr Ei dorthin tragen, wohin es nach Vernunft und Ordnung gehörte. Doch leider sahen wir uns getäuscht. Lilly schenkte dem Pfade der Pflicht keinen Blick, sondern trippelte daran vorüber, um sich, wer weiß wo, einen neuen verbotenen Versteck zu suchen.

Jetzt aber hatte Peter’s Langmuth und Nachsicht ein Ende. Zornig senkte er die Flügel und eiligst mit vorgestrecktem Kopfe stürzte er der kaltherzigen Lilly nach. Auch ich beeilte mich, den Hof zu erreichen, und hier gewahrte ich das sämmtliche Federvieh voll Erstaunen und Grauen, von Peter und Lilly anfangs keine Spur. Plötzlich stürzte die Letztere hinter einer großen Wassertonne hervor, der Erstere hinter ihr her, seine Sporen an den Flügeln [798] wetzend, Lilly mit diesen manchen Schlag ertheilend und sie so einige Mal im Hofe umherjagend und zur Leiter der Hühnersteige treibend. Zwei Mal lief sie daran vorüber, dann aber sah ich sie sich Hals über Kopf hinein stürzen und Peter ihr folgen.

Auf der Treppe in der Scheuer erstieg ich den Boden, blickte durch das Fenster in der Klappe und sah nun Lilly schon gemächlich im ersten besten Neste sitzen. Sie schien jetzt plötzlich wie umgewandelt, demüthig senkte sie den Kopf und blinzelte ängstlich und verlegen umher. Peter aber stand in der kleinen Pforte, die zur Hühnersteige führte, noch mit hängenden Flügeln zornige Töne aus seiner fast athemlosen Brust hervorkeuchend. Ich hob nun die Klappe in die Höhe und rief ihm freundliche Beruhigungsworte zu. Da war es, als schäme er sich, in seiner Herrin eine Zeugin seines häuslichen Unglückes erkennen zu müssen, denn nicht wie sonst, wenn ich ihn anredete, hob er freudig die Flügel, jetzt legte er sie so glatt als möglich zusammen, und traurig und beschämt den Kopf senkend, wendete er sich um und schlich die Leiter hinab.

Von diesem Tage an habe ich niemals wieder bemerkt, daß Peter eine seiner Hennen besonders favorisirte, und was Lilly betraf, war und blieb sie zwar eine träge und unordentliche Eierlieferantin, beschloß ihr Leben deshalb schon auf der Mittagshöhe ihres Daseins im Suppentopfe; allein Peter gegenüber war sie seitdem von aller Prätension und Launenhaftigkeit geheilt.