Ein Beispiel des alten Volksglaubens

Textdaten
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Autor: Dr. P.
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Titel: Ein Beispiel des alten Volksglaubens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 139–140
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[139] Ein Beispiel des alten Volksglaubens. Was ich in nachfolgenden Zeilen mittheile, ist ein Erlebniß, dessen strengste Wahrheit ich verbürge; es soll einen eclatanten Beweis dafür liefern, wie noch vor dreißig Jahren in Hinterpommern vielfache Spuren von dem altgermanischen Wunderglauben vorhanden waren und die Gemüther erfüllten.

Im Sommer des Jahres 1846, wo ich als Hauslehrer auf einem Gute Hinterpommerns fungirte, meldete mir eines schönen Tages der Diener der Gutsherrschaft, daß mich zwei fremde Männer zu sprechen wünschten. Ich sagte ihm, daß ich bereit sei, dieselben zu empfangen; er möge sie nur herführen. Zwei stattliche Männer des Bauernstandes in den besten Mannesjahren traten ein und eröffneten mir, daß sie von dem Lehrer K. in Horst bei Wangerin am Woidschwinsee an mich gewiesen seien, damit ich ihnen die Zauberformeln in dem Buche, das sie mir überreichten, aus dem Lateinischen in's Deutsche übersetze; ich würde das wohl können, da ich ja nach Versicherung des Lehrers in Horst, der übrigens ein Jugendgenosse von mir war, ein sprachenkundiger Mann sei, und wenn ich ihnen diesen Gefallen erwiese, so solle das mein Schade nicht sein. Ich nahm das Buch zur Hand und sah, daß dasselbe sogenannte Zauberformeln von Paracelsus, Doctor Faust und anderen berühmten Magikern, wie wenigstens der Titel berichtete, enthalte, die zu allerlei Zwecken nützlich zu verwenden seien. Gedruckt war das Buch Anno 1682 zu Frankfurt am Main, der Form nach klein Octav und in Druck und sonstiger Ausstattung den Volksbüchern ähnlich, die ehedem auf Jahrmärkten verkauft wurden und die Geschichte der Genoveva, des Doctor Faust, der schönen Melusine und dergl. enthielten. Als Charakteristicum stand auf allen Exemplaren solcher Bücher, die ich gesehen habe: „gedruckt in diesem Jahre“.

Zunächst richtete ich die Frage an die Männer, welchen Zweck sie denn versorgten, wozu sie die Sprüche und Zauberformeln, die das Buch enthalte, verwenden wollten? Treuherzig, aber mit der Bitte, ihr Geheimniß nicht zu verrathen, eröffneten sie mir, sie seien Schatzgräber, die zufällig in der Nähe von Wangerin an den Ufern des Woidschwinsees, wo einst zahlreiche Raubritter gehaust hätten, einen großen Schatz entdeckt, dem sie bereits bei mehrfachem Nachgraben auf der Spur gewesen seien, der aber bisher ihnen immer durch den Erdgeist entrückt worden sei; einmal seien sie ihm sogar so nahe gewesen, daß sie die Geldstücke beim Fortrücken hätten klingen hören. Wo der Schatz jetzt ruhe, habe ihnen die Wünschelruthe, die sie einem alten Schäfer in Stramehl bei Labes für schweres Geld abgekauft hätten, angezeigt, aber den Schatz zu heben, werde Ihnen erst gelingen, wenn sie im Stande wären, den Erdgeist zu bannen, daß er hinfort den Schatz nicht mehr fortrücke. Dies aber würden sie können, sobald sie die in dem Buche enthaltene Bannformel besäßen, und zu diesem Besitze möchte ich ihnen nun verhelfen. Auf meine weitere Frage, wie sie denn zu diesem seltsamen Buche gekommen seien, theilten sie mit, daß sie es von einem alten Feldscheer, der in Marienfließ bei Freienwalde in Pommern durch seine Mixturen und Salben von weit und breit Kranke an sich zöge und überhaupt einen gewissen mysteriösen Nimbus um sich verbreitet hätte, für fünf Thaler gekauft hätten; es zu verdeutschen, sei er außer Stande gewesen, da er nur „Apothekerlatein“ verstehe. Ihm hätten sie aber außer seinem Preise für das Buch noch eine bestimmte Quote vom Schatze versprechen müssen.

Es war für mich interessant, einmal zwei leibhaftige Schatzgräber vor mir zu sehen, deren Treiben auf der Feldflur meines Heimathdorfes mich als Knaben einst vielfach beschäftigt hatte. Ich hatte ja selbst die Gruben in einem Thale, welches die Hölle hieß und wo es, wie die Leute sagten, nicht ganz richtig war – es war dort der dreibeinige Hase gesehen worden – oft ganz frisch und nachdem sie erst in der vorhergehenden Nacht aufgeworfen, gesehen. Auf meine Aufforderung, mir doch genau mitzutheilen, wie sie denn zu der Gewißheit gelangt seien, daß dort ein Schatz verborgen liege, erhielt ich zur Antwort, sie selber seien einst bei einer Rückkehr in ihr Heimathsdorf um Mitternacht an der Stelle vorbeigekommen, wo der Schatz gebrannt habe, das heißt, durch einen hellen Schein über der Erde sein Dasein und den Wunsch zu erkennen gegeben habe, daß er gehoben sein wolle. Zwar sei der Schein plötzlich verschwunden, aber durch einen eingesteckten Stock hätten sie die Stelle genau bezeichnet und am nächsten Morgen auch richtig mit ihrer Marke wiedergefunden.

In der nun folgenden Nacht seien sie Beide mit Spaten und Schaufel, natürlich unter dem tiefsten Stillschweigen (dies müsse immer beobachtet werden, wenn das Unternehmen gelingen solle), an die bewußte Stelle gegangen und hätten um zwölf Uhr mit Eintritt der Geisterstunde ihre Nachgrabungen begonnen, und siehe da, als sie bereits auf den Deckel des Kastens aufstießen, donnerte es vom nächsten Kirchthurme Eins und unter Klingen und Rauschen habe der Erdgeist den Kasten an eine andere Stelle gerückt. Diese neue Stelle, an der sich der Schatz befand, wiederaufzufinden, sei ihnen mit Hülfe der Wünschelruthe gelungen, aber ihre Arbeit sei auch diesmal vergebens gewesen und den nächsten Versuch, da ihnen die Wünschelruthe bereits wieder die Stelle, wo der Schatz jetzt stehe, angezeigt habe, wollten sie erst machen, wenn sie durch mich in den Besitz der Bannformel gelangt seien. Sie bäten mich deshalb gar sehr, ihnen zu helfen, zumal es mein Schade nicht sein solle.

Auf meine Entgegnungen, daß ihr Vorhaben doch eigentlich auf crassem Aberglauben beruhe, gingen sie weiter nicht ein, erklärten mir aber offen, sie wüßten sehr wohl, daß wir studirten Leute an dergleichen nicht glaubten; das hätten sie auch von mir erwartet, sie indeß blieben bei ihrem Glauben, und sicherlich würden sie den Schatz heben, wenn ich sie mit meiner Hülfe nicht im Stiche ließe, und dann würden mich die harten Thaler, die sie mir bringen würden, eines Besseren belehren. Ich unterließ, meine Zweifel weiter auszusprechen, da es mir doch nichts geholfen hätte, weil ich sah, wie das Innere beider Männer von einem abergläubischen Wahne erfüllt war, den ich auszutilgen außer Stande war; ich gab das Versprechen, spätestens in vierzehn Tagen ihnen eine treue und wohlverständliche Uebersetzung durch den Lehrer K. in Horst zuzustellen, und es würde mich freuen, sie baldigst mit einem Klumpen Goldes bei [140] mir einspringen zu sehen. Zufrieden mit dieser Zusage schieden die Männer, ihres Erfolges gewiß, nochmals betheuernd, daß ich sie nicht als unredliche und gar undankbare Menschen sollte kennen gelernt haben.

Die Sache hatte für mich um so mehr Reiz, als ich es hier mit zwei Männern zu thun hatte, die steif und fest an Hexenbann und Schatzgräberei glaubten; außerdem aber trieb mich auch die Neugierde, den Inhalt des mysteriösen Buches, das sich in meinen Händen befand, kennen zu lernen. Der Titel lautete: „Clavis Aenigmatum, das ist: Schlüssel zur Zauberei, wie sie gelehret von Paracelsus, Doctor Faustus und anderen berühmten Magicis. Gedruckt zu Frankfurt am Mayn im Jahre des Heils 1682.“

Das Buch enthielt Beschwörungsformeln zur Vertreibung von vielerlei Krankheiten der Menschen und des Viehes, besonders aber solcher, die man, wie es hieß, den böswilligen Hexen zu verdanken habe. Die Formel für Schatzgräber („fossoribus thesaurorum“) stand auf einem der letzten Blätter und lautete mit der Überschrift so:

“Ter fiat signum crucis (†††) terque pronuncientur haec verba: Nomine sancta Trinitas. Numen subterraneum, geni omnipotens divitiarumque custos, siste thesaurum hicce absconditum, neve submove porro, patereque nos Te precantes obsecrantesque consequi!“ Zu deutsch: „Drei Mal werde das Kreuz geschlagen und drei Mal werden folgende Worte gesprochen: Im Namen der heiligen Dreieinigkeit. Erdgeist, allmächtiger Geist und Wächter der Schätze, laß den hier verborgenen Schatz stehen, rücke ihn nicht weiter fort und leide, daß wir, die wir Dich bittend beschwören, ihn bekommen.“

Nach Verlauf von vierzehn Tagen schickte ich das Buch mit meiner Uebersetzung an den genannten Lehrer in Horst bei Wangerin zur weiteren Uebermittelung an die Schatzgräber ein, habe aber leider niemals ein Weiteres über das schließliche Resultat der Nachgrabungen erfahren. Sicherlich hat sich auch trotz der verdeutschten Zauberformel der Erdgeist nicht zur Herausgabe des Schatzes bewegen lassen. Oder hat die Formel deshalb ihre Kraft verloren, weil sie ein zweifelnder Ketzer übersetzt hatte? Wer mag es wissen! Genug, so stand es noch vor dreißig Jahren mit den Resten des allen Volksglaubens in jenen Gegenden Pommerns, aber sicherlich ist die Ueberzeugungstreue an die Macht desselben seit den Tagen immer mehr verschwunden, wo an dem Woidschwinsee die Eisenbahn vorübersaust und diesen Theil Pommerns dem allgemeinen Verkehre ausgeschlossen hat, da weder Chausseen noch sonst gepflegte Straßen in diese Gegenden führten. Auch die Erscheinung des großen Zauberers auf dem Gebiete der Politik, der dort gewiß manchem Landmanne zu Gesicht gekommen sein wird, da Fürst Bismarck auf seinen Fahrten von Berlin nach Varzin und von dort zurück nach Berlin regelmäßig jene Landstrecken durchschneidet, wird sicherlich dazu beigetragen haben, das Volk dort aus seiner ehemals traumhaften Sphäre in die reale Wirklichkeit zu versetzen. Ob sie dem Zauber des neuen Gründerthums verfallen sind, lasse ich unentschieden; es in der Nähe kennen zu lernen haben sie wenigstens bei dem Baue der Pommerschen Centralbahn Gelegenheit genug gehabt. –
Dr. P.