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Titel: Das Gebet in der Steppe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 129, 140
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[129]

Das Gebet in der Steppe.
Nach der Natur aufgenommen von Professor Franz Zverina in Brünn.

[140] Das Gebet in der Steppe. (Mit Abbildung, S. 129.) Wie die Gemüthsfärbung bei dem einzelnen Menschen abhängig ist von den äußeren Umgebungen und Einflüssen, namentlich den Eindrücken der Natur, welche zur Zeit seiner ersten Entwickelung auf ihn einwirkten, so ist sie es auch bei ganzen Stämmen und Völkern. Auf den üppigen, blumigen Auen Italiens und Spaniens tönt sich das Volksgemüth in sinnlich heiteren Klängen aus; in diesen munteren Canzonetten flattert ein Stück von dem blauen Himmel des Südens lustig in die Welt hinaus. Aber ernst und melancholisch singt das Volk auf den eisbedeckten Fluren des Nordens und in den weltfremden Einöden und Wüsten des Südens und Ostens; aus den finnischen Volksmelodien spricht zu uns die tiefe Wehmuth und öde Einsamkeit der nordischen Landschaft. Je ausgesprochener aber eine Gegend ihre Eigenthümlichkeiten äußert, desto entschiedener und selbstständiger tritt auch im Gesammtleben ihrer Bewohner der Volkscharakter hervor. Ob es Flach- oder Alpenland ist, das sie bewohnen – welch einen Unterschied bedingt dies in den Charakteren der Völker!

Vielleicht am augenscheinlichsten äußert sich der Einfluß der Natur auf das Volksgemüth bei den Steppenbewohnern. Alle Völker dieser eintönigen, farblosen Ebenen, dieser Sand- und Steinmeere sind schweigsam, düster, melancholisch. Oft fast ganz abgeschlossen von dem Verkehre mit anderen Nationen, führen sie ein beschauliches Hirtenleben und stehen daher in um so innigeren Beziehungen zu der sie umgebenden Natur. Die Einsamkeit vertieft ihr Gemüth unendlich. Alle Zauber der wechselnden Naturerscheinungen um sie herum empfinden sie auf das Tiefste, und so wird dem Steppenbewohner Alles, was Erde und Himmel ihm bietet, zum Gegenstande einer Herzensempfindung; er individualisirt sich Alles: das Haideblümchen, der Strauch und der Baum werden um so inniger besungen, je seltener sie sein Auge erfreuen. Wunderbar und herrlich erklingen die Lieder der Steppe, und kaum bleibt ein Auge trocken, wenn eine ungarische oder kleinrussische Nationalweise in ihren einfachen Melodien ertönt.

Neben dem Zuge sinniger Meloncholie ist es besonders der Hang zum Abenteuerlichen, welcher die Steppenvölker charakterisirt. Der weite Blick über die unendlichen Ebenen, die verlockende Fernsicht, bald unter dunkeln Wolkenlagen gefahr- und unheildrohend, bald in heiterm Sonnenlichte glückverheißend – was zöge das Herz mehr in die Weite als diese ewig offene, ewig in die Ferne hinauswinkende Landschaft?

Und Abenteuer suchend, zieht er weithin über die braune Fläche seiner endlos gedehnten Heimath, der Sohn der Steppe. Er möchte den Großen seines Volkes gleich sein, den stolzen Kosakenhelden, von denen das Lied singt, und dieser ehrgeizige Gedanke begleitet ihn auf allen seinen Zügen. Was Wunder denn, wenn das Gemüth des Volkes mit schwärmerischer Verehrung an jenen Steppenorten hängt, welche die Geschichte oder Sage als heilig bezeichnet? – Die abgöttische Liebe für ihre Helden hat sich namentlich bei den Kleinrussen Podoliens und Volhyniens in ungeschwächter Kraft erhalten. Heilig vor Allem gelten ihnen die einsam trauernden, gigantischen Steppenföhren, welche die Volkssage als Schlachtorte und Sterbestätten berühmter Hetmane kennzeichnet.

Sinnend und singend durchzieht der Hirte mit seiner Familie und seiner Heerde meilenweit die Steppen, und mit ehrfurchtsvoller Scheu betritt er dann im Vorüberwandern mit den Seinen die nationalen Ruhmesstätten in der menschenleeren Oede. Sei es ein Fels, der den kahlen Scheitel gen Himmel hebt und in schweigender Beredsamkeit die Geschichte eines gewaltigen Helden Podoliens erzählt, der hier glorreich siegte oder ruhmvoll unterlag; sei es eine riesige Föhre, die, ein einsames Denkmal hingesunkener Größe, in der schrankenlosen Leere der Wüste ihr groteskes Gezweige himmelan streckt – wie in die Hallen eines Gotteshauses ziehen diese Volksheiligthümer den Hirten in ihre kühlungspendenden Schatten. Hier rastet er mit Roß und Rind, mit Weib und Kind. Und wenn der Steppenwind durch die Zweige des einsamen Riesenbaumes fährt, dann glauben die Wanderer da unten wohl die Stimme der Gottheit zu hören, und die stumme grabesstille Wüste vernimmt das andächtige Gebet ihrer Kinder.

Einen solchen Moment des Gebetes in der Steppe hat der Künstler, dem wir auch theilweise die obigen Mittheilungen verdanken, in unserem heutigen Bilde äußerst effectvoll zur Darstellung gebracht. Die „Gartenlaube“ wird später noch eine oder die andere Zeichnung Franz Zverina’s zur Anschauung bringen und dann nicht versäumen, auch den künstlerischen Werth seiner originellen Leistungen in einigen Worten zu würdigen.